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Spinell hieß der Schriftsteller, der seit mehreren Wochen in 'Einfried' lebte, Detlev Spinell war sein Name, und sein Äußeres
war wunderlich.

Man vergegenwärtige sich einen Brünetten am Anfang der Dreißiger und von stattlicher Statur,
dessen Haar an den Schläfen schon merklich zu ergrauen beginnt, dessen rundes, weißes, ein wenig
gedunsenes Gesicht aber nicht die Spur irgendeines Bartwuchses zeigt. Es war nicht rasiert, - man hätte es gesehen;
weich, verwischt und knabenhaft, war es nur hier und da mit einzelnen Flaumhärchen besetzt. Und das sah ganz
merkwürdig aus. Der Blick seiner rehbraunen, blanken Augen war von sanftem Ausdruck, die Nase gedrungen und ein
wenig zu fleischig. Ferner besaß Herr Spinell eine gewölbte, poröse Oberlippe römischen Charakters,
große, kariöse Zähne und Füße von seltenem Umfange. Einer der Herren mit den unbeherrschten
Beinen, der ein Zyniker und Witzbold war, hatte ihn hinter seinem Rücken 'der verweste Säugling'
getauft; aber das war hämisch und wenig zutreffend. Er ging gut und modisch gekleidet, in langem schwarzen Rock
und farbig punktierter Weste.

Er war ungesellig und hielt mit keiner Seele Gemeinschaft. Nur zuweilen konnte eine leutselige, liebevolle und
überquellende Stimmung ihn befallen, und das geschah jedes Mal, wenn Herr Spinell in ästhetischen Zustand
verfiel, wenn der Anblick von irgendetwas Schönem, der Zusammenklang zweier Farben, eine Vase von edler
Form, das vom Sonnenuntergang bestrahlte Gebirge ihn zu lauter Bewunderung hinriss. »Wie schön!«, sagte er
dann, indem er den Kopf auf die Seite legte, die Schultern emporzog, die Hände spreizte und Nase und Lippen
krauste. »Gott, sehen Sie, wie schön!« Und er war imstande, blindlings die distinguiertesten Herrschaften,
ob Mann oder Weib, zu umhalsen in der Bewegung solcher Augenblicke ...

Beständig lag auf seinem Tische, für jeden sichtbar, der sein Zimmer betrat, das Buch, das er geschrieben hatte. Es war ein Roman
von mäßigem Umfange, mit einer vollkommen verwirrenden Umschlagzeichnung versehen und gedruckt auf einer Art von Kaffeesiebpapier
mit Buchstaben, von denen ein jeder aussah wie eine gotische Kathedrale. Fräulein von Osterloh hatte es in einer
müßigen Viertelstunde gelesen und fand es »raffiniert«, was ihre Form war, das Urteil »unmenschlich
langweilig« zu umschreiben. Es spielte in mondänen Salons, in üppigen Frauengemächern, die voller erlesener
Gegenstände waren, voll von Gobelins, uralten Meubles, köstlichem Porzellan, unbezahlbaren Stoffen und künstlerischen
Kleinodien aller Art. Auf die Schilderung dieser Dinge war der liebevollste Wert gelegt, und beständig sah man dabei Herrn Spinell,
wie er die Nase krauszog und sagte: »Wie schön! Gott, sehen Sie, wie schön!« ... Übrigens musste es
wundernehmen, dass er noch nicht mehr Bücher verfasst hatte als dieses eine, denn augenscheinlich schrieb er mit
Leidenschaft. Er verbrachte den größeren Teil des Tages schreibend auf seinem Zimmer und ließ außerordentlich
viele Briefe zur Post befördern, fast täglich einen oder zwei, - wobei es nur als befremdend und belustigend auffiel, dass
er seinerseits höchst selten welche empfing ...