Fünftes Kapitel

Am nächsten Morgen zur anberaumten Stunde stellte ich mich bei dem Admiral ein und fand ihn in einem abgegriffenen Taschenbuche blätternd.

»Dies sind«, begann er, »meine Aufzeichnungen aus dem Jahre siebenundfünfzig, in welchem ich St. Quentin verteidigte und
mich dann den Spaniern ergeben musste. Da steht unter den tapfersten meiner Leute, mit einem Kreuze bezeichnet, der Name Sadow,
mir dünkt, es war ein Deutscher. Sollte dieser Name mit dem Eurigen derselbe sein?«

»Kein anderer als der Name meines Vaters! Er hatte die Ehre, unter Euch zu dienen und vor Euern Augen zu fallen!«

»Nun denn«, fuhr der Admiral fort, »das bestärkt mich in dem Vertrauen, das ich in Euch setze. Ich bin von Leuten,
mit denen ich lange zusammenlebte, verraten worden, Euch trau' ich auf den ersten Anblick und ich glaube, er wird mich nicht betrügen.«

Mit diesen Worten ergriff er ein Papier, das mit seiner großen Handschrift von oben bis unten bedeckt war: »Schreibt mir
das ins Reine, und wenn Ihr Euch daraus über manches unterrichtet, das Euch das Gefährliche unsrer Zustände zeigt,
so lasst's Euch nicht anfechten. Alles Große und Entscheidende ist ein Wagnis. Setzt Euch und schreibt.«

Was mir der Admiral übergeben hatte, war ein Memorandum, das er an den Prinzen von Oranien richtete. Mit steigendem Interesse folgte ich
dem Gange der Darstellung, die mit der größten Klarheit, wie sie dem Admiral eigen war, sich über die Zustände von Frankreich
verbreitete. Den Krieg mit Spanien um jeden Preis und ohne jeden Aufschub herbeizuführen, dies, schrieb der Admiral, ist unsre Rettung.
Alba ist verloren, wenn er von uns und von Euch zugleich angegriffen wird. Mein Herr und König will den Krieg; aber die Guisen arbeiten mit
aller Anstrengung dagegen; die katholische Meinung, von ihnen aufgestachelt, hält die französische Kriegslust im Schach, und die
Königin Mutter, welche den Herzog von Anjou dem Könige auf unnatürliche Weise vorzieht, will nicht, dass dieser ihren Liebling
verdunkle, indem er sich im Feld auszeichnet, wonach mein Herr und König Verlangen trägt und was ich ihm als treuer Untertan
gönne und, soviel an mir liegt, verschaffen möchte.

Mein Plan ist folgender: Eine hugenottische Freischar ist in diesen Tagen in Flandern eingefallen. Kann sie sich gegen Alba halten - und dies hängt zum
großen Teil davon ab, dass Ihr gleichzeitig den spanischen Feldherrn von Holland her angreift -, so wird dieser Erfolg den König bewegen, alle
Hindernisse zu überwinden und entschlossen vorwärts zu gehn. Ihr kennt den Zauber eines ersten Gelingens.

Ich war mit dem Schreiben zu Ende, als ein Diener erschien und dem Admiral etwas zuflüsterte. Ehe dieser Zeit hatte, sich von seinem Sitze
zu erheben, trat ein sehr junger Mann von schlanker, kränklicher Gestalt heftig erregt ins Gemach und eilte mit den Worten auf ihn zu:

»Guten Morgen, Väterchen! Was gibt es Neues? Ich verreite auf einige Tage nach Fontainebleau. Habt Ihr Nachricht aus Flandern?«
Jetzt wurde er meiner gewahr und auf mich hindeutend fragte er herrisch: »Wer ist der da?«

»Mein Schreiber, Sire, der sich gleich entfernen wird, wenn Eure Majestät es wünscht.«

»Weg mit ihm!«, rief der junge König, »ich will nicht belauscht sein, wenn ich Staatsgeschäfte
behandle! Vergesst Ihr, dass wir von Spähern umstellt sind? - Ihr seid zu arglos, lieber Admiral!«

Jetzt warf er sich in einen Lehnstuhl und starrte ins Leere; dann, plötzlich aufspringend, klopfte er Coligny auf die
Schulter, und als hätte er mich, dessen Entfernung er eben gefordert, vergessen, brach er in die Worte aus:

»Bei den Eingeweiden des Teufels! Wir erklären seiner katholischen Majestät nächstens den Krieg!«
Nun aber schien er wieder in den früheren Gedankengang zurückzufallen, denn er flüsterte mit geängstigter
Miene: »Neulich noch, erinnert Ihr Euch? als wir beide in meinem Kabinett Rat hielten, da raschelte es hinter der
Tapete. Ich zog den Degen, wisst Ihr? und durchstach sie zweimal, dreimal! Da hob sie sich, und wer trat darunter hervor? Mein
lieber Bruder, der Herzog von Anjou, mit einem Katzenbuckel!« Hier machte der König eine nachahmende Gebärde
und brach in unheimliches Lachen aus. »Ich aber«, fuhr er fort, »maß ihn mit einem Blicke, den er nicht
ertragen konnte und der ihn flugs aus der Türe trieb.«

Hier nahm das bleiche Antlitz einen Ausdruck so wilden Hasses an, dass ich es erschrocken anstarrte.

Coligny, für den ein solcher Auftritt wohl nichts Ungewöhnliches hatte, dem aber die Gegenwart eines Zeugen peinlich
sein mochte, entfernte mich mit einem Winke.

»Ich sehe, Eure Arbeit ist vollendet«, sagte er, »auf Wiedersehen morgen.« -

Während ich meinen Heimweg einschlug, ergriff mich ein unendlicher Jammer. Dieser unklare Mensch also war es, von dem die
Entscheidung der Dinge abhing. - Wo sollte bei so knabenhafter Unreife und flackernder Leidenschaftlichkeit die Stetigkeit des
Gedankens, die Festigkeit des Entschlusses herkommen? Konnte der Admiral für ihn handeln? Aber wer bürgte dafür,
dass nicht andere, feindliche Einflüsse sich in der nächsten Stunde schon dieses verworrenen Gemütes bemächtigten!
Ich fühlte, dass nur dann Sicherheit war, wenn Coligny in seinem König eine selbstbewusste Stütze fand; besaß er
in ihm nur ein Werkzeug, so konnte ihm dieses morgen entrissen werden.

In so böse Zweifel verstrickt, verfolgte ich meinen Weg, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. Ich wandte mich und blickte in
das wolkenlose Gesicht meines Landsmannes Boccard, der mich umhalste und mit den lebhaftesten Freudenbezeigungen begrüßte.

»Willkommen, Schadau, in Paris!«, rief er, »Ihr seid, wie ich sehe, müßig, das bin ich auch,
und da der König eben verritten ist, so müsst Ihr mit mir kommen, ich will Euch das Louvre zeigen. Ich wohne dort,
da meine Kompagnie die Wache der innern Gemächer hat. - Es wird Euch hoffentlich nicht belästigen«, fuhr er fort, da er
in meinen Mienen kein ungemischtes Vergnügen über seinen Vorschlag las, »mit einem königlichen Schweizer Arm
in Arm zu gehn? Da ja Euer Abgott Coligny die Verbrüderung der Parteien wünscht, so würde ihm das Herz im Leibe lachen
ob der Freundschaft seines Schreibers mit einem Leibgardisten.«

»Wer hat Euch gesagt ...«, unterbrach ich ihn erstaunt. -

»Dass Ihr des Admirals Schreiber seid?«, lachte Boccard. »Guter Freund, am Hofe wird mehr geschwatzt,
als billig ist! Heute morgen beim Ballspiel war unter den hugenottischen Hofleuten die Rede von einem Deutschen, der bei
dem Admiral Gunst gefunden hätte, und aus einigen Äußerungen über die fragliche Persönlichkeit
erkannte ich zweifellos meinen Freund Schadau. Es ist nur gut, dass Euch jenes Mal Blitz und Donner in die drei Lilien
zurückjagten, sonst wären wir uns fremd geblieben, denn Eure Landsleute im Louvre hättet Ihr wohl schwerlich
aus freien Stücken aufgesucht! Mit dem Hauptmann Pfyffer muss ich euch gleich bekannt machen!«

Dies verbat ich mir, da Pfyffer nicht nur als ausgezeichneter Soldat, sondern auch als fanatischer Katholik berühmt war,
willigte aber gern ein, mit Boccard das Innere des Louvre zu besichtigen, da ich den viel gepriesenen Bau bis jetzt
nur von außen betrachtet hatte.

Wir schritten nebeneinander durch die Straßen, und das freundliche Geplauder des lebenslustigen Fryburgers war mir
willkommen, da es mich von meinen schweren Gedanken erlöste.

Bald betraten wir das französische Königsschloss, das damals zur Hälfte aus einem finstern mittelalterlichen Kastell,
zur andern Hälfte aus einem neuen prächtigen Palast bestand, den die Medicäerin hatte aufführen lassen. Diese
Mischung zweier Zeiten vermehrte in mir den Eindruck, der mich, seit ich Paris betreten, nie verlassen hatte, den Eindruck des
Schwankenden, Ungleichartigen, der sich widersprechenden und miteinander ringenden Elemente.

Nachdem wir viele Gänge und eine Reihe von Gemächern durchschnitten hatten, deren Verzierung in keckem Steinwerke
und oft ausgelassener Malerei meinem protestantischem Geschmacke fremd und zuweilen ärgerlich war, Boccard aber herzlich
belustigte, öffnete mir dieser ein Kabinett mit den Worten: »Dies ist das Studierzimmer des Königs.«

Da herrschte eine gräuliche Unordnung. Der Boden war mit Notenheften und aufgeblätterten Büchern bestreut.
An den Wänden hingen Waffen. Auf dem kostbaren Marmortische lag ein Waldhorn.

Ich begnügte mich, von der Türe aus einen Blick in dies Chaos zu werfen, und weitergehend fragte ich Boccard, ob der König musikalisch sei.

»Er bläst herzzerreißend«, erwiderte dieser, »oft ganze Vormittage hindurch und, was schlimmer
ist, ganze Nächte, wenn er nicht hier nebenan«, er wies auf eine andere Türe, »vor dem Amboss steht und
schmiedet, dass die Funken stieben. Jetzt aber ruhen Waldhorn und Hammer. Er ist mit dem jungen Chateauguyon eine Wette
eingegangen, welchem von ihnen es zuerst gelinge, den Fuß im Munde das Zimmer auf und nieder zu hüpfen. Das gibt
ihm nun unglaublich zu tun.«

Da Boccard sah, wie ich traurig wurde, und es ihm auch sonst passend scheinen mochte, das Gespräch über das gekrönte
Haupt Frankreichs abzubrechen, lud er mich ein, mit ihm das Mittagsmahl in einem nicht weit entlegenen Gasthause einzunehmen, das er
mir als ganz vorzüglich schilderte.

Um abzukürzen, schlugen wir eine enge, lange Gasse ein. Zwei Männer schritten uns vom andern Ende derselben entgegen.

»Sieh«, sagte mir Boccard, »dort kommt Graf Guiche, der berüchtigte Damenfänger und der größte
Raufer vom Hofe, und neben ihm - wahrhaftig - das ist Lignerolles! Wie darf sich der am hellen Tage blicken lassen, da er doch ein vollgültiges
Todesurteil auf dem Halse hat!«

Ich blickte hin und erkannte in dem vornehmern der Bezeichneten den Unverschämten, der gestern Abend im Scheine der Fackeln
Gasparde mit frecher Gebärde beleidigt hatte. Auch er schien sich meiner näherschreitend zu erinnern, denn sein Auge blieb
unverwandt auf mir haften. Wir hatten die halbe Breite der engen Gasse inne, die andere Hälfte den uns Entgegenkommenden frei
lassend. Da Boccard und Lignerolles auf der Mauerseite gingen, mussten der Graf und ich hart aneinander vorüber.

Plötzlich erhielt ich einen Stoß und hörte den Grafen sagen:

»Gib Raum, verdammter Hugenott!«

Außer mir wandte ich mich nach ihm um, da rief er lachend zurück: »Willst du dich auf der Gasse so breit machen wie am Fenster?«

Ich wollte ihm nachstürzen, da umschlang mich Boccard und beschwor mich: »Nur hier keine Szene! In diesen
Zeiten würden wir in einem Augenblicke den Pöbel von Paris hinter uns her haben, und da sie dich an
deinem steifen Kragen als Hugenotten erkennen würden, wärst du unzweifelhaft verloren! Dass du Genugtuung
erhalten musst, versteht sich von selbst. Du überlässest mir die Sache, und ich will froh sein, wenn sich
der vornehme Herr zu einem ehrlichen Zweikampfe versteht. Aber an dem Schweizernamen darf kein Makel haften, und
wenn ich mit dem deinigen auch mein Leben einsetzen müsste! -

Jetzt sage mir um aller Heiligen willen, bist du mit Guiche bekannt? Hast du ihn gegen dich aufgebracht? Doch nein,
das ist ja nicht möglich! Der Taugenichts war übler Laune und wollte sie an deiner Hugenottentracht
auslassen.«

Unterdessen waren wir in das Gasthaus eingetreten, wo wir rasch und in gestörter Stimmung unser Mahl hielten.

»Ich muss meinen Kopf zusammenhalten«, sagte Boccard, »denn ich werde mit dem Grafen einen harten Stand haben.«

Wir trennten uns und ich kehrte in meine Herberge zurück, Boccard versprechend, ihn dort zu erwarten. Nach Verlauf von zwei Stunden
trat er in meine Kammer mit dem Ausrufe: »Es ist gut abgelaufen! Der Graf wird sich mit dir schlagen, morgen bei Tagesanbruch vor dem
Tore St. Michel. Er empfing mich nicht unhöflich, und als ich ihm sagte, du wärest von gutem Hause, meinte er, es sei jetzt nicht der
Augenblick, deinen Stammbaum zu untersuchen, was er kennenzulernen wünsche, sei deine Klinge.«

»Und wie steht es damit?«, fuhr Boccard fort, »ich bin sicher, dass du ein methodischer Fechter bist,
aber ich fürchte, du bist langsam, langsam, zumal einem so raschen Teufel gegenüber.«

Boccards Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an, und nachdem er nach ein paar Übungsklingen gerufen - es befand sich
zu ebener Erde neben meinem Gasthause ein Fechtsaal - gab er mir eine derselben in die Hand und sagte: »Nun zeige deine
Künste!«

Nach einigen Gängen, die ich im gewohnten Tempo durchfocht, während Boccard mich vergeblich mit dem Rufe: Schneller,
schneller! anfeuerte, warf er seine Klinge weg und stellte sich ans Fenster, um eine Träne vor mir zu verbergen, die ich aber
schon hervordringen gesehn hatte.

Ich trat zu ihm und legte meine Hand auf seine Schulter.

»Boccard«, sagte ich, »betrübe dich nicht.
Alles ist vorherbestimmt. Ist meine Todesstunde auf morgen gestellt, so bedarf es nicht der Klinge des Grafen, um meinen
Lebensfaden zu zerschneiden. Ist es nicht so, wird mir seine gefährliche Waffe nichts anhaben können.«

»Mache mich nicht ungeduldig!«, versetzte er, sich rasch nach mir umdrehend. »Jede Minute der Frist,
die uns bleibt, ist kostbar und muss benützt werden - nicht zum Fechten, denn in der Theorie bist du
unsträflich, und dein Phlegma«, hier seufzte er, »ist unheilbar. Es gibt nur ein Mittel dich zu retten.
Wende dich an Unsere liebe Frau von Einsiedeln und wirf mir nicht ein, du seist Protestant - einmal ist keinmal!
Muss es sie nicht doppelt rühren, wenn einer der Abtrünnigen sein Leben in ihre Hände befiehlt! Du hast
jetzt noch Zeit für deine Rettung viele Ave-Maria zu sprechen, und glaube mir, die Gnadenmutter wird dich nicht
im Stiche lassen! Überwinde dich, lieber Freund, und folge meinem Rate.«

»Lass mich in Ruhe, Boccard!«, versetzte ich über seine wunderliche Zumutung ungehalten und doch von
seiner Liebe gerührt.

Er aber drang noch eine Weile vergeblich in mich. Dann ordneten wir das Notwendige für morgen und er nahm Abschied.

In der Türe wandte er sich noch einmal zurück und sagte: »Nur einen Stoßseufzer, Schadau, vor dem
Einschlafen!«-