
Ich sprang geschwind auf, denn es war schon heller Tag geworden. Der Herr
Leonhard schien verdrießlich zu sein, er hatte zwei zornige Falten auf der
Stirn und trieb hastig zum Aufbruch. Der andere Maler aber schüttelte seine
Locken aus dem Gesicht und trällerte, während er sein Pferd aufzäumte,
ruhig ein Liedchen vor sich hin, bis Leonhard zuletzt plötzlich laut
auflachte, schnell eine Flasche ergriff, die noch auf dem Rasen stand,
und den Rest in die Gläser einschenkte. »Auf eine glückliche Ankunft!«,
rief er aus, sie stießen mit den Gläsern zusammen, es gab einen schönen
Klang. Darauf schleuderte Leonhard die leere Flasche hoch ins Morgenrot,
dass es lustig in der Luft funkelte.

Endlich setzten sie sich auf ihre Pferde, und ich marschierte frisch wieder nebenher.
Gerade vor uns lag ein unübersehbares Tal, in das wir nun hinunterzogen. Da war ein
Blitzen und Rauschen und Schimmern und Jubilieren! Mir war so kühl und fröhlich
zumute, als sollte ich von dem Berge in die prächtige Gegend hinausfliegen.
Viertes Kapitel

Nun ade, Mühle und Schloss und Portier! Nun gings, dass mir der Wind am Hute pfiff. Rechts
und links flogen Dörfer, Städte und Weingärten vorbei, dass es einem vor den Augen flimmerte;
hinter mir die beiden Maler im Wagen, vor mir vier Pferde mit einem prächtigen Postillon,
ich hoch oben auf dem Kutschbock, dass ich oft ellenhoch in die Höhe flog.

Das war so zugegangen: Als wir vor B. ankommen, kommt schon am Dorfe ein langer, dürrer,
grämlicher Herr im grünen Flauschrock uns entgegen, macht viele Bücklinge vor den Herren
Malern und führt uns in das Dorf hinein. Da stand unter den hohen Linden vor dem Posthause
schon ein prächtiger Wagen mit vier Pferden bespannt. Herr Leonhard meinte unterwegs, ich
hätte meine Kleider ausgewachsen. Er holte daher geschwind andere aus seinem Mantelsack
hervor, und ich musste einen ganz neuen, schönen Frack und Weste anziehn, die mir sehr
vornehm zu Gesicht standen, nur dass mir alles so lang und weit war und ordentlich um mich
herumschlotterte. Auch einen ganz neuen Hut bekam ich, der funkelte in der Sonne, als wäre
er mit frischer Butter überschmiert. Dann nahm der fremde, grämliche Herr die beiden Pferde
der Maler am Zügel, die Maler sprangen in den Wagen, ich auf den Bock, und so flogen wir
schon fort, als eben der Postmeister mit der Schlafmütze aus dem Fenster guckte. Der
Postillon blies lustig auf dem Horne, und so ging es frisch nach Italien hinein.

Ich hatte eigentlich da droben ein prächtiges Leben wie der Vogel in der Luft und brauchte
doch dabei nicht selbst zu fliegen. Zu tun hatte ich auch weiter nichts als Tag und Nacht
auf dem Bocke zu sitzen und bei den Wirtshäusern manchmal Essen und Trinken an den Wagen
herauszubringen, denn die Maler sprachen nirgends ein, und bei Tage zogen sie die Fenster
am Wagen so fest zu, als wenn die Sonne sie erstechen wollte. Nur zuweilen steckte der
Herr Guido sein hübsches Köpfchen zum Wagenfenster heraus und diskurrierte freundlich
mit mir und lachte dann den Herrn Leonhard aus, der das nicht leiden wollte und jedes Mal
über die langen Diskurse böse wurde. Ein paarmal hätte ich bald Verdruss bekommen mit
meinem Herrn. Das eine Mal, wie ich bei schöner, sternklarer Nacht droben auf dem
Bocke die Geige zu spielen anfing, und sodann späterhin wegen des Schlafes. Das war
aber auch ganz zum Erstaunen! Ich wollte mir doch Italien recht genau besehen und
riss die Augen alle Viertelstunden weit auf. Aber kaum hatte ich ein Weilchen so vor
mich hingesehen, so verschwirrten und verwickelten sich mir die sechzehn Pferdefüße
vor mir wie Filet so hin und her und übers Kreuz, dass mir die Augen gleich wieder
übergingen, und zuletzt geriet ich in ein solches entsetzliches und unaufhaltsames
Schlafen, dass gar kein Rat mehr war. Da mocht es Tag und Nacht, Regen oder
Sonnenschein, Tirol oder Italien sein, ich hing bald rechts, bald links, bald
rücklings über den Bock herunter, ja manchmal tunkte ich mit solcher Vehemenz mit
dem Kopfe nach dem Boden zu, dass mir der Hut weit vom Kopfe flog und der Herr Guido
im Wagen laut aufschrie.

So war ich, ich weiß selbst nicht wie, durch halb Welschland, das sie dort
Lombardei nennen, durchgekommen, als wir an einem schönen Abend vor einem Wirtshause
auf dem Lande stillhielten. Die Postpferde waren in dem daranstoßenden Stationsdorfe
erst nach ein paar Stunden bestellt, die Herren Maler stiegen daher aus und ließen
sich in ein besonderes Zimmer führen, um hier ein wenig zu rasten und einige Briefe
zu schreiben. Ich aber war sehr vergnügt darüber und verfügte mich sogleich in die
Gaststube, um endlich wieder einmal so recht mit Ruhe und Kommodität zu essen und
zu trinken. Da sah es ziemlich liederlich aus. Die Mägde gingen mit zerzottelten
Haaren herum und hatten die offenen Halstücher unordentlich um das gelbe Fell hängen.
Um einen runden Tisch saßen die Knechte vom Hause in blauen Überziehhemden beim
Abendessen und glotzten mich zuweilen von der Seite an. Die hatten alle kurze,
dicke Haarzöpfe und sahen so recht vornehm wie die jungen Herrlein aus. - Da bist
du nun, dachte ich bei mir und aß fleißig fort, da bist du nun endlich in dem Lande,
woher immer die kuriosen Leute zu unserm Herrn Pfarrer kamen mit Mausefallen und
Barometern und Bildern. Was der Mensch doch nicht alles erfährt, wenn er sich einmal
hinterm Ofen hervormacht!

Wie ich noch eben so esse und meditiere, huscht ein Männlein, das bis jetzt in
einer dunklen Ecke der Stube bei seinem Glase Wein gesessen hatte, auf einmal
aus seinem Winkel wie eine Spinne auf mich los. Er war ganz kurz und bucklicht,
hatte aber einen großen, grauslichen Kopf mit einer langen, römischen Adlernase
und sparsamen roten Backenbart, und die gepuderten Haare standen ihm von allen
Seiten zu Berge, als wenn der Sturmwind durchgefahren wäre. Dabei trug er einen
altmodischen, verschossenen Frack, kurze plüschene Beinkleider und ganz vergilbte
seidene Strümpfe. Er war einmal in Deutschland gewesen und dachte wunder, wie gut
er Deutsch verstünde. Er setzte sich zu mir und fragte bald das, bald jenes,
während er immerfort Tabak schnupfte: Ob ich der Servitore sei? Wenn wir arriware?
Ob wir nach Roma kehn? Aber das wusste ich alles selber nicht und konnte auch sein
Kauderwelsch gar nicht verstehn. »Parlez-vous français?«, sagte ich endlich in
meiner Angst zu ihm. Er schüttelte mit dem großen Kopfe, und das war mir sehr
lieb, denn ich konnte ja auch nicht Französisch. Aber das half alles nichts.
Er hatte mich einmal recht aufs Korn genommen, er frug und frug immer wieder;
je mehr wir parlierten, je weniger verstand einer den andern, zuletzt wurden
wir beide schon hitzig, sodass mirs manchmal vorkam, als wollte der Signor mit
seiner Adlernase nach mir hacken, bis endlich die Mägde, die den babylonischen
Diskurs mit angehört hatten, uns beide tüchtig auslachten. Ich aber legte
schnell Messer und Gabel hin und ging vor die Haustür hinaus. Denn mir war
in dem fremden Lande nicht anders, als wäre ich mit meiner deutschen Zunge
tausend Klafter tief ins Meer versenkt, und allerlei unbekanntes Gewürm ringelte
sich und rauschte da in der Einsamkeit um mich her und glotzte und schnappte
nach mir.

Draußen war eine warme Sommernacht, so recht um gassaten zu gehn. Weit von
den Weinbergen herüber hörte man noch zuweilen einen Winzer singen, dazwischen
blitzte es manchmal von ferne, und die ganze Gegend zitterte und säuselte im
Mondschein. Ja manchmal kam es mir vor, als schlüpfte eine lange dunkle Gestalt
hinter den Haselnusssträuchern vor dem Hause vorüber und guckte durch die Zweige,
dann war alles auf einmal wieder still. - Da trat der Herr Guido eben auf den
Balkon des Wirtshauses heraus. Er bemerkte mich nicht und spielte sehr geschickt
auf einer Zither, die er im Hause gefunden haben musste, und sang dann dazu
wie eine Nachtigall:
Schweigt der Menschen laute Lust,
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewusst,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
|

Ich weiß nicht, ob er noch mehr gesungen haben mag, denn ich hatte
mich auf die Bank vor der Haustür hingestreckt und schlief in der
lauen Nacht vor großer Ermüdung fest ein.

Es mochten wohl ein paar Stunden ins Land gegangen sein, als mich ein
Posthorn aufweckte, das lange Zeit lustig in meine Träume hereinblies,
ehe ich mich völlig besinnen konnte. Ich sprang endlich auf, der Tag
dämmerte schon an den Bergen, und die Morgenkühle rieselte mir durch
alle Glieder. Da fiel mir erst ein, dass wir ja um diese Zeit schon wieder
weit fort sein wollten. Aha, dachte ich, heut ist einmal das Wecken und
Auslachen an mir. Wie wird der Herr Guido mit dem verschlafenen Lockenkopfe
herausfahren, wenn er mich draußen hört! So ging ich in den kleinen Garten
am Hause dicht unter die Fenster, wo meine Herren wohnten, dehnte mich
noch einmal recht ins Morgenrot hinein und sang fröhlichen Mutes:
Wenn der Hoppevogel schreit,
Ist der Tag nicht mehr weit,
Wenn die Sonne sich auftut,
Schmeckt der Schlaf noch so gut!
|

Das Fenster war offen, aber es blieb alles still oben, nur der
Nachtwind ging noch durch die Weinranken, die sich bis in das Fenster
hineinstreckten. - Nun, was soll denn das wieder bedeuten?, rief ich voll
Erstaunen aus und lief in das Haus und durch die stillen Gänge nach der
Stube zu. Aber da gab es mir einen rechten Stich ins Herz. Denn wie ich
die Tür aufreiße, ist alles leer, darin kein Frack, kein Hut, kein Stiefel. -
Nur die Zither, auf der Herr Guido gestern gespielt hatte, hing an der Wand,
auf dem Tische mitten in der Stube lag ein schöner, voller Geldbeutel,
worauf ein Zettel geklebt war. Ich hielt ihn näher ans Fenster und
traute meinen Augen kaum, es stand wahrhaftig mit großen Buchstaben
darauf: Für den Herrn Einnehmer!

Was mir aber das alles nütze, wenn ich meine lieben lustigen Herren nicht
wiederfand? Ich schob den Beutel in meine tiefe Rocktasche, das plumpte wie
in einen tiefen Brunnen, dass es mich ordentlich hintenüber zog. Dann rannte
ich hinaus, machte einen großen Lärm und weckte alle Knechte und Mägde im
Hause. Die wussten gar nicht, was ich wollte, und meinten, ich wäre verrückt
geworden. Dann aber verwunderten sie sich nicht wenig, als sie oben das
leere Nest sahen. Niemand wusste etwas von meinen Herren. Nur die eine Magd -
wie ich aus ihren Zeichen und Gestikulationen zusammenbringen konnte - hatte
bemerkt, dass der Herr Guido, als er gestern abends auf dem Balkon sang, auf
einmal laut aufschrie und dann geschwind zu dem andern Herrn in das Zimmer
zurückstürzte. Als sie hernach in der Nacht einmal aufwachte, hörte sie
draußen Pferdegetrappel. Sie guckte durch das kleine Kammerfenster und
sah den buckligen Signor, der gestern so viel mit mir gesprochen hatte,
auf einem Schimmel im Mondschein quer übers Feld galoppieren, dass er immer
ellenhoch überm Sattel in die Höhe flog und die Magd sich bekreuzte, weil
es aussah wie ein Gespenst, das auf einem dreibeinigen Pferde reitet. -
Da wusst ich nun gar nicht, was ich machen sollte.

Unterdes aber stand unser Wagen schon lange vor der Tür angespannt, und
der Postillon stieß ungeduldig ins Horn, dass er hätte bersten mögen, denn
er musste zu bestimmter Stunde auf der nächsten Station sein, da alles durch
Laufzettel bis auf die Minute vorausbestellt war. Ich rannte noch einmal um
das ganze Haus herum und rief die Maler, niemand gab Antwort, die Leute aus
dem Hause liefen zusammen und gafften mich an, der Postillon fluchte, die
Pferde schnaubten, ich, ganz verblüfft, springe endlich geschwind in den
Wagen hinein, der Hausknecht schlägt die Tür hinter mir zu, der Postillon
knallt, und so gings mit mir fort in die weite Welt hinein.
Fünftes Kapitel

Wir fuhren nun über Berg und Tal Tag und Nacht immerfort. Ich hatte gar
nicht Zeit, mich zu besinnen, denn wo wir hinkamen, standen die Pferde
angeschirrt, ich konnte mit den Leuten nicht sprechen, mein Demonstrieren
half also nichts; oft, wenn ich im Wirtshause eben beim besten Essen war,
blies der Postillon, ich musste Messer und Gabel wegwerfen und wieder in
den Wagen springen und wusste doch eigentlich gar nicht, wohin und weswegen
ich just mit so ausnehmender Geschwindigkeit fortreisen sollte.

Sonst war die Lebensart gar nicht so übel. Ich legte mich, wie auf einem
Kanapee, bald in die eine, bald in die andere Ecke des Wagens, und lernte
Menschen und Länder kennen, und wenn wir durch Städte fuhren, lehnte ich
mich auf beide Arme zum Wagenfenster heraus und dankte den Leuten, die
höflich vor mir den Hut abnahmen, oder ich grüßte die Mädchen an den
Fenstern wie ein alter Bekannter, die sich dann immer sehr verwunderten
und mir noch lange neugierig nachguckten.

Aber zuletzt erschrak ich sehr. Ich hatte das Geld in dem gefundenen
Beutel niemals gezählt, den Postmeistern und Gastwirten musste ich
überall viel bezahlen, und ehe ich michs versah, war der Beutel leer.
Anfangs nahm ich mir vor, sobald wir durch einen einsamen Wald führen,
schnell aus dem Wagen zu springen und zu entlaufen. Dann aber tat es mir
wieder leid, nun den schönen Wagen so allein zu lassen, mit dem ich sonst
wohl noch bis ans Ende der Welt fortgefahren wäre.

Nun saß ich eben voller Gedanken und wusste nicht aus noch ein, als es
auf einmal seitwärts von der Landstraße abging. Ich schrie zum Wagen
heraus auf den Postillon: wohin er denn fahre? Aber ich mochte sprechen,
was ich wollte, der Kerl sagte immer bloß: »Si, Si, Signore!«, und fuhr
immer über Stock und Stein, dass ich aus einer Ecke des Wagens in die
andere flog.

Das wollte mir gar nicht in den Sinn, denn die Landstraße lief gerade
durch eine prächtige Landschaft auf die untergehende Sonne zu, wohl
wie in ein Meer von Glanz und Funken. Von der Seite aber, wohin wir
uns gewendet hatten, lag ein wüstes Gebirge vor uns mit grauen
Schluchten, zwischen denen es schon lange dunkel geworden war. Je
weiter wir fuhren, je wilder und einsamer wurde die Gegend. Endlich
kam der Mond hinter den Wolken hervor und schien auf einmal so hell
zwischen die Bäume und Felsen herein, dass es ordentlich grauslich
anzusehen war. Wir konnten nur langsam fahren in den engen, steinigen
Schluchten, und das einförmige, ewige Gerassel des Wagens schallte an
den Steinwänden weit in die stille Nacht, als führen wir in ein großes
Grabgewölbe hinein. Nur von vielen Wasserfällen, die man aber nicht
sehen konnte, war ein unaufhörliches Rauschen tiefer im Walde, und die
Käuzchen riefen aus der Ferne immerfort: »Komm mit, komm mit!« - Dabei
kam es mir vor, als wenn der Kutscher, der, wie ich jetzt erst sah, gar
keine Uniform hatte und kein Postillon war, sich einige Mal unruhig
umsähe und schneller zu fahren anfing, und wie ich mich recht zum Wagen
herauslegte, kam plötzlich ein Reiter aus dem Gebüsch hervor, sprengte
dicht vor unseren Pferden quer über den Weg und verlor sich sogleich
wieder auf der andern Seite im Walde. Ich war ganz verwirrt, denn,
soviel ich bei dem hellen Mondschein erkennen konnte, war es dasselbe
bucklige Männlein auf seinem Schimmel, das in dem Wirtshause mit der
Adlernase nach mir gehackt hatte. Der Kutscher schüttelte den Kopf
und lachte laut auf über die närrische Reiterei, wandte sich aber
dann rasch zu mir um, sprach sehr viel und sehr eifrig, wovon ich
leider nichts verstand, und fuhr dann noch rascher fort.

Ich aber war froh, als ich bald darauf von fern ein Licht schimmern sah.
Es fanden sich nach und nach noch mehrere Lichter, sie wurden immer größer
und heller, und endlich kamen wir an einigen verräucherten Hütten vorüber,
die wie Schwalbennester auf dem Felsen hingen. Da die Nacht warm war, so
standen die Türen offen, und ich konnte darin die hellerleuchteten Stuben
und allerlei lumpiges Gesindel sehen, das wie dunkle Schatten um das
Herdfeuer herumhockte. Wir aber rasselten durch die stille Nacht einen
Steinweg hinan, der sich auf einen hohen Berg hinaufzog. Bald überdeckten
hohe Bäume und herabhängende Sträucher den ganzen Hohlweg, bald konnte man
auf einmal wieder das ganze Firmament und in der Tiefe die weite, stille
Runde von Bergen, Wäldern und Tälern übersehen. Auf dem Gipfel des Berges
stand ein großes, altes Schloss mit vielen Türmen im hellsten Mondschein. -
»Nun Gott befohlen!«, rief ich aus und war innerlich ganz munter geworden
vor Erwartung, wohin sie mich da am Ende noch bringen würden.

Es dauerte wohl noch eine gute halbe Stunde, ehe wir endlich auf dem
Berge am Schlosstore ankamen. Das ging in einen breiten, runden Turm
hinein, der oben schon ganz verfallen war. Der Kutscher knallte dreimal,
dass es weit in dem alten Schlosse widerhallte, wo ein Schwarm von Dohlen
ganz erschrocken plötzlich aus allen Luken und Ritzen herausfuhr und mit
großem Geschrei die Luft durchkreuzte. Darauf rollte der Wagen in den
langen, dunklen Torweg hinein. Die Pferde gaben mit ihren Hufeisen Feuer
auf dem Steinpflaster, ein großer Hund bellte, der Wagen donnerte zwischen
den gewölbten Wänden, die Dohlen schrien noch immer dazwischen - so kamen
wir mit einem entsetzlichen Spektakel in den engen, gepflasterten Schlosshof.

Eine kuriose Station!, dachte ich bei mir, als nun der Wagen stillstand.
Da wurde die Wagentür von draußen aufgemacht, und ein alter, langer Mann
mit einer kleinen Laterne sah mich unter seinen dicken Augenbrauen grämlich
an. Er fasste mich dann unter den Arm und half mir, wie einem großen Herrn,
aus dem Wagen heraus. Draußen vor der Haustür stand eine alte, sehr hässliche
Frau in schwarzem Kamisol und Rock, mit einer weißen Schürze und schwarzen
Haube, von der ihr ein langer Schnipper bis an die Nase herunterhing. Sie
hatte an der einen Hüfte einen großen Bund Schlüssel hängen und hielt in
der andern einen altmodischen Armleuchter mit zwei brennenden Wachskerzen.
Sobald sie mich erblickte, fing sie an, tiefe Knickse zu machen, und sprach
und frug sehr viel durcheinander. Ich verstand aber nichts davon und machte
immerfort Kratzfüße vor ihr, und es war mir eigentlich recht unheimlich
zumute.

Der alte Mann hatte unterdes mit seiner Laterne den Wagen von allen Seiten
beleuchtet und brummte und schüttelte den Kopf, als er nirgend einen Koffer
oder Bagage fand. Der Kutscher fuhr darauf, ohne Trinkgeld von mir zu fordern,
den Wagen in einen alten Schuppen, der auf der Seite des Hofes schon offen
stand. Die alte Frau aber bat mich sehr höflich durch allerlei Zeichen, ihr
zu folgen. Sie führte mich mit ihren Wachskerzen durch einen langen,
schmalen Gang und dann eine kleine steinerne Treppe herauf. Als wir an
der Küche vorbeigingen, streckten ein paar junge Mägde neugierig die Köpfe
durch die halb geöffnete Tür und guckten mich so starr an und winkten und
nickten einander heimlich zu, als wenn sie in ihrem Leben noch kein Mannsbild
gesehen hätten. Die Alte machte endlich oben eine Tür auf, da wurde ich
anfangs ordentlich ganz verblüfft. Denn es war ein großes, schönes,
herrschaftliches Zimmer mit goldenen Verzierungen an der Decke, und an den
Wänden hingen prächtige Tapeten mit allerlei Figuren und großen Blumen. In
der Mitte stand ein gedeckter Tisch mit Braten, Kuchen, Salat, Obst, Wein
und Konfekt, dass einem recht das Herz im Leibe lachte. Zwischen den beiden
Fenstern hing ein ungeheurer Spiegel, der vom Boden bis zur Decke reichte.

Ich muss sagen, das gefiel mir recht wohl. Ich streckte mich ein paarmal und
ging mit langen Schritten vornehm im Zimmer auf und ab. Dann konnt ich aber
doch nicht widerstehen, mich einmal in einem so großen Spiegel zu besehen.
Das ist wahr, die neuen Kleider vom Herrn Leonhard standen mir recht schön,
auch hatte ich in Italien so ein gewisses feuriges Auge bekommen, sonst aber
war ich gerade noch so ein Milchbart, wie ich zu Hause gewesen war, nur auf
der Oberlippe zeigten sich erst ein paar Flaumfedern.

Die alte Frau mahlte indes in einem fort mit ihrem zahnlosen Munde, dass es
nicht anders aussah, als wenn sie an der langen, herunterhängenden Nasenspitze
kaute. Dann nötigte sie mich zum Sitzen, streichelte mir mit ihren dürren
Fingern das Kinn, nannte mich poverino!, wobei sie mich aus den roten Augen
so schelmisch ansah, dass sich ihr der eine Mundwinkel bis an die halbe
Wange in die Höhe zog, und ging endlich mit einem tiefen Knicks zur Tür hinaus.

Ich aber setzte mich zu dem gedeckten Tisch, während eine junge, hübsche Magd
hereintrat, um mich bei der Tafel zu bedienen. Ich knüpfte allerlei galanten
Diskurs mit ihr an, sie verstand mich aber nicht, sondern sah mich immer ganz
kurios von der Seite an, weil mirs so gut schmeckte, denn das Essen war sehr
delikat. Als ich satt war und wieder aufstand, nahm die Magd ein Licht von der
Tafel und führte mich in ein anderes Zimmer. Da war ein Sofa, ein kleiner
Spiegel und ein prächtiges Bett mit grünseidenen Vorhängen. Ich frug sie
mit Zeichen, ob ich mich da hineinlegen sollte? Sie nickte zwar: »Ja«,
aber das war denn doch nicht möglich, denn sie blieb wie angenagelt bei
mir stehen. Endlich holte ich mir noch ein großes Glas Wein aus der
Tafelstube herein und rief ihr zu: »felicissima notte!«, denn so viel hatte
ich schon Italienisch gelernt. Aber wie ich das Glas so auf einmal ausstürze,
bricht sie plötzlich in ein verhaltenes Kichern aus, wird über und über rot,
geht in die Tafelstube und macht die Tür hinter sich zu. Was ist da zu lachen?,
dachte ich verwundert, ich glaube, die Leute in Italien sind alle verrückt.

Ich hatte nun immer nur Angst vor dem Postillon, dass der gleich wieder zu
blasen anfangen würde. Ich horchte am Fenster, aber es war alles still draußen.
Lass ihn blasen!, dachte ich, zog mich aus und legte mich in das prächtige Bett.
Das war nicht anders, als wenn man in Milch und Honig schwämme! Vor den
Fenstern rauschte die alte Linde im Hofe, zuweilen fuhr noch eine Dohle
plötzlich vom Dache auf, bis ich endlich voller Vergnügen einschlief.
Sechstes Kapitel

Als ich wieder erwachte, spielten schon die ersten Morgenstrahlen an den
grünen Vorhängen über mir. Ich konnte mich gar nicht besinnen, wo ich
eigentlich wäre. Es kam mir vor, als führe ich noch immer fort im Wagen,
und es hätte mir von einem Schlosse im Mondschein geträumt und von einer
alten Hexe und ihrem blassen Töchterlein.

Ich sprang endlich rasch aus dem Bette, kleidete mich an und sah mich
dabei nach allen Seiten in dem Zimmer um. Da bemerkte ich eine kleine
Tapetentür, die ich gestern gar nicht gesehen hatte. Sie war nur angelehnt,
ich öffnete sie und erblickte ein kleines, nettes Stübchen, das in der
Morgendämmerung recht heimlich aussah. Über einem Stuhl waren Frauenkleider unordentlich
hingeworfen, auf einem Bettchen daneben lag das Mädchen, das
mir gestern Abend bei der Tafel aufgewartet hatte. Sie schlief noch ganz
ruhig und hatte den Kopf auf den weißen bloßen Arm gelegt, über den ihre
schwarzen Locken herabfielen. Wenn die wüsste, dass die Tür offen war!,
sagte ich zu mir selbst und ging in mein Schlafzimmer zurück, während
ich hinter mir wieder schloss und verriegelte, damit das Mädchen nicht
erschrecken und sich schämen sollte, wenn sie erwachte.

Draußen ließ sich noch kein Laut vernehmen. Nur ein früh erwachtes
Waldvöglein saß vor meinem Fenster auf einem Strauch, der aus der
Mauer herauswuchs, und sang schon sein Morgenlied. »Nein«, sagte
ich, »du sollst mich nicht beschämen und allein so früh und fleißig
Gott loben!« - Ich nahm schnell meine Geige, die ich gestern auf das
Tischchen gelegt hatte, und ging hinaus. Im Schlosse war noch alles
totenstill, und es dauerte lange, ehe ich mich aus den dunklen Gängen
ins Freie herausfand.

Als ich vor das Schloss heraustrat, kam ich in einen großen Garten,
der auf breiten Terrassen, wovon die eine immer tiefer war als die
andere, bis auf den halben Berg herunterging. Aber das war eine
liederliche Gärtnerei. Die Gänge waren alle mit hohem Grase bewachsen,
die künstlichen Figuren von Buchsbaum waren nicht beschnitten und
streckten wie Gespenster lange Nasen oder ellenhohe, spitzige Mützen
in die Luft hinaus, dass man sich in der Dämmerung ordentlich davor
hätte fürchten mögen. Auf einige zerbrochene Statuen über einer
vertrockneten Wasserkunst war gar Wäsche aufgehängt, hin und wieder
hatten sie mitten im Garten Kohl gebaut, dann kamen wieder ein paar
ordinäre Blumen, alles unordentlich durcheinander und von hohem,
wildem Unkraut überwachsen, zwischen dem sich bunte Eidechsen
schlängelten. Zwischen die alten, hohen Bäume hindurch aber war
überall eine weite, einsame Aussicht, eine Bergkoppe hinter der
andern, soweit das Auge reichte.

Nachdem ich so ein Weilchen in der Morgendämmerung durch die Wildnis
umherspaziert war, erblickte ich auf der Terrasse unter mir einen
langen, schmalen, blassen Jüngling in einem langen, braunen Kaputrock,
der mit verschränkten Armen und großen Schritten auf und ab ging.
Er tat, als sähe er mich nicht, setzte sich bald darauf auf eine
steinerne Bank hin, zog ein Buch aus der Tasche, las sehr laut,
als wenn er predigte, sah dabei zuweilen zum Himmel und stützte
dann den Kopf ganz melancholisch auf die rechte Hand. Ich sah
ihm lange zu, endlich wurde ich doch neugierig, warum er denn
eigentlich so absonderliche Grimassen machte, und ging schnell
auf ihn zu. Er hatte eben einen tiefen Seufzer ausgestoßen und
sprang erschrocken auf, als ich ankam. Er war voller Verlegenheit,
ich auch, wir wussten beide nicht, was wir sprechen sollten, und
machten immerfort Komplimente voreinander, bis er endlich mit
langen Schritten in das Gebüsch Reißaus nahm. Unterdes war die
Sonne über dem Walde aufgegangen, ich sprang auf die Bank hinauf
und strich vor Lust meine Geige, dass es weit in die stillen Täler
herunterschallte. Die Alte mit dem Schlüsselbunde, die mich schon
ängstlich im ganzen Schlosse zum Frühstück aufgesucht hatte,
erschien nun auf der Terrasse über mir und verwunderte sich,
dass ich so artig auf der Geige spielen konnte. Der alte grämliche
Mann vom Schlosse fand sich dazu und verwunderte sich ebenfalls,
endlich kamen auch noch die Mägde, und alles blieb oben voller
Verwunderung stehen, und ich fingerte und schwenkte meinen
Fiedelbogen immer künstlicher und hurtiger und spielte Kadenzen
und Variationen, bis ich endlich ganz müde wurde.

Das war nun aber doch ganz seltsam auf dem Schlosse! Kein Mensch
dachte da ans Weiterreisen. Das Schloss war auch gar kein Wirtshaus,
sondern gehörte, wie ich von der Magd erfuhr, einem reichen Grafen.
Wenn ich mich dann manchmal bei der Alten erkundigte, wie der Graf
heiße, wo er wohne?, da schmunzelte sie immer bloß, wie den ersten
Abend, da ich auf das Schloss kam, und kniff und winkte mir so pfiffig
mit den Augen zu, als wenn sie nicht recht bei Sinne wäre. Trank ich
einmal an einem heißen Tage eine ganze Flasche Wein aus, so kicherten
die Mägde gewiss, wenn sie die andere brachten, und als mich dann gar
einmal nach einer Pfeife Tabak verlangte, ich ihnen durch Zeichen
beschrieb, was ich wollte, da brachen alle in ein großes, unvernünftiges
Gelächter aus. - Am verwunderlichsten war mir eine Nachtmusik, die
sich oft und gerade immer in den finstersten Nächten unter meinem
Fenster hören ließ. Es griff auf einer Gitarre immer nur von Zeit
zu Zeit einzelne, ganz leise Klänge. Das eine Mal aber kam es mir
vor, als wenn es dabei von unten »Pst! Pst!« heraufrief. Ich fuhr
daher geschwind aus dem Bett und mit dem Kopf aus dem Fenster.
»Holla! Heda! Wer ist da draußen?«, rief ich hinunter. Aber es
antwortete niemand, ich hörte nur etwas sehr schnell durch die
Gesträuche fortlaufen. Der große Hund im Hofe schlug über meinen
Lärm ein paarmal an, dann war auf einmal alles wieder still, und
die Nachtmusik ließ sich seitdem nicht wieder vernehmen.

Sonst hatte ich hier ein Leben, wie sichs ein Mensch nur immer in
der Welt wünschen kann. Der gute Portier! Er wusste wohl, was er
sprach, wenn er immer zu sagen pflegte, dass in Italien einem die
Rosinen von selbst in den Mund wüchsen. Ich lebte auf dem einsamen
Schlosse wie ein verwunschener Prinz. Wo ich hintrat, hatten die
Leute eine große Ehrerbietung vor mir, obgleich sie schon alle wussten,
dass ich keinen Heller in der Tasche hatte. Ich durfte nur sagen:
»Tischchen, deck dich!«, so standen auch schon herrliche Speisen, Reis,
Wein, Melonen und Parmesankäse da. Ich ließ mirs wohl schmecken,
schlief in dem prächtigen Himmelbett, ging im Garten spazieren,
musizierte und half wohl auch manchmal in der Gärtnerei nach. Oft
lag ich auch stundenlang im Garten im hohen Grase, und der schmale
Jüngling (es war ein Schüler und Verwandter der Alten, der eben
jetzt hier zur Vakanz war) ging mit seinem langen Kaputrock in
weiten Kreisen um mich herum und murmelte dabei wie ein Zauberer
aus seinem Buche, worüber ich dann auch jedesmal einschlummerte. -
So verging ein Tag nach dem andern, bis ich am Ende anfing, von dem
guten Essen und Trinken ganz melancholisch zu werden. Die Glieder
gingen mir von dem ewigen Nichtstun ordentlich aus allen Gelenken,
und es war mir, als würde ich vor Faulheit noch ganz auseinanderfallen.

In dieser Zeit saß ich einmal an einem schwülen Nachmittage im Wipfel
eines hohen Baumes, der am Abhange stand, und wiegte mich auf den Ästen
langsam über dem stillen tiefen Tale. Die Bienen summten zwischen den
Blättern um mich herum, sonst war alles wie ausgestorben, kein Mensch
war zwischen den Bergen zu sehen, tief unter mir auf den stillen
Waldwiesen ruhten die Kühe auf dem hohen Grase. Aber ganz von Weitem
kam der Klang eines Posthorns über die waldigen Gipfel herüber, bald
kaum vernehmbar, bald wieder heller und deutlicher. Mir fiel dabei auf
einmal ein altes Lied recht aufs Herz, das ich noch zu Hause auf meines
Vaters Mühle von einem wandernden Handwerksburschen gelernt hatte, und
ich sang:
Wer in die Fremde will wandern,
Der muss mit der Liebsten gehn,
Es jubeln und lassen die andern
Den Fremden alleine stehn.
Was wisset ihr, dunkele Wipfel,
Von der alten schönen Zeit?
Ach, die Heimat hinter den Gipfeln,
Wie liegt sie von hier so weit!
Am liebsten betracht' ich die Sterne,
Die schienen, wenn ich ging zu ihr,
Die Nachtigall hör ich so gerne,
Sie sang vor der Liebsten Tür.
Der Morgen, das ist meine Freude!
Da steig' ich in stiller Stund'
Auf den höchsten Berg in die Weite,
Grüß' dich, Deutschland, aus Herzensgrund!
|

Es war, als wenn mich das Posthorn bei meinem Liede aus der Ferne
begleiten wollte. Es kam, während ich sang, zwischen den Bergen immer
näher und näher, bis ich es endlich gar oben auf dem Schlosshofe schallen
hörte. Ich sprang rasch vom Baume herunter. Da kam mir auch schon die Alte
mit einem geöffneten Pakete aus dem Schlosse entgegen. »Da ist auch etwas
für Sie mitgekommen«, sagte sie, und reichte mir aus dem Paket ein kleines,
niedliches Briefchen. Es war ohne Aufschrift, ich brach es schnell auf.
Aber da wurde ich auch auf einmal im ganzen Gesichte so rot wie eine Päonie,
und das Herz schlug mir so heftig, dass es die Alte merkte, denn das Briefchen
war von meiner schönen Frau, von der ich manches Zettelchen bei dem Herrn
Amtmann gesehen hatte. Sie schrieb darin ganz kurz: »Es ist alles wieder gut,
alle Hindernisse sind beseitigt. Ich benutzte heimlich diese Gelegenheit,
um die Erste zu sein, die Ihnen diese freudige Botschaft schreibt. Kommen,
eilen Sie zurück. Es ist so öde hier, und ich kann kaum mehr leben, seit
Sie von uns fort sind. Aurelie.«

Die Augen gingen mir über, als ich das las, vor Entzücken und Schreck
und unsäglicher Freude. Ich schämte mich vor dem alten Weibe, die mich
wieder abscheulich anschmunzelte, und flog wie ein Pfeil bis in den
allereinsamsten Winkel des Gartens. Dort warf ich mich unter den
Haselnusssträuchern ins Gras hin und las das Briefchen noch einmal,
sagte die Worte auswendig für mich hin und las dann wieder und immer
wieder, und die Sonnenstrahlen tanzten zwischen den Blättern hindurch
über den Buchstaben, dass sie sich wie goldene und hellgrüne und rote
Blüten vor meinen Augen ineinander schlangen. Ist sie am Ende gar nicht
verheiratet gewesen?, dachte ich; war der fremde Offizier damals vielleicht
ihr Herr Bruder, oder ist er nun tot, oder bin ich toll, oder - »Das ist
alles einerlei!«, rief ich endlich und sprang auf, »nun ists ja klar,
sie liebt mich ja, sie liebt mich!« Als ich aus dem Gesträuch wieder
hervorkroch, neigte sich die Sonne zum Untergange. Der Himmel war rot,
die Vögel sangen lustig in allen Wäldern, die Täler waren voller Schimmer,
aber in meinem Herzen war es noch viel tausendmal schöner und fröhlicher!

Ich rief in das Schloss hinein, dass sie mir heut das Abendessen in
den Garten herausbringen sollten. Die alte Frau, der alte grämliche
Mann, die Mägde, sie mussten alle mit heraus und sich mit mir unter
dem Baum an den gedeckten Tisch setzen. Ich zog meine Geige hervor
und spielte und aß und trank dazwischen. Da wurden sie alle lustig,
der alte Mann strich seine grämlichen Falten aus dem Gesicht und stieß
ein Glas nach dem andern aus, die Alte plauderte in einem fort, Gott
weiß was; die Mägde fingen an auf dem Rasen miteinander zu tanzen.
Zuletzt kam auch noch der blasse Student neugierig hervor, warf einige
verächtliche Blicke auf das Spektakel und wollte ganz vornehm wieder
weitergehen. Ich aber, nicht zu faul, sprang geschwind auf, erwischte
ihn, eh er sichs versah, bei seinem langen Überrock und walzte tüchtig
mit ihm herum. Er strengte sich nur an, recht zierlich und neumodisch
zu tanzen, und füßelte so emsig und künstlich, dass ihm der Schweiß vom
Gesicht herunterfloss und die langen Rockschöße wie ein Rad um uns
herumflogen. Dabei sah er mich aber manchmal so kurios mit verdrehten
Augen an, dass ich mich ordentlich vor ihm zu fürchten anfing und ihn
plötzlich wieder losließ.

Die Alte hätte nun gar zu gern erfahren, was in dem Briefe stand und
warum ich denn eigentlich heut auf einmal so lustig war. Aber das war
ja viel zu weitläufig, um es ihr auseinandersetzen zu können. Ich
zeigte bloß auf ein paar Kraniche, die eben hoch über uns durch die
Luft zogen, und sagte, ich müsste nun auch so fort und immer fort,
weit in die Ferne! - Da riss sie die vertrockneten Augen weit auf
und blickte wie ein Basilisk bald auf mich, bald auf den alten Mann
hinüber. Dann bemerkte ich, wie die beiden heimlich die Köpfe
zusammensteckten, sooft ich mich wegwandte, und sehr eifrig miteinander
sprachen und mich dabei zuweilen von der Seite ansahen.

Das fiel mir auf. Ich sann hin und her, was sie wohl mit mir vorhaben
möchten. Darüber wurde ich stiller, die Sonne war auch schon lange
untergegangen, und so wünschte ich allen gute Nacht und ging nachdenklich
in meine Schlafstube hinauf.

Ich war innerlich so fröhlich und unruhig, dass ich noch lange im
Zimmer auf- und niederging. Draußen wälzte der Wind schwere schwarze
Wolken über den Schlossturm weg, man konnte kaum die nächsten Bergkoppen
in der dicken Finsternis erkennen. Da kam es mir vor, als wenn ich im
Garten unten Stimmen hörte. Ich löschte mein Licht aus und stellte
mich ans Fenster. Die Stimmen schienen näher zu kommen, sprachen aber
sehr leise miteinander. Auf einmal gab eine kleine Laterne, welche
die eine Gestalt unterm Mantel trug, einen langen Schein. Ich
erkannte nun den grämlichen Schlossverwalter und die alte Haushälterin.
Das Licht blitzte über das Gesicht der Alten, das mir noch niemals so
grässlich vorgekommen war, und über ein langes Messer, das sie in der
Hand hielt. Dabei konnte ich sehen, dass sie beide eben nach meinem
Fenster hinaufsahen. Dann schlug der Verwalter seinen Mantel wieder
dichter um, und es war bald alles wieder finster und still.

Was wollen die, dachte ich, zu dieser Stunde noch draußen im Garten?
Mich schauderte, denn es fielen mir alle Mordgeschichten ein, die ich
in meinem Leben gehört hatte, von Hexen und Räubern, welche Menschen
abschlachten, um ihre Herzen zu fressen. Indem ich noch so nachdenke,
kommen Menschentritte, erst die Treppe herauf, dann auf dem langen
Gange ganz leise, leise auf meine Tür zu, dabei war es, als wenn
zuweilen Stimmen heimlich miteinander wisperten. Ich sprang schnell
an das andere Ende der Stube hinter einen großen Tisch, den ich, sobald
sich etwas rührte, vor mir aufheben und so mit aller Gewalt auf die Tür
losrennen wollte. Aber in der Finsternis warf ich einen Stuhl um, dass es
ein entsetzliches Gepolter gab. Da wurde es auf einmal ganz still draußen.
Ich lauschte hinter dem Tisch und sah immerfort nach der Tür, als wenn
ich sie mit den Augen durchstechen wollte, dass mir ordentlich die Augen
zum Kopfe herausstanden. Als ich mich ein Weilchen wieder so ruhig
verhalten hatte, dass man die Fliegen an der Wand hätte können gehen
hören, vernahm ich, wie jemand von draußen ganz leise einen Schlüssel
ins Schlüsselloch steckte. Ich wollte nun eben mit meinem Tische
losfahren, da drehte es den Schlüssel langsam dreimal in der Tür um,
zog ihn vorsichtig wieder heraus und schnurrte dann sachte über den
Gang und die Treppe hinunter.

Ich schöpfte nun tief Atem. Oho, dachte ich, da haben sie dich eingesperrt,
damit sies kommode haben, wenn ich erst fest eingeschlafen bin. Ich
untersuchte geschwind die Tür. Es war richtig, sie war fest verschlossen,
ebenso die andere Tür, hinter der die hübsche bleiche Magd schlief. Das
war noch niemals geschehen, solange ich auf dem Schlosse wohnte.

Da saß ich nun in der Fremde gefangen! Die schöne Frau stand nun wohl an
ihrem Fenster und sah über den stillen Garten nach der Landstraße hinaus,
ob ich nicht schon am Zollhäuschen mit meiner Geige dahergestrichen komme,
die Wolken flogen rasch über den Himmel, die Zeit verging - und ich konnte
nicht fort von hier! Ach, mir war so weh im Herzen, ich wusste gar nicht
mehr, was ich tun sollte. Dabei war mirs auch immer, wenn die Blätter
draußen rauschten oder eine Ratte am Boden knusperte, als wäre die Alte
durch eine verborgene Tapetentür heimlich hereingetreten und lauere und
schleiche leise mit dem langen Messer durchs Zimmer.

Als ich so voll Sorgen auf dem Bette saß, hörte ich auf einmal seit
langer Zeit wieder die Nachtmusik unter meinen Fenstern. Bei dem ersten
Klange der Gitarre war es mir nicht anders, als wenn mir ein Morgenstrahl
plötzlich durch die Seele führe. Ich riss das Fenster auf und rief leise
herunter, dass ich wach sei. »Pst, pst!«, antwortete es von unten. Ich
besann mich nun nicht lange, steckte das Briefchen und meine Geige zu
mir, schwang mich aus dem Fenster und kletterte an der alten zersprungenen
Mauer hinab, indem ich mich mit den Händen an den Sträuchern, die aus den
Ritzen wuchsen, anhielt. Aber einige morsche Ziegel gaben nach, ich kam
ins Rutschen, es ging immer rascher und rascher mit mir, bis ich endlich
mit beiden Füßen aufplumpte, dass mirs im Gehirnkasten knisterte.

Kaum war ich auf diese Art unten im Garten angekommen, so umarmte mich
jemand mit solcher Vehemenz, dass ich laut aufschrie. Der gute Freund aber
hielt mir schnell die Finger auf den Mund, fasste mich bei der Hand und
führte mich dann aus dem Gesträuch ins Freie hinaus. Da erkannte ich mit
Verwunderung den guten, langen Studenten, der die Gitarre an einem breiten,
seidenen Bande um den Hals hängen hatte. - Ich beschrieb ihm nun in größter
Geschwindigkeit, dass ich aus dem Garten hinaus wollte. Er schien aber das
alles schon lange zu wissen und führte mich auf allerlei verdeckten Umwegen
zu dem untern Tore in der hohen Gartenmauer. Aber da war nun auch das Tor
wieder fest verschlossen! Doch der Student hatte auch das schon vorbedacht,
er zog einen großen Schlüssel hervor und schloss behutsam auf.

Als wir nun in den Wald hinaustraten und ich ihn eben noch um den besten
Weg zur nächsten Stadt fragen wollte, stürzte er plötzlich vor mir auf ein
Knie nieder, hob die eine Hand hoch in die Höhe und fing an zu fluchen und
zu schwören, dass es entsetzlich anzuhören war. Ich wusste gar nicht, was
er wollte, ich hörte nur immerfort: Idio und cuore und amore und furore!
Als er aber am Ende gar anfing, auf beiden Knien schnell und immer näher
auf mich zuzurutschen, da wurde mir auf einmal ganz grauslich, ich merkte
wohl, dass er verrückt war, und rannte, ohne mich umzusehen, in den
dicksten Wald hinein.

Ich hörte nun den Studenten wie rasend hinter mir drein schreien. Bald
darauf gab noch eine andre grobe Stimme vom Schlosse her Antwort. Ich
dachte mir nun wohl, dass sie mich aufsuchen würden. Der Weg war mir
unbekannt, die Nacht finster, ich konnte ihnen leicht wieder in die
Hände fallen. Ich kletterte daher auf den Wipfel einer hohen Tanne
hinauf, um bessere Gelegenheit abzuwarten.

Von dort konnte ich hören, wie auf dem Schlosse eine Stimme nach
der andern wach wurde. Einige Windlichter zeigten sich oben und
warfen ihre wilden roten Scheine über das alte Gemäuer des Schlosses
und weit vom Berge in die schwarze Nacht hinein. Ich befahl meine Seele
dem lieben Gott, denn das verworrene Getümmel wurde immer lauter und
näherte sich immer mehr und mehr. Endlich stürzte der Student mit einer
Fackel unter meinem Baume vorüber, dass ihm die Rockschöße weit im Winde
nachflogen. Dann schienen sie sich alle nach und nach auf eine andere
Seite des Berges hinzuwenden, die Stimmen schallten immer ferner und
ferner, und der Wind rauschte wieder durch den stillen Wald. Da stieg
ich schnell von dem Baume herab und lief atemlos weiter in das Tal
und die Nacht hinaus.
Siebentes Kapitel

Ich war Tag und Nacht eilig fortgegangen, denn es sauste mir lange
in den Ohren, als kämen die von dem Berge mit ihrem Rufen, mit Fackeln
und langen Messern noch immer hinter mir drein. Unterwegs erfuhr ich,
dass ich nur noch ein paar Meilen von Rom wäre. Da erschrak ich ordentlich
vor Freude. Denn von dem prächtigen Rom hatte ich schon zu Hause als Kind viel
wunderbare Geschichten gehört, und wenn ich dann an Sonntagnachmittagen
vor der Mühle im Grase lag und alles ringsum so stille war, da dachte ich
mir Rom wie die ziehenden Wolken über mir, mit wundersamen Bergen und
Abgründen am blauen Meer und goldenen Toren und hohen glänzenden Türmen,
von denen Engel in goldenen Gewändern sangen. - Die Nacht war schon wieder
lange hereingebrochen, und der Mond schien prächtig, als ich endlich auf
einem Hügel aus dem Walde heraustrat und auf einmal die Stadt in der
Ferne vor mir sah. - Das Meer leuchtete von Weitem, der Himmel blitzte
und funkelte unübersehbar mit unzähligen Sternen, darunter lag die
heilige Stadt, von der man nur einen langen Nebelstreif erkennen konnte,
wie ein eingeschlafener Löwe auf der stillen Erde, und Berge standen
daneben wie dunkle Riesen, die ihn bewachten.

Ich kam nun zuerst auf eine große, einsame Heide, auf der es so grau
und still war wie im Grabe. Nur hin und her stand ein altes, verfallenes
Gemäuer oder ein trockener, wunderbar gewundener Strauch; manchmal
schwirrten Nachtvögel durch die Luft, und mein eigener Schatten strich
immerfort lang und dunkel in der Einsamkeit neben mir her. Sie sagen,
dass hier eine uralte Stadt und die Frau Venus begraben liegt und die
alten Heiden zuweilen noch aus ihren Gräbern heraufsteigen und bei
stiller Nacht über die Heide gehen und die Wanderer verwirren. Aber
ich ging immer gerade fort und ließ mich nichts anfechten. Denn die
Stadt stieg immer deutlicher und prächtiger vor mir herauf, und die
hohen Burgen und Tore und goldenen Kuppeln glänzten so herrlich im
hellen Mondschein, als ständen wirklich die Engel in goldenen
Gewändern auf den Zinnen und sängen durch die stille Nacht herüber.

So zog ich denn endlich erst an kleinen Häusern vorbei, dann durch ein
prächtiges Tor in die berühmte Stadt Rom hinein. Der Mond schien zwischen
den Palästen, als wäre es heller Tag, aber die Straßen waren schon alle
leer, nur hin und wieder lag ein lumpiger Kerl, wie ein Toter, in der
lauen Nacht auf den Marmorschwellen und schlief. Dabei rauschten die
Brunnen auf den stillen Plätzen, und die Gärten an der Straße säuselten
dazwischen und erfüllten die Luft mit erquickenden Düften.

Wie ich nun eben so weiter fortschlendere und vor Vergnügen, Mondschein
und Wohlgeruch gar nicht weiß, wohin ich mich wenden soll, lässt sich
tief aus dem einen Garten eine Gitarre hören. Mein Gott, denk ich,
da ist mir wohl der tolle Student mit dem langen Überrock heimlich
nachgesprungen! Darüber fing eine Dame in dem Garten an, überaus
lieblich zu singen. Ich stand ganz wie bezaubert, denn es war die
Stimme der schönen gnädigen Frau und dasselbe welsche Liedchen,
das sie gar oft zu Hause am offenen Fenster gesungen hatte.

Da fiel mir auf einmal die schöne alte Zeit mit solcher Gewalt aufs
Herz, dass ich bitterlich hätte weinen mögen, der stille Garten vor dem
Schloss in früher Morgenstunde, und wie ich da hinter dem Strauch so
glückselig war, ehe mir die dumme Fliege in die Nase flog. Ich konnte
mich nicht länger halten. Ich kletterte auf den vergoldeten Zieraten
über das Gittertor und schwang mich in den Garten hinunter, woher der
Gesang kam. Da bemerkte ich, dass eine schlanke weiße Gestalt von fern
hinter einer Pappel stand und mir erst verwundert zusah, als ich über
das Gitterwerk kletterte, dann aber auf einmal so schnell durch den
dunklen Garten nach dem Hause zuflog, dass man sie im Mondschein kaum
füßeln sehen konnte. »Das war sie selbst!«, rief ich aus, und das Herz
schlug mir vor Freude, denn ich erkannte sie gleich an den kleinen,
geschwinden Füßchen wieder. Es war nur schlimm, dass ich mir beim
Herunterspringen vom Gartentore den rechten Fuß etwas vertreten hatte,
ich musste daher erst ein paarmal mit dem Beine schlenkern, ehe ich zu
dem Hause nachspringen konnte. Aber da hatten sie unterdes Tür und
Fenster fest verschlossen. Ich klopfte ganz bescheiden an, horchte
und klopfte wieder. Da war es nicht anders, als wenn es drinnen leise
flüsterte und kicherte, ja einmal kam es mir vor, als wenn zwei helle
Augen zwischen den Jalousien im Mondschein hervorfunkelten. Dann war
auf einmal wieder alles still.

Sie weiß nur nicht, dass ich es bin, dachte ich, zog die Geige, die ich
allzeit bei mir trage, hervor, spazierte damit auf dem Gange vor dem
Hause auf und nieder und spielte und sang das Lied von der schönen Frau
und spielte voll Vergnügen alle meine Lieder durch, die ich damals in den
schönen Sommernächten im Schlossgarten oder auf der Bank vor dem Zollhause
gespielt hatte, dass es weit bis in die Fenster des Schlosses hinüberklang. -
Aber es half alles nichts, es rührte und regte sich niemand im ganzen Hause.
Da steckte ich endlich meine Geige traurig ein und legte mich auf die
Schwelle vor der Haustüre hin, denn ich war sehr müde von dem langen
Marsche. Die Nacht war warm, die Blumenbeete vor dem Hause dufteten
lieblich, eine Wasserkunst weiter unten im Garten plätscherte immerfort
dazwischen. Mir träumte von himmelblauen Blumen, von schönen, dunkelgrünen,
einsamen Gründen, wo Quellen rauschten und Bächlein gingen und bunte
Vögel wunderbar sangen, bis ich endlich fest einschlief.

Als ich aufwachte, rieselte mir die Morgenluft durch alle Glieder.
Die Vögel waren schon wach und zwitscherten auf den Bäumen um mich
herum, als ob sie mich für 'n Narren haben wollten. Ich sprang rasch
auf und sah mich nach allen Seiten um. Die Wasserkunst im Garten
rauschte noch immerfort, aber in dem Hause war kein Laut zu vernehmen.
Ich guckte durch die grünen Jalousien in das eine Zimmer hinein. Da
war ein Sofa und ein großer runder Tisch mit grauer Leinwand verhangen,
die Stühle standen alle in großer Ordnung und unverrückt an den Wänden
herum; von außen aber waren die Jalousien an allen Fenstern heruntergelassen,
als wäre das ganze Haus schon seit vielen Jahren unbewohnt. -
Da überfiel mich ein ordentliches Grausen vor dem einsamen Hause und
Garten und vor der gestrigen weißen Gestalt. Ich lief, ohne mich weiter
umzusehen, durch die stillen Lauben und Gänge und kletterte geschwind
wieder an dem Gartentor hinauf. Aber da blieb ich wie verzaubert sitzen,
als ich auf einmal von dem hohen Gitterwerk in die prächtige Stadt
hinunter sah. Da blitzte und funkelte die Morgensonne weit über die
Dächer und in die langen, stillen Straßen hinein, dass ich laut aufjauchzen
musste und voller Freude auf die Straße hinuntersprang.

Aber wohin sollt ich mich wenden in der großen, fremden Stadt? Auch
ging mir die konfuse Nacht und das welsche Lied der schönen gnädigen
Frau von gestern noch immer im Kopfe hin und her. Ich setzte mich
endlich auf den steinernen Springbrunnen, der mitten auf dem einsamen
Platze stand, wusch mir in dem klaren Wasser die Augen hell und sang dazu:
Wenn ich ein Vöglein wär',
Ich wüsst' wohl, wovon ich sänge,
Und auch zwei Flüglein hätt',
Ich wüsst' wohl, wohin ich mich schwänge!
|

»Ei, lustiger Gesell, du singst ja wie eine Lerche beim ersten Morgenstrahl!«, sagte
da auf einmal ein junger Mann zu mir, der während meines Liedes an den
Brunnen herangetreten war. Mir aber, da ich so unverhofft Deutsch sprechen
hörte, war es nicht anders im Herzen, als wenn die Glocke aus meinem Dorfe
am stillen Sonntagsmorgen plötzlich zu mir herüberklänge. »Gott willkommen,
bester Herr Landsmann!«, rief ich aus und sprang voller Vergnügen von dem
steinernen Brunnen herab. Der junge Mann lächelte und sah mich von oben bis
unten an. »Aber was treibt Ihr denn eigentlich hier in Rom?«, fragte er endlich.
Da wusste ich nun nicht gleich, was ich sagen sollte, denn dass ich soeben der
schönen gnädigen Frau nachspränge, mocht ich ihm nicht sagen. »Ich treibe«,
erwiderte ich, »mich selbst ein bisschen herum, um die Welt zu sehen.« - »So so!«,
versetzte der junge Mann und lachte laut auf, »da haben wir ja ein Metier. Das
tu ich eben auch, um die Welt zu sehen und hinterdrein abzumalen.« - »Also
ein Maler!«, rief ich fröhlich aus, denn mir fiel dabei Herr Leonhard und
Guido ein. Aber der Herr ließ mich nicht zu Worte kommen. »Ich denke«, sagte
er, »du gehst mit und frühstückst bei mir, da will ich dich selbst abkonterfeien,
dass es eine Freude sein soll!« - Das ließ ich mir gern gefallen und wanderte
nun mit dem Maler durch die leeren Straßen, wo nur hin und wieder erst einige
Fensterladen aufgemacht wurden und bald ein paar weiße Arme, bald ein verschlafenes
Gesichtchen in die frische Morgenluft hinausguckte.

Er führte mich lange hin und her durch eine Menge konfuser, enger und
dunkler Gassen, bis wir endlich in ein altes, verräuchertes Haus hineinhuschten.
Dort stiegen wir eine finstre Treppe hinauf, dann wieder eine, als wenn wir
in den Himmel hineinsteigen wollten. Wir standen nun unter dem Dache vor
einer Tür still, und der Maler fing an, in allen Taschen, vorn und hinten,
mit großer Eilfertigkeit zu suchen. Aber er hatte heute früh vergessen
zuzuschließen und den Schlüssel in der Stube gelassen. Denn er war, wie
er mir unterwegs erzählte, noch vor Tagesanbruch vor die Stadt hinausgegangen,
um die Gegend bei Sonnenaufgang zu betrachten. Er schüttelte nur mit dem
Kopfe und stieß die Tür mit dem Fuße auf.

Das war eine lange, lange, große Stube, dass man darin hätte tanzen können,
wenn nur nicht auf dem Fußboden alles vollgelegen hätte. Aber da lagen
Stiefel, Papiere, Kleider, umgeworfene Farbentöpfe, alles durcheinander;
in der Mitte der Stube standen große Gerüste, wie man zum Birnenabnehmen
braucht, ringsum an der Wand waren große Bilder angelehnt. Auf einem
langen, hölzernen Tische war eine Schüssel, worauf neben einem Farbenkleckse
Brot und Butter lag. Eine Flasche Wein stand daneben.

»Nun esst und trinkt erst, Landsmann!«, rief mir der Maler zu. - Ich
wollte mir auch sogleich ein paar Butterschnitten schmieren, aber da
war wieder kein Messer da. Wir mussten erst lange in den Papieren auf
dem Tische herumrascheln, ehe wir es unter einem großen Pakete
endlich fanden. Darauf riss der Maler das Fenster auf, dass die frische
Morgenluft fröhlich das ganze Zimmer durchdrang. Das war eine
herrliche Aussicht weit über die Stadt weg in die Berge hinein, wo
die Morgensonne lustig die weißen Landhäuser und Weingärten beschien.
- »Vivat unser kühlgrünes Deutschland da hinter den Bergen!«, rief
der Maler aus und trank dazu aus der Weinflasche, die er mir dann
hinreichte. Ich tat ihm höflich Bescheid und grüßte in meinem Herzen
die schöne Heimat in der Ferne noch viel tausendmal.

Der Maler aber hatte unterdes das hölzerne Gerüst, worauf ein sehr
großes Papier ausgespannt war, näher an das Fenster herangerückt. Auf
dem Papiere war bloß mit großen schwarzen Strichen eine alte Hütte gar
künstlich abgezeichnet. Darin saß die Heilige Jungfrau mit einem überaus
schönen, freudigen und doch recht wehmütigen Gesichte. Zu ihren Füßen
auf einem Nestlein von Stroh lag das Jesuskind, sehr freundlich, aber
mit großen, ernsthaften Augen. Draußen auf der Schwelle der offenen
Hütte aber knieten zwei Hirtenknaben mit Stab und Tasche. - »Siehst
du«, sagte der Maler, »dem einen Hirtenknaben da will ich deinen Kopf
aufsetzen, so kommt dein Gesicht doch auch etwas unter die Leute, und
will's Gott, sollen sie sich daran noch erfreuen, wenn wir beide schon
lange begraben sind und selbst so still und fröhlich vor der heiligen
Mutter und ihrem Sohne knien, wie die glücklichen Jungen hier.« -
Darauf ergriff er einen alten Stuhl, von dem ihm aber, da er ihn
aufheben wollte, die halbe Lehne in der Hand blieb. Er passte ihn
geschwind wieder zusammen, schob ihn vor das Gerüst hin, und ich
musste mich nun daraufsetzen und mein Gesicht etwas von der Seite
nach dem Maler zu wenden. So saß ich ein paar Minuten ganz still,
ohne mich zu rühren. Aber ich weiß nicht, zuletzt konnte ichs gar
nicht recht aushalten, bald juckte michs da, bald juckte michs dort.
Auch hing mir gerade gegenüber ein zerbrochener halber Spiegel, da
musst ich immerfort hineinsehen und machte, wenn er eben malte, aus
Langeweile allerlei Gesichter und Grimassen. Der Maler, der es
bemerkte, lachte endlich laut auf und winkte mir mit der Hand,
dass ich wieder aufstehen sollte. Mein Gesicht auf dem Hirten war
auch schon fertig und sah so klar aus, dass ich mir ordentlich
selber gefiel.

Er zeichnete nun in der frischen Morgenkühle immer fleißig fort,
während er ein Liedchen dazu sang und zuweilen durch das offene Fenster
in die prächtige Gegend hinausblickte. Ich aber schnitt mir unterdes
noch eine Butterstolle und ging damit im Zimmer auf und ab und besah
mir die Bilder, die an der Wand aufgestellt waren. Zwei darunter gefielen
mir ganz besonders gut. »Habt Ihr die auch gemalt?«, fragte ich den Maler.
»Warum nicht gar!«, erwiderte er, »die sind von den berühmten Meistern
Leonardo da Vinci und Guido Reni - aber da weißt du ja doch nichts davon!« -
Mich ärgerte der Schluss der Rede. »Oh«, versetzte ich ganz gelassen,
»die beiden Meister kenne ich wie meine eigene Tasche.« - Da machte er
große Augen. »Wieso?«, fragte er geschwind. »Nun«, sagte ich, »bin ich
nicht mit ihnen Tag und Nacht fortgereist, zu Pferde und zu Fuß und zu
Wagen, dass mir der Wind am Hute pfiff, und hab sie alle beide in der
Schenke verloren und bin dann allein in ihrem Wagen mit Extrapost
immer weiter gefahren, dass der Bombenwagen immerfort auf zwei Rädern
über die entsetzlichen Steine flog, und« - »Oho! Oho!«, unterbrach
mich der Maler und sah mich starr an, als wenn er mich für verrückt
hielte. Dann aber brach er plötzlich in ein lautes Gelächter aus.
»Ach«, rief er, »nun versteh ich erst, du bist mit zwei Malern gereist,
die Guido und Leonhard hießen?« - Da ich das bejahte, sprang er rasch
auf und sah mich nochmals von oben bis unten ganz genau an. »Ich
glaube gar«, sagte er, »am Ende - spielst du die Violine?« - Ich
schlug auf meine Rocktasche, dass die Geige darin einen Klang gab. -
»Nun wahrhaftig«, versetzte der Maler, »da war eine Gräfin aus
Deutschland hier, die hat sich in allen Winkeln von Rom nach den
beiden Malern und nach einem jungen Musikanten mit der Geige
erkundigen lassen.« - »Eine junge Gräfin aus Deutschland?«, rief ich
voller Entzücken aus, »ist der Portier mit?« - »Ja, das weiß ich alles
nicht«, erwiderte der Maler, »ich sah sie nur einige Male bei einer
Freundin von ihr, die aber auch nicht in der Stadt wohnt. - Kennst
du die?«, fuhr er fort, indem er in einem Winkel plötzlich eine
Leinwanddecke von einem großen Bilde in die Höhe hob. Da war mir's
doch nicht anders, als wenn man in einer finsteren Stube die Laden
aufmacht und einem die Morgensonne auf einmal über die Augen blitzt,
es war - die schöne gnädige Frau! - Sie stand in einem schwarzen
Samtkleide im Garten und hob mit einer Hand den Schleier vom Gesicht
und sah still und freundlich in eine weite, prächtige Gegend hinaus.
Je länger ich hinsah, je mehr kam es mir vor, als wäre es der Garten
am Schlosse, und die Blumen und Zweige wiegten sich leise im Winde,
und unten in der Tiefe sähe ich mein Zollhäuschen und die Landstraße
weit durchs Grüne und die Donau und die fernen blauen Berge.

»Sie ist's, sie ist's!«, rief ich endlich, erwischte meinen Hut und rannte
rasch zur Tür hinaus, die vielen Treppen hinunter, und hörte nur noch,
dass mir der verwunderte Maler nachschrie, ich sollte gegen Abend wiederkommen,
da könnten wir vielleicht mehr erfahren!
Achtes Kapitel

Ich lief mit großer Eilfertigkeit durch die Stadt, um mich sogleich
wieder in dem Gartenhause zu melden, wo die schöne Frau gestern Abend
gesungen hatte. Auf den Straßen war unterdes alles lebendig geworden,
Herren und Damen zogen im Sonnenschein und neigten sich und grüßten
bunt durcheinander, prächtige Karossen rasselten dazwischen, und von
allen Türmen läutete es zur Messe, dass die Klänge über dem Gewühle
wunderbar in der klaren Luft durcheinander hallten. Ich war wie
betrunken von Freude und von dem Rumor und rannte in meiner Fröhlichkeit
immer gerade fort, bis ich zuletzt gar nicht mehr wusste, wo ich stand.
Es war wie verzaubert, als wäre der stille Platz mit dem Brunnen und
der Garten und das Haus bloß ein Traum gewesen und beim hellen Tageslicht
alles wieder von der Erde verschwunden.

Fragen konnte ich nicht, denn ich wusste den Namen des Platzes nicht.
Endlich fing es auch an sehr schwül zu werden, die Sonnenstrahlen
schossen recht wie sengende Pfeile auf das Pflaster, die Leute verkrochen
sich in die Häuser, die Jalousien wurden überall wieder zugemacht, und
es war auf einmal wie ausgestorben auf den Straßen. Ich warf mich
zuletzt ganz verzweifelt vor einem schönen großen Hause hin, vor dem
ein Balkon mit Säulen breiten Schatten warf, und betrachtete bald die
stille Stadt, die in der plötzlichen Einsamkeit bei heller Mittagsstunde
ordentlich schauerlich aussah, bald wieder den tiefblauen, ganz wolkenlosen
Himmel, bis ich endlich vor großer Ermüdung gar einschlummerte. Da träumte mir,
ich läge bei meinem Dorfe auf einer einsamen grünen Wiese, ein warmer
Sommerregen sprühte und glänzte in der Sonne, die soeben hinter den
Bergen unterging, und wie die Regentropfen auf den Rasen fielen,
waren es lauter schöne, bunte Blumen, sodass ich davon ganz überschüttet war.

Aber wie erstaunte ich, als ich erwachte und wirklich eine Menge schöner,
frischer Blumen auf und neben mir liegen sah! Ich sprang auf, konnte aber
nichts Besonderes bemerken, als bloß in dem Hause über mir ein Fenster ganz
oben voll von duftenden Sträuchern und Blumen, hinter denen ein Papagei
unablässig plauderte und kreischte. Ich las nun die zerstreuten Blumen auf,
band sie zusammen und steckte mir den Strauß vorn ins Knopfloch. Dann aber
fing ich an, mit dem Papagei ein wenig zu diskurrieren, denn es freute mich,
wie er in seinem vergoldeten Bauer mit allerlei Grimassen herauf- und herunterstieg
und sich dabei immer ungeschickt über die große Zehe trat. Doch ehe
ich michs versah, schimpfte er mich »furfante!« Wenn es gleich eine
unvernünftige Bestie war, so ärgerte es mich doch. Ich schimpfte ihn
wieder, wir gerieten endlich beide in Hitze, je mehr ich auf Deutsch
schimpfte, je mehr gurgelte er auf Italienisch wieder auf mich los.

Auf einmal hörte ich jemand hinter mir lachen. Ich drehte mich rasch um.
Es war der Maler von heute früh. »Was stellst du wieder für tolles Zeug an!«,
sagte er, »ich warte schon eine halbe Stunde auf dich. Die Luft ist wieder kühler,
wir wollen in einen Garten vor der Stadt gehen, da wirst du mehrere Landsleute
finden und vielleicht etwas Näheres von der deutschen Gräfin erfahren.«

Darüber war ich außerordentlich erfreut, und wir traten unseren Spaziergang
sogleich an, während ich den Papagei noch lange hinter mir drein schimpfen hörte.

Nachdem wir draußen vor der Stadt auf schmalen, steinigen Fußpfaden lange
zwischen Landhäusern und Weingärten hinaufgestiegen waren, kamen wir an einen
kleinen, hochgelegenen Garten, wo mehrere junge Männer und Mädchen im Grünen
um einen runden Tisch saßen. Sobald wir hineintraten, winkten uns alle zu,
uns still zu verhalten, und zeigten auf die andere Seite des Gartens hin.
Dort saßen in einer großen, grünverwachsenen Laube zwei schöne Frauen an
einem Tisch einander gegenüber. Die eine sang, die andere spielte Gitarre
dazu. Zwischen beiden hinter dem Tische stand ein freundlicher Mann, der
mit einem kleinen Stäbchen zuweilen den Takt schlug. Dabei funkelte die
Abendsonne durch das Weinlaub, bald über die Weinflaschen und Früchte,
womit der Tisch in der Laube besetzt war, bald über die vollen, runden,
blendend weißen Achseln der Frau mit der Gitarre. Die andere war wie
verzückt und sang auf Italienisch ganz außerordentlich künstlich, dass
ihr die Flechsen am Halse aufschwollen.

Wie sie nun soeben mit zum Himmel gerichteten Augen eine lange Kadenz
anhielt und der Mann neben ihr mit aufgehobenem Stäbchen auf den
Augenblick passte, wo sie wieder in den Takt einfallen würde, und keiner
im ganzen Garten zu atmen sich unterstand, da flog plötzlich die
Gartentür weit auf, und ein ganz erhitztes Mädchen und hinter ihr ein
junger Mensch mit einem feinen, bleichen Gesicht stürzten in großem
Gezänke herein. Der erschrockene Musikdirektor blieb mit seinem aufgehobenen
Stabe wie ein versteinerter Zauberer stehen, obgleich die Sängerin schon
längst den langen Triller plötzlich abgeschnappt hatte und zornig
aufgestanden war. Alle Übrigen zischten den Neuangekommenen wütend an.
»Barbar!«, rief ihm einer von dem runden Tische zu, »du rennst da mitten
in das sinnreiche Tableau von der schönen Beschreibung hinein, welche
der selige Hoffmann, Seite 347 des 'Frauentaschenbuches für 1816',
von dem schönsten Hummelschen Bilde gibt, das im Herbst 1814 auf der
Berliner Kunstausstellung zu sehen war!« - Aber das half alles nichts.
»Ach was!«, entgegnete der junge Mann, »mit euren Tableaus von Tableaus!
Mein selbsterfundenes Bild für die andern und mein Mädchen für mich
allein! So will ich es halten! O du Ungetreue, du Falsche!«, fuhr er
dann von neuem gegen das arme Mädchen fort, »du kritische Seele, die
in der Malerkunst nur den Silberblick und in der Dichterkunst nur
den goldenen Faden sucht und keinen Liebsten, sondern nur lauter
Schätze hat! Ich wünsche dir hinfüro, anstatt eines ehrlichen malerischen
Pinsels, einen alten Duca mit einer ganzen Münzgrube von Diamanten
auf der Nase und mit hellem Silberblicke auf der kahlen Platte und
mit Goldschnitt auf den paar noch übrigen Haaren! Ja, nur heraus
mit dem verruchten Zettel, den du da vorhin vor mir versteckt hast!
Was hast du wieder angezettelt? Von wem ist der Wisch, und an wen
ist er?«

Aber das Mädchen sträubte sich standhaft, und je eifriger die andern
den erbosten jungen Menschen umgaben und ihn mit großem Lärm zu trösten
und zu beruhigen suchten, desto erhitzter und toller wurde er von dem
Rumor, zumal das Mädchen auch ihr Mäulchen nicht halten konnte, bis sie
endlich weinend aus dem verworrenen Knäuel hervorflog und sich auf einmal
ganz unverhofft an meine Brust stürzte, um bei mir Schutz zu suchen. Ich
stellte mich auch sogleich in die gehörige Positur, aber da die andern in
dem Getümmel soeben nicht auf uns achtgaben, kehrte sie plötzlich das
Köpfchen nach mir herauf und flüsterte mir mit ganz ruhigem Gesicht sehr
leise und schnell ins Ohr: »Du abscheulicher Einnehmer! Um dich muss ich
das alles leiden. Da, steck den fatalen Zettel geschwind zu dir, du
findest darauf bemerkt, wo wir wohnen. Also zur bestimmten Stunde, wenn
du ins Tor kommst, immer die einsame Straße rechts fort!« -

Ich konnte vor Verwunderung kein Wort hervorbringen, denn wie ich sie
erst recht ansah, erkannte ich sie auf einmal: Es war wahrhaftig die
schnippische Kammerjungfer vom Schlosse, die mir damals an dem schönen
Sonntagsabende die Flasche mit Wein brachte. Sie war mir sonst niemals
so schön vorgekommen, als da sie sich jetzt so erhitzt an mich lehnte,
dass die schwarzen Locken über meinen Arm herabhingen. - »Aber,
verehrte Mamsell«, sagte ich voller Erstaunen, »wie kommen Sie -« -
»Um Gottes willen, still nur, jetzt still!«, erwiderte sie und sprang
geschwind von mir fort auf die andere Seite des Gartens, eh ich mich
noch auf alles recht besinnen konnte.

Unterdes hatten die andern ihr erstes Thema fast ganz vergessen,
zankten aber untereinander recht vergnüglich weiter, indem sie dem
jungen Menschen beweisen wollten, dass er eigentlich betrunken sei,
was sich für einen ehrliebenden Maler gar nicht schicke. Der runde,
fixe Mann aus der Laube, der - wie ich nachher erfuhr - ein großer
Kenner und Freund von Künsten war und aus Liebe zu den Wissenschaften
gern alles mitmachte, hatte auch sein Stäbchen weggeworfen und
flanierte mit seinem fetten Gesichte, das vor Freundlichkeit
ordentlich glänzte, eifrig mitten in dem dicksten Getümmel herum,
um alles zu vermitteln und zu beschwichtigen, während er dazwischen
immer wieder die lange Kadenz und das schöne Tableau bedauerte, das
er mit vieler Mühe zusammengebracht hatte.

Mir war es so sternklar im Herzen wie damals an dem glückseligen
Sonnabend, als ich am offenen Fenster vor der Weinflasche bis tief
in die Nacht hinein auf der Geige spielte. Ich holte, da der Rumor
gar kein Ende nehmen wollte, frisch meine Violine wieder hervor
und spielte, ohne mich lange zu besinnen, einen welschen Tanz auf,
den sie dort im Gebirge tanzen und den ich auf dem alten, einsamen
Waldschlosse gelernt hatte.

Da reckten alle die Köpfe in die Höh. »Bravo, bravissimo, ein
deliziöser Einfall!«, rief der lustige Kenner von den Künsten
und lief sogleich von einem zum andern, um ein ländliches
Divertissement, wie ers nannte, einzurichten. Er selbst machte
den Anfang, indem er der Dame die Hand reichte, die vorhin in
der Laube gespielt hatte. Er begann darauf außerordentlich künstlich
zu tanzen, schrieb mit den Fußspitzen allerlei Buchstaben auf den
Rasen, schlug ordentliche Triller mit den Füßen und machte von Zeit
zu Zeit ganz passable Luftsprünge. Aber er bekam es bald satt, denn
er war etwas korpulent. Er machte immer kürzere und ungeschicktere
Sprünge, bis er endlich ganz aus dem Kreise heraustrat und heftig
hustete und sich mit seinem schneeweißen Schnupftuche unaufhörlich
den Schweiß abwischte. Unterdes hatte auch der junge Mensch, der
nun wieder ganz gescheit geworden war, aus dem Wirtshause Kastagnetten
herbeigeholt, und ehe ich michs versah, tanzten alle unter den Bäumen
bunt durcheinander. Die untergegangene Sonne warf noch einige rote
Widerscheine zwischen die dunklen Schatten und über das alte Gemäuer
und die von Efeu wild überwachsenen, halb versunkenen Säulen hinten
im Garten, während man von der andern Seite tief unter den Weinbergen
die Stadt Rom in den Abendgluten liegen sah. Da tanzten sie alle
lieblich im Grünen in der klaren, stillen Luft, und mir lachte das
Herz recht im Leibe, wie die schlanken Mädchen und die Kammerjungfer
mitten unter ihnen sich mit aufgehobenen Armen wie heidnische
Waldnymphen zwischen dem Laubwerke schwangen und dabei jedes Mal in
der Luft mit den Kastagnetten lustig dazu schnalzten. Ich konnte
mich nicht länger halten, ich sprang mitten unter sie hinein und machte,
während ich dabei immerfort geigte, recht artige Figuren.

Ich mochte eine ziemliche Weile so im Kreise herumgesprungen sein
und merkte gar nicht, dass die andern unterdes anfingen müde zu
werden und sich nach und nach von dem Rasenplatze verloren. Da
zupfte mich jemand von hinten tüchtig an den Rockschößen. Es war
die Kammerjungfer. »Sei kein Narr«, sagte sie leise, »du springst
ja wie ein Ziegenbock! Studiere deinen Zettel ordentlich und komm
bald nach, die schöne, junge Gräfin wartet.« - Und damit schlüpfte
sie in der Dämmerung zur Gartenpforte hinaus und war bald zwischen
den Weingärten verschwunden.

Mir klopfte das Herz, ich wäre am liebsten gleich nachgesprungen.
Zum Glück zündete der Kellner, da es schon dunkel geworden war, in
einer großen Laterne an der Gartentür Licht an. Ich trat heran und
zog geschwind den Zettel heraus. Da war ziemlich kritzlich mit
Bleifeder das Tor und die Straße beschrieben, wie mir die
Kammerjungfer vorhin gesagt hatte. Dann stand: »Elf Uhr an der kleinen Tür.«

Da waren noch ein paar lange Stunden hin! Ich wollte mich dessen ungeachtet
sogleich auf den Weg machen, denn ich hatte keine Rast und Ruhe mehr;
aber da kam der Maler, der mich hierher gebracht hatte, auf mich los.
»Hast du das Mädchen gesprochen?«, fragte er, »ich seh sie nun nirgends
mehr; das war das Kammermädchen von der deutschen Gräfin.« - »Still,
still!«, erwiderte ich, »die Gräfin ist noch in Rom.« - »Nun, desto
besser«, sagte der Maler, »so komm und trink mit uns auf ihre Gesundheit!«
Und damit zog er mich, wie sehr ich mich auch sträubte, in den Garten zurück.

Da war es unterdes ganz öde und leer geworden. Die lustigen Gäste wanderten,
jeder sein Liebchen am Arme, nach der Stadt zu, und man hörte sie noch durch
den stillen Abend zwischen den Weingärten plaudern und lachen, immer ferner
und ferner, bis sich endlich die Stimmen tief in dem Tale im Rauschen der
Bäume und des Stromes verloren. Ich war noch mit meinem Maler und dem Herrn
Eckbrecht - so hieß der andere junge Maler, der sich vorhin so herumgezankt
hatte - allein oben zurückgeblieben. Der Mond schien prächtig im Garten
zwischen die hohen dunklen Bäume herein, ein Licht flackerte im Winde
auf dem Tische vor uns und schimmerte über den vielen vergessenen Wein
auf der Tafel. Ich musste mich mit hinsetzen, und mein Maler plauderte
mit mir über meine Herkunft, meine Reise und meinen Lebensplan. Herr
Eckbrecht aber hatte das junge, hübsche Mädchen aus dem Wirtshause, nachdem
sie uns Flaschen auf den Tisch gestellt, vor sich auf den Schoß genommen,
legte ihr die Gitarre in den Arm und lehrte sie ein Liedchen darauf
klimpern. Sie fand sich auch bald mit den kleinen Händchen zurecht,
und sie sangen dann zusammen ein italienisches Lied, einmal er, dann
wieder das Mädchen eine Strophe, was sich in dem schönen, stillen
Abend prächtig ausnahm. - Als das Mädchen dann weggerufen wurde,
lehnte sich Herr Eckbrecht mit der Gitarre auf die Bank zurück, legte
seine Füße auf einen Stuhl, der vor ihm stand, und sang nun für sich
allein viele herrliche deutsche und italienische Lieder, ohne sich
weiter um uns zu bekümmern. Dabei schienen die Sterne prächtig am
klaren Firmament, die ganze Gegend war wie versilbert vom Mondschein,
ich dachte an die schöne Frau, an die ferne Heimat und vergaß darüber
ganz meinen Maler neben mir. Zuweilen musste Herr Eckbrecht stimmen,
darüber wurde er immer ganz zornig. Er drehte und riss zuletzt an dem
Instrument, dass plötzlich eine Saite sprang. Da warf er die Gitarre hin
und sprang auf. Nun wurde er erst gewahr, dass mein Maler sich unterdes
über seinen Arm auf den Tisch gelegt hatte und fest eingeschlafen war.
Er warf schnell einen weißen Mantel um, der auf einem Aste neben dem
Tische hing, besann sich aber plötzlich, sah erst meinen Maler,
dann mich ein paarmal scharf an, setzte sich darauf, ohne sich
lange zu bedenken, gerade vor mich auf den Tisch hin, räusperte
sich, rückte an seiner Halsbinde und fing dann auf einmal an, eine
Rede an mich zu halten. »Geliebter Zuhörer und Landsmann!«, sagte er,
»da die Flaschen beinahe leer sind und die Moral unstreitig die erste
Bürgerpflicht ist, wenn die Tugenden auf die Neige gehen, so fühle
ich mich aus landsmännlicher Sympathie getrieben, dir einige
Moralität zu Gemüte zu führen. - Man könnte zwar meinen«, fuhr er
fort, »du seist ein bloßer Jüngling, während doch dein Frack über
seine besten Jahre hinaus ist; man könnte vielleicht annehmen,
du habest vorhin wunderliche Sprünge gemacht wie ein Satyr;
ja, einige möchten wohl behaupten, du seiest wohl gar ein
Landstreicher, weil du hier auf dem Lande bist und die Geige
streichst; aber ich kehre mich an solche oberflächlichen Urteile
nicht, ich halte mich an deine fein gespitzte Nase,
ich halte dich
für ein vazierendes Genie.« - Mich ärgerten die verfänglichen
Redensarten, ich wollte ihm soeben recht antworten. Aber er ließ
mich nicht zu Worte kommen. »Siehst du«, sagte er, »wie du dich
schon aufblähst von dem bisschen Lobe. Gehe in dich und bedenke
dies gefährliche Metier! Wir Genies - denn ich bin auch eins -
machen uns aus der Welt ebensowenig, als sie sich aus uns, wir
schreiten vielmehr ohne besondere Umstände in unseren Siebenmeilenstiefeln,
die wir bald mit auf die Welt bringen, gerade auf die Ewigkeit los.
Oh, höchst klägliche, unbequeme, breitgespreizte Position, mit dem
einen Beine in der Zukunft, wo nichts als Morgenrot und zukünftige
Kindergesichter dazwischen, mit dem andern Beine noch mitten in Rom
auf der Piazza del Popolo, wo das ganze Säkulum bei der guten
Gelegenheit mit will und sich an den Stiefel hängt, dass sie einem
das Bein ausreißen möchten! Und alle das Zucken, Weintrinken und
Hungerleiden lediglich für die unsterbliche Ewigkeit! Und siehe
meinen Herrn Kollegen dort auf der Bank, der gleichfalls ein Genie
ist; ihm wird die Zeit schon zu lang, was wird er erst in der
Ewigkeit anfangen?! Ja, hochgeschätzter Herr Kollege, du und ich
und die Sonne, wir sind heute früh zusammen aufgegangen und haben
den ganzen Tag gebrütet und gemalt, und es war alles schön - und
nun fährt die schläfrige Nacht mit ihrem Pelzärmel über die Welt
und hat alle Farben verwischt.« Er sprach noch immerfort und war
dabei mit seinen verwirrten Haaren von dem Tanzen und Trinken im
Mondschein ganz leichenblass anzusehen.

Mir aber graute schon lange vor ihm und seinem wilden Gerede,
und als er sich nun förmlich zu dem schlafenden Maler herumwandle,
benutzte ich die Gelegenheit, schlich, ohne dass er es bemerkte, um
den Tisch aus dem Garten heraus und stieg, allein und fröhlich im
Herzen, an dem Rebengeländer in das weite, vom Mondschein beglänzte
Tal hinunter.

Von der Stadt her schlugen die Uhren zehn. Hinter mir hörte ich
durch die stille Nacht noch einzelne Gitarrenklänge und manchmal
die Stimmen der beiden Maler, die nun auch nach Hause gingen, von
fern herüberschallen. Ich lief daher so schnell als ich nur konnte,
damit sie mich nicht weiter ausfragen sollten.

Am Tore bog ich sogleich rechts in die Straße ein und ging mit
klopfendem Herzen eilig zwischen den stillen Häusern und Gärten
fort. Aber wie erstaunte ich, als ich da auf einmal auf dem Platze
mit dem Springbrunnen herauskam, den ich heute am Tage gar nicht
hatte finden können. Da stand das einsame Gartenhaus wieder, im
prächtigsten Mondschein, und auch die schöne Frau sang im Garten
wieder dasselbe italienische Lied, wie gestern Abend. - Ich rannte
voller Entzücken erst an die kleine Tür, dann an die Haustür und
endlich mit aller Gewalt an das große Gartentor, aber es war alles
verschlossen. Nun fiel mir erst ein, dass es noch nicht elf
geschlagen hatte. Ich ärgerte mich über die langsame Zeit, aber
über das Gartentor klettern, wie gestern, mochte ich wegen der guten
Lebensart nicht. Ich ging daher ein Weilchen auf dem einsamen Platze
auf und ab und setzte mich endlich wieder auf den steinernen Brunnen
voller Gedanken und stiller Erwartung hin.

Die Sterne funkelten am Himmel, auf dem Platze war alles leer und
still, ich hörte voll Vergnügen dem Gesange der schönen Frau zu,
der zwischen dem Rauschen des Brunnens aus dem Garten herüberklang.
Da erblickt ich auf einmal eine weiße Gestalt, die von der anderen
Seite des Platzes herkam und gerade auf die kleine Gartentür zuging.
Ich blickte durch den Mondflimmer recht scharf hin - es war der wilde
Maler in seinem weißen Mantel. Er zog schnell einen Schlüssel hervor,
schloss auf, und ehe ich michs versah, war er im Garten drin.

Nun hatte ich gegen den Maler schon von Anfang eine absonderliche
Pike wegen seiner unvernünftigen Reden. Jetzt aber geriet ich ganz
außer mir vor Zorn. Das liederliche Genie ist gewiss wieder betrunken,
dachte ich, den Schlüssel hat er von der Kammerjungfrau und will nun
die gnädige Frau beschleichen, verraten, überfallen. - Und so stürzte
ich durch das kleine, offen gebliebene Pförtchen in den Garten hinein.

Als ich eintrat, war es ganz still und einsam drin. Die Flügeltür vom
Gartenhause stand offen, ein milchweißer Lichtschein drang daraus hervor
und spielte auf dem Grase und den Blumen vor der Tür. Ich blickte von
Weitem herein. Da lag in einem prächtigen grünen Gemach, das von einer
weißen Lampe nur wenig erhellt war, die schöne gnädige Frau, mit der
Gitarre im Arm, auf einem seidenen Faulbettchen, ohne in ihrer
Unschuld an die Gefahren draußen zu denken.

Ich hatte aber nicht lange Zeit, hinzusehen, denn ich bemerkte soeben,
dass die weiße Gestalt von der andern Seite ganz behutsam hinter den
Sträuchern nach dem Gartenhause zuschlich. Dabei sang die gnädige
Frau so kläglich aus dem Hause, dass es mir recht durch Mark und Bein
ging. Ich besann mich daher nicht lange, brach einen tüchtigen Ast ab,
rannte damit gerade auf den Weißmantel los und schrie aus vollem Halse
»Mordio!«, dass der ganze Garten erzitterte.

Der Maler, wie er mich so unverhofft daherkommen sah, nahm schnell
Reißaus und schrie entsetzlich. Ich schrie noch besser, er lief nach
dem Hause zu, ich ihm nach - und ich hatte ihn beinahe schon erwischt,
da verwickelte ich mich mit den Füßen in den fatalen Blumenstücken
und stürzte auf einmal der Länge nach vor der Haustür hin.

»Also du bist es, Narr!«, hört ich da über mir ausrufen, »hast du
mich doch fast zum Tode erschreckt.« - Ich raffte mich geschwind
wieder auf, und wie ich mir den Sand und die Erde aus den Augen
wischte, steht die Kammerjungfer vor mir, die soeben bei dem
letzten Sprunge den weißen Mantel von der Schulter verloren hatte.
»Aber«, sagte ich ganz verblüfft, »war denn der Maler nicht hier?« -
»Ja freilich«, entgegnete sie schnippisch, »sein Mantel wenigstens,
den er mir, als ich ihm vorhin im Tor begegnete, umgehängt hat,
weil mich fror.« - Über dem Geplauder war nun auch die gnädige
Frau von ihrem Sofa aufgesprungen und kam zu uns an die Tür. Mir
klopfte das Herz zum Zerspringen. Aber wie erschrak ich, als ich
recht hinsah und anstatt der schönen gnädigen Frau auf einmal eine
ganz fremde Person erblickte!

Es war eine etwas große, korpulente, mächtige Dame mit einer
stolzen Adlernase und hochgewölbten schwarzen Augenbrauen, so
recht zum Erschrecken schön. Sie sah mich mit ihren großen,
funkelnden Augen so majestätisch an, dass ich mich vor Ehrfurcht
gar nicht zu fassen wusste. Ich war ganz verwirrt, ich machte in
einem fort Komplimente und wollte ihr zuletzt gar die Hand küssen.
Aber sie riss ihre Hand schnell weg und sprach dann auf Italienisch
zu der Kammerjungfer, wovon ich nichts verstand.

Unterdes aber war von dem vorigen Geschrei die ganze Nachbarschaft
lebendig geworden. Hunde bellten, Kinder schrien, zwischendurch
hörte man einige Männerstimmen, die immer näher und näher auf
den Garten zukamen. Da blickte mich die Dame noch einmal an, als
wenn sie mich mit feurigen Kugeln durchbohren wollte, wandte sich
dann rasch nach dem Zimmer zurück, während sie dabei stolz und
gezwungen auflachte, und warf mir die Tür vor der Nase zu. Die
Kammerjungfer aber erwischte mich ohne weiteres beim Flügel und
zerrte mich nach der Gartenpforte.

»Da hast du wieder einmal recht dummes Zeug gemacht«, sagte sie
unterwegs voller Bosheit zu mir. Ich wurde auch schon giftig. »Nun,
zum Teufel!«, sagte ich, »habt Ihr mich denn nicht selbst hierher
bestellt?« - »Das ists ja eben«, rief die Kammerjungfer, »meine
Gräfin meinte es so gut mit dir, wirft dir erst Blumen aus dem
Fenster zu, singt Arien - und das ist nun ihr Lohn! Aber mit dir
ist nun einmal nichts anzufangen; du trittst dein Glück ordentlich
mit Füßen.« - »Aber«, erwiderte ich, »ich meinte die Gräfin aus
Deutschland, die schöne gnädige Frau.« - »Ach«, unterbrach sie
mich, »die ist ja lange schon wieder in Deutschland, mitsamt
deiner tollen Amour. Und da lauf du nur auch wieder hin! Sie
schmachtet ohnedies nach dir, da könnt ihr zusammen die Geige
spielen und in den Mond gucken, aber dass du mir nicht wieder
unter die Augen kommst!«

Nun aber entstand ein entsetzlicher Rumor und Spektakel hinter
uns. Aus dem andern Garten kletterten Leute mit Knüppeln hastig
über den Zaun, andere fluchten und durchsuchten schon die Gänge,
desperate Gesichter mit Schlafmützen guckten im Mondschein bald
da, bald dort über die Hecken, es war, als wenn der Teufel auf
einmal aus allen Hecken und Sträuchern Gesindel heckte. - Die
Kammerjungfer fackelte nicht lange. »Dort, dort läuft der Dieb!«, schrie sie den
Leuten zu, indem sie dabei auf die andere Seite des
Gartens zeigte. Dann schob sie mich schnell aus dem Garten und
klappte das Pförtchen hinter mir zu.

Da stand ich nun unter Gottes freiem Himmel wieder auf dem stillen
Platze mutterseelenallein, wie ich gestern angekommen war. Die
Wasserkunst, die mir vorhin im Mondschein so lustig flimmerte,
als wenn Engelein darin auf- und niederstiegen, rauschte noch
fort wie damals, mir aber war unterdes alle Lust und Freude in
den Brunnen gefallen. Ich nahm mir nun fest vor, dem falschen
Italien mit seinen verrückten Malern, Pomeranzen und Kammerjungfern
auf ewig den Rücken zu kehren, und wanderte noch zur selbigen Stunde
zum Tore hinaus.
Neuntes Kapitel
Die treuen Berg stehn auf der Wacht:
»Wer streicht bei stiller Morgenzeit
Da aus der Fremde durch die Heid'?« -
Ich aber mir die Berg' betracht'
Und lach' in mir vor großer Lust
Und rufe recht aus frischer Brust
Parol' und Feldgeschrei sogleich:
Vivat Österreich!
Da kennt mich erst die ganze Rund',
Nun grüßen Bach und Vöglein zart
Und Wälder rings nach Landesart,
Die Donau blitzt aus tiefem Grund,
Der Stephansturm auch ganz von fern
Guckt übern Berg und säh' mich gern,
Und ist er's nicht, so kommt er doch gleich -
Vivat Österreich!
|

Ich stand auf einem hohen Berge, wo man zum ersten Male nach Österreich
hineinsehen kann, und schwenkte voller Freude noch mit dem Hute und
sang die letzte Strophe, da fiel auf einmal hinter mir im Walde eine
prächtige Musik von Blasinstrumenten mit ein. Ich dreh mich schnell
um und erblickte drei junge Gesellen in langen blauen Mänteln, davon
bläst der eine Oboe, der andere die Klarinette, und der dritte, der
einen alten Dreistutzer auf dem Kopfe hatte, das Waldhorn - die
akkompagnierten mich plötzlich, dass der ganze Wald erschallte.
Ich, nicht zu faul, ziehe meine Geige hervor und spiele und singe
sogleich frisch mit. Da sah einer den andern bedenklich an, der
Waldhornist ließ dann zuerst seine Pausbacken wieder einfallen
und setzte sein Waldhorn ab, bis am Ende alle stille wurden und
mich anschauten. Ich hielt verwundert ein und sah sie auch an. -
»Wir meinten«, sagte endlich der Waldhornist, »weil der Herr so
einen langen Frack hat, der Herr wäre ein reisender Engländer,
der hier zu Fuß die schöne Natur bewundert; da wollten wir uns
ein Viatikum verdienen. Aber, mir scheint, der Herr ist selber
ein Musikant.« - »Eigentlich ein Einnehmer«, versetzte ich, »und
komme direkt von Rom her, da ich aber seit geraumer Zeit nichts
mehr eingenommen, so habe ich mich unterwegs mit der Violine
durchgeschlagen.« - »Bringt nicht viel heutzutage!«, sagte der
Waldhornist, der unterdes wieder an den Wald zurückgetreten war
und mit seinem Dreistutzer ein kleines Feuer anfachte, das sie
dort angezündet hatten. »Da gehen die blasenden Instrumente schon
besser«, fuhr er fort; »wenn so eine Herrschaft ganz ruhig zu
Mittag speist und wir treten unverhofft in das gewölbte Vorhaus
und fangen alle drei aus Leibeskräften zu blasen an - gleich
kommt ein Bedienter herausgesprungen mit Geld oder Essen, damit
sie nur den Lärm wieder loswerden. Aber will der Herr nicht eine
Kollation mit uns einnehmen?«

Das Feuer loderte nun recht lustig im Walde, der Morgen war frisch,
wir setzten uns alle ringsumher auf den Rasen, und zwei von den
Musikanten nahmen ein Töpfchen, worin Kaffee und auch schon Milch war,
vom Feuer, holten Brot aus ihren Manteltaschen hervor und tunkten und
tranken abwechselnd aus dem Topfe, und es schmeckte ihnen so gut, dass
es ordentlich eine Lust war anzusehen. - Der Waldhornist aber sagte:
»Ich kann das schwarze Gesöff nicht vertragen« und reichte mir dabei
die eine Hälfte von einer großen, übereinandergelegten Butterschnitte,
dann brachte er eine Flasche Wein zum Vorschein. »Will der Herr nicht
auch einen Schluck?« - Ich tat einen tüchtigen Zug, musste aber schnell
wieder absetzen und das ganze Gesicht verziehen, denn er schmeckte wie
Dreimännerwein. »Hiesiges Gewächs«, sagte der Waldhornist, »aber der
Herr hat sich in Italien den deutschen Geschmack verdorben.«

Darauf kramte er eifrig in seinem Schubsack und zog endlich unter
allerlei Plunder eine alte, zerfetzte Landkarte hervor, worauf noch
der Kaiser in vollem Ornate zu sehen war, den Zepter in der rechten,
den Reichsapfel in der linken Hand. Er breitete sie auf dem Boden
behutsam auseinander, die andern rückten näher heran, und sie
beratschlagten nun zusammen, was sie für eine Marschroute nehmen sollten.

»Die Vakanz geht bald zu Ende«, sagte der eine, »wir müssen uns
gleich von Linz links abwenden, so kommen wir noch bei guter Zeit
nach Prag.« »Nun wahrhaftig!«, rief der Waldhornist, »wem willst du
da was vorpfeifen? Nichts als Wälder und Kohlenbauern, kein geläuterter
Kunstgeschmack, keine vernünftige, freie Station!« - »Oh, Narrenspossen!«,
erwiderte der andere, »die Bauern sind mir gerade die Liebsten, die wissen
am besten, wo einen der Schuh drückt, und nehmens nicht so genau, wenn
man manchmal eine falsche Note bläst.« - »Das macht, du hast kein Point
d'honneur«, versetzte der Waldhornist, »odi profanum vulgus et arceo,
sagt der Lateiner.« - »Nun, Kirchen aber muss es auf der Tour doch geben«,
meinte der Dritte, »so kehren wir bei den Herren Pfarrern ein.« -
»Gehorsamster Diener!«, sagte der Waldhornist, »die geben kleines
Geld und große Sermone, dass wir nicht so unnütz in der Welt
herumschweifen, sondern uns besser auf die Wissenschaften applizieren
sollen, besonders wenn sie in mir den künftigen Herrn Konfrater
wittern. Nein, nein, Clericus clericum non decimat. Aber was gibt
es denn da überhaupt für große Not? Die Herren Professoren sitzen
auch noch im Karlsbade und halten selbst den Tag nicht so genau ein.« -
»Ja, distinguendum est inter et inter«, erwiderte der andere,
»quod licet Jovi, non licet bovi!«

Ich aber merkte nun, dass es Prager Studenten waren, und bekam einen
ordentlichen Respekt vor ihnen, besonders da ihnen das Latein nur
so wie Wasser von dem Munde floss. - »Ist der Herr auch ein Studierter?«,
fragte mich darauf der Waldhornist. Ich erwiderte bescheiden, dass ich
immer besondere Lust zum Studieren, aber kein Geld gehabt hätte. -
»Das tut gar nichts«, rief der Waldhornist, »wir haben auch weder Geld
noch reiche Freundschaft. Aber ein gescheiter Kopf muss sich zu helfen
wissen. Aurora musis amica, das heißt zu Deutsch: Mit vielem Frühstücken
sollst du dir nicht die Zeit verderben. Aber wenn dann die Mittagsglocken
von Turm zu Turm und von Berg zu Berg über die Stadt gehen und nun die
Schüler auf einmal mit großem Geschrei aus dem alten, finstern Kollegium
herausbrechen und im Sonnenscheine durch die Gassen schwärmen - da
begeben wir uns bei den Kapuzinern zum Pater Küchenmeister und finden
unseren gedeckten Tisch, und ist er auch nicht gedeckt, so steht doch
für jeden ein voller Topf darauf, da fragen wir nicht viel danach und
essen und perfektionieren uns dabei noch im Lateinischsprechen. Sieht
der Herr, so studieren wir von einem Tage zum andern fort. Und wenn
dann endlich die Vakanz kommt und die anderen fahren und reiten zu
ihren Eltern fort, da wandern wir mit unseren Instrumenten unterm
Mantel durch die Gassen zum Tore hinaus, und die ganze Welt steht
uns offen.«

Ich weiß nicht - wie er so erzählte - ging es mir recht durchs Herz,
dass so gelehrte Leute so ganz verlassen sein sollten auf der Welt.
Ich dachte dabei an mich, wie es mir eigentlich selber nicht anders
ginge, und die Tränen traten mir in die Augen. Der Waldhornist sah
mich groß an. »Das tut gar nichts«, fuhr er wieder weiter fort, »ich
möchte gar nicht so reisen: Pferde und Kaffee und frisch überzogene
Betten und Nachtmützen und Stiefelknecht vorausbestellt. Das ist just
das Schönste, wenn wir so frühmorgens heraustreten und die Zugvögel
hoch über uns fortziehen, dass wir gar nicht wissen, welcher Schornstein
heut für uns raucht, und gar nicht voraussehen, was uns bis zum Abend
noch für ein besonderes Glück begegnen kann.« - »Ja«, sagte der andere,
»und wo wir hinkommen und unsere Instrumente herausziehen, wird alles
fröhlich, und wenn wir dann zur Mittagsstunde auf dem Lande in ein
Herrschaftshaus treten und im Hausflur blasen, da tanzen die Mägde
miteinander vor der Haustür, und die Herrschaft lässt die Saaltür
etwas aufmachen, damit sie die Musik drin besser hören, und durch
die Lücke kommt das Tellergeklapper und der Bratenduft in den
freudenreichen Schall herausgezogen, und die Fräuleins an der Tafel
verdrehen sich fast die Hälse, um die Musikanten draußen zu sehen.« -
»Wahrhaftig«, rief der Waldhornist mit leuchtenden Augen aus, »lasst
die andern nur ihre Kompendien repetieren, wir studieren unterdes in
dem großen Bilderbuche, das der liebe Gott uns draußen aufgeschlagen
hat! Ja, glaub nur der Herr, aus uns werden gerade die rechten Kerls,
die den Bauern dann was zu erzählen wissen und mit der Faust auf die
Kanzel schlagen, dass den Knollfinken unten vor Erbauung und
Zerknirschung das Herz im Leibe bersten möchte.«

Wie sie so sprachen, wurde mir so lustig in meinem Sinn, dass ich
gleich auch hätte mit studieren mögen. Ich konnte mich gar nicht satthören,
denn ich unterhalte mich gern mit studierten Leuten, wo man
etwas profitieren kann. Aber es konnte gar nicht zu einem recht
vernünftigen Diskurse kommen. Denn dem einen Studenten war vorhin
angst geworden, weil die Vakanz so bald zu Ende gehen sollte. Er
hatte daher hurtig sein Klarinett zusammengesetzt, ein Notenblatt
vor sich auf das aufgestemmte Knie hingelegt und exerzierte sich
eine schwierige Passage aus einer Messe ein, die er mitblasen
sollte, wenn sie nach Prag zurückkamen. Da saß er nun und fingerte
und pfiff dazwischen manchmal so falsch, dass es einem durch Mark
und Bein ging und man oft sein eigenes Wort nicht verstehen konnte.

Auf einmal schrie der Waldhornist mit seiner Bassstimme: »Topp, da
hab ich es«, er schlug dabei fröhlich auf die Landkarte neben ihm.
Der andere ließ auf einen Augenblick von seinem fleißigen Blasen ab
und sah ihn verwundert an. »Hört«, sagte der Waldhornist, »nicht
weit von Wien ist ein Schloss, auf dem Schlosse ist ein Portier,
und der Portier ist mein Vetter! Teuerste Kondiszipels, da müssen
wir hin, machen dem Herrn Vetter unser Kompliment, und er wird
dann schon dafür sorgen, wie er uns wieder weiter fortbringt!« -
Als ich das hörte, fuhr ich geschwind auf »Bläst er nicht auf dem
Fagott?«, rief ich, »und ist von langer, gerader Beschaffenheit und
hat eine große, vornehme Nase?« - Der Waldhornist nickte mit dem Kopfe.
Ich aber embrassierte ihn vor Freuden, dass ihm der Dreistutzer vom
Kopfe fiel, und wir beschlossen nun sogleich, alle miteinander im
Postschiffe auf der Donau nach dem Schlosse der schönen Gräfin
hinunterzufahren.

Als wir an das Ufer kamen, war schon alles zur Abfahrt bereit.
Der dicke Gastwirt, bei dem das Schiff über Nacht angelegt hatte,
stand breit und behaglich in seiner Haustür, die er ganz ausfüllte,
und ließ zum Abschied allerlei Witze und Redensarten erschallen,
während in jedem Fenster ein Mädchenkopf herausfuhr und den Schiffern
noch freundlich zunickte, die soeben die letzten Pakete nach dem
Schiffe schafften. Ein ältlicher Herr mit einem grauen Überrock
und schwarzem Halstuch, der auch mitfahren wollte, stand am Ufer
und sprach sehr eifrig mit einem jungen, schlanken Bürschchen,
das mit langen ledernen Beinkleidern und knapper scharlachroter
Jacke vor ihm auf einem prächtigen Engländer saß. Es schien mir
zu meiner großen Verwunderung, als wenn sie beide zuweilen nach
mir blickten und von mir sprächen. - Zuletzt lachte der alte Herr,
das schlanke Bürschchen schnalzte mit der Reitgerte und sprengte,
mit den Lerchen über ihm um die Wette, durch die Morgenluft in
die blitzende Landschaft hinein.

Unterdes hatten die Studenten und ich unsere Kasse zusammengeschossen.
Der Schiffer lachte und schüttelte den Kopf, als ihm der Waldhornist
damit unser Fährgeld in lauter Kupferstücken aufzählte, die wir
mit großer Not aus allen unseren Taschen zusammengebracht hatten.
Ich aber jauchzte laut auf, als ich auf einmal wieder die Donau
so recht vor mir sah; wir sprangen geschwind auf das Schiff hinauf,
der Schiffer gab das Zeichen, und so flogen wir nun im schönsten
Morgenglanze zwischen den Bergen und Wiesen hinunter.

Da schlugen die Vögel im Walde, und von beiden Seiten klangen
die Morgenglocken von fern aus den Dörfern, hoch in der Luft
hörte man manchmal die Lerchen dazwischen. Von dem Schiffe aber
jubilierte und schmetterte ein Kanarienvogel mit darein, dass es
eine rechte Lust war.

Der gehörte einem hübschen jungen Mädchen, die auch mit auf dem
Schiffe war. Sie hatte den Käfig dicht neben sich stehen, von der
andern Seite hielt sie ein feines Bündel Wäsche unterm Arm, so saß
sie ganz still für sich und sah recht zufrieden bald auf ihre neuen
Reiseschuhe, die unter dem Röckchen hervorkamen, bald wieder in das
Wasser vor sich hinunter, und die Morgensonne glänzte ihr dabei auf
der weißen Stirn, über der sie die Haare sehr sauber gescheitelt
hatte. Ich merkte wohl, dass die Studenten gern einen höflichen
Diskurs mit ihr angesponnen hätten, denn sie gingen immer an ihr
vorüber, und der Waldhornist räusperte sich dabei und rückte bald
an seiner Halsbinde, bald an dem Dreistutzer. Aber sie hatten
keine rechte Courage, und das Mädchen schlug auch jedes Mal die
Augen nieder, sobald sie ihr näher kamen.

Besonders aber genierten sie sich vor dem ältlichen Herrn mit
dem grauen Überrocke, der nun auf der andern Seite des Schiffes
saß und den sie gleich für einen Geistlichen hielten. Er hatte ein
Brevier vor sich, in welchem er las, dazwischen aber oft in die
schöne Gegend von dem Buche aufsah, dessen Goldschnitt und die
vielen dareingelegten bunten Heiligenbilder prächtig im Morgenscheine
blitzten. Dabei bemerkte er auch sehr gut, was auf dem Schiffe
vorging, und erkannte bald die Vögel an ihren Federn; denn es dauerte
nicht lange, so redete er einen von den Studenten lateinisch an,
worauf alle drei herantraten, die Hüte vor ihm abnahmen und ihm
wieder lateinisch antworteten.

Ich aber hatte mich unterdes ganz vorn auf die Spitze des
Schiffes gesetzt, ließ vergnügt meine Beine über dem Wasser
herunterbaumeln und blickte, während das Schiff so fortflog
und die Wellen unter mir rauschten und schäumten, immerfort
in die blaue Ferne, wie da ein Turm und ein Schloss nach dem
andern aus dem Ufergrün hervorkam, wuchs und wuchs, und endlich
hinter uns wieder verschwand. Wenn ich nur heute Flügel hätte!,
dachte ich, und zog endlich vor Ungeduld meine liebe Violine
hervor und spielte alle meine ältesten Stücke durch, die ich
noch zu Hause und auf dem Schloss der schönen Frau gelernt hatte.

Auf einmal klopfte mir jemand von hinten auf die Achsel. Es
war der geistliche Herr, der unterdes sein Buch weggelegt und
mir schon ein Weilchen zugehört hatte. »Ei«, sagte er lachend
zu mir, »ei, ei, Herr ludi magister, Essen und Trinken vergisst
Er.« Er hieß mich darauf meine Geige einstecken, um einen Imbiss
mit ihm einzunehmen, und führte mich zu einer kleinen, lustigen
Laube, die von den Schiffern aus jungen Birken und Tannenbäumchen
in der Mitte des Schiffes aufgerichtet worden war. Dort hatte er
einen Tisch hinstellen lassen, und ich, die Studenten und selbst
das junge Mädchen, wir mussten uns auf die Fässer und Pakete
ringsherum setzen.

Der geistliche Herr packte nun einen großen Braten und
Butterschnitten aus, die sorgfältig in Papier gewickelt waren,
zog auch aus einem Futteral mehrere Weinflaschen und einen
silbernen, innerlich vergoldeten Becher hervor, schenkte ein,
kostete erst, roch daran und prüfte wieder und reichte dann
einem jeden von uns. Die Studenten saßen ganz kerzengerade
auf ihren Fässern und aßen und tranken nur sehr wenig vor
großer Devotion. Auch das Mädchen tauchte bloß das Schnäbelchen
in den Becher und blickte dabei schüchtern bald auf mich,
bald auf die Studenten, aber je öfter sie uns ansah, je
dreister wurde sie nach und nach.

Sie erzählte endlich dem geistlichen Herrn, dass sie nun
zum ersten Male von Hause in Kondition komme und soeben
auf das Schloss ihrer neuen Herrschaft reise. Ich wurde über
und über rot, denn sie nannte dabei das Schloss der schönen
gnädigen Frau. - Also das soll meine zukünftige Kammerjungfer
sein!, dachte ich und sah sie groß an, und mir schwindelte fast
dabei. - »Auf dem Schlosse wird es bald eine große Hochzeit
geben«, sagte darauf der geistliche Herr. »Ja«, erwiderte das
Mädchen, die gern von der Geschichte mehr gewusst hätte; »man sagt,
es wäre schon eine alte, heimliche Liebschaft gewesen, die Gräfin
hätte es aber niemals zugeben wollen.« Der Geistliche antwortete
nur mit »Hm, hm«, während er seinen Jagdbecher vollschenkte
und mit bedenklichen Mienen daraus nippte. Ich aber hatte
mich mit beiden Armen weit über den Tisch vorgelegt, um die
Unterredung recht genau anzuhören. Der geistliche Herr bemerkte
es. »Ich kanns Euch wohl sagen«, hub er wieder an, »die beiden
Gräfinnen haben mich auf Kundschaft ausgeschickt, ob der Bräutigam
schon vielleicht hier in der Gegend sei. Eine Dame aus Rom hat
geschrieben, dass er schon lange von dort fort sei.« - Wie er
von der Dame aus Rom anfing, wurd ich wieder rot. »Kennen denn
Euer Hochwürden den Bräutigam?«, fragte ich ganz verwirrt. -
»Nein«, erwiderte der alte Herr, »aber er soll ein luftiger
Vogel sein.« - »O ja«, sagte ich hastig, »ein Vogel, der aus
jedem Käfig ausreißt, sobald er nur kann, und lustig singt,
wenn er wieder in der Freiheit ist.« - »Und sich in der
Fremde herumtreibt«, fuhr der Herr gelassen fort, »in der
Nacht gassatim geht und am Tage vor den Haustüren schläft.« -
Mich verdross das sehr. »Ehrwürdiger Herr«, rief ich ganz
hitzig aus, »da hat man Euch falsch berichtet. Der Bräutigam
ist ein moralischer, schlanker, hoffnungsvoller Jüngling, der in
Italien in einem alten Schlosse auf großem Fuß gelebt hat, der
mit lauter Gräfinnen, berühmten Malern und Kammerjungfern
umgegangen ist, der sein Geld sehr wohl zurate zu halten weiß,
wenn er nur welches hätte, der -« - »Nun, nun, ich wusste nicht,
dass Ihr ihn so gut kennt«, unterbrach mich hier der Geistliche
und lachte dabei so herzlich, dass er ganz blau im Gesichte
wurde und ihm die Tränen aus den Augen rollten. - »Ich hab
doch aber gehört«, ließ sich nun das Mädchen wieder vernehmen,
»der Bräutigam wäre ein großer, überaus reicher Herr.« -
»Ach Gott, ja doch, ja! Konfusion, nichts als Konfusion!«,
rief der Geistliche und konnte sich noch immer vor Lachen
nicht zugute geben, bis er sich endlich ganz verhustete.
Als er sich wieder ein wenig erholt hatte, hob er den Becher
in die Höh und rief: »Das Brautpaar soll leben!« - Ich wusste
gar nicht, was ich von dem Geistlichen und seinem Gerede denken
sollte, ich schämte mich aber wegen der römischen Geschichten,
ihm hier vor allen Leuten zu sagen, dass ich selber der verlorene,
glückselige Bräutigam sei.

Der Becher ging wieder fleißig in die Runde, der geistliche Herr
sprach dabei freundlich mit allen, sodass ihm bald ein jeder gut
wurde und am Ende alles fröhlich durcheinander sprach. Auch die
Studenten wurden immer redseliger und erzählten von ihren Fahrten
im Gebirge, bis sie endlich gar ihre Instrumente holten und lustig
zu blasen anfingen. Die kühle Wasserluft strich dabei durch die
Zweige der Laube, die Abendsonne vergoldete schon die Wälder und
Täler, die schnell an uns vorüberflogen, während die Ufer von den
Waldhornklängen widerhallten. - Und als dann der Geistliche von
der Musik immer vergnügter wurde und lustige Geschichten aus
seiner Jugend erzählte, wie auch er zur Vakanz über Berge und
Täler gezogen und oft hungrig und durstig, aber immer fröhlich
gewesen, und wie eigentlich das ganze Studentenleben eine große
Vakanz sei zwischen der engen, düsteren Schule und der ernsten
Amtsarbeit - da tranken die Studenten noch einmal herum und
stimmten dann frisch ein Lied an, dass es weit in die Berge
hineinschallte:
Nach Süden nun sich lenken
Die Vöglein allzumal,
Viel Wandrer lustig schwenken
Die Hüt' im Morgenstrahl.
Das sind die Herrn Studenten,
Zum Tor hinaus es geht,
Auf ihren Instrumenten
Sie blasen zum Valet.
Ade in die Läng' und Breite,
O Prag, wir ziehn in die Weite:
Et habeat bonam pacem,
Qui sedet post fornacem!
Nachts wir durchs Städtlein schweifen,
Die Fenster schimmern weit,
Am Fenster drehn und schleifen
Viel schön geputzte Leut'.
Wir blasen vor den Türen
Und haben Durst genung,
Das kommt vom Musizieren,
Herr Wirt, ein' frischen Trunk!
Und siehe, über ein kleines
Mit einer Kanne Weines
Venit ex sua domo -
Beatus ille homo!
Nun weht schon durch die Wälder
Der kalte Boreas,
Wir streichen durch die Felder,
Von Schnee und Regen nass,
Der Mantel fliegt im Winde,
Zerrissen sind die Schuh',
Da blasen wir geschwinde
Und singen noch dazu:
Beatus ille homo
Qui sedet in sua domo
Et sedet post fornacem
Et habet bonam pacem!
|

Ich, die Schiffer und das Mädchen, obgleich wir alle kein
Latein verstanden, stimmten jedesmal jauchzend in den letzten
Vers mit ein, ich aber jauchzte am allervergnügtesten, denn
ich sah soeben von fern mein Zollhäuschen und bald darauf
auch das Schloss in der Abendsonne über die Bäume hervorkommen.
Zehntes Kapitel

Das Schiff stieß an das Ufer, wir sprangen schnell ans Land und verteilten
uns nun nach allen Seiten im Grünen, wie Vögel, wenn das Gebauer plötzlich
aufgemacht wird. Der geistliche Herr nahm eiligen Abschied und ging mit großen
Schritten nach dem Schlosse zu. Die Studenten dagegen wanderten eifrig nach
einem abgelegenen Gebüsch, wo sie noch geschwind ihre Mäntel ausklopfen, sich
in dem vorüberfließenden Bache waschen und einer den andern rasieren wollten.
Die neue Kammerjungfer endlich ging mit ihrem Kanarienvogel und ihrem Bündel
unterm Arm nach dem Wirtshause unter dem Schlossberge, um bei der Frau Wirtin,
die ich ihr als eine gute Person rekommandiert hatte, ein besseres Kleid
anzulegen, ehe sie sich oben im Schlosse vorstellte. Mir aber leuchtete der
schöne Abend recht durchs Herz, und als sie sich nun alle verlaufen hatten,
bedachte ich mich nicht lange und rannte sogleich nach dem herrschaftlichen
Garten hin. Mein Zollhaus, an dem ich vorbei musste, stand noch auf der alten
Stelle, die hohen Bäume aus dem herrschaftlichen Garten rauschten noch immer
darüber hin, eine Goldammer, die damals auf dem Kastanienbaume vor dem Fenster
jedes Mal bei Sonnenuntergang ihr Abendlied gesungen hatte, sang auch wieder,
als wäre seitdem gar nichts in der Welt vorgegangen. Das Fenster im Zollhause
stand offen, ich lief voller Freuden hin und steckte den Kopf in die Stube
hinein. Es war niemand darin, aber die Wanduhr tickte noch immer ruhig fort,
der Schreibtisch stand am Fenster und die lange Pfeife in einem Winkel wie
damals. Ich konnte nicht widerstehen, ich sprang durch das Fenster hinein
und setzte mich an den Schreibtisch vor das große Rechenbuch hin. Da fiel
der Sonnenschein durch den Kastanienbaum vor dem Fenster wieder grüngolden
auf die Ziffern in dem aufgeschlagenen Buche, die Bienen summten wieder an
dem offenen Fenster hin und her, die Goldammer draußen auf dem Baume sang
fröhlich immerzu. - Auf einmal aber ging die Tür aus der Stube auf, und ein
alter, langer Einnehmer in meinem punktierten Schlafrock trat herein. Er
blieb in der Tür stehen, wie er mich so unversehens erblickte, nahm schnell
die Brille von der Nase und sah mich grimmig an. Ich aber erschrak nicht
wenig darüber, sprang, ohne ein Wort zu sagen, auf und lief aus der Haustür
durch den kleinen Garten fort, wo ich mich noch bald mit den Füßen in dem
fatalen Kartoffelkraut verwickelt hätte, das der alte Einnehmer nunmehr,
wie ich sah, nach des Portiers Rat statt meinen Blumen angepflanzt hatte.
Ich hörte noch, wie er vor die Tür herausfuhr und hinter mir drein
schimpfte, aber ich saß schon oben auf der hohen Gartenmauer und schaute
mit klopfendem Herzen in den Schlossgarten hinein.

Da war ein Duften und Schimmern und Jubilieren von allen Vöglein; die Plätze
und Gänge waren leer, aber die vergoldeten Wipfel neigten sich im Abendwinde
vor mir, als wollten sie mich bewillkommnen, und seitwärts aus dem tiefen
Grunde blitzte zuweilen die Donau zwischen den Bäumen nach mir herauf. Auf
einmal hörte ich in einiger Entfernung im Garten singen:
Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewusst,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
|

Die Stimme und das Lied klang mir so wunderlich und doch wieder
so altbekannt, als hätte ichs irgendeinmal im Traume gehört.
Ich dachte lange, lange nach. - »Das ist der Herr Guido!«, rief
ich endlich voller Freude und schwang mich schnell in den Garten
hinunter - es war dasselbe Lied, das er an jenem Sommerabend auf
dem Balkon des italienischen Wirtshauses sang, wo ich ihn zum
letzten Mal gesehn hatte.

Er sang noch immer fort, ich aber sprang über Beete und Hecken
dem Liede nach. Als ich nun zwischen den letzten Rosensträuchern
hervortrat, blieb ich plötzlich wie verzaubert stehen. Denn auf
dem grünen Platze am Schwanenteich, recht vom Abendrote beschienen,
saß die schöne gnädige Frau, in einem prächtigen Kleide und einem
Kranz von weißen und roten Rosen in dem schwarzen Haar, mit
niedergeschlagenen Augen auf einer Steinbank und spielte während
des Liedes mit ihrer Reitgerte vor sich auf dem Rasen, geradeso
wie damals auf dem Kahne, da ich ihr das Lied von der schönen
Frau vorsingen musste. Ihr gegenüber saß eine andere junge Dame,
die hatte den weißen, runden Nacken voll brauner Locken gegen mich
gewendet und sang zur Gitarre, während die Schwäne auf dem stillen
Weiher langsam im Kreise herumschwammen. - Da hob die schöne Frau
auf einmal die Augen und schrie laut auf, da sie mich erblickte.
Die andere Dame wandte sich rasch nach mir herum, dass ihr die
Locken ins Gesicht flogen, und da sie mich recht ansah, brach
sie in ein unmäßiges Lachen aus, sprang dann von der Bank und
klatschte dreimal mit den Händchen. In demselben Augenblicke
kam eine große Menge kleiner Mädchen in blütenweißen, kurzen
Kleidchen mit grünen und roten Schleifen zwischen den
Rosensträuchern hervorgeschlüpft, sodass ich gar nicht
begreifen konnte, wo sie alle gesteckt hatten. Sie hielten
eine lange Blumengirlande in den Händen, schlossen schnell
einen Kreis um mich, tanzten um mich herum und sangen dabei:
Wir bringen dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Seide,
Wir führen dich zu Lust und Tanz,
Zu neuer Hochzeitsfreude.
Schöner, grüner Jungfernkranz,
Veilchenblaue Seide.
|

Das war aus dem Freischützen. Von den kleinen Sängerinnen erkannte
ich nun auch einige wieder, es waren Mädchen aus dem Dorfe. Ich
kneipte sie in die Wangen und wäre gern aus dem Kreise entwischt,
aber die kleinen schnippischen Dinger ließen mich nicht heraus. -
Ich wusste gar nicht, was die Geschichte eigentlich bedeuten sollte,
und stand ganz verblüfft da.

Da trat plötzlich ein junger Mann in feiner Jägerkleidung aus dem
Gebüsch hervor. Ich traute meinen Augen kaum - es war der fröhliche
Herr Leonhard! - Die kleinen Mädchen öffneten nun den Kreis und
standen auf einmal wie verzaubert alle unbeweglich auf einem Beinchen,
während sie das andere in die Luft streckten und dabei die
Blumengirlanden mit beiden Armen hoch über den Köpfen in die Höhe
hielten. Der Herr Leonhard aber fasste die schöne gnädige Frau,
die noch immer ganz stillstand und nur manchmal auf mich
herüberblickte, bei der Hand, führte sie bis zu mir und sagte:
»Die Liebe - darüber sind nun alle Gelehrten einig - ist eine
der couragiösesten Eigenschaften des menschlichen Herzens, die
Bastionen von Rang und Stand schmettert sie mit einem Feuerblicke
danieder, die Welt ist ihr zu eng und die Ewigkeit zu kurz. Ja,
sie ist eigentlich ein Poetenmantel, den jeder Fantast einmal
in der kalten Welt umnimmt, um nach Arkadien auszuwandern. Und
je entfernter zwei getrennte Verliebte voneinander wandern, in
desto anständigern Bogen bläst der Reisewind den schillernden
Mantel hinter ihnen auf, desto kühner und überraschender
entwickelt sich der Faltenwurf, desto länger und länger wächst
der Talar den Liebenden hinten nach, sodass ein Neutraler nicht
über Land gehen kann, ohne unversehens auf ein paar solche Schleppen
zu treten. O teuerster Herr Einnehmer und Bräutigam! Obgleich Ihr
in diesem Mantel bis an die Gestade des Tiber dahinrauschtet,
das kleine Händchen Eurer gegenwärtigen Braut hielt Euch dennoch
am äußersten Ende der Schleppe fest, und wie ihr zucktet und
geigtet und rumortet, Ihr musstet zurück in den stillen Bann
ihrer schönen Augen. - Und nun denn, da es so gekommen ist, ihr
zwei lieben, lieben, närrischen Leute! Schlagt den seligen Mantel
um euch, dass die ganze andere Welt rings um euch untergeht, liebt
euch wie die Kaninchen und seid glücklich!«

Der Herr Leonhard war mit seinem Sermon kaum erst fertig, so kam
auch die andere junge Dame, die vorhin das Liedchen gesungen hatte,
auf mich los, setzte mir schnell einen frischen Myrtenkranz auf den
Kopf und sang dazu sehr neckisch, während sie mir den Kranz in den
Haaren festrückte und ihr Gesichtchen dabei dicht vor mir war:
Darum bin ich dir gewogen,
Darum wird dein Haupt geschmückt,
Weil der Strich von deinem Bogen
Öfters hat mein Herz entzückt.
|

Da trat sie wieder ein paar Schritte zurück. »Kennst du die Räuber
noch, die dich damals in der Nacht vom Baume schüttelten?«, sagte sie,
indem sie einen Knicks mir machte und mich so anmutig und fröhlich
ansah, dass mir ordentlich das Herz im Leibe lachte. Darauf ging sie,
ohne meine Antwort abzuwarten, rings um mich herum. »Wahrhaftig noch
ganz der Alte, ohne allen welschen Beischmack! Aber nein, sieh doch
nur einmal die dicken Taschen an!«, rief sie plötzlich zu der schönen
gnädigen Frau, »Violine, Wäsche, Barbiermesser, Reisekoffer, alles
durcheinander!« Sie drehte mich nach allen Seiten und konnte sich
vor Lachen gar nicht zugute geben. Die schöne gnädige Frau war
unterdes noch immer still und mochte gar nicht die Augen aufschlagen
vor Scham und Verwirrung. Oft kam es mir vor, als zürnte sie heimlich
über das viele Gerede und Spaßen. Endlich stürzten ihr plötzlich Tränen
aus den Augen, und sie verbarg ihr Gesicht an der Brust der andern Dame.
Diese sah sie erst erstaunt an und drückte sie dann herzlich an sich.

Ich aber stand ganz verdutzt da. Denn je genauer ich die fremde Dame
betrachtete, desto deutlicher erkannte ich sie, es war wahrhaftig
niemand anders als - der junge Herr Maler Guido!

Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte, und wollte soeben näher
nachfragen, als Herr Leonhard zu ihr trat und heimlich mit ihr sprach.
»Weiß er denn noch nicht?«, hörte ich ihn fragen. Sie schüttelte mit
dem Kopfe. Er besann sich darauf einen Augenblick. »Nein, nein«, sagte
er endlich, »er muss schnell alles erfahren, sonst entsteht nur neues
Geplauder und Gewirre.«

»Herr Einnehmer«, wandte er sich nun zu mir, »wir haben jetzt nicht
viel Zeit, aber tue mir den Gefallen und wundere dich hier in aller
Geschwindigkeit aus, damit du nicht hinterher durch Fragen,
Erstaunen und Kopfschütteln unter den Leuten alte Geschichten
aufrührst und neue Erdichtungen und Vermutungen ausschüttelst.« -
Er zog mich bei diesen Worten tiefer in das Gebüsch hinein, während
das Fräulein mit der von der schönen gnädigen Frau weggelegten
Reitgerte in der Luft focht und alle ihre Locken tief in das
Gesichtchen schüttelte, durch die ich aber doch sehen konnte, dass
sie bis an die Stirn rot wurde. - »Nun denn«, sagte Herr Leonhard,
»Fräulein Flora, die hier soeben tun will, als hörte und wusste sie
von der ganzen Geschichte nichts, hatte in aller Geschwindigkeit ihr
Herzchen mit jemand vertauscht. Darüber kommt ein andrer und bringt
ihr mit Prologen, Trompeten und Pauken wiederum sein Herz dar und
will ihr Herz dagegen. Ihr Herz ist aber schon bei jemand und
jemandes Herz bei ihr, und der Jemand will sein Herz nicht wieder
haben und ihr Herz nicht wieder zurückgeben. Alle Welt schreit -
aber du hast wohl noch keinen Roman gelesen?« Ich verneinte es. -
»Nun, so hast du doch einen mitgespielt. Kurz: das war eine solche
Konfusion mit den Herzen, dass der Jemand - das heißt ich - mich
zuletzt selbst ins Mittel legen musste. Ich schwang mich bei lauer
Sommernacht auf mein Ross, hob das Fräulein als Maler Guido auf das
andere, und so ging es fort nach Süden, um sie in einem meiner
einsamen Schlösser in Italien zu verbergen, bis das Geschrei wegen
der Herzen vorüber wäre. Unterwegs aber kam man uns auf die Spur,
und von dem Balkon des welschen Wirtshauses, vor dem du so vortrefflich
Wache schliefst, erblickte Flora plötzlich unsere Verfolger.« - »Also
der bucklige Signor?« - »War ein Spion. Wir zogen uns daher heimlich
in die Wälder und ließen dich auf dem vorbestellten Postkurse allein
fortfahren. Das täuschte unsere Verfolger und zum Überfluss auch noch
meine Leute auf dem Bergschloss, welche die verkleidete Flora stündlich
erwarteten und mit mehr Diensteifer als Scharfsinn dich für das Fräulein
hielten. Selbst hier auf dem Schlosse glaubte man, dass Flora auf dem
Felsen wohne, man erkundigte sich, man schrieb an sie - hast du nicht
ein Briefchen erhalten?« - Bei diesen Worten fuhr ich blitzschnell mit
dem Zettel aus der Tasche. - »Also dieser Brief?« »Ist an mich«, sagte
Fräulein Flora, die bisher auf unsere Rede gar nicht achtzugeben schien,
riss mir den Zettel rasch aus der Hand, überlas ihn und steckte ihn dann
in den Busen. - »Und nun«, sagte Herr Leonhard, »müssen wir schnell in
das Schloss, da wartet schon alles auf uns. Also zum Schluss, wie sichs
von selbst versteht und einem wohlerzogenen Romane gebührt: Entdeckung,
Reue, Versöhnung, wir sind alle wieder lustig beisammen, und übermorgen
ist Hochzeit!«

Da er noch so sprach, erhob sich plötzlich in dem Gebüsche ein
rasender Spektakel von Pauken und Trompeten, Hörnern und Posaunen;
Böller wurden dazwischen gelöst und Vivat gerufen, die kleinen
Mädchen tanzten von neuem, und aus allen Sträuchern kam ein Kopf
über dem andern hervor, als wenn sie aus der Erde wüchsen. Ich
sprang in dem Geschwirre und Geschleife ellenhoch von einer Seite
zur andern, da es aber schon dunkel wurde, erkannte ich erst nach
und nach alle die alten Gesichter wieder. Der alte Gärtner schlug
die Pauken, die Prager Studenten in ihren Mänteln musizierten
mitten darunter, neben ihnen fingerte der Portier wie toll auf
seinem Fagott. Wie ich den so unverhofft erblickte, lief ich
sogleich auf ihn zu und embrassierte ihn heftig. Darüber kam er
ganz aus dem Konzept. »Nun wahrhaftig, und wenn der bis ans Ende
der Welt reist, er ist und bleibt ein Narr!«, rief er den Studenten
zu und blies ganz wütend weiter.

Unterdes war die schöne gnädige Frau vor dem Rumor heimlich
entsprungen und flog wie ein aufgescheuchtes Reh über den Rasen
tiefer in den Garten hinein. Ich sah es noch zur rechten Zeit
und lief ihr eiligst nach. Die Musikanten merkten in ihrem Eifer
nichts davon, sie meinten nachher: wir wären schon nach dem
Schlosse aufgebrochen, und die ganze Bande setzte sich nun mit
Musik und großem Getümmel gleichfalls dorthin auf den Marsch.

Wir aber waren fast zu gleicher Zeit in einem Sommerhause angekommen,
das am Abhange des Gartens stand, mit dem offenen Fenster nach dem
weiten, tiefen Tale zu. Die Sonne war schon lange untergegangen
hinter den Bergen, es schimmerte nur noch wie ein rötlicher Duft
über dem warmen, verschallenden Abend, aus dem die Donau immer
vernehmlicher heraufrauschte, je stiller es ringsum wurde. Ich
sah unverwandt die schöne Gräfin an, die ganz erhitzt vom Laufen
dicht vor mir stand, sodass ich ordentlich hören konnte, wie ihr
das Herz schlug. Ich wusste nun aber gar nicht, was ich sprechen
sollte vor Respekt, da ich auf einmal so allein mit ihr war.
Endlich fasste ich ein Herz, nahm ihr kleines weißes Händchen -
da zog sie mich schnell an sich und fiel mir um den Hals, und
ich umschlang sie fest mit beiden Armen.

Sie machte sich aber geschwind wieder los und legte sich ganz
verwirrt in das Fenster, um ihre glühenden Wangen in der Abendluft
abzukühlen. - »Ach«, rief ich, »mir ist mein Herz recht zum
Zerspringen, aber ich kann mir noch alles nicht recht denken,
es ist mir alles noch wie ein Traum!« - »Mir auch«, sagte die
schöne gnädige Frau. »Als ich vergangenen Sommer«, setzte sie nach
einer Weile hinzu, »mit der Gräfin aus Rom kam und wir das Fräulein
Flora glücklich gefunden hatten und mit zurückbrachten, von dir aber
dort und hier nichts hörten - da dacht ich nicht, dass alles noch
so kommen würde! Erst heut zu Mittag sprengte der Jockei, der gute,
flinke Bursch, atemlos auf den Hof und brachte die Nachricht, dass
du mit dem Postschiffe kämst.« - Dann lachte sie still in sich hinein.
»Weißt du noch«, sagte sie, »wie du mich damals auf dem Balkon zum
letzten Male sahst? Das war gerade wie heute, auch so ein stiller
Abend und Musik im Garten.« - »Wer ist denn eigentlich gestorben?«,
fragte ich hastig. - »Wer denn?«, sagte die schöne Frau und sah mich
erstaunt an. »Der Herr Gemahl von Euer Gnaden«, erwiderte ich,
»der damals mit auf dem Balkon stand.« - Sie wurde ganz rot.
»Was hast du auch für Seltsamkeiten im Kopfe!«, rief sie aus, »das war
ja der Sohn von der Gräfin, der eben von seinen Reisen zurückkam,
und es traf gerade auch meinen Geburtstag, da führte er mich auf
den Balkon hinaus, damit ich auch ein Vivat bekäme. - Aber deshalb
bist du wohl damals von hier fortgelaufen?« - »Ach Gott, freilich!«,
rief ich aus und schlug mit der Hand vor die Stirn. Sie aber
schüttelte mit dem Köpfchen und lachte recht herzlich.

Mir war so wohl, wie sie so fröhlich und vertraulich neben mir
plauderte, ich hätte bis zum Morgen zuhören mögen. Ich war so recht
seelenvergnügt und langte eine Handvoll Knackmandeln aus der Tasche,
die ich noch aus Italien mitgebracht hatte. Sie nahm auch davon, und
wir knackten nun und sahen zufrieden in die stille Gegend hinaus. -
»Siehst du«, sagte sie nach einem Weilchen wieder, »das weiße
Schlösschen, das da drüben im Mondschein glänzt, das hat uns der
Graf geschenkt, samt dem Garten und den Weinbergen, da werden wir
wohnen. Er wusst es schon lange, dass wir einander gut sind, und ist
dir sehr gewogen, denn hätt er dich nicht mitgehabt, als er das
Fräulein aus der Pensionsanstalt entführte, so wären sie beide
erwischt worden, ehe sie sich vorher noch mit der Gräfin versöhnten,
und alles wäre anders gekommen.« - »Mein Gott, schönste gnädigste Gräfin«,
rief ich aus, »ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht vor
lauter unverhofften Neuigkeiten; also der Herr Leonhard?« - »Ja,
ja«, fiel sie mir in die Rede, »so nannte er sich in Italien; dem
gehören die Herrschaften da drüben, und er heiratet nun unserer
Gräfin Tochter, die schöne Flora. - Aber was nennst du mich denn
Gräfin?« - Ich sah sie groß an. - »Ich bin ja gar keine Gräfin«,
fuhr sie fort, »unsere gnädige Gräfin hat mich nur zu sich auf's
Schloss genommen, da mich mein Onkel, der Portier, als kleines Kind
und arme Waise mit hierher brachte.«

Nun wars mir doch nicht anders, als wenn mir ein Stein vom Herzen
fiele! »Gott segne den Portier«, versetzte ich ganz entzückt,
»dass er unser Onkel ist! Ich habe immer große Stücke auf ihn
gehalten.« - »Er meint es auch gut mit dir«, erwiderte sie,
»wenn du dich nur etwas vornehmer hieltest, sagt er immer.
Du musst dich jetzt auch eleganter kleiden.« - »Oh«, rief ich
voller Freuden, »englischen Frack, Strohhut und Pumphosen und
Sporen! Und gleich nach der Trauung reisen wir fort nach Italien,
nach Rom, da gehen die schönen Wasserkünste, und nehmen die
Prager Studenten mit und den Portier!« - Sie lächelte still und
sah mich recht vergnügt und freundlich an, und von fern schallte
immerfort die Musik herüber, und Leuchtkugeln flogen vom Schloss
durch die stille Nacht über die Gärten, und die Donau rauschte
dazwischen herauf - und es war alles, alles gut!