[Zweiter Abschnitt: Das Gespräch mit dem Vater]

Endlich steckte er den Brief in die Tasche und ging aus seinem Zimmer quer durch einen kleinen Gang in das
Zimmer seines Vaters, in dem er schon seit
Monaten nicht gewesen war. Es bestand auch sonst keine Nötigung dazu, denn er verkehrte mit seinem Vater
ständig im Geschäft, das
Mittagessen nahmen sie gleichzeitig in einem Speisehaus ein, abends versorgte sich zwar jeder nach Belieben,
doch saßen sie dann noch ein Weilchen,
meistens jeder mit seiner Zeitung, im gemeinsamen Wohnzimmer, wenn nicht Georg, wie es am häufigsten
geschah, mit Freunden beisammen war
oder jetzt seine Braut besuchte.

Georg staunte darüber, wie dunkel das Zimmer des Vaters selbst an diesem sonnigen Vormittag war. Einen solchen
Schatten warf also die hohe Mauer, die sich jenseits des schmalen Hofes erhob. Der Vater saß beim Fenster in
einer Ecke, die mit verschiedenen Andenken an die selige Mutter ausgeschmückt war, und las die Zeitung,
die er seitlich vor die Augen hielt, wodurch er irgendeine Augenschwäche auszugleichen suchte. Auf dem
Tisch standen die Reste des Frühstücks, von dem nicht viel verzehrt zu sein schien.

»Ah, Georg!«, sagte der Vater und ging ihm gleich entgegen. Sein schwerer Schlafrock öffnete
sich im Gehen, die Enden umflatterten ihn - »mein Vater ist noch immer ein Riese«, dachte sich Georg.

»Hier ist es ja unerträglich dunkel«, sagte er dann.

»Ja, dunkel ist es schon«, antwortete der Vater.

»Das Fenster hast du auch geschlossen?«

»Ich habe es lieber so.«

»Es ist ja ganz warm draußen«, sagte Georg, wie im Nachhang zu dem Früheren, und setzte sich.

Der Vater räumte das Frühstücksgeschirr ab und stellte es auf einen Kasten.

»Ich wollte dir eigentlich nur sagen«, fuhr Georg fort, der den Bewegungen des alten Mannes
ganz verloren folgte, »dass ich nun doch nach Petersburg meine Verlobung angezeigt habe.«
Er zog den Brief ein wenig aus der Tasche und ließ ihn wieder zurückfallen.

»Nach Petersburg?«, fragte der Vater.

»Meinem Freunde doch«, sagte Georg und suchte des Vaters Augen - »Im Geschäft ist
er doch ganz anders«, dachte er, »wie er hier breit sitzt und die Arme über der Brust
kreuzt.«

»Ja. Deinem Freunde«, sagte der Vater mit Betonung.

»Du weißt doch, Vater, dass ich ihm meine Verlobung zuerst verschweigen wollte. Aus
Rücksichtnahme, aus keinem anderen Grunde sonst. Du weißt selbst, er ist ein schwieriger Mensch.
Ich sagte mir, von anderer Seite kann er von meiner Verlobung wohl erfahren, wenn das auch bei seiner
einsamen Lebensweise kaum wahrscheinlich ist - das kann ich nicht hindern -, aber von mir selbst soll er es
nun einmal nicht erfahren.«

»Und jetzt hast du es dir wieder anders überlegt?«, fragte der Vater, legte die große
Zeitung auf den Fensterbord und auf die Zeitung die Brille, die er mit der Hand bedeckte.

»Ja, jetzt habe ich es mir wieder überlegt. Wenn er mein guter Freund ist, sagte ich mir, dann ist meine
glückliche Verlobung auch für ihn ein Glück. Und deshalb habe ich nicht mehr gezögert, es ihm
anzuzeigen. Ehe ich jedoch den Brief einwarf, wollte ich es dir sagen.«

»Georg«, sagte der Vater und zog den zahnlosen Mund in die Breite »hör' einmal! Du bist wegen
dieser Sache zu mir gekommen,
um dich mit mir zu beraten. Das ehrt dich ohne Zweifel. Aber es ist nichts, es ist ärger als nichts, wenn du
mir jetzt nicht die
volle Wahrheit sagst. Ich will nicht Dinge aufrühren, die nicht hierher gehören. Seit dem Tode unserer
teueren Mutter sind
gewisse unschöne Dinge vorgegangen. Vielleicht kommt auch für sie die Zeit und vielleicht kommt sie
früher, als wir denken.
Im Geschäft entgeht mir manches, es wird mir vielleicht nicht verborgen - ich will jetzt gar nicht die
Annahme machen, dass es mir
verborgen wird -, ich bin nicht mehr kräftig genug, mein Gedächtnis lässt nach, ich habe
nicht mehr den Blick für
alle die vielen Sachen. Das ist erstens der Ablauf der Natur, und zweitens hat mich der Tod unseres Mütterchens
viel mehr
niedergeschlagen als dich. - Aber weil wir gerade bei dieser Sache sind, bei diesem Brief, so bitte ich dich, Georg,
täusche mich nicht.
Es ist eine Kleinigkeit, es ist nicht des Atems wert, also täusche mich nicht. Hast du wirklich diesen Freund
in Petersburg?«