Viertes Kapitel

Nun ade, Mühle und Schloss und Portier! Nun gings, dass mir der Wind am Hute pfiff. Rechts
und links flogen Dörfer, Städte und Weingärten vorbei, dass es einem vor den Augen flimmerte;
hinter mir die beiden Maler im Wagen, vor mir vier Pferde mit einem prächtigen Postillon,
ich hoch oben auf dem Kutschbock, dass ich oft ellenhoch in die Höhe flog.

Das war so zugegangen: Als wir vor B. ankommen, kommt schon am Dorfe ein langer, dürrer,
grämlicher Herr im grünen Flauschrock uns entgegen, macht viele Bücklinge vor den Herren
Malern und führt uns in das Dorf hinein. Da stand unter den hohen Linden vor dem Posthause
schon ein prächtiger Wagen mit vier Pferden bespannt. Herr Leonhard meinte unterwegs, ich
hätte meine Kleider ausgewachsen. Er holte daher geschwind andere aus seinem Mantelsack
hervor, und ich musste einen ganz neuen, schönen Frack und Weste anziehn, die mir sehr
vornehm zu Gesicht standen, nur dass mir alles so lang und weit war und ordentlich um mich
herumschlotterte. Auch einen ganz neuen Hut bekam ich, der funkelte in der Sonne, als wäre
er mit frischer Butter überschmiert. Dann nahm der fremde, grämliche Herr die beiden Pferde
der Maler am Zügel, die Maler sprangen in den Wagen, ich auf den Bock, und so flogen wir
schon fort, als eben der Postmeister mit der Schlafmütze aus dem Fenster guckte. Der
Postillon blies lustig auf dem Horne, und so ging es frisch nach Italien hinein.

Ich hatte eigentlich da droben ein prächtiges Leben wie der Vogel in der Luft und brauchte
doch dabei nicht selbst zu fliegen. Zu tun hatte ich auch weiter nichts als Tag und Nacht
auf dem Bocke zu sitzen und bei den Wirtshäusern manchmal Essen und Trinken an den Wagen
herauszubringen, denn die Maler sprachen nirgends ein, und bei Tage zogen sie die Fenster
am Wagen so fest zu, als wenn die Sonne sie erstechen wollte. Nur zuweilen steckte der
Herr Guido sein hübsches Köpfchen zum Wagenfenster heraus und diskurrierte freundlich
mit mir und lachte dann den Herrn Leonhard aus, der das nicht leiden wollte und jedes Mal
über die langen Diskurse böse wurde. Ein paarmal hätte ich bald Verdruss bekommen mit
meinem Herrn. Das eine Mal, wie ich bei schöner, sternklarer Nacht droben auf dem
Bocke die Geige zu spielen anfing, und sodann späterhin wegen des Schlafes. Das war
aber auch ganz zum Erstaunen! Ich wollte mir doch Italien recht genau besehen und
riss die Augen alle Viertelstunden weit auf. Aber kaum hatte ich ein Weilchen so vor
mich hingesehen, so verschwirrten und verwickelten sich mir die sechzehn Pferdefüße
vor mir wie Filet so hin und her und übers Kreuz, dass mir die Augen gleich wieder
übergingen, und zuletzt geriet ich in ein solches entsetzliches und unaufhaltsames
Schlafen, dass gar kein Rat mehr war. Da mocht es Tag und Nacht, Regen oder
Sonnenschein, Tirol oder Italien sein, ich hing bald rechts, bald links, bald
rücklings über den Bock herunter, ja manchmal tunkte ich mit solcher Vehemenz mit
dem Kopfe nach dem Boden zu, dass mir der Hut weit vom Kopfe flog und der Herr Guido
im Wagen laut aufschrie.

So war ich, ich weiß selbst nicht wie, durch halb Welschland, das sie dort
Lombardei nennen, durchgekommen, als wir an einem schönen Abend vor einem Wirtshause
auf dem Lande stillhielten. Die Postpferde waren in dem daranstoßenden Stationsdorfe
erst nach ein paar Stunden bestellt, die Herren Maler stiegen daher aus und ließen
sich in ein besonderes Zimmer führen, um hier ein wenig zu rasten und einige Briefe
zu schreiben. Ich aber war sehr vergnügt darüber und verfügte mich sogleich in die
Gaststube, um endlich wieder einmal so recht mit Ruhe und Kommodität zu essen und
zu trinken. Da sah es ziemlich liederlich aus. Die Mägde gingen mit zerzottelten
Haaren herum und hatten die offenen Halstücher unordentlich um das gelbe Fell hängen.
Um einen runden Tisch saßen die Knechte vom Hause in blauen Überziehhemden beim
Abendessen und glotzten mich zuweilen von der Seite an. Die hatten alle kurze,
dicke Haarzöpfe und sahen so recht vornehm wie die jungen Herrlein aus. - Da bist
du nun, dachte ich bei mir und aß fleißig fort, da bist du nun endlich in dem Lande,
woher immer die kuriosen Leute zu unserm Herrn Pfarrer kamen mit Mausefallen und
Barometern und Bildern. Was der Mensch doch nicht alles erfährt, wenn er sich einmal
hinterm Ofen hervormacht!

Wie ich noch eben so esse und meditiere, huscht ein Männlein, das bis jetzt in
einer dunklen Ecke der Stube bei seinem Glase Wein gesessen hatte, auf einmal
aus seinem Winkel wie eine Spinne auf mich los. Er war ganz kurz und bucklicht,
hatte aber einen großen, grauslichen Kopf mit einer langen, römischen Adlernase
und sparsamen roten Backenbart, und die gepuderten Haare standen ihm von allen
Seiten zu Berge, als wenn der Sturmwind durchgefahren wäre. Dabei trug er einen
altmodischen, verschossenen Frack, kurze plüschene Beinkleider und ganz vergilbte
seidene Strümpfe. Er war einmal in Deutschland gewesen und dachte wunder, wie gut
er Deutsch verstünde. Er setzte sich zu mir und fragte bald das, bald jenes,
während er immerfort Tabak schnupfte: Ob ich der Servitore sei? Wenn wir arriware?
Ob wir nach Roma kehn? Aber das wusste ich alles selber nicht und konnte auch sein
Kauderwelsch gar nicht verstehn. »Parlez-vous français?«, sagte ich endlich in
meiner Angst zu ihm. Er schüttelte mit dem großen Kopfe, und das war mir sehr
lieb, denn ich konnte ja auch nicht Französisch. Aber das half alles nichts.
Er hatte mich einmal recht aufs Korn genommen, er frug und frug immer wieder;
je mehr wir parlierten, je weniger verstand einer den andern, zuletzt wurden
wir beide schon hitzig, sodass mirs manchmal vorkam, als wollte der Signor mit
seiner Adlernase nach mir hacken, bis endlich die Mägde, die den babylonischen
Diskurs mit angehört hatten, uns beide tüchtig auslachten. Ich aber legte
schnell Messer und Gabel hin und ging vor die Haustür hinaus. Denn mir war
in dem fremden Lande nicht anders, als wäre ich mit meiner deutschen Zunge
tausend Klafter tief ins Meer versenkt, und allerlei unbekanntes Gewürm ringelte
sich und rauschte da in der Einsamkeit um mich her und glotzte und schnappte
nach mir.

Draußen war eine warme Sommernacht, so recht um gassaten zu gehn. Weit von
den Weinbergen herüber hörte man noch zuweilen einen Winzer singen, dazwischen
blitzte es manchmal von ferne, und die ganze Gegend zitterte und säuselte im
Mondschein. Ja manchmal kam es mir vor, als schlüpfte eine lange dunkle Gestalt
hinter den Haselnusssträuchern vor dem Hause vorüber und guckte durch die Zweige,
dann war alles auf einmal wieder still. - Da trat der Herr Guido eben auf den
Balkon des Wirtshauses heraus. Er bemerkte mich nicht und spielte sehr geschickt
auf einer Zither, die er im Hause gefunden haben musste, und sang dann dazu
wie eine Nachtigall:
Schweigt der Menschen laute Lust,
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewusst,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
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Ich weiß nicht, ob er noch mehr gesungen haben mag, denn ich hatte
mich auf die Bank vor der Haustür hingestreckt und schlief in der
lauen Nacht vor großer Ermüdung fest ein.

Es mochten wohl ein paar Stunden ins Land gegangen sein, als mich ein
Posthorn aufweckte, das lange Zeit lustig in meine Träume hereinblies,
ehe ich mich völlig besinnen konnte. Ich sprang endlich auf, der Tag
dämmerte schon an den Bergen, und die Morgenkühle rieselte mir durch
alle Glieder. Da fiel mir erst ein, dass wir ja um diese Zeit schon wieder
weit fort sein wollten. Aha, dachte ich, heut ist einmal das Wecken und
Auslachen an mir. Wie wird der Herr Guido mit dem verschlafenen Lockenkopfe
herausfahren, wenn er mich draußen hört! So ging ich in den kleinen Garten
am Hause dicht unter die Fenster, wo meine Herren wohnten, dehnte mich
noch einmal recht ins Morgenrot hinein und sang fröhlichen Mutes:
Wenn der Hoppevogel schreit,
Ist der Tag nicht mehr weit,
Wenn die Sonne sich auftut,
Schmeckt der Schlaf noch so gut!
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Das Fenster war offen, aber es blieb alles still oben, nur der
Nachtwind ging noch durch die Weinranken, die sich bis in das Fenster
hineinstreckten. - Nun, was soll denn das wieder bedeuten?, rief ich voll
Erstaunen aus und lief in das Haus und durch die stillen Gänge nach der
Stube zu. Aber da gab es mir einen rechten Stich ins Herz. Denn wie ich
die Tür aufreiße, ist alles leer, darin kein Frack, kein Hut, kein Stiefel. -
Nur die Zither, auf der Herr Guido gestern gespielt hatte, hing an der Wand,
auf dem Tische mitten in der Stube lag ein schöner, voller Geldbeutel,
worauf ein Zettel geklebt war. Ich hielt ihn näher ans Fenster und
traute meinen Augen kaum, es stand wahrhaftig mit großen Buchstaben
darauf: Für den Herrn Einnehmer!

Was mir aber das alles nütze, wenn ich meine lieben lustigen Herren nicht
wiederfand? Ich schob den Beutel in meine tiefe Rocktasche, das plumpte wie
in einen tiefen Brunnen, dass es mich ordentlich hintenüber zog. Dann rannte
ich hinaus, machte einen großen Lärm und weckte alle Knechte und Mägde im
Hause. Die wussten gar nicht, was ich wollte, und meinten, ich wäre verrückt
geworden. Dann aber verwunderten sie sich nicht wenig, als sie oben das
leere Nest sahen. Niemand wusste etwas von meinen Herren. Nur die eine Magd -
wie ich aus ihren Zeichen und Gestikulationen zusammenbringen konnte - hatte
bemerkt, dass der Herr Guido, als er gestern abends auf dem Balkon sang, auf
einmal laut aufschrie und dann geschwind zu dem andern Herrn in das Zimmer
zurückstürzte. Als sie hernach in der Nacht einmal aufwachte, hörte sie
draußen Pferdegetrappel. Sie guckte durch das kleine Kammerfenster und
sah den buckligen Signor, der gestern so viel mit mir gesprochen hatte,
auf einem Schimmel im Mondschein quer übers Feld galoppieren, dass er immer
ellenhoch überm Sattel in die Höhe flog und die Magd sich bekreuzte, weil
es aussah wie ein Gespenst, das auf einem dreibeinigen Pferde reitet. -
Da wusst ich nun gar nicht, was ich machen sollte.

Unterdes aber stand unser Wagen schon lange vor der Tür angespannt, und
der Postillon stieß ungeduldig ins Horn, dass er hätte bersten mögen, denn
er musste zu bestimmter Stunde auf der nächsten Station sein, da alles durch
Laufzettel bis auf die Minute vorausbestellt war. Ich rannte noch einmal um
das ganze Haus herum und rief die Maler, niemand gab Antwort, die Leute aus
dem Hause liefen zusammen und gafften mich an, der Postillon fluchte, die
Pferde schnaubten, ich, ganz verblüfft, springe endlich geschwind in den
Wagen hinein, der Hausknecht schlägt die Tür hinter mir zu, der Postillon
knallt, und so gings mit mir fort in die weite Welt hinein.