[Erster Abschnitt]
Nun betrieb er ein Geschäft in Petersburg ... Wie er erzählte, hatte er keine rechte Verbindung mit der dortigen
Kolonie seiner Landsleute ...
Sankt Petersburg, die ihrer Anlage nach westlichste der russischen Städte, zog als Handelsplatz mit Verbindung zur Ostsee viele
ausländische und zumal deutsche Kaufleute an. Um 1900 hatte die Stadt über 50 000 deutsche oder deutschstämmige
Einwohner (etwa 5% der Gesamtbevölkerung), und wenn sie auch nicht gerade eine 'Kolonie' bildeten, so gab es unter ihnen doch
ein eigenes Gesellschafts- und Kulturleben.
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Der Freund war nun schon über drei Jahre nicht in der Heimat gewesen und erklärte dies sehr notdürftig mit der
Unsicherheit der politischen Verhältnisse in Russland ...
Eine von St. Petersburg ausgehende Streikbewegung hatte sich 1905 zur ersten russischen Revolution ausgeweitet und den Zaren
gezwungen, die Polizeigewalt einzuschränken und dem Volk gewisse bürgerlich-demokratische Grundrechte zuzugestehen.
Das konnte die Situation im Ganzen jedoch nicht beruhigen. Immer wieder kam es zu Streiks, Unruhen und Attentaten, die
sich sowohl gegen die Regierung wie gegen einzelne politische Strömungen richteten. Besonderes Aufsehen erregte 1911 die Ermordung des
russischen Ministerpräsidenten Peter Stolypin bei einer Opernaufführung in Kiew. Wegen der Regelmäßigkeit von
Unruhe-Nachrichten aus Russland in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war für die ersten Leser des 'Urteils' klar, dass die
Geschichte unmittelbar in der Gegenwart spielt.