[Zweiter Teil: Der Streit der Väter]

Es kam eine Ernte um die andere, und jede sah die Kinder größer
und schöner und den herrenlosen Acker schmäler zwischen seinen
breitgewordenen Nachbarn. Mit jedem Pflügen verlor er hüben und
drüben eine Furche, ohne dass ein Wort darüber gesprochen worden
wäre und ohne dass ein Menschenauge den Frevel zu sehen schien. Die
Steine wurden immer mehr zusammengedrängt und bildeten schon einen ordentlichen
Grat auf der ganzen Länge des Ackers, und das wilde Gesträuch darauf war
schon so hoch, dass die Kinder, obgleich sie gewachsen waren, sich nicht mehr
sehen konnten, wenn eines dies- und das andere jenseits ging. Denn sie gingen nun
nicht mehr gemeinschaftlich auf das Feld, da der zehnjährige Salomon oder
Sali, wie er genannt wurde, sich schon wacker auf Seite der größeren
Burschen und der Männer hielt; und das braune Vrenchen, obgleich es ein
feuriges Dirnchen war, musste bereits unter der Obhut seines Geschlechts
gehen, sonst wäre es von den andern als ein Bubenmädchen ausgelacht
worden. Dennoch nahmen sie während jeder Ernte, wenn alles auf den
Äckern war, einmal Gelegenheit, den wilden Steinkamm, der sie trennte,
zu besteigen und sich gegenseitig von demselben herunterzustoßen. Wenn
sie auch sonst keinen Verkehr mehr miteinander hatten, so schien diese jährliche
Zeremonie um so sorglicher gewahrt zu werden, als sonst nirgends die Felder ihrer
Väter zusammenstießen.

Indessen sollte der Acker doch endlich verkauft und der Erlös einstweilen
amtlich aufgehoben werden. Die Versteigerung fand an Ort und Stelle statt, wo
sich aber nur einige Gaffer einfanden außer den Bauern Manz und Marti,
da niemand Lust hatte, das seltsame Stückchen zu erstehen und zwischen
den beiden Nachbarn zu bebauen. Denn obgleich diese zu den besten Bauern des
Dorfes gehörten und nichts weiter getan hatten, als was zwei Drittel der
übrigen unter diesen Umständen auch getan haben würden, so sah
man sie doch jetzt stillschweigend darum an und niemand wollte zwischen ihnen
eingeklemmt sein mit dem geschmälerten Waisenfelde. Die meisten Menschen
sind fähig oder bereit, ein in den Lüften umgehendes Unrecht zu
verüben, wenn sie mit der Nase darauf stoßen; sowie es aber von
einem begangen ist, sind die übrigen froh, dass sie es doch nicht
gewesen sind, dass die Versuchung nicht sie betroffen hat, und sie machen
nun den Auserwählten zu dem Schlechtigkeitsmesser ihrer Eigenschaften und
behandeln ihn mit zarter Scheu als einen Ableiter des Übels, der von den
Göttern gezeichnet ist, während ihnen zugleich noch der Mund
wässert nach den Vorteilen, die er dabei genossen. Manz und Marti
waren also die Einzigen, welche ernstlich auf den Acker boten; nach einem
ziemlich hartnäckigen Überbieten erstand ihn Manz und er wurde ihm
zugeschlagen. Die Beamten und die Gaffer verloren sich vom Felde; die beiden
Bauern, welche sich auf ihren Äckern noch zu schaffen gemacht, trafen beim
Weggehen wieder zusammen und Marti sagte: »Du wirst nun dein Land, das alte
und das neue, wohl zusammenschlagen und in zwei gleiche Stücke teilen?
Ich hätte es wenigstens so gemacht, wenn ich das Ding bekommen hätte.« -
»Ich werde es allerdings auch tun«, antwortete Manz, »denn als ein
Acker würde mir das Stück zu groß sein. Doch was ich sagen wollte:
Ich habe bemerkt, dass du neulich noch am unteren Ende dieses Ackers, der jetzt
mir gehört, schräg hineingefahren bist und ein gutes Dreieck abgeschnitten
hast. Du hast es vielleicht getan in der Meinung, du werdest das ganze Stück an
dich bringen und es sei dann sowieso dein. Da es nun aber mir gehört, so wirst
du wohl einsehen, dass ich eine solche ungehörige Einkrümmung nicht
brauchen noch dulden kann, und wirst nichts dagegen haben, wenn ich den Strich wieder
grad mache! Streit wird das nicht abgeben sollen!«

Marti erwiderte ebenso kaltblütig als ihn Manz angeredet hatte: »Ich sehe
auch nicht, wo Streit herkommen soll! Ich denke, du hast den Acker gekauft, wie er
da ist, wir haben ihn alle gemeinschaftlich besehen und er hat sich seit einer
Stunde nicht um ein Haar verändert!«

»Larifari!«, sagte Manz, »was früher geschehen, wollen wir nicht
aufrühren! Was aber zu viel ist, ist zu viel und alles muss zuletzt eine
ordentliche grade Art haben; diese drei Äcker sind von jeher so grade nebeneinander
gelegen, wie nach dem Richtscheit gezeichnet; es ist ein ganz absonderlicher Spaß
von dir, wenn du nun einen solchen lächerlichen und unvernünftigen Schnörkel
dazwischen bringen willst, und wir beide würden einen Übernamen bekommen, wenn
wir den krummen Zipfel da bestehen ließen. Er muss durchaus weg!«

Marti lachte und sagte: »Du hast ja auf einmal eine merkwürdige Furcht vor
dem Gespötte der Leute! Das lässt sich aber ja wohl machen; mich geniert
das Krumme gar nicht; ärgert es dich, gut, so machen wir es grad, aber nicht auf
meiner Seite, das geb ich dir schriftlich, wenn du willst!«

»Rede doch nicht so spaßhaft«, sagte Manz, »es wird wohl grad
gemacht, und zwar auf deiner Seite, darauf kannst du Gift nehmen!«

»Das werden wir ja sehen und erleben!«, sagte Marti, und beide Männer
gingen auseinander, ohne sich weiter anzublicken; vielmehr starrten sie nach verschiedener
Richtung ins Blaue hinaus, als ob sie da wunder was für Merkwürdigkeiten im Auge
hätten, die sie betrachten müssten mit Aufbietung aller ihrer Geisteskräfte.

Schon am nächsten Tage schickte Manz einen Dienstbuben, ein Tagelöhnermädchen
und sein eigenes Söhnchen Sali auf den Acker hinaus, um das wilde Unkraut
und Gestrüpp auszureuten und auf Haufen zu bringen, damit nachher die Steine
um so bequemer weggefahren werden könnten. Dies war eine Änderung in
seinem Wesen, dass er den kaum elfjährigen Jungen, der noch zu keiner Arbeit
angehalten worden, nun mit hinaus sandte, gegen die Einsprache der Mutter. Es schien,
da er es mit ernsthaften und gesalbten Worten tat, als ob er mit dieser Arbeitsstrenge
gegen sein eigenes Blut das Unrecht betäuben wollte, in dem er lebte und welches
nun begann seine Folgen ruhig zu entfalten. Das ausgesandte Völklein jätete
inzwischen lustig an dem Unkraut und hackte mit Vergnügen an den wunderlichen
Stauden und Pflanzen aller Art, die da seit Jahren wucherten. Denn da es eine
außerordentliche, gleichsam wilde Arbeit war, bei der keine Regel und keine
Sorgfalt erheischt wurde, so galt sie als eine Lust. Das wilde Zeug, an der Sonne
gedörrt, wurde aufgehäuft und mit großem Jubel verbrannt,
dass der Qualm weithin sich verbreitete und die jungen Leutchen darin
herumsprangen wie besessen. Dies war das letzte Freudenfest auf dem Unglücksfelde,
und das junge Vrenchen, Martis Tochter, kam auch hinausgeschlichen und half tapfer mit.
Das Ungewöhnliche dieser Begebenheit und die lustige Aufregung gaben einen guten
Anlass, sich seinem kleinen Jugendgespielen wieder einmal zu nähern, und die
Kinder waren recht glücklich und munter bei ihrem Feuer. Es kamen noch andere
Kinder hinzu und es sammelte sich eine ganze vergnügte Gesellschaft; doch immer,
sobald sie getrennt wurden, suchte Sali alsobald wieder neben Vrenchen zu gelangen,
und dieses wusste desgleichen immer vergnügt lächelnd zu ihm zu
schlüpfen, und es war beiden Kreaturen, wie wenn dieser herrliche Tag nie
enden müsste und könnte. Doch der alte Manz kam gegen Abend herbei,
um zu sehen, was sie ausgerichtet, und obgleich sie fertig waren, so schalt er
doch ob dieser Lustbarkeit und scheuchte die Gesellschaft auseinander. Zugleich
zeigte sich Marti auf seinem Grund und Boden und, seine Tochter gewahrend, pfiff
er derselben schrill und gebieterisch durch den Finger, dass sie erschrocken
hineilte, und er gab ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen, also dass
beide Kinder in großer Traurigkeit und weinend nach Hause gingen, und sie
wussten jetzt eigentlich so wenig, warum sie so traurig waren, als warum
sie vorhin so vergnügt gewesen; denn die Rauheit der Väter, an sich
ziemlich neu, war von den arglosen Geschöpfen noch nicht begriffen und
konnte sie nicht tiefer bewegen.

Die nächsten Tage war es schon eine härtere Arbeit, zu welcher
Mannsleute gehörten, als Manz die Steine aufnehmen und wegfahren ließ.
Es wollte kein Ende nehmen und alle Steine der Welt schienen da beisammen zu sein.
Er ließ sie aber nicht ganz vom Felde wegbringen, sondern jede Fuhre auf jenem
streitigen Dreiecke abwerfen, welches von Marti schon säuberlich umgepflügt war.
Er hatte vorher einen graden Strich gezogen als Grenzscheide und belastete nun dies
Fleckchen Erde mit allen Steinen, welche beide Männer seit unvordenklichen
Zeiten herübergeworfen, sodass eine gewaltige Pyramide entstand, die
wegzubringen sein Gegner bleiben lassen würde, dachte er. Marti hatte dies
am wenigsten erwartet; er glaubte, der andere werde nach alter Weise mit dem
Pfluge zu Werke gehen wollen, und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflüger
ausziehen sähe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hörte er von
dem schönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wut hinaus, sah
die Bescherung, rannte zurück und holte den Gemeindeammann, um vorläufig
gegen den Steinhaufen zu protestieren und den Fleck gerichtlich in Beschlag nehmen
zu lassen, und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Prozess miteinander
und ruhten nicht, ehe sie beide zugrunde gerichtet waren.

Die Gedanken der sonst so wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie
Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt erfüllte jeden
von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar
unrechtmäßig und willkürlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel
an sich reißen könne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für
Symmetrie und parallele Linien hinzu, und er fühlte sich wahrhaft gekränkt
durch den aberwitzigen Eigensinn, mit welchem Marti auf dem Dasein des unsinnigsten
und mutwilligsten Schnörkels beharrte. Beide aber trafen zusammen in der
Überzeugung, dass der andere, den andern so frech und plump übervorteilend,
ihn notwendig für einen verächtlichen Dummkopf halten müsse, da man
dergleichen etwa einem armen haltlosen Teufel, nicht aber einem aufrechten, klugen
und wehrhaften Manne gegenüber sich erlauben könne, und jeder sah sich in
seiner wunderlichen Ehre gekränkt und gab sich rückhaltlos der Leidenschaft
des Streites und dem daraus erfolgenden Verfalle hin, und ihr Leben glich fortan der
träumerischen Qual zweier Verdammten, welche, auf einem schmalen Brette einen
dunklen Strom hinabtreibend, sich befehden, in die Luft hauen und sich selber anpacken
und vernichten, in der Meinung, sie hätten ihr Unglück gefasst. Da sie
eine faule Sache hatten, so gerieten beide in die allerschlimmsten Hände von
Tausendkünstlern, welche ihre verdorbene Fantasie auftrieben zu ungeheuren
Blasen, die mit den nichtsnutzigsten Dingen angefüllt wurden. Vorzüglich
waren es die Spekulanten aus der Stadt Seldwyla, welchen dieser Handel ein
gefundenes Essen war, und bald hatte jeder der Streitenden einen Anhang von
Unterhändlern, Zuträgern und Ratgebern hinter sich, die alles bare
Geld auf hundert Wegen abzuziehen wussten. Denn das Fleckchen Erde mit dem
Steinhaufen darüber, auf welchem bereits wieder ein Wald von Nesseln und
Disteln blühte, war nur noch der erste Keim oder der Grundstein einer
verworrenen Geschichte und Lebensweise, in welcher die zwei Fünfzigjährigen
noch neue Gewohnheiten und Sitten, Grundsätze und Hoffnungen annahmen als sie
bisher geübt. Je mehr Geld sie verloren, desto sehnsüchtiger wünschten
sie welches zu haben, und je weniger sie besaßen, desto hartnäckiger
dachten sie reich zu werden und es dem andern zuvorzutun. Sie ließen sich
zu jedem Schwindel verleiten und setzten auch jahraus jahrein in alle fremden
Lotterien, deren Lose massenhaft in Seldwyla zirkulierten. Aber nie bekamen sie
einen Taler Gewinn zu Gesicht, sondern hörten nur immer vom Gewinnen anderer
Leute und wie sie selbst beinahe gewonnen hätten, indessen diese Leidenschaft
ein regelmäßiger Geldabfluss für sie war. Bisweilen machten sich
die Seldwyler den Spaß, beide Bauern ohne ihr Wissen am gleichen Lose
teilnehmen zu lassen, sodass beide die Hoffnung auf Unterdrückung und
Vernichtung des andern auf ein und dasselbe Los setzten. Sie brachten die
Hälfte ihrer Zeit in der Stadt zu, wo jeder in einer Spelunke sein Hauptquartier
hatte, sich den Kopf heißmachen und zu den lächerlichsten Ausgaben
und einem elenden und ungeschickten Schlemmen verleiten ließ, bei welchem
ihm heimlich doch selber das Herz blutete, also dass beide, welche
eigentlich nur in diesem Hader lebten, um für keine Dummköpfe zu gelten,
nun solche von der besten Sorte darstellten und von jedermann dafür angesehen
wurden. Die andere Hälfte der Zeit lagen sie verdrossen zu Hause oder
gingen ihrer Arbeit nach, wobei sie dann durch ein tolles böses Überhasten
und Antreiben das Versäumte einzuholen suchten und damit jeden ordentlichen
und zuverlässigen Arbeiter verscheuchten. So ging es gewaltig rückwärts
mit ihnen, und ehe zehn Jahre vorüber, steckten sie beide von Grund aus in
Schulden und standen wie die Störche auf einem Beine auf der Schwelle ihrer
Besitztümer, von der jeder Lufthauch sie herunterwehte. Aber wie es ihnen
auch erging, der Hass zwischen ihnen wurde täglich größer,
da jeder den andern als den Urheber seines Unsterns betrachtete, als seinen
Erbfeind und ganz unvernünftigen Widersacher, den der Teufel absichtlich
in die Welt gesetzt habe, um ihn zu verderben. Sie spieen aus, wenn sie sich
nur von Weitem sahen; kein Glied ihres Hauses durfte mit Frau, Kind oder
Gesinde des andern ein Wort sprechen, bei Vermeidung der gröbsten
Misshandlung. Ihre Weiber verhielten sich verschieden bei dieser
Verarmung und Verschlechterung des ganzen Wesens. Die Frau des Marti,
welche von guter Art war, hielt den Verfall nicht aus, härmte sich ab
und starb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre alt war. Die Frau des Manz hingegen
bequemte sich der veränderten Lebensweise an, und um sich als eine schlechte
Genossin zu entfalten, hatte sie nichts zu tun als einigen weiblichen Fehlern,
die ihr von jeher angehaftet, den Zügel schießen zu lassen und dieselben
zu Lastern auszubilden. Ihre Naschhaftigkeit wurde zu wilder Begehrlichkeit,
ihre Zungenfertigkeit zu einem grundfalschen und verlogenen Schmeichel- und
Verleumdungswesen, mit welchem sie jeden Augenblick das Gegenteil von dem sagte,
was sie dachte, alles hintereinander hetzte und ihrem eigenen Manne ein X für
ein U vormachte; ihre ursprüngliche Offenheit, mit der sie sich der
unschuldigeren Plauderei erfreut, ward nun zur abgehärteten Schamlosigkeit,
mit der sie jenes falsche Wesen betrieb, und so, statt unter ihrem Manne zu leiden,
drehte sie ihm eine Nase; wenn er es arg trieb, so machte sie es bunt, ließ
sich nichts abgehen und gedieh zu der dicksten Blüte einer Vorsteherin des
zerfallenden Hauses.