Achtes Kapitel

Ich lief mit großer Eilfertigkeit durch die Stadt, um mich sogleich
wieder in dem Gartenhause zu melden, wo die schöne Frau gestern Abend
gesungen hatte. Auf den Straßen war unterdes alles lebendig geworden,
Herren und Damen zogen im Sonnenschein und neigten sich und grüßten
bunt durcheinander, prächtige Karossen rasselten dazwischen, und von
allen Türmen läutete es zur Messe, dass die Klänge über dem Gewühle
wunderbar in der klaren Luft durcheinander hallten. Ich war wie
betrunken von Freude und von dem Rumor und rannte in meiner Fröhlichkeit
immer gerade fort, bis ich zuletzt gar nicht mehr wusste, wo ich stand.
Es war wie verzaubert, als wäre der stille Platz mit dem Brunnen und
der Garten und das Haus bloß ein Traum gewesen und beim hellen Tageslicht
alles wieder von der Erde verschwunden.

Fragen konnte ich nicht, denn ich wusste den Namen des Platzes nicht.
Endlich fing es auch an sehr schwül zu werden, die Sonnenstrahlen
schossen recht wie sengende Pfeile auf das Pflaster, die Leute verkrochen
sich in die Häuser, die Jalousien wurden überall wieder zugemacht, und
es war auf einmal wie ausgestorben auf den Straßen. Ich warf mich
zuletzt ganz verzweifelt vor einem schönen großen Hause hin, vor dem
ein Balkon mit Säulen breiten Schatten warf, und betrachtete bald die
stille Stadt, die in der plötzlichen Einsamkeit bei heller Mittagsstunde
ordentlich schauerlich aussah, bald wieder den tiefblauen, ganz wolkenlosen
Himmel, bis ich endlich vor großer Ermüdung gar einschlummerte. Da träumte mir,
ich läge bei meinem Dorfe auf einer einsamen grünen Wiese, ein warmer
Sommerregen sprühte und glänzte in der Sonne, die soeben hinter den
Bergen unterging, und wie die Regentropfen auf den Rasen fielen,
waren es lauter schöne, bunte Blumen, sodass ich davon ganz überschüttet war.

Aber wie erstaunte ich, als ich erwachte und wirklich eine Menge schöner,
frischer Blumen auf und neben mir liegen sah! Ich sprang auf, konnte aber
nichts Besonderes bemerken, als bloß in dem Hause über mir ein Fenster ganz
oben voll von duftenden Sträuchern und Blumen, hinter denen ein Papagei
unablässig plauderte und kreischte. Ich las nun die zerstreuten Blumen auf,
band sie zusammen und steckte mir den Strauß vorn ins Knopfloch. Dann aber
fing ich an, mit dem Papagei ein wenig zu diskurrieren, denn es freute mich,
wie er in seinem vergoldeten Bauer mit allerlei Grimassen herauf- und herunterstieg
und sich dabei immer ungeschickt über die große Zehe trat. Doch ehe
ich michs versah, schimpfte er mich »furfante!« Wenn es gleich eine
unvernünftige Bestie war, so ärgerte es mich doch. Ich schimpfte ihn
wieder, wir gerieten endlich beide in Hitze, je mehr ich auf Deutsch
schimpfte, je mehr gurgelte er auf Italienisch wieder auf mich los.

Auf einmal hörte ich jemand hinter mir lachen. Ich drehte mich rasch um.
Es war der Maler von heute früh. »Was stellst du wieder für tolles Zeug an!«,
sagte er, »ich warte schon eine halbe Stunde auf dich. Die Luft ist wieder kühler,
wir wollen in einen Garten vor der Stadt gehen, da wirst du mehrere Landsleute
finden und vielleicht etwas Näheres von der deutschen Gräfin erfahren.«

Darüber war ich außerordentlich erfreut, und wir traten unseren Spaziergang
sogleich an, während ich den Papagei noch lange hinter mir drein schimpfen hörte.

Nachdem wir draußen vor der Stadt auf schmalen, steinigen Fußpfaden lange
zwischen Landhäusern und Weingärten hinaufgestiegen waren, kamen wir an einen
kleinen, hochgelegenen Garten, wo mehrere junge Männer und Mädchen im Grünen
um einen runden Tisch saßen. Sobald wir hineintraten, winkten uns alle zu,
uns still zu verhalten, und zeigten auf die andere Seite des Gartens hin.
Dort saßen in einer großen, grünverwachsenen Laube zwei schöne Frauen an
einem Tisch einander gegenüber. Die eine sang, die andere spielte Gitarre
dazu. Zwischen beiden hinter dem Tische stand ein freundlicher Mann, der
mit einem kleinen Stäbchen zuweilen den Takt schlug. Dabei funkelte die
Abendsonne durch das Weinlaub, bald über die Weinflaschen und Früchte,
womit der Tisch in der Laube besetzt war, bald über die vollen, runden,
blendend weißen Achseln der Frau mit der Gitarre. Die andere war wie
verzückt und sang auf Italienisch ganz außerordentlich künstlich, dass
ihr die Flechsen am Halse aufschwollen.

Wie sie nun soeben mit zum Himmel gerichteten Augen eine lange Kadenz
anhielt und der Mann neben ihr mit aufgehobenem Stäbchen auf den
Augenblick passte, wo sie wieder in den Takt einfallen würde, und keiner
im ganzen Garten zu atmen sich unterstand, da flog plötzlich die
Gartentür weit auf, und ein ganz erhitztes Mädchen und hinter ihr ein
junger Mensch mit einem feinen, bleichen Gesicht stürzten in großem
Gezänke herein. Der erschrockene Musikdirektor blieb mit seinem aufgehobenen
Stabe wie ein versteinerter Zauberer stehen, obgleich die Sängerin schon
längst den langen Triller plötzlich abgeschnappt hatte und zornig
aufgestanden war. Alle Übrigen zischten den Neuangekommenen wütend an.
»Barbar!«, rief ihm einer von dem runden Tische zu, »du rennst da mitten
in das sinnreiche Tableau von der schönen Beschreibung hinein, welche
der selige Hoffmann, Seite 347 des 'Frauentaschenbuches für 1816',
von dem schönsten Hummelschen Bilde gibt, das im Herbst 1814 auf der
Berliner Kunstausstellung zu sehen war!« - Aber das half alles nichts.
»Ach was!«, entgegnete der junge Mann, »mit euren Tableaus von Tableaus!
Mein selbsterfundenes Bild für die andern und mein Mädchen für mich
allein! So will ich es halten! O du Ungetreue, du Falsche!«, fuhr er
dann von neuem gegen das arme Mädchen fort, »du kritische Seele, die
in der Malerkunst nur den Silberblick und in der Dichterkunst nur
den goldenen Faden sucht und keinen Liebsten, sondern nur lauter
Schätze hat! Ich wünsche dir hinfüro, anstatt eines ehrlichen malerischen
Pinsels, einen alten Duca mit einer ganzen Münzgrube von Diamanten
auf der Nase und mit hellem Silberblicke auf der kahlen Platte und
mit Goldschnitt auf den paar noch übrigen Haaren! Ja, nur heraus
mit dem verruchten Zettel, den du da vorhin vor mir versteckt hast!
Was hast du wieder angezettelt? Von wem ist der Wisch, und an wen
ist er?«

Aber das Mädchen sträubte sich standhaft, und je eifriger die andern
den erbosten jungen Menschen umgaben und ihn mit großem Lärm zu trösten
und zu beruhigen suchten, desto erhitzter und toller wurde er von dem
Rumor, zumal das Mädchen auch ihr Mäulchen nicht halten konnte, bis sie
endlich weinend aus dem verworrenen Knäuel hervorflog und sich auf einmal
ganz unverhofft an meine Brust stürzte, um bei mir Schutz zu suchen. Ich
stellte mich auch sogleich in die gehörige Positur, aber da die andern in
dem Getümmel soeben nicht auf uns achtgaben, kehrte sie plötzlich das
Köpfchen nach mir herauf und flüsterte mir mit ganz ruhigem Gesicht sehr
leise und schnell ins Ohr: »Du abscheulicher Einnehmer! Um dich muss ich
das alles leiden. Da, steck den fatalen Zettel geschwind zu dir, du
findest darauf bemerkt, wo wir wohnen. Also zur bestimmten Stunde, wenn
du ins Tor kommst, immer die einsame Straße rechts fort!« -

Ich konnte vor Verwunderung kein Wort hervorbringen, denn wie ich sie
erst recht ansah, erkannte ich sie auf einmal: Es war wahrhaftig die
schnippische Kammerjungfer vom Schlosse, die mir damals an dem schönen
Sonntagsabende die Flasche mit Wein brachte. Sie war mir sonst niemals
so schön vorgekommen, als da sie sich jetzt so erhitzt an mich lehnte,
dass die schwarzen Locken über meinen Arm herabhingen. - »Aber,
verehrte Mamsell«, sagte ich voller Erstaunen, »wie kommen Sie -« -
»Um Gottes willen, still nur, jetzt still!«, erwiderte sie und sprang
geschwind von mir fort auf die andere Seite des Gartens, eh ich mich
noch auf alles recht besinnen konnte.

Unterdes hatten die andern ihr erstes Thema fast ganz vergessen,
zankten aber untereinander recht vergnüglich weiter, indem sie dem
jungen Menschen beweisen wollten, dass er eigentlich betrunken sei,
was sich für einen ehrliebenden Maler gar nicht schicke. Der runde,
fixe Mann aus der Laube, der - wie ich nachher erfuhr - ein großer
Kenner und Freund von Künsten war und aus Liebe zu den Wissenschaften
gern alles mitmachte, hatte auch sein Stäbchen weggeworfen und
flanierte mit seinem fetten Gesichte, das vor Freundlichkeit
ordentlich glänzte, eifrig mitten in dem dicksten Getümmel herum,
um alles zu vermitteln und zu beschwichtigen, während er dazwischen
immer wieder die lange Kadenz und das schöne Tableau bedauerte, das
er mit vieler Mühe zusammengebracht hatte.

Mir war es so sternklar im Herzen wie damals an dem glückseligen
Sonnabend, als ich am offenen Fenster vor der Weinflasche bis tief
in die Nacht hinein auf der Geige spielte. Ich holte, da der Rumor
gar kein Ende nehmen wollte, frisch meine Violine wieder hervor
und spielte, ohne mich lange zu besinnen, einen welschen Tanz auf,
den sie dort im Gebirge tanzen und den ich auf dem alten, einsamen
Waldschlosse gelernt hatte.

Da reckten alle die Köpfe in die Höh. »Bravo, bravissimo, ein
deliziöser Einfall!«, rief der lustige Kenner von den Künsten
und lief sogleich von einem zum andern, um ein ländliches
Divertissement, wie ers nannte, einzurichten. Er selbst machte
den Anfang, indem er der Dame die Hand reichte, die vorhin in
der Laube gespielt hatte. Er begann darauf außerordentlich künstlich
zu tanzen, schrieb mit den Fußspitzen allerlei Buchstaben auf den
Rasen, schlug ordentliche Triller mit den Füßen und machte von Zeit
zu Zeit ganz passable Luftsprünge. Aber er bekam es bald satt, denn
er war etwas korpulent. Er machte immer kürzere und ungeschicktere
Sprünge, bis er endlich ganz aus dem Kreise heraustrat und heftig
hustete und sich mit seinem schneeweißen Schnupftuche unaufhörlich
den Schweiß abwischte. Unterdes hatte auch der junge Mensch, der
nun wieder ganz gescheit geworden war, aus dem Wirtshause Kastagnetten
herbeigeholt, und ehe ich michs versah, tanzten alle unter den Bäumen
bunt durcheinander. Die untergegangene Sonne warf noch einige rote
Widerscheine zwischen die dunklen Schatten und über das alte Gemäuer
und die von Efeu wild überwachsenen, halb versunkenen Säulen hinten
im Garten, während man von der andern Seite tief unter den Weinbergen
die Stadt Rom in den Abendgluten liegen sah. Da tanzten sie alle
lieblich im Grünen in der klaren, stillen Luft, und mir lachte das
Herz recht im Leibe, wie die schlanken Mädchen und die Kammerjungfer
mitten unter ihnen sich mit aufgehobenen Armen wie heidnische
Waldnymphen zwischen dem Laubwerke schwangen und dabei jedes Mal in
der Luft mit den Kastagnetten lustig dazu schnalzten. Ich konnte
mich nicht länger halten, ich sprang mitten unter sie hinein und machte,
während ich dabei immerfort geigte, recht artige Figuren.

Ich mochte eine ziemliche Weile so im Kreise herumgesprungen sein
und merkte gar nicht, dass die andern unterdes anfingen müde zu
werden und sich nach und nach von dem Rasenplatze verloren. Da
zupfte mich jemand von hinten tüchtig an den Rockschößen. Es war
die Kammerjungfer. »Sei kein Narr«, sagte sie leise, »du springst
ja wie ein Ziegenbock! Studiere deinen Zettel ordentlich und komm
bald nach, die schöne, junge Gräfin wartet.« - Und damit schlüpfte
sie in der Dämmerung zur Gartenpforte hinaus und war bald zwischen
den Weingärten verschwunden.

Mir klopfte das Herz, ich wäre am liebsten gleich nachgesprungen.
Zum Glück zündete der Kellner, da es schon dunkel geworden war, in
einer großen Laterne an der Gartentür Licht an. Ich trat heran und
zog geschwind den Zettel heraus. Da war ziemlich kritzlich mit
Bleifeder das Tor und die Straße beschrieben, wie mir die
Kammerjungfer vorhin gesagt hatte. Dann stand: »Elf Uhr an der kleinen Tür.«

Da waren noch ein paar lange Stunden hin! Ich wollte mich dessen ungeachtet
sogleich auf den Weg machen, denn ich hatte keine Rast und Ruhe mehr;
aber da kam der Maler, der mich hierher gebracht hatte, auf mich los.
»Hast du das Mädchen gesprochen?«, fragte er, »ich seh sie nun nirgends
mehr; das war das Kammermädchen von der deutschen Gräfin.« - »Still,
still!«, erwiderte ich, »die Gräfin ist noch in Rom.« - »Nun, desto
besser«, sagte der Maler, »so komm und trink mit uns auf ihre Gesundheit!«
Und damit zog er mich, wie sehr ich mich auch sträubte, in den Garten zurück.

Da war es unterdes ganz öde und leer geworden. Die lustigen Gäste wanderten,
jeder sein Liebchen am Arme, nach der Stadt zu, und man hörte sie noch durch
den stillen Abend zwischen den Weingärten plaudern und lachen, immer ferner
und ferner, bis sich endlich die Stimmen tief in dem Tale im Rauschen der
Bäume und des Stromes verloren. Ich war noch mit meinem Maler und dem Herrn
Eckbrecht - so hieß der andere junge Maler, der sich vorhin so herumgezankt
hatte - allein oben zurückgeblieben. Der Mond schien prächtig im Garten
zwischen die hohen dunklen Bäume herein, ein Licht flackerte im Winde
auf dem Tische vor uns und schimmerte über den vielen vergessenen Wein
auf der Tafel. Ich musste mich mit hinsetzen, und mein Maler plauderte
mit mir über meine Herkunft, meine Reise und meinen Lebensplan. Herr
Eckbrecht aber hatte das junge, hübsche Mädchen aus dem Wirtshause, nachdem
sie uns Flaschen auf den Tisch gestellt, vor sich auf den Schoß genommen,
legte ihr die Gitarre in den Arm und lehrte sie ein Liedchen darauf
klimpern. Sie fand sich auch bald mit den kleinen Händchen zurecht,
und sie sangen dann zusammen ein italienisches Lied, einmal er, dann
wieder das Mädchen eine Strophe, was sich in dem schönen, stillen
Abend prächtig ausnahm. - Als das Mädchen dann weggerufen wurde,
lehnte sich Herr Eckbrecht mit der Gitarre auf die Bank zurück, legte
seine Füße auf einen Stuhl, der vor ihm stand, und sang nun für sich
allein viele herrliche deutsche und italienische Lieder, ohne sich
weiter um uns zu bekümmern. Dabei schienen die Sterne prächtig am
klaren Firmament, die ganze Gegend war wie versilbert vom Mondschein,
ich dachte an die schöne Frau, an die ferne Heimat und vergaß darüber
ganz meinen Maler neben mir. Zuweilen musste Herr Eckbrecht stimmen,
darüber wurde er immer ganz zornig. Er drehte und riss zuletzt an dem
Instrument, dass plötzlich eine Saite sprang. Da warf er die Gitarre hin
und sprang auf. Nun wurde er erst gewahr, dass mein Maler sich unterdes
über seinen Arm auf den Tisch gelegt hatte und fest eingeschlafen war.
Er warf schnell einen weißen Mantel um, der auf einem Aste neben dem
Tische hing, besann sich aber plötzlich, sah erst meinen Maler,
dann mich ein paarmal scharf an, setzte sich darauf, ohne sich
lange zu bedenken, gerade vor mich auf den Tisch hin, räusperte
sich, rückte an seiner Halsbinde und fing dann auf einmal an, eine
Rede an mich zu halten. »Geliebter Zuhörer und Landsmann!«, sagte er,
»da die Flaschen beinahe leer sind und die Moral unstreitig die erste
Bürgerpflicht ist, wenn die Tugenden auf die Neige gehen, so fühle
ich mich aus landsmännlicher Sympathie getrieben, dir einige
Moralität zu Gemüte zu führen. - Man könnte zwar meinen«, fuhr er
fort, »du seist ein bloßer Jüngling, während doch dein Frack über
seine besten Jahre hinaus ist; man könnte vielleicht annehmen,
du habest vorhin wunderliche Sprünge gemacht wie ein Satyr;
ja, einige möchten wohl behaupten, du seiest wohl gar ein
Landstreicher, weil du hier auf dem Lande bist und die Geige
streichst; aber ich kehre mich an solche oberflächlichen Urteile
nicht, ich halte mich an deine fein gespitzte Nase,
ich halte dich
für ein vazierendes Genie.« - Mich ärgerten die verfänglichen
Redensarten, ich wollte ihm soeben recht antworten. Aber er ließ
mich nicht zu Worte kommen. »Siehst du«, sagte er, »wie du dich
schon aufblähst von dem bisschen Lobe. Gehe in dich und bedenke
dies gefährliche Metier! Wir Genies - denn ich bin auch eins -
machen uns aus der Welt ebensowenig, als sie sich aus uns, wir
schreiten vielmehr ohne besondere Umstände in unseren Siebenmeilenstiefeln,
die wir bald mit auf die Welt bringen, gerade auf die Ewigkeit los.
Oh, höchst klägliche, unbequeme, breitgespreizte Position, mit dem
einen Beine in der Zukunft, wo nichts als Morgenrot und zukünftige
Kindergesichter dazwischen, mit dem andern Beine noch mitten in Rom
auf der Piazza del Popolo, wo das ganze Säkulum bei der guten
Gelegenheit mit will und sich an den Stiefel hängt, dass sie einem
das Bein ausreißen möchten! Und alle das Zucken, Weintrinken und
Hungerleiden lediglich für die unsterbliche Ewigkeit! Und siehe
meinen Herrn Kollegen dort auf der Bank, der gleichfalls ein Genie
ist; ihm wird die Zeit schon zu lang, was wird er erst in der
Ewigkeit anfangen?! Ja, hochgeschätzter Herr Kollege, du und ich
und die Sonne, wir sind heute früh zusammen aufgegangen und haben
den ganzen Tag gebrütet und gemalt, und es war alles schön - und
nun fährt die schläfrige Nacht mit ihrem Pelzärmel über die Welt
und hat alle Farben verwischt.« Er sprach noch immerfort und war
dabei mit seinen verwirrten Haaren von dem Tanzen und Trinken im
Mondschein ganz leichenblass anzusehen.

Mir aber graute schon lange vor ihm und seinem wilden Gerede,
und als er sich nun förmlich zu dem schlafenden Maler herumwandle,
benutzte ich die Gelegenheit, schlich, ohne dass er es bemerkte, um
den Tisch aus dem Garten heraus und stieg, allein und fröhlich im
Herzen, an dem Rebengeländer in das weite, vom Mondschein beglänzte
Tal hinunter.

Von der Stadt her schlugen die Uhren zehn. Hinter mir hörte ich
durch die stille Nacht noch einzelne Gitarrenklänge und manchmal
die Stimmen der beiden Maler, die nun auch nach Hause gingen, von
fern herüberschallen. Ich lief daher so schnell als ich nur konnte,
damit sie mich nicht weiter ausfragen sollten.

Am Tore bog ich sogleich rechts in die Straße ein und ging mit
klopfendem Herzen eilig zwischen den stillen Häusern und Gärten
fort. Aber wie erstaunte ich, als ich da auf einmal auf dem Platze
mit dem Springbrunnen herauskam, den ich heute am Tage gar nicht
hatte finden können. Da stand das einsame Gartenhaus wieder, im
prächtigsten Mondschein, und auch die schöne Frau sang im Garten
wieder dasselbe italienische Lied, wie gestern Abend. - Ich rannte
voller Entzücken erst an die kleine Tür, dann an die Haustür und
endlich mit aller Gewalt an das große Gartentor, aber es war alles
verschlossen. Nun fiel mir erst ein, dass es noch nicht elf
geschlagen hatte. Ich ärgerte mich über die langsame Zeit, aber
über das Gartentor klettern, wie gestern, mochte ich wegen der guten
Lebensart nicht. Ich ging daher ein Weilchen auf dem einsamen Platze
auf und ab und setzte mich endlich wieder auf den steinernen Brunnen
voller Gedanken und stiller Erwartung hin.

Die Sterne funkelten am Himmel, auf dem Platze war alles leer und
still, ich hörte voll Vergnügen dem Gesange der schönen Frau zu,
der zwischen dem Rauschen des Brunnens aus dem Garten herüberklang.
Da erblickt ich auf einmal eine weiße Gestalt, die von der anderen
Seite des Platzes herkam und gerade auf die kleine Gartentür zuging.
Ich blickte durch den Mondflimmer recht scharf hin - es war der wilde
Maler in seinem weißen Mantel. Er zog schnell einen Schlüssel hervor,
schloss auf, und ehe ich michs versah, war er im Garten drin.

Nun hatte ich gegen den Maler schon von Anfang eine absonderliche
Pike wegen seiner unvernünftigen Reden. Jetzt aber geriet ich ganz
außer mir vor Zorn. Das liederliche Genie ist gewiss wieder betrunken,
dachte ich, den Schlüssel hat er von der Kammerjungfrau und will nun
die gnädige Frau beschleichen, verraten, überfallen. - Und so stürzte
ich durch das kleine, offen gebliebene Pförtchen in den Garten hinein.

Als ich eintrat, war es ganz still und einsam drin. Die Flügeltür vom
Gartenhause stand offen, ein milchweißer Lichtschein drang daraus hervor
und spielte auf dem Grase und den Blumen vor der Tür. Ich blickte von
Weitem herein. Da lag in einem prächtigen grünen Gemach, das von einer
weißen Lampe nur wenig erhellt war, die schöne gnädige Frau, mit der
Gitarre im Arm, auf einem seidenen Faulbettchen, ohne in ihrer
Unschuld an die Gefahren draußen zu denken.

Ich hatte aber nicht lange Zeit, hinzusehen, denn ich bemerkte soeben,
dass die weiße Gestalt von der andern Seite ganz behutsam hinter den
Sträuchern nach dem Gartenhause zuschlich. Dabei sang die gnädige
Frau so kläglich aus dem Hause, dass es mir recht durch Mark und Bein
ging. Ich besann mich daher nicht lange, brach einen tüchtigen Ast ab,
rannte damit gerade auf den Weißmantel los und schrie aus vollem Halse
»Mordio!«, dass der ganze Garten erzitterte.

Der Maler, wie er mich so unverhofft daherkommen sah, nahm schnell
Reißaus und schrie entsetzlich. Ich schrie noch besser, er lief nach
dem Hause zu, ich ihm nach - und ich hatte ihn beinahe schon erwischt,
da verwickelte ich mich mit den Füßen in den fatalen Blumenstücken
und stürzte auf einmal der Länge nach vor der Haustür hin.

»Also du bist es, Narr!«, hört ich da über mir ausrufen, »hast du
mich doch fast zum Tode erschreckt.« - Ich raffte mich geschwind
wieder auf, und wie ich mir den Sand und die Erde aus den Augen
wischte, steht die Kammerjungfer vor mir, die soeben bei dem
letzten Sprunge den weißen Mantel von der Schulter verloren hatte.
»Aber«, sagte ich ganz verblüfft, »war denn der Maler nicht hier?« -
»Ja freilich«, entgegnete sie schnippisch, »sein Mantel wenigstens,
den er mir, als ich ihm vorhin im Tor begegnete, umgehängt hat,
weil mich fror.« - Über dem Geplauder war nun auch die gnädige
Frau von ihrem Sofa aufgesprungen und kam zu uns an die Tür. Mir
klopfte das Herz zum Zerspringen. Aber wie erschrak ich, als ich
recht hinsah und anstatt der schönen gnädigen Frau auf einmal eine
ganz fremde Person erblickte!

Es war eine etwas große, korpulente, mächtige Dame mit einer
stolzen Adlernase und hochgewölbten schwarzen Augenbrauen, so
recht zum Erschrecken schön. Sie sah mich mit ihren großen,
funkelnden Augen so majestätisch an, dass ich mich vor Ehrfurcht
gar nicht zu fassen wusste. Ich war ganz verwirrt, ich machte in
einem fort Komplimente und wollte ihr zuletzt gar die Hand küssen.
Aber sie riss ihre Hand schnell weg und sprach dann auf Italienisch
zu der Kammerjungfer, wovon ich nichts verstand.

Unterdes aber war von dem vorigen Geschrei die ganze Nachbarschaft
lebendig geworden. Hunde bellten, Kinder schrien, zwischendurch
hörte man einige Männerstimmen, die immer näher und näher auf
den Garten zukamen. Da blickte mich die Dame noch einmal an, als
wenn sie mich mit feurigen Kugeln durchbohren wollte, wandte sich
dann rasch nach dem Zimmer zurück, während sie dabei stolz und
gezwungen auflachte, und warf mir die Tür vor der Nase zu. Die
Kammerjungfer aber erwischte mich ohne weiteres beim Flügel und
zerrte mich nach der Gartenpforte.

»Da hast du wieder einmal recht dummes Zeug gemacht«, sagte sie
unterwegs voller Bosheit zu mir. Ich wurde auch schon giftig. »Nun,
zum Teufel!«, sagte ich, »habt Ihr mich denn nicht selbst hierher
bestellt?« - »Das ists ja eben«, rief die Kammerjungfer, »meine
Gräfin meinte es so gut mit dir, wirft dir erst Blumen aus dem
Fenster zu, singt Arien - und das ist nun ihr Lohn! Aber mit dir
ist nun einmal nichts anzufangen; du trittst dein Glück ordentlich
mit Füßen.« - »Aber«, erwiderte ich, »ich meinte die Gräfin aus
Deutschland, die schöne gnädige Frau.« - »Ach«, unterbrach sie
mich, »die ist ja lange schon wieder in Deutschland, mitsamt
deiner tollen Amour. Und da lauf du nur auch wieder hin! Sie
schmachtet ohnedies nach dir, da könnt ihr zusammen die Geige
spielen und in den Mond gucken, aber dass du mir nicht wieder
unter die Augen kommst!«

Nun aber entstand ein entsetzlicher Rumor und Spektakel hinter
uns. Aus dem andern Garten kletterten Leute mit Knüppeln hastig
über den Zaun, andere fluchten und durchsuchten schon die Gänge,
desperate Gesichter mit Schlafmützen guckten im Mondschein bald
da, bald dort über die Hecken, es war, als wenn der Teufel auf
einmal aus allen Hecken und Sträuchern Gesindel heckte. - Die
Kammerjungfer fackelte nicht lange. »Dort, dort läuft der Dieb!«, schrie sie den
Leuten zu, indem sie dabei auf die andere Seite des
Gartens zeigte. Dann schob sie mich schnell aus dem Garten und
klappte das Pförtchen hinter mir zu.

Da stand ich nun unter Gottes freiem Himmel wieder auf dem stillen
Platze mutterseelenallein, wie ich gestern angekommen war. Die
Wasserkunst, die mir vorhin im Mondschein so lustig flimmerte,
als wenn Engelein darin auf- und niederstiegen, rauschte noch
fort wie damals, mir aber war unterdes alle Lust und Freude in
den Brunnen gefallen. Ich nahm mir nun fest vor, dem falschen
Italien mit seinen verrückten Malern, Pomeranzen und Kammerjungfern
auf ewig den Rücken zu kehren, und wanderte noch zur selbigen Stunde
zum Tore hinaus.