Neuntes Kapitel

Schon im Hofe des Louvre bot sich meinen Augen ein schrecklicher Anblick. Die Hugenotten vom Gefolge des Königs von
Navarra lagen hier, frisch getötet, manche noch röchelnd, in Haufen übereinander. Längs der Seine
weiter eilend begegneten wir auf jedem Schritte einem Gräuel. Hier lag ein armer Alter mit gespaltenem Schädel in
seinem Blute, dort sträubte sich ein totenblasses Weib in den Armen eines rohen Lanzenknechtes. Eine Gasse lag
still wie das Grab, aus einer anderen erschollen noch Hilferufe und misstönige Sterbeseufzer.

Ich aber, unempfindlich für diese unfassbare Größe des Elends, stürmte wie ein Verzweifelter
vorwärts, sodass mir Boccard und der Schweizer kaum zu folgen vermochten. Endlich war die Brücke erreicht
und überschritten. Ich stürzte in vollem Laufe nach dem Hause des Rats, die Augen unverwandt auf seine
hoch gelegenen Fenster geheftet. An einem derselben wurden ringende Arme sichtbar, eine menschliche Gestalt mit
weißen Haaren ward hinausgedrängt. Der Unglückliche, es war Chatillon, klammerte sich einen
Augenblick noch mit schwachen Händen an das Gesims, dann ließ er es los und stürzte auf das
Pflaster. An dem Zerschmetterten vorüber, erklomm ich in wenigen Sprüngen die Treppe und stürzte
in das Gemach. Es war mit Bewaffneten gefüllt und ein wilder Lärm erscholl aus der offenen Türe
des Bibliothekzimmers. Ich bahnte mir mit meiner Hellebarde den Weg und erblickte Gasparde, in eine Ecke
gedrängt und von einer gierigen, brüllenden Meute umstellt, die sie, mein Pistol in der Hand
und bald auf diesen bald auf jenen zielend, von sich abhielt. Sie war farblos wie ein Wachsbild, und aus ihren
weit geöffneten blauen Augen sprühte ein schreckliches Feuer.

Alles vor mir niederwerfend, mit einem einzigen Anlaufe, war ich an ihrer Seite und »Gott sei Dank, du bist es!«,
rief sie noch und sank mir dann bewusstlos in die Arme.

Unterdessen war Boccard mit dem Schweizer nachgedrungen.

»Leute!«, drohte er, »im Namen des Königs verbiete ich euch, diese Dame nur mit einem
Finger zu berühren! Zurück, wem sein Leben lieb ist! Ich habe Befehl, sie ins Louvre zu bringen!«

Er war neben mich getreten, und ich hatte die ohnmächtige Gasparde in den Lehnstuhl des Rats gelegt.

Da sprang aus dem Getümmel ein scheußlicher Mensch mit blutigen Händen und blutbeflecktem Gesichte hervor,
in dem ich den verfemten Lignerolles erkannte.

»Lug und Trug!«, schrie er, »das, Schweizer? - Verkappte Hugenotten sind's und von der schlimmsten Sorte!
Dieser hier - ich kenne dich wohl, vierschrötiger Halunke - hat den frommen Grafen Guiche gemordet, und jener war dabei.
Schlagt tot! Es ist ein verdienstliches Werk, diese schurkischen Ketzer zu vertilgen! Aber rührt mir das Mädel nicht
an - die ist mein!«

Und der Verwilderte warf sich wütend auf mich.

»Bösewicht«, rief Boccard, »dein Stündlein ist gekommen! Stoß zu, Schadau!«
Rasch drängte er mit geschickter Parade die ruchlose Klinge in die Höhe, und ich stieß dem Buben mein
Schwert bis an das Heft in die Brust. Er stürzte.

Ein rasendes Geheul erhob sich aus der Rotte.

»Weg von hier!«, winkte mir der Freund. »Nimm dein Weib auf den Arm und folge mir!«

Jetzt griffen Boccard und der Schweizer mit Hieb und Stoß das Gesindel an, das uns von der Türe trennte
und brachen eine Gasse, durch die ich, Gasparde tragend, schleunig nachschritt.

Wir gelangten glücklich die Treppen hinunter und betraten die Straße. Hier hatten wir vielleicht zehn
Schritte getan, da fiel ein Schuss aus einem Fenster. Boccard schwankte, griff mit unsicherer Hand nach dem
Medaillon, riss es hervor, drückte es an die erblassenden Lippen und sank nieder.

Er war durch die Schläfe getroffen. Der erste Blick überzeugte mich, dass ich ihn verloren hatte, der zweite,
nach dem Fenster gerichtete, dass ihn der Tod aus meinem Reiterpistol getroffen, welches Gaspardes Hand entfallen war
und das jetzt der Mörder frohlockend emporhielt. Die scheußliche Horde an den Fersen, riss ich mich mit
blutendem Herzen von dem Freunde los, bei dem sein treuer Soldat niederkniete, bog um die nahe Ecke in das
Seitengässchen, wo meine Wohnung gelegen war, erreichte sie unbemerkt und eilte durch das ausgestorbene Haus
mit Gasparde hinauf in meine Kammer.

Auf dem Flur des ersten Stockwerkes schritt ich durch breite Blutlachen. Der Schneider lag ermordet, sein Weib
und seine vier Kinder, am Herd in ein Häuflein zusammengesunken, schliefen den Todesschlummer. Selbst der
kleine Pudel, des Hauses Liebling, lag verendet bei ihnen. Blutgeruch erfüllte das Haus. Die letzte Treppe
ersteigend, sah ich mein Zimmer offen, die halb zerschmetterte Türe schlug der Wind auf und zu.

Hier hatten die Mörder, da sie mein Lager leer fanden, nicht lange geweilt, das ärmliche Aussehen meiner
Kammer versprach ihnen keine Beute. Meine wenigen Bücher lagen zerrissen auf dem Boden zerstreut, in eines
derselben hatte ich, als mich Boccard überraschte, den Brief meines Ohms geborgen, er war herausgefallen,
und ich steckte ihn zu mir. Meine kleine Barschaft trug ich noch von der Reise her in einem Gurt auf dem Leibe.

Ich hatte Gasparde auf mein Lager gebettet, wo die Bleiche zu schlummern schien, und stand neben ihr, überlegend,
was zu tun sei. Sie war unscheinbar wie eine Dienerin gekleidet, wohl in der Absicht, mit ihrem Pflegevater zu fliehen.
Ich trug die Tracht der Schweizergarde.

Ein wilder Schmerz bemächtigte sich meiner über all das frevelhaft vergossene teure und unschuldige Blut.
»Fort aus dieser Hölle!«, sprach ich halblaut vor mich hin.

»Ja, fort aus dieser Hölle!«, wiederholte Gasparde, die Augen öffnend und sich auf dem Lager
in die Höhe richtend. »Hier ist unsres Bleibens nicht! Zum ersten nächsten Tore hinaus!«

»Bleibe noch ruhig!«, erwiderte ich. »Unterdessen wird es Abend und die Dämmerung erleichtert
uns vielleicht das Entrinnen.«

»Nein, nein«, versetzte sie bestimmt, »keinen Augenblick länger bleibe ich in diesem Pfuhl!
Was liegt am Leben, wenn wir zusammen sterben! Lass uns geradenwegs auf das nächste Tor zugehn. Werden wir überfallen
und wollen sie mich misshandeln, so erstichst du mich und erschlägst ihrer zwei oder drei, so sterben wir nicht
ungerächt. - Versprich mir das!«

Nach einigem Überlegen willigte ich ein, da es auch mir besser schien, um jeden Preis der Not ein Ende zu machen.
Konnte doch der Mord morgen von Neuem beginnen, waren doch die Tore nachts strenger bewacht als am Tage.

Wir machten uns auf den Weg, durch die blutgetränkten Gassen langsam nebeneinander wandelnd unter einem wolkenlosen,
dunkelblauen Augusthimmel.

Unangefochten erreichten wir das Tor.

Im Torwege vor dem Pförtchen der Wachtstube stand mit verschränkten Armen ein lothringischer Kriegsmann mit
der Feldbinde der Guisen, der uns mit stechendem Blicke musterte.

»Zwei wunderliche Vögel!«, lachte er. »Wohinaus, Herr Schweizer, mit Euerm Schwesterchen?«

Das Schwert lockernd schritt ich näher, entschlossen, ihm die Brust zu durchbohren; denn ich war des Lebens und der
Lüge müde.

»Bei den Hörnern des Satans! Seid Ihr es, Herr Schadau?«, sagte der lothringische Hauptmann, bei dem
letzten Worte seine Stimme dämpfend. »Tretet ein, hier stört uns niemand.«

Ich blickte ihm ins Gesicht und suchte mich zu erinnern. Mein ehemaliger böhmischer Fechtmeister tauchte mir auf.

»Ja freilich bin ich es«, fuhr er fort, da er meinen Gedanken mir im Auge las, »und ich bin's, wir mir
dünkt, zur gelegenen Stunde.«

Mit diesen Worten zog er mich in die Stube und Gasparde folgte.

In dem dumpfigen Raume lagen auf einer Bank zwei betrunkene Kriegsknechte, Würfel und Becher neben ihnen am Boden.

»Auf, ihr Hunde!«, fuhr sie der Hauptmann an. Der eine erhob sich mühsam. Er packte ihn am Arme
und stieß ihn vor die Türe mit den Worten: »Auf die Wache, Schuft! Du bürgst mir mit deinem Leben,
dass niemand passiert!« - Den andern, der nur einen grunzenden Ton von sich gegeben hatte, warf er von der
Bank und stieß ihn mit dem Fuße unter dieselbe, wo er ruhig fortschnarchte.

»Jetzt belieben die Herrschaften Platz zu nehmen!«, und er zeigte mit einer kavaliermäßigen
Handbewegung auf den schmutzigen Sitz.

Wir ließen uns nieder, er rückte einen zerbrochenen Stuhl herbei, setzte sich rittlings darauf,
den Ellbogen auf die Lehne stützend, und begann in familiärem Tone:

»Nun lasst uns plaudern! Euer Fall ist mir klar, Ihr braucht ihn mir nicht zu erläutern.
Ihr wünscht einen Pass nach der Schweiz, nicht wahr? - Ich rechne es mir zur Ehre, Euch einen Gegendienst zu
leisten für die Gefälligkeit, mit der Ihr mir seinerzeit das schöne württembergische Siegel
gezeigt habt, weil Ihr wusstet, ich sei ein Kenner. Eine Hand wäscht die andere. Siegel gegen Siegel. Diesmal
kann
ich Euch mit einem
aushelfen.«

Er kramte in seiner Brieftasche und zog mehrere Papiere heraus.

»Seht, als ein vorsichtiger Mann ließ ich mir für alle Fälle von meinem gnädigen Herzog
Heinrich für mich und meine Leute, die wir gestern Nacht dem Admiral unsere Aufwartung machten«, diese Worte
begleitete er mit einer Mordgebärde, vor der mir schauderte, »die nötigen Reisepapiere geben. Der
Streich konnte fehlen. Nun, die Heiligen haben sich dieser guten Stadt Paris angenommen! - Einer der Pässe -
hier ist er - lautet auf einen beurlaubten königlichen Schweizer, den Furier Koch. Steckt ihn zu Euch!
Er gewährt Euch freie Straße durch Lothringen an die Schweizergrenze. Das wäre nun in Ordnung. -
Was das Fortkommen mit Euerm Schätzchen betrifft, zu dem ich Euch, ohne Schmeichelei, Glück
wünsche«, hier verneigte er sich gegen Gasparde, »so wird die schöne Dame schwerlich gut
zu Fuße sein. Da kann ich Euch denn zwei Gäule abtreten, einen sogar mit Damensattel - denn auch ich
bin nicht ungeliebt und pflege selbander zu reiten. Ihr gebt mir dafür vierzig Goldgulden, bar, wenn Ihr es bei
Euch habt, sonst genügt mir Euer Ehrenwort. Sie sind etwas abgejagt, denn wir wurden Hals über Kopf
nach Paris aufgeboten; aber bis an die Grenze werden sie noch dauern.« Und er rief durch das Fensterchen
einem Stalljungen, der am Tore herumlungerte, den Befehl zu, schleunig zu satteln.

Während ich ihm das Geld, fast mein ganzes Besitztum, auf die Bank vorzählte, sagte der Böhme:

»Ich habe mit Vergnügen vernommen, dass Ihr Euerm Fechtmeister Ehre gemacht habt.
Freund Lignerolles hat mir alles erzählt. Er wusste Euern Namen nicht, aber ich erkannte
Euch gleich aus seiner Beschreibung. Ihr habt den Guiche erstochen! Alle Wetter, das will etwas
heißen. Ich hätte Euch das nie zugetraut. Freilich meinte Lignerolles,
Ihr hättet Euch die Brust etwas gepanzert. Das sieht Euch nicht gleich, doch zuletzt
hilft sich jeder, wie er kann.«

Während dieses grausigen Geplauders saß Gasparde stumm und bleich. Jetzt wurden die Tiere vorgeführt,
der Böhme half ihr, die unter seiner Berührung zusammenschrak, kunstgerecht in den Sattel,
ich schwang mich auf das andere Ross, der Hauptmann grüßte, und wir sprengten durch den hallenden
Torweg und über die donnernde Brücke gerettet von dannen.