Alte vergilbte Blätter liegen vor mir
mit Aufzeichnungen aus dem Anfange
des siebzehnten Jahrhunderts.
Ich
übersetze sie in die Sprache unserer Zeit.
Erstes Kapitel

Heute am vierzehnten März 1611 ritt ich von meinem Sitze am Bielersee hinüber
nach Courtion zu dem alten Boccard, den Handel um eine mir gehörige mit Eichen und
Buchen bestandene Halde in der Nähe von Münchweiler abzuschließen, der sich schon
eine Weile hingezogen hatte. Der alte Herr bemühte sich in langwierigem Briefwechsel
um eine Preiserniedrigung. Gegen den Wert des fraglichen Waldstreifens konnte kein
ernstlicher Widerspruch erhoben werden, doch der Greis schien es für seine Pflicht
zu halten, mir noch etwas abzumarkten. Da ich indessen guten Grund hatte, ihm alles
Liebe zu erweisen, und überdies Geldes benötigt war, um meinem Sohn, der im Dienste
der Generalstaaten steht und mit einer blonden runden Holländerin verlobt ist, die
erste Einrichtung seines Hausstandes zu erleichtern, entschloss ich mich, ihm
nachzugeben und den Handel rasch zu beendigen.

Ich fand ihn auf seinem altertümlichen Sitze einsam und in vernachlässigtem Zustande.
Sein graues Haar hing ihm unordentlich in die Stirn und hinunter auf den Nacken.
Als er meine Bereitwilligkeit vernahm, blitzten seine erloschenen Augen auf bei
der freudigen Nachricht. Rafft und sammelt er doch in seinen alten Tagen,
uneingedenk dass sein Stamm mit ihm verdorren und er seine Habe lachenden Erben
lassen wird.

Er führte mich in ein kleines Turmzimmer, wo er in einem wurmstichigen
Schranke seine Schriften verwahrt, hieß mich Platz nehmen und bat mich,
den Kontrakt schriftlich aufzusetzen. Ich hatte meine kurze Arbeit beendigt
und wandte mich zu dem Alten um, der unterdessen in den Schubladen gekramt
hatte, nach seinem Siegel suchend, das er verlegt zu haben schien. Wie ich
ihn alles hastig durcheinanderwerfen sah, erhob ich mich unwillkürlich,
als müsst' ich ihm helfen. Er hatte eben wie in fieberischer Eile ein
geheimes Schubfach geöffnet, als ich hinter ihn trat, einen Blick
hineinwarf und - tief aufseufzte.

In dem Fache lagen nebeneinander zwei seltsame, beide mir nur zu wohl
bekannte Gegenstände: ein durchlöcherter Filzhut, den einst eine Kugel
durchbohrt hatte, und ein großes rundes Medaillon von Silber mit dem Bilde
der Mutter Gottes von Einsiedeln in getriebener, ziemlich roher Arbeit.

Der Alte kehrte sich um, als wollte er meinen Seufzer beantworten, und sagte
in weinerlichem Tone:

»Jawohl, Herr Schadau, mich hat die Dame von Einsiedeln noch behüten dürfen zu
Haus und im Felde; aber seit die Ketzerei in die Welt gekommen ist und auch
unsre Schweiz verwüstet hat, ist die Macht der guten Dame erloschen, selbst
für die Rechtgläubigen! Das hat sich an Wilhelm gezeigt - meinem lieben Jungen.«
Und eine Träne quoll unter seinen grauen Wimpern hervor.

Mir war bei diesem Auftritte weh ums Herz und ich richtete an den Alten ein paar
tröstende Worte über den Verlust seines Sohnes, der mein Altersgenosse gewesen und
an meiner Seite tödlich getroffen worden war. Doch meine Rede schien ihn zu verstimmen
oder er überhörte sie, denn er kam hastig wieder auf unser Geschäft zu reden, suchte
von Neuem nach dem Siegel, fand es endlich, bekräftigte die Urkunde und entließ mich
dann bald ohne sonderliche Höflichkeit.

Ich ritt heim. Wie ich in der Dämmerung meines Weges trabte, stiegen mit den
Düften der Frühlingserde die Bilder der Vergangenheit vor mir auf mit einer
so drängenden Gewalt, in einer solchen Frische, in so scharfen und
einschneidenden Zügen, dass sie mich peinigten.

Das Schicksal Wilhelm Boccards war mit dem meinigen aufs Engste
verflochten, zuerst auf eine freundliche, dann auf eine fast
schreckliche Weise. Ich habe ihn in den Tod gezogen. Und doch,
sosehr mich dies drückt, kann ich es nicht bereuen und müsste
wohl heute im gleichen Falle wieder so handeln, wie ich es mit
zwanzig Jahren tat. Immerhin setzte mir die Erinnerung der alten
Dinge so zu, dass ich mit mir einig wurde, den ganzen Verlauf dieser
wundersamen Geschichte schriftlich niederzulegen und so mein Gemüt
zu erleichtern.