Ein Märchen aus der neuen Zeit
Erste Vigilie
Die Unglücksfälle des Studenten Anselmus. - Des Konrektors Paulmann
Sanitätsknaster und die goldgrünen Schlangen.

Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor, und geradezu in
einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes hässliches Weib feilbot, sodass alles, was der Quetschung
glücklich entgangen,
hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.
Auf das
Zetergeschrei, das die Alte erhob, verließen die Gevatterinnen ihre Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen Menschen
und schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein, sodass er, vor Ärger und Scham verstummend, nur seinen kleinen, nicht
eben besonders gefüllten Geldbeutel hinhielt, den die Alte begierig ergriff und schnell einsteckte. Nun öffnete sich der
fest geschlossene Kreis, aber indem der junge Mensch hinausschoss, rief ihm die Alte nach: »Ja renne - renne nur zu,
Satanskind - ins Kristall bald dein Fall - ins Kristall!« - Die gellende, krächzende Stimme des Weibes hatte etwas
Entsetzliches,
sodass die Spaziergänger verwundert stillstanden und das Lachen, das sich erst verbreitet, mit einem Mal verstummte. -
Der Student Anselmus (niemand anders war der junge Mensch) fühlte sich, unerachtet er des Weibes sonderbare Worte
durchaus nicht verstand, von einem unwillkürlichen Grausen ergriffen, und er beflügelte noch mehr seine Schritte, um sich
den auf ihn gerichteten Blicken der neugierigen Menge zu entziehen. Wie er sich nun durch das Gewühl geputzter Menschen
durcharbeitete, hörte er überall murmeln: »Der arme junge Mann - Ei! - über das verdammte Weib!« -
Auf ganz sonderbare
Weise hatten die geheimnisvollen Worte der Alten dem lächerlichen Abenteuer eine gewisse tragische Wendung gegeben,
sodass man dem vorhin ganz Unbemerkten jetzt teilnehmend nachsah. Die Frauenzimmer verziehen dem wohlgebildeten
Gesichte, dessen Ausdruck die Glut des innern Grimms noch erhöhte, sowie dem kräftigen Wuchse des Jünglings alles
Ungeschick sowie den ganz aus dem Gebiete aller Mode liegenden Anzug.
Sein hechtgrauer Frack war nämlich
so zugeschnitten,
als habe der Schneider, der ihn gearbeitet, die moderne Form nur von Hörensagen gekannt, und das schwarzatlasne,
wohl geschonte Unterkleid gab dem Ganzen einen gewissen magistermäßigen Stil, dem sich nun wieder Gang und Stellung
durchaus
nicht fügen wollten. - Als der Student schon beinahe das Ende der Allee erreicht, die nach dem Linke'schen Bade führt,
wollte
ihm beinahe der Atem ausgehen. Er war genötigt, langsamer zu wandeln; aber kaum wagte er den Blick in die Höhe zu richten,
denn noch immer sah er die Äpfel und Kuchen um sich tanzen, und jeder freundliche Blick dieses oder jenes Mädchens war ihm
nur der Reflex des schadenfrohen Gelächters am Schwarzen Tor.
So war er bis an den Eingang des
Linke'schen Bades gekommen;
eine Reihe festlich gekleideter Menschen nach der andern zog herein. Musik von Blasinstrumenten ertönte von innen, und immer
lauter und lauter wurde das Gewühl der lustigen Gäste. Die Tränen wären dem armen Studenten Anselmus
beinahe in die Augen
getreten, denn auch er hatte, da der Himmelfahrtstag immer ein besonderes Familienfest für ihn gewesen, an
der Glückseligkeit
des Linke'schen Paradieses teilnehmen,
ja er hatte es bis zu einer halben Portion Kaffee mit Rum und
einer Bouteille Doppelbier
treiben wollen und, um so recht schlampampen zu können, mehr Geld eingesteckt, als eigentlich erlaubt und tunlich war.
Und
nun hatte ihn der fatale Tritt in den Äpfelkorb um alles gebracht, was er bei sich getragen.
An Kaffee, an Doppelbier, an Musik,
an den Anblick der geputzten Mädchen - kurz, an alle geträumten Genüsse war nicht zu denken; er schlich langsam vorbei
und schlug endlich den Weg an der Elbe ein, der gerade ganz einsam war. Unter einem Holunderbaume, der aus der Mauer
hervorgesprossen, fand er ein freundliches Rasenplätzchen;
da setzte er sich hin und stopfte eine
Pfeife von dem Sanitätsknaster,
den ihm sein Freund, der Konrektor Paulmann, geschenkt. - Dicht vor ihm plätscherten und rauschten die goldgelben Wellen des
schönen Elbstroms, hinter demselben streckte das herrliche Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den
duftigen Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch grünenden Wälder, und aus tiefer
Dämmerung gaben die zackichten Gebirge Kunde vom fernen Böhmerlande. Aber finster vor sich hinblickend, blies
der Student Anselmus die Dampfwolken in die Luft, und sein Unmut wurde endlich laut, indem er sprach: »Wahr
ist es doch, ich bin zu allem möglichen Kreuz und Elend geboren! -
Dass ich niemals Bohnenkönig
geworden, dass
ich im Paar oder Unpaar immer falsch geraten, dass mein Butterbrot immer auf die fette Seite gefallen, von allem
diesen Jammer will ich gar nicht reden; aber ist es nicht ein schreckliches Verhängnis, dass ich, als ich denn
doch nun dem Satan zum Trotz Student geworden war, ein Kümmeltürke sein und bleiben musste? - Ziehe
ich wohl je einen neuen Rock an, ohne gleich das erste Mal einen Talgfleck hineinzubringen oder mir an einem
übel eingeschlagenen Nagel ein verwünschtes Loch hineinzureißen? Grüße ich wohl je einen
Herrn Hofrat oder
eine Dame, ohne den Hut weit von mir zu schleudern oder gar auf dem glatten Boden auszugleiten und
schändlich umzustülpen? Hatte ich nicht schon in Halle jeden Markttag eine bestimmte Ausgabe
von drei
bis vier Groschen für zertretene Töpfe, weil mir der Teufel in den Kopf setzt, meinen Gang geradeaus zu
nehmen wie die Laminge? Bin ich denn ein einziges Mal ins Kollegium oder wo man mich sonst hinbeschieden zu
rechter Zeit gekommen? Was half es, dass ich eine halbe Stunde vorher ausging und mich vor die Tür hinstellte,
den Drücker in der Hand, denn sowie ich mit dem Glockenschlage aufdrücken wollte, goss mir der Satan ein
Waschbecken über den Kopf oder ließ mich mit einem Heraustretenden zusammenrennen, dass ich in tausend
Händel verwickelt wurde und darüber alles versäumte. - Ach! ach! wo seid ihr hin, ihr seligen Träume
künftigen
Glücks, wie ich stolz wähnte, ich könne es wohl hier noch bis zum Geheimen Sekretär bringen! Aber hat mir mein
Unstern nicht die besten Gönner verfeindet? Ich weiß, dass der Geheime Rat, an den ich empfohlen bin, verschnittenes
Haar nicht leiden mag; mit Mühe befestigt der Friseur einen kleinen Zopf an meinem Hinterhaupt, aber bei der ersten
Verbeugung springt die unglückselige Schnur, und ein munterer Mops, der mich umschnüffelt, apportiert im Jubel
das Zöpfchen dem Geheimen Rate. Ich springe erschrocken nach und stürze über den Tisch, an dem er
frühstückend gearbeitet hat, sodass Tassen, Teller, Tintenfass - Sandbüchse klirrend herabstürzen und
der Strom von Schokolade und Tinte sich über die eben geschriebene Relation ergießt. 'Herr, sind Sie
des Teufels!', brüllt der erzürnte Geheime Rat und schiebt mich zur Tür hinaus. - Was hilft es, dass mir der
Konrektor Paulmann Hoffnung zu einem Schreiberdienste gemacht hat, wird es denn mein Unstern zulassen,
der mich überall verfolgt! - Nur noch heute! - Ich wollte den lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit
feiern, ich wollte ordentlich was daraufgehen lassen. Ich hätte ebensogut wie jeder andere Gast in Linkes
Bade stolz rufen können:
'Markör - eine Flasche Doppelbier - aber vom besten bitte ich!' -
Ich hätte bis
spät abends sitzen können und noch dazu ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich geputzter
schöner Mädchen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen, ich wäre ein ganz anderer Mensch
geworden; ja, ich hätte es so weit gebracht, dass wenn diese oder jene gefragt: 'Wie spät mag es wohl
jetzt sein' oder: 'Was ist denn das, was sie spielen', da wäre ich mit leichtem Anstande aufgesprungen,
ohne mein Glas umzuwerfen oder über die Bank zu stolpern; mich in gebeugter Stellung anderthalb Schritte
vorwärtsbewegend, hätte ich gesagt:
'Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen zu dienen, es ist die
Ouvertüre aus
dem Donauweibchen', oder: 'Es wird gleich sechs Uhr schlagen.' - Hätte mir das ein Mensch in der Welt übel
deuten können? - Nein! sage ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft lächelnd angesehen, wie es wohl
zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige zu zeigen, dass ich mich auch wohl auf den leichten Weltton
verstehe und mit Damen umzugehen weiß. Aber da führt mich der Satan in den verwünschten Äpfelkorb,
und nun muss ich in der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster -« Hier wurde der Student Anselmus in seinem
Selbstgespräche durch ein sonderbares Rieseln und Rascheln unterbrochen, das sich dicht neben ihm
im Grase erhob, bald aber in die Zweige und Blätter des Holunderbaums hinaufglitt, der sich über
seinem Haupte wölbte. Bald war es, als schüttle der Abendwind die Blätter, bald, als kos'ten
Vögelein in den Zweigen, die kleinen Fittiche im mutwilligen Hin- und Herflattern rührend. - Da fing
es an zu flüstern und zu lispeln, und es war, als ertönten die Blüten wie aufgehangene
Kristallglöckchen. Anselmus horchte und horchte. Da wurde, er wusste selbst nicht wie, das
Gelispel und Geflüster und Geklingel zu leisen, halb verwehten Worten:

»Zwischendurch - zwischenein - zwischen Zweigen, zwischen schwellenden Blüten, schwingen, schlängeln,
schlingen wir uns - Schwesterlein - Schwesterlein, schwinge dich im Schimmer - schnell, schnell herauf -
herab - Abendsonne schießt Strahlen, zischelt der Abendwind - raschelt der Tau - Blüten singen -
rühren wir Zünglein, singen wir mit Blüten und Zweigen - Sterne bald glänzen - müssen herab -
zwischendurch, zwischenein schlängeln, schlingen, schwingen wir uns Schwesterlein.« -

So ging es fort in Sinne verwirrender Rede. Der Student Anselmus dachte: »Das ist denn doch nur der
Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.« - Aber in dem Augenblick ertönte
es über seinem Haupte wie ein Dreiklang heller Kristallglocken; er schaute hinauf und erblickte drei in
grünem Gold erglänzende Schlänglein, die sich um die Zweige gewickelt hatten und die Köpfchen der
Abendsonne entgegenstreckten. Da flüsterte und lispelte es von Neuem in jenen Worten, und die
Schlänglein schlüpften und kos'ten auf und nieder durch die Blätter und Zweige, und wie sie sich so
schnell rührten, da war es, als streue der Holunderbusch tausend funkelnde Smaragde durch seine
dunklen Blätter. »Das ist die Abendsonne, die so in dem Holunderbusch spielt«, dachte der Student
Anselmus, aber da ertönten die Glocken wieder, und Anselmus sah, wie eine Schlange ihr Köpfchen
nach ihm herabstreckte. Durch alle Glieder fuhr es ihm wie ein elektrischer Schlag, er erbebte im
Innersten - er starrte hinauf, und ein Paar herrliche dunkelblaue Augen blickten ihn an mit
unaussprechlicher Sehnsucht, sodass ein nie gekanntes Gefühl der höchsten Seligkeit und des
tiefsten Schmerzes seine Brust zersprengen wollte. Und wie er voll heißen Verlangens immer
in die holdseligen Augen schaute, da ertönten stärker in lieblichen Akkorden die Kristallglocken,
und die funkelnden Smaragde fielen auf ihn herab und umspannen ihn, in tausend Flämmchen um
ihn herflackernd und spielend mit schimmernden Goldfaden. Der Holunderbusch rührte sich und
sprach: »Du lagst in meinem Schatten, mein Duft umfloss dich, aber du verstandest mich nicht.
Der Duft ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet.« Der Abendwind strich vorüber und
sprach: »Ich umspielte deine Schläfe, aber du verstandest mich nicht, der Hauch ist meine Sprache,
wenn ihn die Liebe entzündet.« Die Sonnenstrahlen brachen durch das Gewölk, und der Schein
brannte wie in Worten: »Ich umgoss dich mit glühendem Gold, aber du verstandest mich nicht;
Glut ist meine Sprache, wenn sie die Liebe entzündet.«

Und immer inniger und inniger versunken in den Blick des herrlichen Augenpaars, wurde heißer
die Sehnsucht, glühender das Verlangen. Da regte und bewegte sich alles, wie zum frohen
Leben erwacht. Blumen und Blüten dufteten um ihn her, und ihr Duft war wie herrlicher Gesang
von tausend Flötenstimmen, und was sie gesungen, trugen im Widerhall die goldenen
vorüberfliehenden Abendwolken in ferne Lande. Aber als der letzte Strahl der Sonne schnell
hinter den Bergen verschwand und nun die Dämmerung ihren Flor über die Gegend warf, da
rief, wie aus weiter Ferne, eine rauhe tiefe Stimme:

»Hei, hei, was ist das für ein Gemunkel und Geflüster da drüben - Hei, hei,
wer sucht mir doch den Strahl hinter den Bergen! - genug gesonnt, genug gesungen - Hei, hei, durch Busch
und Gras - durch Gras und Strom! - Hei, - hei - Her u - u - u nter - Her u - u - u nter!« -

So verschwand die Stimme wie im Murmeln eines fernen Donners, aber die Kristallglocken
zerbrachen im schneidenden Misston. Alles war verstummt, und Anselmus sah, wie die drei
Schlangen schimmernd und blinkend durch das Gras nach dem Strome schlüpften; rischelnd
und raschelnd stürzten sie sich in die Elbe, und über den Wogen, wo sie verschwunden,
knisterte ein grünes Feuer empor, das in schiefer Richtung nach der Stadt zu leuchtend verdampfte.
Zweite Vigilie
Wie der Student Anselmus für betrunken und wahnwitzig gehalten wurde. -
Die Fahrt über die Elbe. - Die Bravour-Arie des Kapellmeisters Graun. - Conradis Magen-Likör und das
bronzierte Äpfelweib.

»Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste!«, sagte eine ehrbare Bürgersfrau, die, vom Spaziergange
mit der Familie heimkehrend, stillstand und mit übereinandergeschlagenen Armen dem tollen
Treiben des Studenten Anselmus zusah. Der hatte nämlich den Stamm des Holunderbaumes
umfasst und rief unaufhörlich in die Zweige und Blätter hinein: »O nur noch einmal blinket und
leuchtet, ihr lieblichen goldnen Schlänglein, nur noch einmal lasst eure Glockenstimmchen hören!
Nur noch einmal blicket mich an, ihr holdseligen blauen Augen, nur noch einmal, ich muss ja sonst
vergehen in Schmerz und heißer Sehnsucht!« Und dabei seufzte und ächzte er aus der tiefsten
Brust recht kläglich und schüttelte vor Verlangen und Ungeduld den Holunderbaum, der aber
statt aller Antwort nur ganz dumpf und unvernehmlich mit den Blättern rauschte und so den
Schmerz des Studenten Anselmus ordentlich zu verhöhnen schien. - »Der Herr ist wohl nicht
recht bei Troste«, sagte die Bürgersfrau, und dem Anselmus war es so, als würde er aus einem
tiefen Traum gerüttelt oder gar mit eiskaltem Wasser begossen, um ja recht jählings zu erwachen.
Nun sah er erst wieder deutlich, wo er war, und besann sich, wie ein sonderbarer Spuk ihn geneckt
und gar dazu getrieben habe, ganz allein für sich selbst in laute Worte auszubrechen. Bestürzt
blickte er die Bürgersfrau an und griff endlich nach dem Hute, der zur Erde gefallen, um davonzueilen.
Der Familienvater war unterdessen auch herangekommen und hatte, nachdem er das Kleine, das er
auf dem Arm getragen, ins Gras gesetzt, auf seinen Stock sich stützend, mit Verwunderung dem
Studenten zugehört und zugeschaut. Er hob jetzt Pfeife und Tabaksbeutel auf, die der Student
fallen lassen, und sprach, beides ihm hinreichend: »Lamentier' der Herr nicht so schrecklich in der
Finsternis,
und vexier' Er nicht die Leute, wenn Ihm sonst nichts fehlt, als dass Er zu
viel ins Gläschen
gekuckt - geh Er fein ordentlich zu Hause und leg' Er sich aufs Ohr!« Der Student Anselmus schämte
sich sehr, er stieß ein weinerliches Ach! aus. »Nun nun«, fuhr der Bürgersmann fort,
»lass es der Herr nur
gut sein, so was geschieht den Besten, und am lieben Himmelfahrtstage kann man wohl in der Freude
seines Herzens ein Schlückchen über den Durst tun. Das passiert auch wohl einem Mann Gottes - der
Herr ist ja doch wohl ein
Kandidat. - Aber wenn es der Herr erlaubt, stopf' ich mir ein Pfeifchen von
seinem Tabak, meiner ist mir da droben ausgegangen.« Dies sagte der Bürger, als der Student
Anselmus schon Pfeife und Beutel einstecken wollte, und nun reinigte der Bürger langsam und
bedächtig seine Pfeife, und fing ebenso langsam an zu stopfen. Mehrere Bürgermädchen waren
dazugetreten, die sprachen heimlich mit der Frau und kickerten miteinander, indem sie den Anselmus
ansahen. Dem war es, als stände er auf lauter spitzigen Dornen und glühenden Nadeln. Sowie er nur
Pfeife und Tabaksbeutel erhalten, rannte er spornstreichs davon. Alles, was er Wunderbares gesehen,
war ihm rein aus dem Gedächtnis geschwunden, und er besann sich nur, dass er unter dem Holunderbaum
allerlei tolles Zeug ganz laut geschwatzt, was ihm denn um so entsetzlicher war, als er von jeher einen
innerlichen Abscheu gegen alle Selbstredner gehegt. »Der Satan schwatzt aus ihnen«, sagte sein Rektor,
und daran glaubte er auch in der Tat. Für einen am Himmelfahrtstage
betrunkenen Candidatus theologiae
gehalten zu werden, der Gedanke war ihm unerträglich. Schon wollte er in die Pappelallee bei dem
Kosel'schen Garten einbiegen, als eine Stimme hinter ihm herrief: »Herr Anselmus! Herr Anselmus! wo
rennen Sie denn um tausend Himmels willen hin in solcher Hast!« Der Student blieb wie in den Boden
gewurzelt stehen, denn er war überzeugt, dass nun gleich ein neues Unglück auf ihn einbrechen werde.
Die Stimme ließ sich wieder hören: »Herr Anselmus, so kommen Sie doch zurück, wir warten
hier am Wasser!« - Nun vernahm der Student erst, dass es sein Freund, der Konrektor Paulmann war, der ihn rief;
er ging zurück an die Elbe und
fand den Konrektor mit seinen beiden Töchtern sowie
den Registrator Heerbrand, wie sie eben im Begriff waren, in eine Gondel zu steigen. Der Konrektor Paulmann lud
den Studenten ein, mit ihm über die Elbe zu fahren und dann in seiner, auf der Pirnaer Vorstadt gelegenen
Wohnung abends über bei ihm zu bleiben. Der Student Anselmus nahm das recht gern an, weil er denn doch so dem bösen
Verhängnis, das heute über ihn walte, zu entrinnen glaubte. Als sie nun über den Strom fuhren, begab
es sich, dass auf dem jenseitigen Ufer bei dem Anton'schen Garten ein Feuerwerk abgebrannt wurde.
Prasselnd und zischend fuhren die Raketen in die Höhe, und die leuchtenden Sterne zersprangen in
den Lüften, tausend knisternde Strahlen und Flammen um sich sprühend. Der Student Anselmus saß
in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer, als er nun aber im Wasser den Widerschein der in der
Luft herumsprühenden und knisternden Funken und Flammen erblickte, da war es ihm, als zögen
die goldnen Schlänglein durch die Flut. Alles, was er unter dem Holunderbaum Seltsames geschaut,
trat wieder lebendig in Sinn und Gedanken, und aufs Neue ergriff ihn die unaussprechliche Sehnsucht,
das glühende Verlangen, welches dort seine Brust in krampfhaft schmerzvollem Entzücken erschüttert.
»Ach, seid ihr es denn wieder, ihr goldenen Schlänglein, singt nur, singt!
In eurem
Gesange erscheinen ja wieder die holden lieblichen dunkelblauen Augen - ach, seid ihr denn unter den Fluten!« -
So rief der Student Anselmus und machte dabei eine heftige Bewegung, als wolle er sich gleich aus der
Gondel in die Flut stürzen. »Ist der Herr des Teufels«, rief der Schiffer und erwischte ihn beim
Rockschoß. Die Mädchen, welche bei ihm gesessen, schrien im Schreck auf und flüchteten auf
die andere Seite der Gondel; der Registrator Heerbrand sagte dem Konrektor Paulmann etwas
ins Ohr, worauf dieser mehreres antwortete, wovon der Student Anselmus aber nur die Worte
verstand: »Dergleichen Anfälle - noch nicht bemerkt?« - Gleich nachher stand auch der Konrektor
Paulmann auf und setzte sich mit einer gewissen ernsten gravitätischen Amtsmiene zu dem
Studenten Anselmus, seine Hand nehmend und sprechend: »Wie ist Ihnen, Herr Anselmus?« Dem
Studenten Anselmus vergingen beinahe die Sinne, denn in seinem Innern erhob sich ein toller
Zwiespalt, den er vergebens beschwichtigen wollte. Er sah nun wohl deutlich, dass das, was
er für das Leuchten der goldenen Schlänglein gehalten, nur der Widerschein des Feuerwerks
bei Antons Garten war; aber ein nie gekanntes Gefühl, er wusste selbst nicht, ob Wonne, ob
Schmerz, zog krampfhaft seine Brust zusammen, und wenn der Schiffer nun so mit dem Ruder
ins Wasser hineinschlug, dass es, wie im Zorn sich emporkräuselnd, plätscherte und rauschte,
da vernahm er in dem Getöse ein heimliches Lispeln und Flüstern: »Anselmus! Anselmus!
Siehst du nicht, wie wir stets vor dir herziehen? - Schwesterlein blickt dich wohl wieder an -
glaube - glaube - glaube an uns.« - Und es war ihm, als säh' er im Widerschein drei grünglühende
Streifen. Aber als er dann recht wehmütig ins Wasser hineinblickte, ob nun nicht die holdseligen
Augen aus der Flut herausschauen würden, da gewahrte er wohl, dass der Schein nur von den
erleuchteten Fenstern der nahen Häuser herrührte. Schweigend saß er da und im Innern mit
sich kämpfend; aber der Konrektor Paulmann sprach noch heftiger: »Wie ist Ihnen, Herr Anselmus?«
Ganz kleinmütig antwortete der Student: »Ach, lieber Herr Konrektor, wenn Sie wüssten, was ich
eben unter einem Holunderbaum bei der Linke'schen Gartenmauer ganz wachend mit offnen
Augen für ganz besondere Dinge geträumt habe, ach, Sie würden es mir gar nicht verdenken,
dass ich so gleichsam abwesend« - »Ei, ei, Herr Anselmus«, fiel der Konrektor Paulmann ein, »ich
habe Sie immer für einen soliden jungen Mann gehalten, aber träumen - mit hellen offenen Augen
träumen und dann mit einem Mal ins Wasser springen wollen, das - verzeihen Sie mir, können nur
Wahnwitzige oder Narren!« - Der Student Anselmus wurde ganz betrübt über seines Freundes
harte Rede, da sagte Paulmanns älteste Tochter Veronika, ein recht hübsches blühendes
Mädchen von sechzehn Jahren: »Aber, lieber Vater, es muss dem Herrn Anselmus doch was
Besonderes begegnet sein, und er glaubt vielleicht nur, dass er gewacht habe, unerachtet er
unter dem Holunderbaum wirklich geschlafen und ihm allerlei närrisches Zeug vorgekommen, was
ihm noch in Gedanken liegt.« »Und, teuerste Mademoiselle, werter Konrektor«, nahm der Registrator
Heerbrand das Wort, »sollte man denn nicht auch wachend in einen gewissen träumerischen
Zustand versinken können?
So ist mir in der Tat selbst einmal nachmittags beim Kaffee in einem
solchen Hinbrüten, dem eigentlichen Moment körperlicher und geistiger Verdauung, die Lage
eines verlornen Aktenstücks wie durch Inspiration eingefallen, und nur noch gestern tanzte
auf gleiche Weise eine herrliche große lateinische Frakturschrift vor meinen hellen offenen
Augen umher.« - »Ach, geehrtester Registrator«, erwiderte der Konrektor Paulmann, »Sie haben
immer solch einen Hang zu den Poeticis gehabt, und da verfällt man leicht in das Fantastische
und Romanhafte.« Aber dem Studenten Anselmus tat es wohl, dass man sich seiner in der höchst
betrübten Lage, für betrunken oder wahnwitzig gehalten zu werden, annahm, und unerachtet
es ziemlich finster geworden, glaubte er doch zum ersten Male zu bemerken, wie Veronika
recht schöne dunkelblaue Augen habe, ohne dass ihm jedoch jenes wunderbare Augenpaar,
das er in dem Holunderbaum geschaut, in Gedanken kam. Überhaupt war dem Studenten Anselmus
mit einem Mal nun wieder das Abenteuer unter dem Holunderbaum ganz verschwunden, er
fühlte sich so leicht und froh, ja er trieb es wie im lustigen
Übermute so weit, dass er bei dem Heraussteigen aus der Gondel seiner Schutzrednerin Veronika
die hilfreiche Hand bot und ohne Weiteres, als sie ihren Arm in den seinigen hing, sie mit so vieler
Geschicklichkeit und so vielem Glück zu Hause führte, dass er nur ein einziges Mal ausglitt, und da
es gerade der einzige schmutzige Fleck auf dem ganzen Wege war, Veronikas weißes Kleid nur
ganz wenig bespritzte. Dem Konrektor Paulmann entging die glückliche Änderung des Studenten
Anselmus nicht, er gewann ihn wieder lieb und bat ihn der harten Worte wegen, die er vorhin gegen
ihn fallen lassen, um Verzeihung. »Ja!«, fügte er hinzu, »man hat wohl Beispiele, dass oft gewisse
Fantasmata dem Menschen vorkommen und ihn ordentlich ängstigen und quälen können, das ist
aber körperliche Krankheit,
und es helfen Blutigel, die man, salva venia, dem Hintern appliziert, wie
ein berühmter, bereits verstorbener Gelehrter bewiesen.« Der Student Anselmus wusste nun in der
Tat selbst nicht, ob er betrunken, wahnwitzig oder krank gewesen, auf jeden Fall schienen ihm aber
die Blutigel ganz unnütz, da die etwanigen Fantasmata gänzlich verschwunden und er sich immer
heiterer fühlte, je mehr es ihm gelang, sich in allerlei Artigkeiten um die hübsche Veronika zu bemühen.
Es wurde wie gewöhnlich
nach der frugalen Mahlzeit Musik gemacht; der Student Anselmus musste sich
ans Klavier setzen, und Veronika ließ ihre helle, klare Stimme hören. - »Werte Mademoiselle«, sagte der
Registrator Heerbrand, »Sie haben eine Stimme wie eine Kristallglocke!« »Das nun wohl nicht!«, fuhr es
dem Studenten Anselmus heraus, er wusste selbst nicht wie, und alle sahen ihn verwundert und betroffen
an. »Kristallglocken tönen in Holunderbäumen wunderbar! wunderbar!«, fuhr der Student Anselmus halbleise
murmelnd fort. Da legte Veronika ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Was sprechen Sie denn da,
Herr Anselmus?« Gleich wurde der Student wieder ganz munter und fing an zu spielen. Der Konrektor
Paulmann sah ihn finster an, aber der Registrator Heerbrand legte ein Notenblatt auf den Pult und sang
zum Entzücken eine Bravour-Arie vom Kapellmeister Graun. Der Student Anselmus akkompagnierte noch
manches, und ein fugiertes Duett, das er mit Veronika vortrug und das der Konrektor Paulmann selbst
komponiert, setzte alles in die fröhlichste Stimmung. Es war ziemlich spät worden, und der Registrator
Heerbrand griff nach Hut und Stock, da trat der Konrektor Paulmann geheimnisvoll zu ihm hin und
sprach: »Ei, wollten Sie nicht, geehrter Registrator, dem guten Herrn Anselmus selbst - nun! wovon
wir vorhin sprachen« - »Mit tausend Freuden«, erwiderte der Registrator Heerbrand und begann,
nachdem sie sich im Kreise gesetzt, ohne Weiteres in folgender Art: »Es ist hier am Orte ein alter
wunderlicher, merkwürdiger Mann, man sagt, er treibe allerlei geheime Wissenschaften, da es nun
aber dergleichen eigentlich nicht gibt, so halte ich ihn eher für einen forschenden Antiquar, auch
wohl nebenher für einen experimentierenden Chemiker. Ich meine niemand andern als unsern
Geheimen Archivarius Lindhorst. Er lebt, wie Sie wissen, einsam in seinem entlegenen alten Hause,
und wenn ihn der Dienst nicht beschäftigt, findet man ihn in seiner Bibliothek oder in seinem
chemischen Laboratorio, wo er aber niemanden hineinlässt. Er besitzt ausser vielen seltenen
Büchern eine Anzahl zum Teil arabischer, koptischer und gar in sonderbaren Zeichen, die keiner
bekannten Sprache angehören, geschriebener Manuskripte. Diese will er auf geschickte Weise
kopieren lassen, und es bedarf dazu eines Mannes, der sich darauf versteht, mit der Feder zu
zeichnen, um mit der höchsten Genauigkeit und Treue alle Zeichen auf Pergament, und zwar mit
Tusche, übertragen zu können. Er lässt in einem besondern Zimmer seines Hauses unter seiner
Aufsicht arbeiten, bezahlt außer dem freien Tisch während der Arbeit jeden Tag einen
Speziestaler
und verspricht noch ein ansehnliches Geschenk, wenn die Abschriften glücklich beendet. Die Zeit der
Arbeit ist täglich von zwölf bis sechs Uhr. Von drei bis vier Uhr wird geruht und gegessen. Da er
schon mit ein paar jungen Leuten vergeblich den Versuch gemacht hat, jene Manuskripte kopieren
zu lassen, so hat er sich endlich an mich gewendet, ihm einen geschickten Zeichner zuzuweisen; da
habe ich an Sie gedacht, lieber Herr Anselmus, denn ich weiß, dass Sie sowohl sehr sauber schreiben,
als auch mit der Feder zierlich und rein zeichnen. Wollen Sie daher in dieser schlechten Zeit und bis
zu Ihrer etwanigen Anstellung den Speziestaler täglich verdienen und das Geschenk obendrein, so
bemühen Sie sich morgen Punkt zwölf Uhr zu dem Herrn Archivarius, dessen Wohnung Ihnen bekannt
sein wird. - Aber hüten Sie sich ja vor jedem Tinteflecken; fällt er auf die Abschrift, so müssen Sie
ohne Gnade von vorn anfangen, fällt er auf das Original, so ist der Herr Archivarius imstande, Sie
zum Fenster hinauszuwerfen, denn es ist ein zorniger Mann.« - Der Student Anselmus war voll inniger
Freude über den Antrag des Registrators Heerbrand; denn nicht allein, dass er sauber schrieb und
mit der Feder zeichnete, so war es auch seine wahre Passion, mit mühsamem kalligraphischen
Aufwande abzuschreiben; er dankte daher seinen Gönnern in den verbindlichsten Ausdrücken und
versprach die morgende Mittagsstunde nicht zu versäumen. In der Nacht sah der Student Anselmus
nichts als blanke Speziestaler und hörte ihren lieblichen Klang. - Wer mag das dem Armen verargen,
der um so manche Hoffnung durch ein launisches Missgeschick betrogen,
jeden Heller zu Rate halten
und manchem Genuss, den jugendliche Lebenslust forderte, entsagen musste. Schon am frühen Morgen
suchte er seine Bleistifte, seine Rabenfedern, seine chinesische Tusche zusammen; denn besser,
dachte er, kann der Archivarius keine Materialien erfinden. Vor allen Dingen musterte und ordnete er
seine kalligraphischen Meisterstücke und seine Zeichnungen, um sie dem Archivarius, zum Beweis
seiner Fähigkeit, das Verlangte zu erfüllen, aufzuweisen. Alles ging glücklich vonstatten, ein
besonderer Glücksstern schien über ihn zu walten, die Halsbinde saß gleich beim ersten Umknüpfen
wie sie sollte, keine Naht platzte, keine Masche zerriss in den schwarzseidenen Strümpfen, der Hut
fiel nicht noch einmal in den Staub, als er schon sauber abgebürstet. - Kurz! - Punkt halb zwölf Uhr
stand der Student Anselmus in seinem hechtgrauen Frack und seinen schwarzatlasnen Unterkleidern,
eine Rolle Schönschriften und Federzeichnungen in der Tasche, schon auf der Schlossgasse in
Conradis Laden und trank - eins - zwei Gläschen des besten Magenlikörs, denn hier, dachte er,
indem er auf die annoch leere Tasche schlug, werden bald Speziestaler erklingen. Unerachtet des
weiten Weges bis in die einsame Straße, in der sich das uralte Haus des Archivarius Lindhorst
befand, war der Student Anselmus doch vor zwölf Uhr an der Haustür. Da stand er und schaute
den großen schönen bronzenen Türklopfer an; aber als er nun auf den letzten die Luft mit
mächtigem Klange durchbebenden Schlag der Turmuhr an der Kreuzkirche den Türklopfer ergreifen
wollte, da verzog sich das metallene Gesicht im ekelhaften Spiel blauglühender Lichtblicke zum
grinsenden Lächeln. Ach! es war ja das Äpfelweib vom Schwarzen Tor! Die spitzigen Zähne klappten
in dem schlaffen Maule zusammen, und in dem Klappern schnarrte es: »Du Narre - Narre - Narre -
warte, warte! warum warst hinausgerannt! Narre!« - Entsetzt taumelte der Student Anselmus
zurück, er wollte den Türpfosten ergreifen, aber seine Hand erfasste die Klingelschnur und zog
sie an, da läutete es stärker und stärker in gellenden Misstönen, und durch das ganze öde Haus
rief und spottete der Widerhall: »Bald dein Fall ins Kristall!« - Den Studenten Anselmus ergriff ein
Grausen, das im krampfhaften Fieberfrost durch alle Glieder bebte.
Die Klingelschnur senkte sich
hinab und wurde zur weißen durchsichtigen Riesenschlange, die umwand und drückte ihn, fester
und fester ihr Gewinde schnürend, zusammen, dass die mürben zermalmten Glieder knackend
zerbröckelten und sein Blut aus den Adern spritzte, eindringend in den durchsichtigen Leib der
Schlange und ihn rot färbend. - »Töte mich, töte mich!«, wollte er schreien in der entsetzlichen
Angst, aber sein Geschrei war nur ein dumpfes Röcheln. - Die Schlange erhob ihr Haupt und legte
die lange spitzige Zunge von glühendem Erz auf die Brust des Anselmus, da zerriss ein schneidender
Schmerz jähling die Pulsader des Lebens, und es vergingen ihm die Gedanken. - Als er wieder zu sich
selbst kam, lag er auf seinem dürftigen Bettlein, vor ihm stand aber der Konrektor Paulmann und
sprach: »Was treiben Sie denn um des Himmels willen für tolles Zeug, lieber Herr Anselmus!«
Dritte Vigilie
Nachrichten von der Familie des Archivarius Lindhorst. - Veronikas blaue Augen. -
Der Registrator Heerbrand.

»Der Geist schaute auf das Wasser, da bewegte es sich und brauste in schäumenden Wogen
und stürzte sich donnernd in die Abgründe, die ihre schwarzen Rachen aufsperrten, es
gierig zu verschlingen. Wie triumphierende Sieger hoben die Granitfelsen ihre zackicht
gekrönten Häupter empor, das Tal schützend, bis es die Sonne in ihren mütterlichen
Schoß nahm und es umfassend mit ihren Strahlen wie mit glühenden Armen pflegte und
wärmte. Da erwachten tausend Keime, die unter dem öden Sande geschlummert, aus dem
tiefen Schlafe und streckten ihre grüne Blättlein und Halme zum Angesicht der Mutter hinauf,
und wie lächelnde Kinder in grüner Wiege ruhten in den Blüten und Knospen Blümlein, bis
auch sie, von der Mutter geweckt, erwachten und sich schmückten mit den Lichtern, die
die Mutter ihnen zur Freude auf tausendfache Weise bunt gefärbt.
Aber in der Mitte des
Tals war ein schwarzer Hügel, der hob sich auf und nieder wie die Brust des Menschen,
wenn glühende Sehnsucht sie schwellt. - Aus den Abgründen rollten die Dünste empor,
und sich zusammenballend in gewaltige Massen, strebten sie das Angesicht der Mutter
feindlich zu verhüllen; die rief aber den Sturm herbei, der fuhr zerstäubend unter sie, und
als der reine Strahl wieder den schwarzen Hügel berührte, da brach im Übermaß des
Entzückens eine herrliche Feuerlilie hervor, die schönen Blätter wie holdselige Lippen
öffnend, der Mutter süße Küsse zu empfangen. - Nun schritt ein glänzendes Leuchten in
das Tal; es war der Jüngling Phosphorus, den sah die Feuerlilie und flehte, von heißer
sehnsüchtiger Liebe befangen: 'Sei doch mein ewiglich, du schöner Jüngling! denn ich
liebe dich und muss vergehen, wenn du mich verlässest.' Da sprach der Jüngling
Phosphorus: 'Ich will dein sein, du schöne Blume, aber dann wirst du wie ein entartet
Kind Vater und Mutter verlassen, du wirst deine Gespielen nicht mehr kennen, du wirst
größer und mächtiger sein wollen als alles, was sich jetzt als deinesgleichen mit dir freut.
Die Sehnsucht, die jetzt dein ganzes Wesen wohltätig erwärmt, wird, in hundert Strahlen
zerspaltet, dich quälen und martern, denn der Sinn wird die Sinne gebären, und die höchste
Wonne, die der Funke entzündet, den ich in dich hineinwerfe, ist der hoffnungslose Schmerz,
in dem du untergehst, um aufs Neue fremdartig emporzukeimen. - Dieser Funke ist
der Gedanke!' - 'Ach!', klagte die Lilie, 'kann ich denn nicht in der Glut, wie sie jetzt in mir
brennt, dein sein? Kann ich dich denn mehr lieben als jetzt, und kann ich dich denn schauen
wie jetzt, wenn du mich vernichtest?' Da küsste sie der Jüngling Phosphorus, und wie vom
Lichte durchstrahlt loderte sie auf in Flammen, aus denen ein fremdes Wesen hervorbrach,
das, schnell dem Tale entfliehend, im unendlichen Raume herumschwärmte, sich nicht
kümmernd um die Gespielen der Jugend und um den geliebten Jüngling. Der klagte
um die verlorne Geliebte, denn auch ihn brachte ja nur die unendliche Liebe zu der
schönen Lilie in das einsame Tal, und die Granitfelsen neigten ihre Häupter teilnehmend
vor dem Jammer des Jünglings. Aber einer öffnete seinen Schoß, und es kam ein
schwarzer geflügelter Drache rauschend herausgeflattert und sprach: 'Meine Brüder,
die Metalle, schlafen da drinnen, aber ich bin stets munter und wach und will dir helfen.'
Sich auf- und niederschwingend erhaschte endlich der Drache das Wesen, das der Lilie
entsprossen, trug es auf den Hügel und umschloss es mit seinem Fittich; da war es wieder
die Lilie, aber der bleibende Gedanke zerriss ihr Innerstes, und die Liebe zu dem Jüngling
Phosphorus war ein schneidender Jammer, vor dem, von giftigen Dünsten angehaucht,
die Blümlein, die sonst sich ihres Blicks gefreut, verwelkten und starben.
Der Jüngling
Phosphorus legte eine glänzende Rüstung an, die in tausendfarbigen Strahlen spielte,
und kämpfte mit dem Drachen, der mit seinem schwarzen Fittich an den Panzer schlug,
dass er hell erklang; und von dem mächtigen Klange lebten die Blümlein wieder auf und
umflatterten wie bunte Vögel den Drachen, dessen Kräfte schwanden und der besiegt
sich in der Tiefe der Erde verbarg. Die Lilie war befreit, der Jüngling Phosphorus
umschlang sie voll glühenden Verlangens himmlischer Liebe, und im hochjubelnden
Hymnus huldigten ihr die Blumen, die Vögel, ja selbst die hohen Granitfelsen als Königin
des Tals.« - »Erlauben Sie, das ist orientalischer Schwulst, werter Herr Archivarius!»,
sagte der Registrator Heerbrand, »und wir baten denn doch, Sie sollten, wie Sie sonst
wohl zu tun pflegen, uns etwas aus Ihrem höchst merkwürdigen Leben, etwa von Ihren
Reiseabenteuern, und zwar etwas Wahrhaftiges, erzählen.« »Nun was denn«, erwiderte
der Archivarius Lindhorst, »das, was ich soeben erzählt, ist das Wahrhaftigste, was ich
euch auftischen kann, ihr Leute, und gehört in gewisser Art auch zu meinem Leben.
Denn ich stamme eben aus jenem Tale her, und die Feuerlilie, die zuletzt als Königin
herrschte, ist meine Ur-ur-ur-ur-Großmutter, weshalb ich denn auch eigentlich ein
Prinz bin.« - Alle brachen in ein schallendes Gelächter aus. - »Ja, lacht nur recht herzlich«,
fuhr der Archivarius Lindhorst fort, »euch mag wohl das, was ich freilich nur in ganz
dürftigen Zügen erzählt habe, unsinnig und toll vorkommen, aber es ist dessen
unerachtet nichts weniger als ungereimt oder auch nur allegorisch gemeint, sondern
buchstäblich wahr. Hätte ich aber gewusst, dass euch die herrliche Liebesgeschichte,
der auch ich meine Entstehung zu verdanken habe, so wenig gefallen würde, so hätte
ich lieber manches Neue mitgeteilt, das mir mein Bruder beim gestrigen Besuch mitbrachte.«
»Ei, wie das? Haben Sie denn einen Bruder, Herr Archivarius? - Wo ist er denn - wo lebt er
denn?
Auch in königlichen Diensten, oder vielleicht ein privatisierender Gelehrter?« -
so fragte man von allen Seiten. - »Nein!«, erwiderte der Archivarius, ganz kalt und gelassen
eine Prise nehmend, »er hat sich auf die schlechte Seite gelegt und ist unter die Drachen
gegangen.« - »Wie beliebten Sie doch zu sagen, wertester Archivarius«, nahm der Registrator
Heerbrand das Wort, »unter die Drachen?« »Unter die Drachen?«, hallte es von allen Seiten
wie ein Echo nach. - »Ja, unter die Drachen«, fuhr der Archivarius Lindhorst fort;
»eigentlich war es Desperation. Sie wissen, meine Herren, dass mein Vater vor ganz kurzer Zeit starb,
es sind nur höchstens dreihundertundfünfundachtzig Jahre her, weshalb ich auch noch
Trauer trage, der hatte mir, dem Liebling, einen prächtigen Onyx vermacht, den durchaus
mein Bruder haben wollte. Wir zankten uns bei der Leiche des Vaters darüber auf eine
ungebührliche Weise, bis der Selige, der die Geduld verlor, aufsprang und den bösen Bruder
die Treppe hinunterwarf. Das wurmte meinen Bruder, und er ging stehenden Fußes unter die
Drachen. Jetzt hält er sich in einem Zypressenwalde dicht bei Tunis auf, dort hat er einen
berühmten mystischen Karfunkel zu bewachen, dem ein Teufelskerl von Nekromant, der ein
Sommerlogis in Lappland bezogen, nachstellt, weshalb er denn nur auf ein Viertelstündchen,
wenn gerade der Nekromant im Garten seine Salamanderbeete besorgt, abkommen kann,
um mir in der Geschwindigkeit zu erzählen, was es gutes Neues an den Quellen des Nils gibt.« -
Zum zweiten Male brachen die Anwesenden in ein schallendes Gelächter aus, aber dem
Studenten Anselmus wurde ganz unheimlich zumute, und er konnte dem Archivarius Lindhorst
kaum in die starren ernsten Augen sehen, ohne innerlich auf eine ihm selbst unbegreifliche
Weise zu erbeben. Zumal hatte die rauhe, aber sonderbar metallartig tönende Stimme des
Archivarius Lindhorst für ihn etwas geheimnisvoll Eindringendes, dass er Mark und Bein erzittern
fühlte. Der eigentliche Zweck, weshalb ihn der Registrator Heerbrand mit in das Kaffeehaus
genommen hatte, schien heute nicht erreichbar zu sein. Nach jenem Vorfall vor dem Hause
des Archivarius Lindhorst war nämlich der Student Anselmus nicht dahin zu vermögen gewesen,
den Besuch zum zweiten Male zu wagen; denn nach seiner innigsten Überzeugung hatte nur
der Zufall ihn, wo nicht vom Tode, doch von der Gefahr, wahnwitzig zu werden, befreit. Der
Konrektor Paulmann war eben durch die Straße gegangen, als er ganz von Sinnen vor der
Haustür lag und ein altes Weib, die ihren Kuchen- und Äpfelkorb beiseite gesetzt, um ihn
beschäftigt war.
Der Konrektor Paulmann hatte sogleich eine Portechaise herbeigerufen
und ihn so nach Hause transportiert. »Man mag von mir denken, was man will«, sagte der
Student Anselmus, »man mag mich für einen Narren halten oder nicht - genug! - an dem
Türklopfer grinste mir das vermaledeite Gesicht der Hexe vom Schwarzen Tore entgegen;
was nachher geschah, davon will ich lieber gar nicht reden, aber wäre ich aus meiner
Ohnmacht erwacht und hätte das verwünschte Äpfelweib vor mir gesehen (denn niemand
anders war doch das alte um mich beschäftigte Weib), mich hätte augenblicklich der
Schlag gerührt, oder ich wäre wahnsinnig geworden.« Alles Zureden, alle vernünftige
Vorstellungen des Konrektors Paulmann und des Registrators Heerbrand fruchteten gar
nichts, und selbst die blauäugige Veronika vermochte nicht, ihn aus einem gewissen
tiefsinnigen Zustande zu reißen, in den er versunken. Man hielt ihn nun in der Tat für
seelenkrank und sann auf Mittel, ihn zu zerstreuen, worauf der Registrator Heerbrand
meinte, dass nichts dazu dienlicher sein könne als die Beschäftigung bei dem Archivarius
Lindhorst, nämlich das Nachmalen der Manuskripte. Es kam nur darauf an, den Studenten
Anselmus auf gute Art dem Archivarius Lindhorst bekannt zu machen, und da der Registrator
Heerbrand wusste, dass dieser beinahe jeden Abend ein gewisses bekanntes Kaffeehaus
besuchte, so lud er den Studenten Anselmus ein, jeden Abend so lange auf seine, des
Registrators, Kosten in jenem Kaffeehause ein Glas Bier zu trinken und eine Pfeife zu rauchen,
bis er auf diese oder jene Art dem Archivarius bekannt und mit ihm über das Geschäft
des Abschreibens der Manuskripte einig worden, welches der Student Anselmus dankbarlichst
annahm. »Sie verdienen Gottes Lohn, werter Registrator, wenn Sie den jungen Menschen zur
Raison bringen«, sagte der Konrektor Paulmann. »Gottes Lohn!«, wiederholte Veronika, indem
sie die Augen fromm zum Himmel erhub und lebhaft daran dachte, wie der Student Anselmus
schon jetzt ein recht artiger junger Mann sei, auch ohne Raison! - Als der Archivarius
Lindhorst eben mit Hut und Stock zur Tür hinausschreiten wollte, da ergriff der Registrator
Heerbrand den Studenten Anselmus rasch bei der Hand, und mit ihm dem Archivarius den
Weg vertretend, sprach er: »Geschätztester Herr Geheimer Archivarius, hier ist der
Student Anselmus, der, ungemein geschickt im Schönschreiben und Zeichnen, Ihre
seltenen Manuskripte kopieren will.« »Das ist mir ganz ungemein lieb«, erwiderte der
Archivarius Lindhorst rasch, warf den dreieckigen soldatischen Hut auf den Kopf und
eilte, den Registrator Heerbrand und den Studenten Anselmus beiseite schiebend, mit
vielem Geräusch die Treppe hinab, sodass beide ganz verblüfft dastanden und die
Stubentür anguckten, die er dicht vor ihnen zugeschlagen, dass die Angeln klirrten.
»Das ist ja ein ganz wunderlicher alter Mann«, sagte der Registrator Heerbrand. -
»Wunderlicher alter Mann«, stotterte der Student Anselmus nach, fühlend, wie ein
Eisstrom ihm durch alle Adern fröstelte, dass er beinahe zur starren Bildsäule worden.
Aber alle Gäste lachten und sagten:
»Der Archivarius war heute einmal wieder in seiner
besonderen Laune, morgen ist er gewiss sanftmütig und spricht kein Wort, sondern sieht
in die Dampfwirbel seiner Pfeife oder liest Zeitungen, man muss sich daran gar nicht
kehren.« - »Das ist auch wahr«, dachte der Student Anselmus, »wer wird sich an so
etwas kehren! Hat der Archivarius nicht gesagt, es sei ihm ganz ungemein lieb, dass
ich seine Manuskripte kopieren wollte? - Und warum vertrat ihm auch der Registrator
Heerbrand den Weg, als er gerade nach Hause gehen wollte? - Nein, nein, es ist ein
lieber Mann im Grunde genommen,
der Herr Geheime Archivarius Lindhorst, und liberal
erstaunlich - nur kurios in absonderlichen Redensarten - allein was schadet das mir? -
Morgen gehe ich hin Punkt zwölf Uhr, und setzten sich hundert bronzierte Äpfelweiber
dagegen.«
Vierte Vigilie
Melancholie des Studenten Anselmus. - Der smaragdene Spiegel. - Wie der Archivarius
Lindhorst als Stoßgeier davonflog und der Student Anselmus niemandem begegnete.
Wohl darf ich geradezu dich selbst, günstiger Leser, fragen, ob du in deinem Leben nicht
Stunden, ja Tage und Wochen hattest, in denen dir all dein gewöhnliches Tun und Treiben
ein recht quälendes Missbehagen erregte und in denen dir alles, was dir sonst recht wichtig
und wert in Sinn und Gedanken zu tragen vorkam, nun läppisch und nichtswürdig erschien?
Du wusstest dann selbst nicht, was du tun und wohin du dich wenden solltest; ein dunkles
Gefühl, es müsse irgendwo und zu irgendeiner Zeit ein hoher, den Kreis alles irdischen
Genusses überschreitender Wunsch erfüllt werden, den der Geist, wie ein streng gehaltenes
furchtsames Kind, gar nicht auszusprechen wage, erhob deine Brust, und in dieser Sehnsucht
nach dem unbekannten Etwas, das dich überall, wo du gingst und standest, wie ein duftiger
Traum mit durchsichtigen, vor dem schärferen Blick zerfließenden Gestalten umschwebte,
verstummtest du für alles, was dich hier umgab. Du schlichst mit trübem Blick umher wie
ein hoffnungslos Liebender, und alles, was du die Menschen auf allerlei Weise im bunten
Gewühl durcheinander treiben sahst, erregte dir keinen Schmerz und keine Freude, als
gehörtest du nicht mehr dieser Welt an. Ist dir, günstiger Leser, jemals so zu Mute gewesen,
so kennst du selbst aus eigner Erfahrung den Zustand, in dem sich der Student Anselmus
befand. Überhaupt wünschte ich, es wäre mir schon jetzt gelungen, dir, geneigter Leser,
den Studenten Anselmus recht lebhaft vor Augen zu bringen. Denn in der Tat, ich habe in den
Nachtwachen, die ich dazu verwende, seine höchst sonderbare Geschichte aufzuschreiben,
noch so viel Wunderliches, das wie eine spukhafte Erscheinung das alltägliche Leben ganz
gewöhnlicher Menschen ins Blaue hinausrückte, zu erzählen,
dass mir
bange ist, du werdest am Ende weder an den Studenten Anselmus noch an den Archivarius Lindhorst glauben, ja wohl gar
einige ungerechte Zweifel gegen den Konrektor Paulmann und den Registrator Heerbrand hegen,
unerachtet wenigstens die letztgenannten achtbaren Männer noch jetzt in Dresden umherwandeln.
Versuche es, geneigter Leser, in dem feenhaften Reiche voll herrlicher Wunder, die die höchste
Wonne sowie das tiefste Entsetzen in gewaltigen Schlägen hervorrufen, ja, wo die ernste Göttin
ihren Schleier lüftet, dass wir ihr Antlitz zu schauen wähnen - aber ein Lächeln schimmert oft aus
dem ernsten Blick, und das ist der neckhafte Scherz, der in allerlei verwirrendem Zauber mit uns
spielt, so wie die Mutter oft mit ihren liebsten Kindern tändelt - ja! in diesem Reiche, das uns der
Geist so oft, wenigstens im Traume aufschließt, versuche es, geneigter Leser, die bekannten
Gestalten, wie sie täglich, wie man zu sagen pflegt im gemeinen Leben, um dich herwandeln,
wiederzuerkennen. Du wirst dann glauben, dass dir jenes herrliche Reich viel näher liege, als du
sonst wohl meintest, welches ich nun eben recht herzlich wünsche und dir in der seltsamen
Geschichte des Studenten Anselmus anzudeuten strebe. - Also, wie gesagt, der Student
Anselmus geriet seit jenem Abende, als er den Archivarius Lindhorst gesehen, in ein
träumerisches Hinbrüten, das ihn für jede äußere Berührung des gewöhnlichen Lebens
unempfindlich machte. Er fühlte, wie ein unbekanntes Etwas in seinem Innersten sich
regte und ihm jenen wonnevollen Schmerz verursachte, der eben die Sehnsucht ist,
welche dem Menschen ein anderes höheres Sein verheißt. Am liebsten war es ihm,
wenn er allein durch Wiesen und Wälder schweifen und, wie losgelöst von allem, was
ihn an sein dürftiges Leben fesselte, nur im Anschauen der mannigfachen Bilder, die aus
seinem Innern stiegen, sich gleichsam selbst wiederfinden konnte. So kam es denn, dass
er einst, von einem weiten Spaziergange heimkehrend, bei jenem merkwürdigen
Holunderbusch vorüberschritt, unter dem er damals, wie von Feerei befangen, so
viel Seltsames sah; er fühlte sich wunderbarlich von dem grünen heimatlichen
Rasenfleck angezogen, aber kaum hatte er sich daselbst niedergelassen, als alles,
was er damals wie in einer himmlischen Verzückung geschaut und das wie von einer
fremden Gewalt aus seiner Seele verdrängt worden, ihm wieder in den lebhaftesten
Farben vorschwebte, als sähe er es zum zweiten Mal. Ja, noch deutlicher als damals
war es ihm, dass die holdseligen blauen Augen der goldgrünen Schlange angehörten,
die in der Mitte des Holunderbaums sich emporwand, und dass in den Windungen des
schlanken Leibes all die herrlichen Kristall-Glockentöne hervorblitzen mussten, die ihn
mit Wonne und Entzücken erfüllten. So wie damals am Himmelfahrtstage umfasste er
den Holunderbaum und rief in die Zweige und Blätter hinein: »Ach, nur noch einmal
schlängle und schlinge und winde dich, du holdes grünes Schlänglein, in den Zweigen,
dass ich dich schauen mag. - Nur noch einmal blicke mich an mit deinen holdseligen
Augen! Ach, ich liebe dich ja und muss in Trauer und Schmerz vergehen, wenn du nicht
wiederkehrst!« Alles blieb jedoch stumm und still, und wie damals rauschte der
Holunderbaum nur ganz unvernehmlich mit seinen Zweigen und Blättern. Aber dem
Studenten Anselmus war es, als wisse er nun, was sich in seinem Innern so rege und
bewege, ja was seine Brust so im Schmerz einer unendlichen Sehnsucht zerreiße.
»Ist es denn etwas anderes«, sprach er, »als dass ich dich so ganz mit voller Seele
bis zum Tode liebe, du herrliches goldenes Schlänglein, ja dass ich ohne dich nicht zu
leben vermag und vergehen muss in hoffnungsloser Not, wenn ich dich nicht wiedersehe,
dich nicht habe wie die Geliebte meines Herzens - aber ich weiß es, du wirst mein, und
dann alles, was herrliche Träume aus einer andern, höhern Welt mir verheißen, erfüllt
sein.« - Nun ging der Student Anselmus jeden Abend, wenn die Sonne nur noch in die
Spitzen der Bäume ihr funkelndes Gold streute, unter den Holunderbaum und rief aus
tiefer Brust mit ganz kläglichen Tönen in die Blätter und Zweige hinein nach der holden
Geliebten, dem goldgrünen Schlänglein. Als er dieses wieder einmal nach gewöhnlicher
Weise trieb, stand plötzlich ein langer hagerer Mann, in einen weiten lichtgrauen Überrock
gehüllt, vor ihm und rief, indem er ihn mit seinen großen feurigen Augen anblitzte: »Hei hei -
was klagt und winselt denn da? Hei, hei, das ist ja Herr Anselmus, der meine Manuskripte
kopieren will.« Der Student Anselmus erschrak nicht wenig vor der gewaltigen Stimme,
denn es war ja dieselbe, die damals am Himmelfahrtstage gerufen: »Hei hei! was ist das
für ein Gemunkel und Geflüster etc.« Er konnte vor Staunen und Schreck kein Wort
herausbringen. - »Nun, was ist Ihnen denn, Herr Anselmus«, fuhr der Archivarius
Lindhorst fort, (niemand anders war der Mann im weißgrauen Überrock), »was wollen
Sie von dem Holunderbaum, und warum sind Sie denn nicht zu mir gekommen, um Ihre
Arbeit anzufangen?« - Wirklich hatte der Student Anselmus es noch nicht über sich
vermocht, den Archivarius Lindhorst wieder in seinem Hause aufzusuchen, unerachtet
er sich jenen Abend ganz dazu ermutigt, in diesem Augenblick aber, als er seine
schönen Träume, und noch dazu durch dieselbe feindselige Stimme, die schon
damals ihm die Geliebte geraubt, zerrissen sah, erfasste ihn eine Art Verzweiflung,
und er brach ungestüm los: »Sie mögen mich nun für wahnsinnig halten oder nicht,
Herr Archivarius! das gilt mir ganz gleich, aber hier auf diesem Baume erblickte ich
am Himmelfahrtstage die goldgrüne Schlange - ach! die ewig Geliebte meiner Seele,
und sie sprach zu mir in herrlichen Kristalltönen, aber Sie - Sie! Herr Archivarius, schrien
und riefen so erschrecklich übers Wasser her.« - »Wie das, mein Gönner!«, unterbrach
ihn der Archivarius Lindhorst, indem er ganz sonderbar lächelnd eine Prise nahm. -
Der Student Anselmus fühlte, wie seine Brust sich erleichterte, als es ihm nur gelungen,
von jenem wunderbaren Abenteuer anzufangen, und es war ihm, als sei es schon ganz
recht, dass er den Archivarius geradezu beschuldigt, er sei es gewesen, der so aus der
Ferne gedonnert. Er nahm sich zusammen, sprechend: »Nun, so will ich denn alles
erzählen, was mir an dem Himmelfahrtsabende Verhängnisvolles begegnet, und dann mögen
Sie reden und tun und überhaupt denken über mich, was Sie wollen.« - Er erzählte nun wirklich
die ganze wunderliche Begebenheit von dem unglücklichen Tritt in den Äpfelkorb an bis zum
Entfliehen der drei goldgrünen Schlangen übers Wasser, und wie ihn nun die Menschen für
betrunken oder wahnsinnig gehalten: »Das alles«, schloss der Student Anselmus, »habe ich
wirklich gesehen, und tief in der Brust ertönen noch im hellen Nachklang die lieblichen
Stimmen, die zu mir sprachen; es war keinesweges ein Traum, und soll ich nicht vor Liebe
und Sehnsucht sterben, so muss ich an die goldgrünen Schlangen glauben, unerachtet ich
an Ihrem Lächeln, werter Herr Archivarius, wahrnehme, dass sie eben diese Schlangen nur
für ein Erzeugnis meiner erhitzten, überspannten Einbildungskraft halten.« »Mitnichten«,
erwiderte der Archivarius in der größten Ruhe und Gelassenheit, »die goldgrünen
Schlangen, die Sie, Herr Anselmus, in dem Holunderbusch gesehen, waren nun eben
meine drei Töchter, und dass Sie sich in die blauen Augen der jüngsten, Serpentina
genannt, gar sehr verliebt, das ist nun wohl klar. Ich wusste es übrigens schon am
Himmelfahrtstage, und da mir zu Hause, am Arbeitstisch sitzend, des Gemunkels und
Geklingels zu viel wurde, rief ich den losen Dirnen zu, dass es Zeit sei, nach Hause
zu eilen, denn die Sonne ging schon unter, und sie hatten sich genug mit Singen
und Strahlentrinken erlustigt.« - Dem Studenten Anselmus war es, als würde ihm
nur etwas mit deutlichen Worten gesagt, was er längst geahnet, und ob er
gleich zu bemerken glaubte, dass sich Holunderbusch, Mauer und Rasenboden
und alle Gegenstände rings umher leise zu drehen anfingen, so raffte er sich
doch zusammen und wollte etwas reden, aber der Archivarius ließ ihn nicht
zu Worte kommen, sondern zog schnell den Handschuh von der linken Hand
herunter, und indem er den in wunderbaren Funken und Flammen blitzenden
Stein eines Ringes dem Studenten vor die Augen hielt, sprach er: »Schauen
Sie her, werter Herr Anselmus, Sie können darüber, was Sie erblicken, eine
Freude haben.« Der Student Anselmus schaute hin, und, o Wunder!
der Stein
warf wie aus einem brennenden Fokus Strahlen rings herum, und die Strahlen
verspannen sich zum hellen leuchtenden Kristallspiegel, in dem in mancherlei Windungen,
bald einander fliehend, bald sich ineinander schlingend, die drei goldgrünen
Schlänglein tanzten und hüpften. Und wenn die schlanken, in tausend Funken blitzenden
Leiber sich berührten, da erklangen herrliche Akkorde wie Kristallglocken, und die
mittelste streckte wie voll Sehnsucht und Verlangen das Köpfchen zum Spiegel
heraus, und die dunkelblauen Augen sprachen: »Kennst du mich denn - glaubst
du denn an mich, Anselmus - nur in dem Glauben ist die Liebe - kannst du denn
lieben?« - »O Serpentina, Serpentina!«, schrie der Student Anselmus in wahnsinnigem
Entzücken, aber der Archivarius Lindhorst hauchte schnell auf den Spiegel, da
fuhren in elektrischem Geknister die Strahlen in den Fokus zurück,
und an der
Hand blitzte nur wieder ein kleiner Smaragd, über den der Archivarius den
Handschuh zog. »Haben Sie die goldnen Schlänglein gesehen, Herr Anselmus?«,
fragte der Archivarius Lindhorst. »Ach Gott, ja!«, erwiderte der Student, »und die
holde liebliche Serpentina.« »Still«, fuhr der Archivarius Lindhorst fort, »genug für
heute, übrigens können Sie ja, wenn Sie sich entschließen wollen, bei mir zu
arbeiten, meine Töchter oft genug sehen, oder vielmehr, ich will Ihnen dies
wahrhaftige Vergnügen verschaffen, wenn Sie sich bei der Arbeit recht brav halten,
das heißt: mit der größten Genauigkeit und Reinheit jedes Zeichen kopieren. Aber
Sie kommen ja gar nicht zu mir, unerachtet mir der Registrator Heerbrand versicherte,
Sie würden sich nächstens einfinden, und ich deshalb mehrere Tage vergebens gewartet.«
Sowie der Archivarius Lindhorst den Namen Heerbrand nannte, war es dem Studenten
Anselmus erst wieder, als stehe er wirklich mit beiden Füßen auf der Erde und er wäre
wirklich der Student Anselmus und der vor ihm stehende Mann der Archivarius Lindhorst.
Der gleichgültige Ton, in dem dieser sprach, hatte im grellen Kontrast mit den wunderbaren
Erscheinungen, die er wie ein wahrhafter Nekromant hervorrief, etwas Grauenhaftes, das
durch den stechenden Blick der funkelnden Augen, die aus den knöchernen Höhlen des
magern, runzlichten Gesichts wie aus einem Gehäuse hervorstrahlten, noch erhöht wurde,
und den Studenten ergriff mit Macht dasselbe unheimliche Gefühl, welches sich seiner schon
auf dem Kaffeehause bemeisterte, als der Archivarius so viel Abenteuerliches erzählte. Nur
mit Mühe fasste er sich, und als der Archivarius nochmals fragte: »Nun, warum sind Sie denn
nicht zu mir gekommen?«, da erhielt er es über sich, alles zu erzählen, was ihm an der Haustür
begegnet. »Lieber Herr Anselmus«, sagte der Archivarius, als der Student seine Erzählung
geendet, »lieber Herr Anselmus, ich kenne wohl das Äpfelweib, von dem Sie zu sprechen
belieben; es ist eine fatale Kreatur, die mir allerhand Possen spielt, und dass sie sich hat
bronzieren lassen, um als Türklopfer die mir angenehmen Besuche zu verscheuchen, das
ist in der Tat sehr arg und nicht zu leiden. Wollten Sie doch, werter Herr Anselmus, wenn
Sie morgen um zwölf Uhr zu mir kommen und wieder etwas von dem Angrinsen und
Anschnarren vermerken, ihr gefälligst
was Weniges von diesem Liquor auf die Nase tröpfeln,
dann wird sich sogleich alles geben. Und nun Adieu! lieber Herr Anselmus, ich gehe etwas
rasch, deshalb will ich Ihnen nicht zumuten, mit mir nach der Stadt zurückzukehren. - Adieu!
auf Wiedersehen, morgen um zwölf Uhr.« - Der Archivarius hatte dem Studenten Anselmus
ein kleines Fläschchen mit einem goldgelben Liquor gegeben, und nun schritt er rasch von
dannen, so, dass er in der tiefen Dämmerung, die unterdessen eingebrochen, mehr in das
Tal hinabzuschweben als zu gehen schien. Schon war er in der Nähe des Kosel'schen Gartens,
da setzte sich der Wind in den weiten Überrock und trieb die Schöße auseinander, dass sie wie
ein Paar große Flügel in den Lüften flatterten, und es dem Studenten Anselmus, der
verwunderungsvoll dem Archivarius nachsah, vorkam, als breite ein großer Vogel die Fittiche
aus zum raschen Fluge. - Wie der Student nun so in die Dämmerung hineinstarrte, da erhob
sich mit krächzendem Geschrei ein weißgrauer Geier hoch in die Lüfte, und er merkte nun wohl,
dass das weiße Geflatter, was er noch immer für den davonschreitenden Archivarius gehalten,
schon eben der Geier gewesen sein müsse, unerachtet er nicht begreifen konnte, wo denn
der Archivarius mit einem Mal hingeschwunden. »Er kann aber auch selbst in Person davongeflogen
sein, der Herr Archivarius Lindhorst«, sprach der Student Anselmus zu sich selbst, »denn ich
sehe und fühle nun wohl, dass alle die fremden Gestalten aus einer fernen wundervollen Welt,
die ich sonst nur in ganz besondern merkwürdigen Träumen schaute, jetzt in mein waches
reges Leben geschritten sind und ihr Spiel mit mir treiben. - Dem sei aber, wie ihm wolle!
Du lebst und glühst in meiner Brust, holde, liebliche Serpentina, nur du kannst die unendliche
Sehnsucht stillen, die mein Innerstes zerreißt. - Ach, wann werde ich in dein holdseliges
Auge blicken - liebe, liebe Serpentina!« - - So rief der Student Anselmus ganz laut. -
»Das ist
ein schnöder, unchristlicher Name«, murmelte eine Bassstimme neben ihm, die einem
heimkehrenden Spaziergänger gehörte. Der Student Anselmus, zu rechter Zeit erinnert, wo er
war, eilte raschen Schrittes von dannen, indem er bei sich selbst dachte: »Wäre es nicht ein
rechtes Unglück, wenn mir jetzt der Konrektor Paulmann oder der Registrator Heerbrand
begegnete?« - Aber er begegnete keinem von beiden.
Fünfte Vigilie
Die Frau Hofrätin Anselmus. - Cicero de officiis. - Meerkatzen und anderes Gesindel. -
Die alte Liese. - Das Aequinoctium.

Mit dem Anselmus ist nun einmal in der Welt nichts anzufangen«, sagte der Konrektor Paulmann;
»alle meine guten Lehren, alle meine Ermahnungen sind fruchtlos, er will sich ja zu gar nichts
applizieren, unerachtet er die besten Schulstudia besitzt, die denn doch die Grundlage von
allem sind.« Aber der Registrator Heerbrand erwiderte, schlau und geheimnisvoll lächelnd:
»Lassen Sie dem Anselmus doch nur Raum und Zeit, wertester Konrektor! Das ist ein kurioses
Subjekt, aber es steckt viel in ihm, und wenn ich sage: viel, so heißt das: ein Geheimer
Sekretär oder wohl gar ein Hofrat.« - »Hof - «, fing der Konrektor im größten Erstaunen an,
das Wort blieb ihm stecken. - »Still, still«, fuhr der Registrator Heerbrand fort, »ich weiß,
was ich weiß! - Schon seit zwei Tagen sitzt er bei dem Archivarius Lindhorst und kopiert,
und der Archivarius sagte gestern Abend auf dem Kaffeehause zu mir: 'Sie haben mir einen
wackern Mann empfohlen, Verehrter! - aus dem wird was',
und nun bedenken Sie des Archivarii
Konnexionen - still - still - sprechen wir uns übers Jahr!« - Mit diesen Worten ging der Registrator
im fortwährenden schlauen Lächeln zur Tür hinaus und ließ den vor Erstaunen und Neugierde
verstummten Konrektor im Stuhle festgebannt sitzen. Aber auf Veronika hatte das Gespräch
einen ganz eignen Eindruck gemacht. »Habe ich's denn nicht schon immer gewusst«, dachte
sie, »dass der Herr Anselmus ein recht gescheiter, liebenswürdiger junger Mann ist, aus dem
noch was Großes wird - Wenn ich nur wüsste, ob er mir wirklich gut ist - Aber hat er mir nicht
jenen Abend, als wir über die Elbe fuhren, zweimal die Hand gedrückt - hat er mich nicht im
Duett angesehen mit solchen ganz sonderbaren Blicken, die bis ins Herz drangen - Ja, ja! er
ist mir wirklich gut - und ich« - Veronika überließ sich ganz, wie junge Mädchen wohl pflegen,
den süßen Träumen von einer heitern Zukunft. Sie war Frau Hofrätin, bewohnte ein schönes
Logis in der
Schlossgasse oder auf dem Neumarkt oder auf der Moritzstraße - der moderne
Hut, der neue türkische Shawl stand ihr vortrefflich - sie frühstückte im eleganten Negligé
im Erker, der Köchin die nötigen Befehle für den Tag erteilend. »Aber dass Sie mir die
Schüssel nicht verdirbt, es ist des Herrn Hofrats Leibessen!« - Vorübergehende Elegants
schielen herauf, sie hört deutlich: »Es ist doch eine göttliche Frau, die Hofrätin, wie ihr das
Spitzenhäubchen so allerliebst steht!« - Die geheime Rätin Ypsilon schickt den Bedienten
und lässt fragen, ob es der Frau Hofrätin gefällig wäre, heute ins Linke'sche Bad zu fahren -
»Viel Empfehlungen, es täte mir unendlich leid, ich sei schon engagiert zum Tee bei der
Präsidentin Tz.« - Da kommt der Hofrat Anselmus, der schon früh in Geschäften ausgegangen,
zurück; er ist nach der letzten Mode gekleidet; »wahrhaftig schon zehn«, ruft er,
indem er die goldene Uhr repetieren lässt und der jungen Frau einen Kuss gibt. »Wie geht's, liebes
Weibchen, weißt du auch, was ich für dich habe?«, fährt er schäkernd fort und zieht ein
Paar herrliche, nach der neuesten Art gefasste Ohrringe aus der Westentasche, die er
ihr statt der sonst getragenen gewöhnlichen einhängt. »Ach, die schönen, niedlichen
Ohrringe«, ruft Veronika ganz laut und springt, die Arbeit wegwerfend, vom Stuhl auf, um
in dem Spiegel die Ohrringe wirklich zu beschauen. »Nun, was soll denn das sein«, sagte
der Konrektor Paulmann, der,
eben in Cicero de Officiis vertieft, beinahe das Buch fallen
lassen, »man hat ja Anfälle wie der Anselmus.« Aber da trat der Student Anselmus, der wider
seine Gewohnheit sich mehrere Tage nicht sehen lassen, ins Zimmer, zu Veronikas Schreck
und Erstaunen, denn in der Tat war er in seinem ganzen Wesen verändert. Mit einer gewissen
Bestimmtheit, die ihm sonst gar nicht eigen, sprach er von ganz andern Tendenzen seines
Lebens, die ihm klar worden, von den herrlichen Aussichten, die sich ihm geöffnet, die mancher
aber gar nicht zu schauen vermochte. Der Konrektor Paulmann wurde, der geheimnisvollen
Rede des Registrators Heerbrand gedenkend, noch mehr betroffen und konnte kaum eine
Silbe hervorbringen, als der Student Anselmus,
nachdem er einige Worte von dringender
Arbeit bei dem Archivarius Lindhorst fallen lassen und der Veronika mit eleganter Gewandtheit
die Hand geküsst, schon die Treppe hinunter, auf und von dannen war. »Das war ja schon
der Hofrat«, murmelte Veronika in sich hinein, »und er hat mir die Hand geküsst, ohne dabei
auszugleiten oder mir auf den Fuss zu treten, wie sonst! - er hat mir einen recht zärtlichen
Blick zugeworfen - er ist mir wohl in der Tat gut.« - Veronika überließ sich aufs Neue jener
Träumerei, indessen war es, als träte immer eine feindselige Gestalt unter die lieblichen
Erscheinungen, wie sie aus dem künftigen häuslichen Leben als Frau Hofrätin hervorgingen,
und die Gestalt lachte recht höhnisch und sprach: »Das ist ja alles recht dummes, ordinäres
Zeug und noch dazu erlogen, denn der Anselmus wird nimmermehr Hofrat und dein Mann;
er liebt dich ja nicht, unerachtet du blaue Augen hast und einen schlanken Wuchs und
eine feine Hand.« - Da goss sich ein Eisstrom durch Veronikas Innres, und ein tiefes Entsetzen
vernichtete die Behaglichkeit, mit der sie sich nur noch erst im Spitzenhäubchen und den
eleganten Ohrringen gesehen. - Die Tränen wären ihr beinahe aus den Augen gestürzt,
und sie sprach laut: »Ach, es ist ja wahr, er liebt mich nicht, und ich werde nimmer mehr
Frau Hofrätin!« »Romanenstreiche, Romanenstreiche«, schrie der Konrektor Paulmann, nahm
Hut und Stock und eilte zornig von dannen! - »Das fehlte noch«, seufzte Veronika und
ärgerte sich recht über
die zwölfjährige Schwester, welche,
teilnehmungslos an ihrem Rahmen sitzend, fortgestickt hatte. Unterdessen war es beinahe drei Uhr geworden
und nun gerade Zeit, das Zimmer aufzuräumen und den Kaffeetisch zu ordnen; denn die
Mademoiselles Osters hatten sich bei der Freundin ansagen lassen. Aber hinter jedem
Schränkchen, das Veronika wegrückte, hinter den Notenbüchern, die sie vom Klavier,
hinter jeder Tasse, hinter der Kaffeekanne, die sie aus dem Schrank nahm, sprang
jene Gestalt
wie ein Alräunchen hervor und lachte höhnisch und schlug mit den kleinen
Spinnenfingern Schnippchen und schrie: »Er wird doch nicht dein Mann, er wird doch
nicht dein Mann!« Und dann, wenn sie alles stehn und liegen ließ und in die Mitte des
Zimmers flüchtete, sah es mit langer Nase riesengroß hinter dem Ofen hervor und
knurrte und schnurrte: »Er wird doch nicht dein Mann!« »Hörst du denn nichts, siehst
du denn nichts, Schwester?«, rief Veronika, die vor Furcht und Zittern gar nichts mehr
anrühren mochte. Fränzchen stand ganz ernsthaft und ruhig von ihrem Stickrahmen
auf und sagte: »Was ist dir denn heute, Schwester? Du wirfst ja alles durcheinander,
dass es klippert und klappert, ich muss dir nur helfen.« Aber da traten schon die
muntern Mädchen in vollem Lachen herein, und in dem Augenblick wurde nun auch
Veronika gewahr, dass sie den Ofenaufsatz für eine Gestalt und das Knarren der
übel verschlossenen Ofentür für die feindseligen Worte gehalten hatte. Von einem
innern Entsetzen gewaltsam ergriffen, konnte sie sich aber nicht so schnell erholen,
dass die Freundinnen nicht ihre ungewöhnliche Spannung, die selbst ihre Blässe, ihr
verstörtes Gesicht verriet, hätten bemerken sollen. Als sie, schnell abbrechend
von all dem Lustigen, das sie eben erzählen wollten, in die Freundin drangen, was
ihr denn um des Himmels willen widerfahren, musste Veronika eingestehen, wie sie
sich ganz besondern Gedanken hingegeben und plötzlich am hellen Tage von einer
sonderbaren Gespensterfurcht, die ihr sonst gar nicht eigen, übermannt worden.
Nun erzählte sie so lebhaft, wie aus allen Winkeln des Zimmers ein kleines graues
Männchen sie geneckt und gehöhnt habe, dass die Mademoisells Osters sich schüchtern
nach allen Seiten umsahen und ihnen bald gar unheimlich und grausig zumute wurde.
Da trat Fränzchen mit dem dampfenden Kaffee herein, und alle drei, sich schnell
besinnend, lachten über ihre eigne Albernheit. Angelika, so hieß die älteste Oster,
war mit einem Offizier versprochen,
der bei der Armee stand und von dem die
Nachrichten so lange ausgeblieben, dass man an seinem Tode oder wenigstens an
seiner schweren Verwundung kaum zweifeln konnte. Dies hatte Angelika in die
tiefste Betrübnis gestürzt, aber heute war sie fröhlich bis zur Ausgelassenheit,
worüber Veronika sich nicht wenig wunderte und es ihr unverhohlen äußerte.
»Liebes Mädchen«, sagte Angelika, »glaubst du denn nicht, dass ich meinen Viktor
immerdar im Herzen, in Sinn und Gedanken trage - aber eben deshalb bin ich so
heiter! - ach Gott - so glücklich, so selig in meinem ganzen Gemüte! Denn mein
Viktor ist wohl, und ich sehe ihn in weniger Zeit als Rittmeister, geschmückt mit
den Ehrenzeichen, die ihm seine unbegrenzte Tapferkeit erwarben, wieder. Eine
starke, aber durchaus nicht gefährliche Verwundung des rechten Arms, und zwar
durch den Säbelhieb eines feindlichen Husaren, verhindert ihn zu schreiben, und der
schnelle Wechsel seines Aufenthalts, da er durchaus sein Regiment nicht verlassen will,
macht es auch noch immer unmöglich, mir Nachricht zu geben, aber heute Abend erhält
er die bestimmte Weisung, sich erst ganz heilen zu lassen. Er reiset morgen ab, um
herzukommen, und indem er in den Wagen steigen will, erfährt er seine Ernennung zum
Rittmeister.« - »Aber, liebe Angelika«, fiel Veronika ein, »das
weißt du jetzt schon alles?« -
»Lache mich nicht aus, liebe Freundin«, fuhr Angelika fort, »aber du wirst es nicht, denn
könnte nicht dir zur Strafe gleich das kleine graue Männchen dort hinter dem Spiegel
hervorgucken? - Genug, ich kann mich von dem Glauben an gewisse geheimnisvolle
Dinge nicht losmachen, weil sie oft genug ganz sichtbarlich und handgreiflich, möcht' ich
sagen, in mein Leben getreten. Vorzüglich kommt es mir denn nun gar nicht einmal so
wunderbar und unglaublich vor als manchen andern, dass es Leute geben kann, denen
eine gewisse Sehergabe eigen, die sie durch ihnen bekannte untrügliche Mittel in Bewegung
zu setzen wissen. Es ist hier am Orte eine alte Frau, die diese Gabe ganz besonders besitzt.
Nicht so wie andere ihres Gelichters prophezeit sie aus Karten, gegossenem Blei oder aus
dem Kaffeesatze, sondern nach gewissen Vorbereitungen, an denen die fragende Person
teilnimmt, erscheint in einem hellpolierten Metallspiegel ein wunderliches Gemisch von allerlei
Figuren und Gestalten, welche die Alte deutet und aus ihnen die Antwort auf die Frage schöpft.
Ich war gestern abend bei ihr und erhielt jene Nachrichten von meinem Viktor, an deren Wahrheit
ich nicht einen Augenblick zweifle.« - Angelikas Erzählung warf einen Funken in Veronikas Gemüt,
der schnell den Gedanken entzündete, die Alte über den Anselmus und über ihre Hoffnungen
zu befragen. Sie erfuhr, dass die Alte Frau Rauerin hieße, in einer entlegenen Straße vor
dem Seetor wohne, durchaus nur dienstags, mittwochs und freitags von sieben Uhr
abends, dann aber die ganze Nacht hindurch bis zum Sonnenaufgang zu treffen sei
und es gern sähe, wenn man allein komme. - Es war eben Mittwoch, und Veronika
beschloss, unter dem Vorwande, die Osters nach Hause zu begleiten, die Alte
aufzusuchen, welches sie denn auch in der Tat ausführte. Kaum hatte sie nämlich
von den Freundinnen, die in der Neustadt wohnten,
vor der Elbbrücke Abschied
genommen, als sie geflügelten Schrittes vor das Seetor eilte und sich bald in der
beschriebenen abgelegenen engen Straße befand, an deren Ende sie das kleine
rote Häuschen erblickte, in welchem die Frau Rauerin wohnen sollte. Sie konnte sich
eines gewissen unheimlichen Gefühls, ja eines innern Erbebens nicht erwehren, als sie vor
der Haustür stand. Endlich raffte sie sich, des innern Widerstrebens unerachtet, zusammen
und zog an der Klingel, worauf sich die Tür öffnete und sie durch den finstern Gang nach
der Treppe tappte, die zum obern Stock führte, wie es Angelika beschrieben. »Wohnt hier
nicht die Frau Rauerin?«, rief sie in den öden Hausflur hinein, als sich niemand zeigte; da
erscholl statt der Antwort ein langes klares Miau, und ein großer schwarzer Kater schritt
mit hochgekrümmtem Rücken, den Schweif in Wellenringeln hin und her drehend, gravitätisch
vor ihr her bis an die Stubentür, die auf ein zweites Miau geöffnet wurde. »Ach, sieh da,
Töchterchen, bist schon hier? Komm herein - herein!« So rief die heraustretende Gestalt,
deren Anblick Veronika an den Boden festbannte. Ein langes, hagres, in schwarze Lumpen
gehülltes Weib! - indem sie sprach, wackelte das hervorragende spitze Kinn, verzog sich
das zahnlose Maul, von der knöchernen Habichtsnase beschattet, zum grinsenden Lächeln,
und leuchtende Katzenaugen flackerten Funken werfend durch die große Brille. Aus dem bunten,
um den Kopf gewickelten Tuche starrten schwarze borstige Haare hervor, aber zum Grässlichen
erhoben das ekle Antlitz zwei große Brandflecke, die sich von der linken Backe über die Nase
wegzogen. - Veronikas Atem stockte, und der Schrei, der der gepressten Brust Luft machen
sollte, wurde zum tiefen Seufzer, als der Hexe Knochenhand sie ergriff und in das Zimmer
hineinzog. Drinnen regte und bewegte sich alles, es war ein Sinne verwirrendes Quieken und
Miauen und Gekrächze und Gepiepe durcheinander. Die Alte schlug mit der Faust auf den
Tisch und schrie: »Still da, ihr Gesindel!« Und
die Meerkatzen
kletterten winselnd auf das hohe Himmelbett, und die Meerschweinchen liefen unter den Ofen, und der Rabe flatterte
auf den runden Spiegel; nur der schwarze Kater, als gingen ihn die Scheltworte nichts an,
blieb ruhig auf dem großen Polsterstuhle sitzen, auf den er gleich nach dem Eintritt gesprungen. -
Sowie es still wurde, ermutigte sich Veronika; es war ihr nicht so unheimlich als draußen auf
dem Flur, ja selbst das Weib schien ihr nicht mehr so scheußlich. Jetzt erst blickte sie im
Zimmer umher! - Allerhand hässliche ausgestopfte Tiere hingen von der Decke herab,
unbekanntes seltsames Geräte lag durcheinander auf dem Boden, und in dem Kamin
brannte ein blaues sparsames Feuer, das nur dann und wann in gelben Funken emporknisterte;
aber dann rauschte es von oben herab, und ekelhafte Fledermäuse wie mit verzerrten
lachenden Menschengesichtern schwangen sich hin und her, und zuweilen leckte die Flamme
herauf an der rußigen Mauer, und dann erklangen schneidende, heulende Jammertöne,
dass Veronika von Angst und Grausen ergriffen wurde. »Mit Verlaub, Mamsellchen«, sagte
die Alte schmunzelnd, erfasste einen großen Wedel und besprengte, nachdem sie ihn in
einen kupfernen Kessel getaucht, den Kamin. Da erlosch das Feuer, und wie von dickem
Rauch erfüllt, wurde es stockfinster in der Stube; aber bald trat die Alte, die in ein
Kämmerchen gegangen, mit einem angezündeten Lichte wieder herein, und Veronika
erblickte nichts mehr von den Tieren, von den Gerätschaften, es war eine gewöhnliche,
ärmlich ausstaffierte Stube. Die Alte trat ihr näher und sagte mit schnarrender Stimme:
»Ich weiß wohl, was du bei mir willst, mein Töchterchen; was gilt es, du möchtest erfahren,
ob du den Anselmus heiraten wirst, wenn er Hofrat worden.« - Veronika erstarrte vor
Staunen und Schreck, aber die Alte fuhr fort: »Du hast mir ja schon alles gesagt zu
Hause beim Papa, als die Kaffeekanne vor dir stand, ich war ja die Kaffeekanne, hast
du mich denn nicht gekannt? Töchterchen, höre! Lass ab, lass ab von dem Anselmus,
das ist ein garstiger Mensch, der hat meinen Söhnlein ins Gesicht getreten, meinen
lieben Söhnlein, den Äpfelchen mit den roten Backen, die, wenn sie die Leute gekauft
haben, ihnen wieder aus den Taschen in meinen Korb zurückrollen. Er hält's mit dem
Alten,
er hat mir vorgestern den verdammten Auripigment ins Gesicht gegossen, dass
ich beinahe darüber erblindet, du kannst noch die Brandflecken sehen, Töchterchen!
Lass ab von ihm, lass ab! - Er liebt dich nicht, denn er liebt die goldgrüne Schlange, er
wird niemals Hofrat werden, weil er sich bei den Salamandern anstellen lassen, und er
will die grüne Schlange heiraten, lass ab von ihm, lass ab!« - Veronika, die eigentlich ein
festes, standhaftes Gemüt hatte und mädchenhaften Schreck bald zu überwinden wusste,
trat einen Schritt zurück und sprach mit ernsthaftem gefasstem Ton: »Alte! ich habe von
eurer Gabe, in die Zukunft zu blicken, gehört und wollte darum, vielleicht zu neugierig
und voreilig, von Euch wissen, ob wohl Anselmus, den ich liebe und hochschätze, jemals
mein werden würde. Wollt Ihr mich daher, statt meinen Wunsch zu erfüllen, mit Eurem
tollen, unsinnigen Geschwätze necken, so tut Ihr Unrecht, denn ich habe nur gewollt,
was Ihr andern, wie ich weiß, gewährtet. Da Ihr, wie es scheint, meine innigsten Gedanken
wisset, so wäre es Euch vielleicht ein Leichtes gewesen, mir manches zu enthüllen, was
mich jetzt quält und ängstigt, aber nach Euern albernen Verleumdungen des guten
Anselmus mag ich von Euch weiter nichts erfahren. Gute Nacht!« -
Veronika wollte
davoneilen, da fiel die Alte weinend und jammernd auf die Knie nieder und rief, das
Mädchen am Kleide festhaltend: »Veronikchen, kennst du denn die alte Liese nicht
mehr, die dich so oft auf den Armen getragen und gepflegt und gehätschelt?« Veronika
traute kaum ihren Augen; denn sie erkannte ihre, freilich nur durch hohes Alter und
vorzüglich durch die Brandflecke entstellte ehemalige Wärterin, die vor mehreren Jahren
aus des Konrektor Paulmanns Hause verschwand. Die Alte sah auch nun ganz anders
aus, sie hatte statt des hässlichen buntgefleckten Tuchs eine ehrbare Haube und statt
der schwarzen Lumpen eine großblumichte Jacke an, wie sie sonst wohl gekleidet
gegangen. Sie stand vom Boden auf und fuhr, Veronika in ihre Arme nehmend, fort:
»Es mag dir alles, was ich dir gesagt, wohl recht toll vorkommen, aber es ist leider
dem so. Der Anselmus hat mir viel zu leide getan, doch wider seinen Willen; er ist dem
Archivarius Lindhorst in die Hände gefallen, und der will ihn mit seiner Tochter verheiraten.
Der Archivarius ist mein größter Feind, und ich könnte dir allerlei Dinge von ihm sagen,
die würdest du aber nicht verstehen oder dich doch sehr entsetzen. Er ist der weise
Mann, aber ich bin die weise Frau - es mag darum sein! - Ich merke nun wohl, dass du den
Anselmus recht lieb hast, und ich will dir mit allen Kräften beistehen, dass du recht
glücklich werden und fein ins Ehebette kommen sollst, wie du es wünschest.« »Aber
sage Sie mir um des Himmels willen, Liese!« - fiel Veronika ein - »Still, Kind - still!«,
unterbrach sie die Alte, »ich weiß, was du sagen willst, ich bin das worden, was ich
bin, weil ich es werden musste, ich konnte nicht anders. Nun also! - ich kenne das
Mittel, das den Anselmus von der törichten Liebe zur grünen Schlange heilt und ihn
als den liebenswürdigsten Hofrat in deine Arme führt; aber du musst helfen.« - »Sage
es nur gerade heraus, Liese! ich will ja alles tun, denn ich liebe den Anselmus sehr!«,
lispelte Veronika kaum hörbar. - »Ich kenne dich«, fuhr die Alte fort, »als ein beherztes
Kind, vergebens habe ich dich mit dem Wauwau zum Schlaf treiben wollen, denn gerade
alsdann öffnetest du die Augen, um den Wauwau zu sehen; du gingst ohne Licht in die
hinterste Stube
und erschrecktest oft in des Vaters Pudermantel des Nachbars Kinder.
Nun also! - ist's dir Ernst, durch meine Kunst den Archivarius Lindhorst und die grüne
Schlange zu überwinden, ist's dir Ernst, den Anselmus als Hofrat deinen Mann zu nennen,
so schleiche dich in der künftigen Tag- und Nachtgleiche nachts um eilf Uhr aus des
Vaters Hause und komme zu mir; ich werde dann mit dir auf den Kreuzweg gehen, der
unfern das Feld durchschneidet, wir bereiten das Nötige, und alles Wunderliche, was
du vielleicht erblicken wirst, soll dich nicht anfechten. Und nun Töchterchen, gute Nacht,
der Papa wartet schon mit der Suppe.« - Veronika eilte von dannen, fest stand bei ihr
der Entschluss,
die Nacht des Äquinoktiums nicht zu versäumen,
»denn«, dachte sie, »die Liese hat recht, der Anselmus ist verstrickt in wunderliche
Bande, aber ich erlöse ihn daraus und nenne ihn mein immerdar und ewiglich, mein ist und bleibt
er, der Hofrat Anselmus.«
Sechste Vigilie
Der Garten des Archivarius Lindhorst nebst einigen Spottvögeln. - Der goldne Topf. -
Die englische Kursivschrift. - Schnöde Hahnenfüße. - Der Geisterfürst.

Es kann aber auch sein«, sprach der Student Anselmus zu sich selbst, »dass der superfeine
starke Magenlikör, den ich bei dem Monsieur Conradi etwas begierig genossen, alle die tollen
Fantasmata geschaffen, die mich vor der Haustür des Archivarius Lindhorst ängsteten. Deshalb
bleibe ich heute ganz nüchtern und will nun wohl allem weitern Ungemach, das mir begegnen könnte,
Trotz bieten.« - So wie damals, als er sich zum ersten Besuch bei dem Archivarius Lindhorst rüstete,
steckte er seine Federzeichnungen und kalligraphischen Kunstwerke, seine Tuschstangen, seine
wohlgespitzten Rabenfedern ein, und schon wollte er zur Tür hinausschreiten, als ihm das Fläschchen
mit dem gelben Liquor in die Augen fiel, das er von dem Archivarius Lindhorst erhalten. Da gingen
ihm wieder all die seltsamen Abenteuer, welche er erlebt, mit glühenden Farben durch den Sinn,
und ein namenloses Gefühl von Wonne und Schmerz durchschnitt seine Brust. Unwillkürlich rief er
mit recht kläglicher Stimme aus: »Ach, gehe ich denn nicht zum Archivarius, nur um dich zu sehen,
du holde, liebliche Serpentina?« - Es war ihm in dem Augenblick so, als könne Serpentinas Liebe
der Preis einer mühevollen gefährlichen Arbeit sein, die er unternehmen müsste, und diese Arbeit
sei keine andere als das Kopieren der Lindhorstischen Manuskripte. - Dass ihm schon bei dem
Eintritt ins Haus oder vielmehr noch vor demselben allerlei Wunderliches begegnen könne, wie
neulich, davon war er überzeugt. Er dachte nicht mehr an Conradis Magenwasser, sondern
steckte schnell den Liquor in die Westentasche, um ganz nach des Archivarius Vorschrift zu
verfahren, wenn das bronzierte Äpfelweib sich unterstehen sollte, ihn anzugrinsen. - Erhob
sich denn nicht auch wirklich gleich die spitze Nase, funkelten nicht die Katzenaugen aus dem
Türdrücker, als er ihn auf den Schlag zwölf Uhr ergreifen wollte? Da spritzte er, ohne sich
weiter zu bedenken, den Liquor in das fatale Gesicht hinein, und es glättete und plättete sich
augenblicklich aus zum glänzenden kugelrunden Türklopfer. Die Tür ging auf, die Glocken läuteten
gar lieblich durch das ganze Haus: klingling - Jüngling - flink - flink - spring - spring - klingling. -
Er stieg getrost die schöne breite Treppe hinauf und weidete sich an dem Duft des seltenen
Räucherwerks, der durch das Haus floss. Ungewiss blieb er auf dem Flur stehen, denn er wusste
nicht, an welche der vielen schönen Türen er wohl pochen sollte;
da trat der Archivarius
Lindhorst in einem weiten damastnen Schlafrock heraus und rief: »Nun, es freut mich, Herr
Anselmus, dass Sie endlich Wort halten, kommen Sie mir nur nach, denn ich muss Sie ja doch wohl
gleich ins Laboratorium führen.- Damit schritt er schnell den langen Flur hinauf und öffnete eine
kleine Seitentür, die in einen Korridor führte. Anselmus schritt getrost hinter dem Archivarius
her; sie kamen aus dem Korridor in einen Saal oder vielmehr in ein herrliches Gewächshaus,
denn von beiden Seiten bis an die Decke hinauf standen allerlei seltene wunderbare Blumen,
ja große Bäume mit sonderbar gestalteten Blättern und Blüten. Ein magisches blendendes Licht
verbreitete sich überall, ohne dass man bemerken konnte, wo es herkam, da durchaus kein
Fenster zu sehen war. Sowie der Student Anselmus in die Büsche und Bäume hineinblickte,
schienen lange Gänge sich in weiter Ferne auszudehnen. -
Im tiefen Dunkel dicker
Zypressenstauden schimmerten Marmorbecken, aus denen sich wunderliche Figuren
erhoben, Kristallenstrahlen hervorspritzend, die plätschernd niederfielen in leuchtende
Lilienkelche; seltsame Stimmen rauschten und säuselten durch den Wald der wunderbaren
Gewächse, und herrliche Düfte strömten auf und nieder. Der Archivarius war verschwunden,
und Anselmus erblickte nur einen riesenhaften Busch glühender Feuerlilien vor sich. Von
dem Anblick, von den süßen Düften des Feengartens berauscht, blieb Anselmus festgezaubert
stehen. Da fing es überall an zu kickern und zu lachen, und feine Stimmchen neckten und
höhnten: »Herr Studiosus, Herr Studiosus! wo kommen Sie denn her - warum haben Sie sich
denn so schön geputzt, Herr Anselmus - Wollen Sie eins mit uns plappern, wie die
Großmutter das Ei mit dem Steiß zerdrückte, und der Junker einen Klecks auf die
Sonntagsweste bekam?
Können Sie die neue Arie schon auswendig, die Sie vom Papa
Starmatz gelernt, Herr Anselmus? - Sie sehen recht possierlich aus in der gläsernen
Perücke und den postpapiernen Stülpstiefeln!« - So rief und kickerte und neckte es
aus allen Winkeln hervor - ja dicht neben dem Studenten, der nun erst wahrnahm, wie
allerlei bunte Vögel ihn umflatterten und ihn so in vollem Gelächter aushöhnten. - In
dem Augenblick schritt der Feuerlilienbusch auf ihn zu, und er sah, dass es der Archivarius
Lindhorst war, dessen blumichter, in Gelb und Rot glänzender Schlafrock ihn nur getäuscht
hatte. »Verzeihen Sie, werter Herr Anselmus«, sagte der Archivarius, »dass ich Sie stehen
ließ, aber vorübergehend sah ich nur nach meinem schönen Kaktus, der diese Nacht seine
Blüten aufschließen wird - aber wie gefällt Ihnen denn mein kleiner Hausgarten?« »Ach Gott,
über alle Maßen schön ist es hier, geschätztester Herr Archivarius«, erwiderte der Student,
»aber die bunten Vögel mokieren sich über meine Wenigkeit gar sehr!« - »Was ist denn das
für ein Gewäsche?«, rief der Archivarius zornig in die Büsche hinein. Da flatterte ein großer
grauer Papagei hervor, und, sich neben dem Archivarius auf einen Myrtenast setzend und
ihn ungemein ernsthaft und gravitätisch durch eine Brille, die auf dem krummen Schnabel
saß, anblickend, schnarrte er: »Nehmen Sie es nicht übel, Herr Archivarius, meine mutwilligen
Buben sind einmal wieder recht ausgelassen, aber der Herr Studiosus sind selbst daran
schuld, denn -« »Still da, still da!«, unterbrach der Archivarius den Alten, »ich kenne die
Schelme, aber Er sollte sie besser in Zucht halten, mein Freund! - gehen wir weiter,
Herr Anselmus!« - Noch durch manches fremdartig aufgeputzte Gemach schritt der
Archivarius, so, dass der Student ihm kaum folgen und einen Blick auf all die glänzenden,
sonderbar geformten Mobilien und andere unbekannte Sachen werfen konnte, womit
alles überfüllt war. Endlich traten sie in ein großes Gemach, in dem der Archivarius,
den Blick in die Höhe gerichtet, stehen blieb, und Anselmus Zeit gewann, sich an
dem herrlichen Anblick, den der einfache Schmuck dieses Saals gewährte, zu
weiden. Aus den azurblauen Wänden traten die goldbronzenen Stämme hoher
Palmbäume hervor, welche ihre kolossalen, wie funkelnde Smaragden glänzenden
Blätter oben zur Decke wölbten; in der Mitte des Zimmers ruhte auf drei aus dunkler
Bronze gegossenen
ägyptischen Löwen eine Porphyrplatte, auf welcher ein einfacher
goldener Topf stand, von dem, als er ihn erblickte, Anselmus nun gar nicht mehr die
Augen wegwenden konnte. Es war, als spielten in tausend schimmernden Reflexen
allerlei Gestalten auf dem strahlend polierten Golde - manchmal sah er sich selbst
mit sehnsüchtig ausgebreiteten Armen - ach! neben dem Holunderbusch -
Serpentina schlängelte sich auf und nieder, ihn anblickend mit den holdseligen Augen.
Anselmus war außer sich vor wahnsinnigem Entzücken. »Serpentina - Serpentina!«,
schrie er laut auf, da wandte sich der Archivarius Lindhorst schnell um und sprach:
»Was meinen Sie, werter Herr Anselmus - Ich glaube, Sie belieben meine Tochter
zu rufen, die ist aber ganz auf der andern Seite meines Hauses in ihrem Zimmer
und hat soeben Klavierstunde, kommen Sie nur weiter.« Anselmus folgte beinahe
besinnungslos dem davonschreitenden Archivarius, er sah und hörte nichts mehr,
bis ihn der Archivarius heftig bei der Hand ergriff und sprach: »Nun sind wir an Ort
und Stelle!« Anselmus erwachte wie aus einem Traum und bemerkte nun, dass er
sich in einem hohen, rings mit Bücherschränken umstellten Zimmer befand, welches
sich in keiner Art von gewöhnlichen Bibliothek- und Studierzimmern unterschied.
In der Mitte stand ein großer Arbeitstisch und ein gepolsterter Lehnstuhl vor
demselben. »Dieses«, sagte der Archivarius Lindhorst, »ist vorderhand Ihr
Arbeitszimmer, ob Sie künftig auch in dem andern blauen Bibliotheksaal, in dem
Sie so plötzlich meiner Tochter Namen riefen, arbeiten werden, weiß ich noch
nicht; - aber nun wünschte ich mich erst von Ihrer Fähigkeit, die Ihnen zugedachte
Arbeit wirklich meinem Wunsch und Bedürfnis gemäß auszuführen, zu überzeugen.«
Der Student Anselmus ermutigte sich nun ganz und gar und zog nicht ohne innere
Selbstzufriedenheit und in der Überzeugung, den Archivarius durch sein ungewöhnliches
Talent höchlich zu erfreuen, seine Zeichnungen und Schreibereien aus der Tasche. Der
Archivarius hatte kaum das erste Blatt, eine
Handschrift in der elegantesten englischen
Schreibmanier, erblickt, als er recht sonderbar lächelte und mit dem Kopfe schüttelte.
Das wiederholte er bei jedem folgenden Blatte, sodass dem Studenten Anselmus das
Blut in den Kopf stieg, und er, als das Lächeln zuletzt recht höhnisch und verächtlich
wurde, in vollem Unmute losbrach: »Der Herr Archivarius scheinen mit meinen geringen
Talenten nicht ganz zufrieden?« - »Lieber Herr Anselmus«, sagte der Archivarius
Lindhorst, »Sie haben für die Kunst des Schönschreibens wirklich treffliche Anlagen,
aber vorderhand, sehe ich wohl, muss ich mehr auf Ihren Fleiß, auf Ihren guten Willen
rechnen, als auf Ihre Fertigkeit. Es mag auch wohl an den schlechten Materialien liegen,
die Sie verwandt.« - Der Student Anselmus sprach viel von seiner sonst anerkannten
Kunstfertigkeit, von chinesischer Tusche und ganz auserlesenen Rabenfedern. Da reichte
ihm der Archivarius Lindhorst das englische Blatt hin und sprach: »Urteilen Sie selbst!« -
Anselmus wurde wie vom Blitz getroffen, als ihm seine Handschrift so höchst miserabel
vorkam. Da war keine Ründe in den Zügen, kein Druck richtig, kein Verhältnis der großen
und kleinen Buchstaben, ja!
schülermäßige schnöde
Hahnenfüße verdarben oft die sonst ziemlich geratene Zeile. »Und dann«, fuhr der
Archivarius Lindhorst fort, »ist Ihre Tusche auch nicht haltbar.« Er tunkte den Finger in
ein mit Wasser gefälltes Glas, und indem er
nur leicht auf die Buchstaben tupfte, war alles spurlos verschwunden. Dem Studenten
Anselmus war es, als schnüre ein Ungetüm ihm die Kehle zusammen - er konnte kein
Wort herausbringen. So stand er da, das unglückliche Blatt in der Hand, aber der
Archivarius Lindhorst lachte laut auf und sagte: »Lassen Sie sich das nicht anfechten,
wertester Herr Anselmus; was Sie bisher nicht vollbringen konnten, wird hier bei mir
vielleicht besser sich fügen; ohnedies finden Sie ein besseres Material, als Ihnen sonst
wohl zu Gebote stand! - Fangen Sie nur getrost an!« - Der Archivarius Lindhorst holte
erst eine flüssige schwarze Masse, die einen ganz eigentümlichen Geruch verbreitete,
sonderbar gefärbte, scharf zugespitzte Federn und ein Blatt von besonderer Weiße
und Glätte, dann aber ein arabisches Manuskript aus einem verschlossenen Schranke
herbei, und sowie Anselmus sich zur Arbeit gesetzt, verließ er das Zimmer. Der Student
Anselmus hatte schon öfters arabische Schrift kopiert, die erste Aufgabe schien ihm
daher nicht so schwer zu lösen. »Wie die Hahnenfüße in meine schöne englische
Kursivschrift gekommen, mag Gott und der Archivarius Lindhorst wissen«, sprach er,
»aber dass sie nicht von
meiner Hand
sind, darauf will ich sterben.« - Mit jedem Worte, das
nun wohlgelungen auf dem Pergamente stand, wuchs sein Mut und mit ihm seine
Geschicklichkeit. In der Tat schrieb es sich mit den Federn auch ganz herrlich, und
die geheimnisvolle Tinte floss rabenschwarz und gefügig auf das blendend weiße
Pergament. Als er nun so emsig und mit angestrengter Aufmerksamkeit arbeitete,
wurde es ihm immer heimlicher in dem einsamen Zimmer, und er hatte sich schon ganz
in das Geschäft, welches er glücklich zu vollenden hoffte, geschickt, als auf den Schlag
drei Uhr ihn der Archivarius in das Nebenzimmer zu dem wohlbereiteten Mittagsmahl rief.
Bei Tische war der Archivarius Lindhorst bei ganz besonderer heiterer Laune; er
erkundigte sich nach des Studenten Anselmus Freunden, dem Konrektor Paulmann
und dem Registrator Heerbrand, und wusste vorzüglich von dem letztern recht viel
Ergötzliches zu erzählen. Der gute alte Rheinwein schmeckte dem Anselmus gar sehr
und machte ihn gesprächiger, als er wohl sonst zu sein pflegte. Auf den Schlag vier
Uhr stand er auf, um an seine Arbeit zu gehen, und diese Pünktlichkeit schien dem
Archivarius Lindhorst wohl zu gefallen. War ihm schon vor dem Essen das Kopieren
der arabischen Zeichen geglückt, so ging die Arbeit jetzt noch viel besser vonstatten,
ja er konnte selbst die Schnelle und Leichtigkeit nicht begreifen, womit er die krausen
Züge der fremden Schrift nachzumalen vermochte. -
Aber es war, als flüstre aus dem
innersten Gemüte eine Stimme in vernehmlichen Worten: »Ach! könntest du denn das
vollbringen, wenn du
sie
nicht in Sinn und Gedanken trügest, wenn du nicht an
sie, an
ihre Liebe glaubtest?« - Da wehte es wie in leisen, leisen, lispelnden Kristallklängen
durch das Zimmer: »Ich bin dir nahe - nahe - nahe! - Ich helfe dir - sei mutig - sei
standhaft, lieber Anselmus! - Ich mühe mich mit dir, damit du mein werdest!« Und
sowie er voll innern Entzückens die Töne vernahm, wurden ihm immer verständlicher
die unbekannten Zeichen - er durfte kaum mehr hineinblicken in das Original - ja es war,
als stünden schon wie in blasser Schrift die Zeichen auf dem Pergament und er dürfe
sie nur mit geübter Hand schwarz überziehen. So arbeitete er fort, von lieblichen
tröstenden Klängen wie vom süßen zarten Hauch umflossen, bis die Glocke sechs Uhr schlug
und der Archivarius Lindhorst in das Zimmer trat. Er ging sonderbar lächelnd an den Tisch,
Anselmus stand schweigend auf, der Archivarius sah ihn noch immer so wie in höhnendem
Spott lächelnd an, kaum hatte er aber in die Abschrift geblickt, als das Lächeln in dem
tiefen feierlichen Ernst unterging, zu dem sich alle Muskeln des Gesichts verzogen. - Bald
schien er nicht mehr derselbe. Die Augen, welche sonst funkelndes Feuer strahlten,
blickten jetzt mit unbeschreiblicher Milde den Anselmus an, eine sanfte Röte färbte die
bleichen Wangen, und statt der Ironie, die sonst den Mund zusammenpresste, schienen
die weichgeformten anmutigen Lippen sich zu öffnen zur weisheitvollen, ins Gemüt
dringenden Rede. - Die ganze Gestalt war höher, würdevoller; der weite Schlafrock
legte sich wie ein Königsmantel in breiten Falten um Brust und Schultern, und durch
die weißen Löckchen, welche an der hohen offenen Stirn lagen, schlang sich ein
schmaler goldner Reif. »Junger Mensch«, fing der Archivarius an im feierlichen Ton,
»junger Mensch, ich habe, noch ehe du es ahnetest, all die geheimen Beziehungen
erkannt, die dich an mein Liebstes, Heiligstes fesseln! - Serpentina liebt dich, und ein
seltsames Geschick, dessen verhängnisvollen Faden feindliche Mächte spannen, ist
erfüllt, wenn sie dein wird und wenn du als notwendige Mitgift den goldnen Topf
erhältst, der ihr Eigentum ist. Aber nur dem Kampfe entsprießt dein Glück im höheren
Leben. Feindliche Prinzipe fallen dich an, und nur die innere Kraft, mit der du den
Anfechtungen widerstehst, kann dich retten von Schmach und Verderben. Indem du
hier arbeitest, überstehst du deine Lehrzeit; Glauben und Erkenntnis führen dich zum
nahen Ziele, wenn du festhältst an dem, was du beginnen musstest. Trage sie recht
getreulich im Gemüte, sie, die dich liebt, und du wirst die herrlichen Wunder des
goldnen Topfs schauen und glücklich sein immerdar. - Gehab' dich wohl! der
Archivarius Lindhorst erwartet dich morgen um zwölf Uhr in deinem Kabinett! -
Gehab' dich wohl!« - Der Archivarius schob den Studenten Anselmus sanft zur
Tür hinaus, die er dann verschloss, und er befand sich in dem Zimmer, in welchem
er gespeiset, dessen einzige Tür auf den Flur führte. Ganz betäubt von den
wunderbaren Erscheinungen blieb er vor der Haustür stehen, da wurde über ihm
ein Fenster geöffnet, er schaute hinauf, es war der Archivarius Lindhorst; ganz der
Alte im weißgrauen Rocke, wie er ihn sonst gesehen. - Er rief ihm zu: »Ei, werter Herr
Anselmus, worüber sinnen Sie denn so, was gilt's, das Arabische geht Ihnen nicht aus
dem Kopf? Grüßen Sie doch den Herrn Konrektor Paulmann, wenn Sie etwa zu ihm gehen,
und kommen Sie morgen Punkt zwölf Uhr wieder. Das Honorar für heute steckt bereits
in Ihrer rechten Westentasche.« - Der Student Anselmus fand
wirklich den blanken
Speziestaler in der bezeichneten Tasche, aber er freute sich gar nicht darüber. -
»Was aus dem allen werden wird, weiß ich nicht«, sprach er zu sich selbst - »umfängt
mich aber auch nur ein toller Wahn und Spuk, so lebt und webt doch in meinem Innern
die liebliche Serpentina, und ich will, ehe ich von ihr lasse, lieber untergehen ganz und
gar, denn ich weiß doch, dass der Gedanke in mir ewig ist, und kein feindliches Prinzip
kann ihn vernichten; aber ist der Gedanke denn was anders als Serpentinas Liebe?«
Siebente Vigilie
Wie der Konrektor Paulmann die Pfeife ausklopfte und zu Bett ging. -
Rembrandt und Höllenbreughel. - Der Zauberspiegel und des Doktors Eckstein Rezept
gegen eine unbekannte Krankheit.

Endlich klopfte der Konrektor Paulmann die Pfeife aus, sprechend: »Nun ist es doch wohl Zeit, sich
zur Ruhe zu begeben.« »Jawohl«, erwiderte die durch des Vaters längeres Aufbleiben beängstete
Veronika, denn es schlug längst zehn Uhr. Kaum war nun der Konrektor in sein Studier- und
Schlafzimmer gegangen, kaum hatten Fränzchens schwerere Atemzüge kund getan, dass sie
wirklich fest eingeschlafen, als Veronika, die sich zum Schein auch ins Bett gelegt, leise, leise
wieder aufstand, sich anzog, den Mantel umwarf und zum Hause hinausschlüpfte. - Seit dem
Augenblick, als Veronika die alte Liese verlassen, stand ihr unaufhörlich der Anselmus vor Augen,
und sie wusste selbst nicht, welch eine fremde Stimme im Innern ihr immer und ewig wiederholte,
dass sein Widerstreben von einer ihr feindlichen Person herrühre, die ihn in Banden halte, welche
Veronika durch geheimnisvolle Mittel der magischen Kunst zerreißen könne. Ihr Vertrauen auf
die alte Liese wuchs mit jedem Tage, und selbst der Eindruck des Unheimlichen, Grausigen
stumpfte sich ab, sodass alles Wunderliche, Seltsame ihres Verhältnisses mit der Alten ihr
nur im Schimmer des Ungewöhnlichen, Romanhaften erschien, wovon sie eben recht angezogen
wurde. Deshalb stand auch der Vorsatz bei ihr fest, selbst mit Gefahr, vermisst zu werden und in
tausend Unannehmlichkeiten zu geraten, das Abenteuer der Tag- und Nachtgleiche zu bestehen.
Endlich war nun die verhängnisvolle Nacht des Äquinoktiums, in der ihr die alte Liese Hülfe und
Trost verheißen, eingetreten, und Veronika, mit dem Gedanken der nächtlichen Wanderung
längst vertraut geworden, fühlte sich ganz ermutigt. Pfeilschnell flog sie durch die einsamen
Straßen, des Sturms nicht achtend, der durch die Lüfte brauste und ihr die dicken Regentropfen
ins Gesicht warf. - Mit dumpfem dröhnendem Klange schlug die Glocke des Kreuzturms eilf Uhr,
als Veronika ganz durchnässt vor dem Hause der Alten stand. »Ei Liebchen, Liebchen, schon da! -
nun warte, warte!«, rief es von oben herab - und gleich darauf stand auch die Alte, mit einem
Korbe beladen und von ihrem Kater begleitet, vor der Tür. »So wollen wir denn gehen und tun
und treiben, was ziemlich ist und gedeiht in der Nacht, die dem Werke günstig«, dies sprechend
ergriff die Alte mit kalter Hand die zitternde Veronika, welcher sie den schweren Korb zu tragen
gab, während sie selbst einen Kessel, Dreifuß und Spaten auspackte. Als sie ins Freie kamen,
regnete es nicht mehr, aber der Sturm war stärker geworden; tausendstimmig heulte es in
den Lüften. Ein entsetzlicher herzzerschneidender Jammer tönte herab aus den schwarzen
Wolken, die sich in schneller Flucht zusammenballten und alles einhüllten in dicke Finsternis.
Aber die Alte schritt rasch fort, mit gellender Stimme rufend: »Leuchte - leuchte mein Junge!«
Da schlängelten und kreuzten sich blaue Blitze vor ihnen her, und Veronika wurde inne, dass
der Kater, knisternde Funken sprühend und leuchtend, vor ihnen herumsprang und dessen
ängstliches grausiges Zetergeschrei sie vernahm, wenn der Sturm nur einen Augenblick
schwieg. - Ihr wollte der Atem vergehen, es war, als griffen eiskalte Krallen in ihr Inneres, aber
gewaltsam raffte sie sich zusammen, und sich fester an die Alte klammernd, sprach sie: »Nun
muss alles vollbracht werden, und es mag geschehen, was da will!« »Recht so, mein Töchterchen!«,
erwiderte die Alte, »bleibe fein standhaft, und ich schenke dir was Schönes und den Anselmus
obendrein!« Endlich stand die Alte still und sprach: »Nun sind wir an Ort und Stelle!« Sie grub ein
Loch in die Erde, schüttete Kohlen hinein und stellte den Dreifuß darüber, auf den sie den
Kessel setzte. Alles dieses begleitete sie mit seltsamen Gebärden, während der Kater sie
umkreiste. Aus seinem Schweif sprühten Funken, die einen Feuerreif bildeten. Bald fingen
die Kohlen an zu glühen, und endlich schlugen blaue Flammen unter dem Dreifuß hervor.
Veronika musste Mantel und Schleier ablegen und sich bei der Alten niederkauern, die ihre
Hände ergriff und fest drückte, mit den funkelnden Augen das Mädchen anstarrend. Nun
fingen die sonderbaren Massen - waren es Blumen - Metalle - Kräuter - Tiere, man konnte
es nicht unterscheiden - die die Alte aus dem Korbe genommen und in den Kessel geworfen,
an zu sieden und zu brausen. Die Alte ließ Veronika los, sie ergriff einen eisernen Löffel, mit
dem sie in die glühende Masse hineinfuhr und darin rührte, während Veronika auf ihr Geheiß
festen Blickes in den Kessel hineinschauen und ihre Gedanken auf den Anselmus richten musste.
Nun warf die Alte aufs Neue blinkende Metalle und auch eine Haarlocke, die sich Veronika vom
Kopfwirbel geschnitten, sowie einen kleinen Ring, den sie lange getragen, in den Kessel,
indem sie unverständliche, durch die Nacht grausig gellende Töne ausstieß und der Kater
im unaufhörlichen Rennen winselte und ächzte. - - Ich wollte, dass du, günstiger Leser,
am dreiundzwanzigsten September auf der Reise nach Dresden begriffen gewesen wärest;
vergebens suchte man, als der späte Abend hereinbrach, dich auf der letzten Station
aufzuhalten; der freundliche Wirt stellte dir vor, es stürme und regne doch gar zu sehr,
und überhaupt sei es auch nicht geheuer, in der Äquinoktialnacht so ins Dunkle hineinzufahren,
aber du achtetest dessen nicht, indem du ganz richtig annahmst: Ich zahle dem Postillion
einen ganzen Taler Trinkgeld und bin spätestens um ein Uhr
in Dresden, wo mich im
Goldnen Engel oder im Helm oder in der Stadt Naumburg ein gut zugerichtetes Abendessen
und ein weiches Bett erwartet. Wie du nun so in der Finsternis daherfährst, siehst du
plötzlich in der Ferne ein ganz seltsames flackerndes Leuchten. Näher gekommen, erblickst
du einen Feuerreif, in dessen Mitte bei einem Kessel, aus dem dicker Qualm und blitzende
rote Strahlen und Funken emporschießen, zwei Gestalten sitzen. Gerade durch das Feuer
geht der Weg, aber die Pferde prusten und stampfen und bäumen sich - der Postillion
flucht und betet - und peitscht auf die Pferde hinein - sie gehen nicht von der Stelle. -
Unwillkürlich springst du aus dem Wagen und rennst einige Schritte vorwärts. Nun siehst
du deutlich das schlanke holde Mädchen, die im weißen dünnen Nachtgewande bei dem
Kessel kniet. Der Sturm hat die Flechten aufgelöst, und das lange kastanienbraune Haar
flattert frei in den Lüften.
Ganz im blendenden Feuer der unter dem Dreifuß
emporflackernden Flammen steht das engelschöne Gesicht, aber in dem Entsetzen, das seinen Eisstrom
darübergoss, ist es erstarrt zur Totenbleiche, und in dem stieren Blick, in den hinaufgezogenen
Augenbrauen, in dem Munde, der sich vergebens dem Schrei der Todesangst öffnet, welcher
sich nicht entwinden kann der von namenloser Folter gepressten Brust, siehst du ihr Grausen,
ihr Entsetzen; die kleinen Händchen hält sie krampfhaft zusammengefaltet in die Höhe, als
riefe sie betend die Schutzengel herbei, sie zu schirmen vor den Ungetümen der Hölle, die,
dem mächtigen Zauber gehorchend, nun gleich erscheinen werden! - So kniet sie da,
unbeweglich wie ein Marmorbild.
Ihr gegenüber sitzt auf dem Boden niedergekauert ein
langes, hageres, kupfergelbes Weib mit spitzer Habichtsnase und funkelnden Katzenaugen;
aus dem schwarzen Mantel, den sie umgeworfen, starren die nackten knöchernen Arme
hervor, und, rührend in dem Höllensud, lacht und ruft sie mit krächzender Stimme durch
den brausenden tosenden Sturm. - Ich glaube wohl, dass dir, günstiger Leser, kenntest
du auch sonst keine Furcht und Scheu, sich doch
bei dem Anblick dieses Rembrandt'schen
oder Höllenbreughel'schen Gemäldes, das nun ins Leben getreten, vor Grausen die Haare
auf dem Kopfe gesträubt hätten. Aber dein Blick konnte nicht loskommen von dem im
höllischen Treiben befangenen Mädchen, und der elektrische Schlag, der durch alle deine
Fibern und Nerven zitterte, entzündete mit der Schnelligkeit des Blitzes in dir den mutigen
Gedanken, Trotz zu bieten den geheimnisvollen Mächten des Feuerkreises; in ihm ging dein
Grausen unter, ja der Gedanke selbst keimte auf in diesem Grausen und Entsetzen als dessen
Erzeugnis. Es war dir, als seist du selbst der Schutzengel einer, zu denen das zum Tode
geängstigte Mädchen flehte, ja als müsstest du nur gleich dein Taschenpistol hervorziehen
und die Alte ohne weiteres totschießen! Aber, indem du das lebhaft dachtest, schriest du
laut auf. »Heda!« oder: »Was gibt es dorten«, oder: »Was treibt ihr da!« - Der Postillion
stieß schmetternd in sein Horn, die Alte kugelte um in ihren Sud hinein, und alles war mit
einem Mal verschwunden in dickem Qualm. - Ob du das Mädchen, das du nun mit recht innigem
Verlangen in der Finsternis suchtest, gefunden hättest, mag ich nicht behaupten, aber den
Spuk des alten Weibes hattest du zerstört und den Bann des magischen Kreises, in den
sich Veronika leichtsinnig begeben, gelöset. - Weder du, günstiger Leser, noch sonst
jemand fuhr oder ging aber am dreiundzwanzigsten September in der stürmischen, den
Hexenkünsten günstigen Nacht des Weges, und Veronika musste ausharren am Kessel in
tödlicher Angst, bis das Werk der Vollendung nahe. - Sie vernahm wohl, wie es um sie her
heulte und brauste, wie allerlei widrige Stimmen durcheinander blökten und schnatterten,
aber sie schlug die Augen nicht auf, denn sie fühlte, wie der Anblick des Grässlichen, des
Entsetzlichen, von dem sie umgeben, sie in unheilbaren zerstörenden Wahnsinn stürzen
könne. Die Alte hatte aufgehört im Kessel zu rühren, immer schwächer und schwächer
wurde der Qualm, und zuletzt brannte nur eine leichte Spiritusflamme im Boden des
Kessels. Da rief die Alte: »Veronika, mein Kind! mein Liebchen! Schau' hinein in den Grund! -
Was siehst du denn - was siehst du denn?« - Aber Veronika vermochte nicht zu antworten,
unerachtet es ihr schien, als drehten sich allerlei verworrene Figuren im Kessel durcheinander;
immer deutlicher und deutlicher gingen Gestalten hervor, und mit einem Mal trat, sie freundlich
anblickend und die Hand ihr reichend, der Student Anselmus aus der Tiefe des Kessels. Da rief
sie laut: »Ach, der Anselmus! - der Anselmus!« - Rasch öffnete die Alte den am Kessel befindlichen
Hahn, und glühendes Metall strömte zischend und prasselnd in eine kleine Form, die sie
danebengestellt. Nun sprang das Weib auf und kreischte, mit wilder, grässlicher Gebärde
sich herumschwingend: »Vollendet ist das Werk - Dank dir, mein Junge! - hast Wache gehalten -
Hui - Hui - er kommt! - beiß ihn tot - beiß ihn tot!«
Aber da brauste
es mächtig durch die
Lüfte, es war, als rausche ein ungeheurer Adler herab, mit den Fittichen um sich schlagend,
und es rief mit entsetzlicher Stimme: »Hei, hei! - ihr Gesindel! Nun ist's aus - nun ist's aus -
fort zu Haus!« Die Alte stürzte heulend nieder, aber der Veronika vergingen Sinn und
Gedanken. - Als sie wieder zu sich selbst kam, war es heller Tag geworden, sie lag in
ihrem Bette, und Fränzchen stand mit einer Tasse dampfenden Tees vor ihr, sprechend:
»Aber sage mir nur, Schwester, was dir ist, da stehe ich nun schon eine Stunde oder
länger vor dir, und du liegst wie in der Fieberhitze besinnungslos da und stöhnst und
ächzest, dass uns angst und bange wird. Der Vater ist deinetwegen heute nicht in die
Klasse gegangen und wird gleich mit dem Herrn Doktor hereinkommen.« - Veronika
nahm schweigend den Tee; indem sie ihn hinunterschlürfte, traten ihr die grässlichen
Bilder der Nacht lebhaft vor Augen. »So war denn wohl alles nur ein ängstlicher
Traum, der mich gequält hat? - Aber ich bin doch gestern abend wirklich zur Alten
gegangen, es war ja der dreiundzwanzigste September? - Doch bin ich wohl schon
gestern recht krank geworden und habe mir das alles nur eingebildet, und nichts
hat mich krank gemacht als das ewige Denken an den Anselmus und an die
wunderliche alte Frau, die sich für die Liese ausgab und mich wohl nur damit geneckt
hat.« - Fränzchen, die hinausgegangen, trat wieder herein mit Veronikas ganz
durchnässtem Mantel in der Hand. »Sieh nur, Schwester«, sagte sie, »wie es deinem
Mantel ergangen ist; da hat der Sturm in der Nacht das Fenster aufgerissen und den
Stuhl, auf dem der Mantel lag, umgeworfen; da hat es nun wohl hineingeregnet, denn
der Mantel ist ganz nass.« - Das fiel der Veronika schwer aufs Herz, denn sie merkte
nun wohl, dass nicht ein Traum sie gequält, sondern dass sie wirklich bei der Alten
gewesen. Da ergriff sie Angst und Grausen, und ein Fieberfrost zitterte durch alle
Glieder. Im krampfhaften Erbeben zog sie die Bettdecke fest über sich; aber da fühlte
sie, dass etwas Hartes ihre Brust drückte, und als sie mit der Hand danach fasste,
schien es ein Medaillon zu sein; sie zog es hervor, als Fränzchen mit dem Mantel
fortgegangen, und es war ein kleiner runder, hell polierter Metallspiegel. »Das ist
ein Geschenk der Alten«, rief sie lebhaft, und es war, als schössen feurige Strahlen
aus dem Spiegel, die in ihr Innerstes drangen und es wohltuend erwärmten. Der
Fieberfrost war vorüber, und es durchströmte sie ein unbeschreibliches Gefühl von
Behaglichkeit und Wohlsein. An den Anselmus musste sie denken, und als sie immer
fester und fester den Gedanken auf ihn richtete, da lächelte er ihr freundlich aus
dem Spiegel entgegen wie ein lebhaftes Miniaturporträt. Aber bald war es ihr,
als sähe sie nicht mehr das Bild - nein! - sondern den Studenten Anselmus
selbstleibhaftig. Er saß in einem hohen, seltsam ausstaffierten Zimmer und schrieb
emsig. Veronika wollte zu ihm hintreten, ihn auf die Schulter klopfen und sprechen:
»Herr Anselmus, schauen Sie doch um sich, ich bin ja da!« Aber das ging durchaus
nicht an, denn es war, als umgäbe ihn ein leuchtender Feuerstrom, und wenn
Veronika recht genau hinsah, waren es doch nur große Bücher mit vergoldetem
Schnitt. Aber endlich gelang es der Veronika, den Anselmus ins Auge zu fassen;
da war es, als müsse er im Anschauen sich erst auf sie besinnen, doch endlich
lächelte er und sprach: »Ach! - sind Sie es, liebe Mademoiselle Paulmann! Aber
warum belieben Sie sich denn zuweilen als ein Schlänglein zu gebärden?«
Veronika musste über diese seltsamen Worte laut auflachen; darüber erwachte
sie wie aus einem tiefen Traume, und sie verbarg schnell den kleinen Spiegel,
als die Tür aufging und der Konrektor Paulmann mit dem Doktor Eckstein ins
Zimmer kam. Der Doktor Eckstein ging sogleich ans Bett, fasste, lange in tiefem
Nachdenken versunken, Veronikas Puls und sagte dann: »Ei! - Ei!« Hierauf
schrieb er ein Rezept, fasste noch einmal den Puls, sagte wiederum »Ei! Ei!« und
verließ die Patientin. Aus diesen Äußerungen des Doktors Eckstein konnte aber
der Konrektor Paulmann nicht recht deutlich entnehmen, was der Veronika denn
wohl eigentlich fehlen möge.
Achte Vigilie
Die Bibliothek der Palmbäume. - Schicksale eines unglücklichen Salamanders. -
Wie die schwarze Feder eine Runkelrübe liebkosete und der Registrator Heerbrand sich sehr betrank.

Der Student Anselmus hatte nun schon mehrere Tage bei dem Archivarius Lindhorst gearbeitet;
diese Arbeitsstunden waren für ihn die glücklichsten seines Lebens, denn immer von lieblichen
Klängen, von Serpentinas tröstenden Worten umflossen, ja oft von einem vorübergleitenden
Hauche leise berührt, durchströmte ihn eine nie gefühlte Behaglichkeit, die oft bis zur höchsten
Wonne stieg. Jede Not, jede kleinliche Sorge seiner dürftigen Existenz war ihm aus Sinn und
Gedanken entschwunden, und in dem neuen Leben, das ihm wie im hellen Sonnenglanze aufgegangen,
begriff er alle Wunder einer höheren Welt, die ihn sonst mit Staunen, ja mit Grausen erfüllt hatten.
Mit dem Abschreiben ging es sehr schnell, indem es ihn immer mehr dünkte, er schreibe nur längst
gekannte Züge auf das Pergament hin und dürfe kaum nach dem Original sehen, um alles mit der größten
Genauigkeit nachzumalen. - Außer der Tischzeit ließ sich der Archivarius Lindhorst nur dann und wann
sehen, aber jedesmal erschien er genau in dem Augenblick, wenn Anselmus eben die letzten Zeichen
einer Handschrift vollendet hatte, und gab ihm dann eine andere, verließ ihn aber gleich wieder
schweigend, nachdem er nur mit einem schwarzen Stäbchen die Tinte umgerührt und die gebrauchten
Federn mit neuen, schärfer gespitzten vertauscht hatte. Eines Tages, als Anselmus mit dem
Glockenschlag Zwölf bereits die Treppe hinaufgestiegen, fand er die Tür, durch die er gewöhnlich
hineingegangen, verschlossen, und der Archivarius Lindhorst erschien in seinem wunderlichen, wie
mit glänzenden Blumen bestreuten Schlafrock von der andern Seite. Er rief laut: »Heute kommen Sie
nur hier herein, werter Anselmus, denn wir müssen in das Zimmer, wo
Bhogovotgitas Meister unsrer
warten.« Er schritt durch den Korridor und führte Anselmus durch dieselben Gemächer und Säle wie
das erste Mal. - Der Student Anselmus erstaunte aufs Neue über die wunderbare Herrlichkeit des
Gartens, aber er sah nun deutlich, dass manche seltsame Blüten, die an den dunkeln Büschen hingen,
eigentlich in glänzenden Farben prunkende Insekten waren, die mit den Flüglein auf- und niederschlugen
und, durcheinander tanzend und wirbelnd, sich mit ihren Saugrüsseln zu liebkosen
schienen. Dagegen waren wieder die rosenfarbnen und himmelblauen Vögel duftende Blumen, und
der Geruch, den sie verbreiteten, stieg aus ihren Kelchen empor in leisen lieblichen Tönen, die sich
mit dem Geplätscher der fernen Brunnen, mit dem Säuseln der hohen Stauden und Bäume zu
geheimnisvollen Akkorden einer tiefklagenden Sehnsucht vermischten. Die Spottvögel, die ihn
das erste Mal so geneckt und gehöhnt, flatterten ihm wieder um den Kopf und schrien mit ihren
feinen Stimmchen unaufhörlich: »Herr Studiosus, Herr Studiosus, eilen Sie nicht so - kucken Sie
nicht so in die Wolken - Sie könnten auf die Nase fallen. - He, he! Herr Studiosus - nehmen Sie
den Pudermantel um - Gevatter Schuhu soll Ihnen den Toupet frisieren.« - So ging es fort in allerlei
dummem Geschwätz, bis Anselmus den Garten verlassen. Der Archivarius Lindhorst trat endlich
in das azurblaue Zimmer; der Porphyr mit dem goldnen Topf war verschwunden, statt dessen
stand ein mit violettem Samt behangener Tisch, auf dem die dem Anselmus bekannten
Schreibmaterialien befindlich, in der Mitte des Zimmers, und ein ebenso beschlagener Lehnstuhl
stand vor demselben. »Lieber Herr Anselmus«, sagte der Archivarius Lindhorst, »Sie haben nun
schon manches Manuskript schnell und richtig zu meiner großen Zufriedenheit kopiert; Sie haben
sich mein Zutrauen erworben; das Wichtigste bleibt aber noch zu tun übrig, und das ist das
Abschreiben oder vielmehr Nachmalen gewisser in besonderen Zeichen geschriebener Werke,
die ich hier in diesem Zimmer aufbewahre und die nur an Ort und Stelle kopiert werden können. -
Sie werden daher künftig hier arbeiten, aber ich muss Ihnen die grösste Vorsicht und Aufmerksamkeit
empfehlen; ein falscher Strich oder, was der Himmel verhüten möge, ein Tintenfleck auf das Original
gespritzt, stürzt Sie ins Unglück.« - Anselmus bemerkte, dass aus den goldnen Stämmen der
Palmbäume kleine smaragdgrüne Blätter herausragten; eins dieser Blätter erfasste der Archivarius,
und Anselmus wurde gewahr, dass das Blatt eigentlich in einer Pergamentrolle bestand, die der
Archivarius aufwickelte und vor ihm auf den Tisch breitete. Anselmus wunderte sich nicht wenig
über die seltsam verschlungenen Zeichen, und bei dem Anblick der vielen Pünktchen, Striche und
Züge und Schnörkel, die bald Pflanzen, bald Moose, bald Tiergestalten darzustellen schienen,
wollte ihm beinahe der Mut sinken, alles so genau nachmalen zu können. Er geriet darüber in tiefe
Gedanken. »Mut gefasst, junger Mensch!«, rief der Archivarius, »hast du bewährten Glauben und wahre
Liebe, so hilft dir Serpentina!« Seine Stimme tönte wie klingendes Metall, und als Anselmus in jähem
Schreck aufblickte, stand der Archivarius Lindhorst in der königlichen Gestalt vor ihm, wie er ihm
bei dem ersten Besuch im Bibliothekzimmer erschienen. Es war dem Anselmus, als müsse er von
Ehrfurcht durchdrungen auf die Knie sinken, aber da stieg der Archivarius Lindhorst an dem
Stamm eines Palmbaums in die Höhe und verschwand in den smaragdenen Blättern. - Der Student
Anselmus begriff, dass der Geisterfürst mit ihm gesprochen und nun in sein Studierzimmer
hinaufgestiegen, um vielleicht mit den Strahlen, die einige Planeten als Gesandte zu ihm geschickt,
Rücksprache zu halten, was nun mit ihm und der holden Serpentina geschehen solle. - »Auch kann
es sein«, dachte er ferner, »dass ihn Neues von den Quellen des Nils erwartet oder dass ein Magus
aus Lappland ihn besucht - mir geziemt es nun, emsig an die Arbeit zu gehen.« - Und damit fing er
an die fremden Zeichen der Pergamentrolle zu studieren. - Die wunderbare Musik des Gartens
tönte zu ihm herüber und umgab ihn mit süßen lieblichen Düften, auch hörte er wohl die Spottvögel
kickern, doch verstand er ihre Worte nicht, was ihm auch recht lieb war. Zuweilen war es auch,
als rauschten die smaragdenen Blätter der Palmbäume und als strahlten dann die holden Kristallklänge,
welche Anselmus an jenem verhängnisvollen Himmelfahrtstage unter dem Holunderbusch hörte,
durch das Zimmer. Der Student Anselmus, wunderbar gestärkt durch dies Tönen und Leuchten,
richtete immer fester und fester Sinn und Gedanken auf die Überschrift der Pergamentrolle, und
bald fühlte er wie aus dem Innersten heraus, dass die Zeichen nichts anders bedeuten könnten
als die Worte: Von der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange. - Da ertönte ein
starker Dreiklang heller Kristallglocken. - »Anselmus, lieber Anselmus«, wehte es ihm zu aus den
Blättern, und o Wunder! an dem Stamm des Palmbaums schlängelte sich die grüne Schlange
herab. -
»Serpentina! holde Serpentina!«, rief Anselmus wie im Wahnsinn
des höchsten Entzückens, denn sowie er schärfer hinblickte, da war es ja ein liebliches herrliches
Mädchen, die mit den dunkelblauen Augen, wie sie in seinem Innern lebten, voll unaussprechlicher Sehnsucht ihn
anschauend, ihm entgegenschwebte. Die Blätter schienen sich herabzulassen und auszudehnen,
überall sprossten Stacheln aus den Stämmen, aber Serpentina wand und schlängelte sich
geschickt durch, indem sie ihr flatterndes, wie in schillernden Farben glänzendes Gewand
nach sich zog, sodass es, sich dem schlanken Körper anschmiegend, nirgends hängen blieb
an den hervorragenden Spitzen und Stacheln der Palmbäume.
Sie setzte sich neben dem
Anselmus auf denselben Stuhl, ihn mit dem Arm umschlingend und an sich drückend, sodass er den Hauch,
der von ihren Lippen strömte, die elektrische Wärme ihres Körpers fühlte.
»Lieber Anselmus«, fing Serpentina an, »nun bist du bald ganz mein, durch deinen Glauben,
durch deine Liebe erringst du mich, und ich bringe dir den goldnen Topf, der uns beide
beglückt immerdar.« - »O du holde, liebe Serpentina«, sagte Anselmus, »wenn ich nur dich
habe, was kümmert mich sonst alles Übrige; wenn du nur mein bist, so will ich gern untergehen
in all dem Wunderbaren und Seltsamen, was mich befängt seit dem Augenblick, als ich dich sah.«
»Ich weiß wohl«, fuhr Serpentina fort, »dass das Unbekannte und Wunderbare, womit mein Vater
oft nur zum Spiel seiner Laune dich umfangen, Grausen und Entsetzen in dir erregt hat, aber
jetzt soll es, wie ich hoffe, nicht wieder geschehen, denn ich bin in diesem Augenblick nur da,
um dir, mein lieber Anselmus, alles und jedes aus tiefem Gemüte, aus tiefer Seele haarklein zu
erzählen, was dir zu wissen nötig, um meinen Vater ganz zu kennen und überhaupt recht
deutlich einzusehen, was es mit ihm und mit mir für eine Bewandtnis hat.« - Dem Anselmus war
es, als sei er von der holden, lieblichen Gestalt so ganz und gar umschlungen und umwunden,
dass er sich nur mit ihr regen und bewegen könne, und als sei es nur der Schlag ihres Pulses,
der durch seine Fibern und Nerven zittere; er horchte auf jedes ihrer Worte, das bis in sein
Innerstes hinein erklang und wie ein leuchtender Strahl die Wonne des Himmels in ihm entzündete.
Er hatte den Arm um ihren schlanker als schlanken Leib gelegt, aber der schillernde, glänzende
Stoff ihres Gewandes war so glatt, so schlüpfrig, dass es ihm schien, als könne sie, sich ihm
schnell entwindend, unaufhaltsam entschlüpfen, und er erbebte bei dem Gedanken. »Ach,
verlass mich nicht, holde Serpentina«, rief er unwillkürlich aus, »nur du bist mein Leben!« -
»Nicht eher heute«, sagte Serpentina, »als bis ich alles erzählt habe, was du in deiner Liebe
zu mir begreifen kannst. - Wisse also, Geliebter, dass mein Vater aus dem wunderbaren
Geschlecht der Salamander abstammt, und dass ich mein Dasein seiner Liebe zur grünen
Schlange verdanke.
In uralter Zeit herrschte in dem Wunderlande Atlantis der mächtige
Geisterfürst Phosphorus, dem die Elementargeister dienten. Einst ging der Salamander, den
er vor allen liebte (es war mein Vater), in dem prächtigen Garten, den des Phosphorus
Mutter mit ihren schönsten Gaben auf das Herrlichste geschmückt hatte, umher und hörte,
wie eine hohe Lilie in leisen Tönen sang: 'Drücke fest die Äuglein zu, bis mein Geliebter,
der Morgenwind, dich weckt.' Er trat hinzu; von seinem glühenden Hauch berührt, erschloss
die Lilie ihre Blätter, und er erblickte der Lilie Tochter, die grüne Schlange, welche in dem
Kelch schlummerte. Da wurde der Salamander von heißer Liebe zu der schönen Schlange
ergriffen, und er raubte sie der Lilie, deren Düfte in namenloser Klage vergebens im
ganzen Garten nach der geliebten Tochter riefen. Denn der Salamander hatte sie in das
Schloss des Phosphorus getragen und bat ihn: 'Vermähle mich mit der Geliebten, denn
sie soll mein eigen sein immerdar.' 'Törichter, was verlangst du!', sprach der Geisterfürst,
'wisse, dass einst die Lilie meine Geliebte war und mit mir herrschte, aber der Funke,
den ich in sie warf, drohte sie zu vernichten, und nur der Sieg über den schwarzen
Drachen, den jetzt die Erdgeister in Ketten gebunden halten, erhielt die Lilie, dass ihre
Blätter stark genug blieben, den Funken in sich zu schließen und zu bewahren. Aber
wenn du die grüne Schlange umarmst, wird deine Glut den Körper verzehren
und ein
neues Wesen, schnell emporkeimend, sich dir entschwingen.' Der Salamander achtete
der Warnung des Geisterfürsten nicht; voll glühenden Verlangens schloss er die grüne
Schlange in seine Arme, sie zerfiel in Asche, und ein geflügeltes Wesen, aus der Asche
geboren, rauschte fort durch die Lüfte. Da ergriff den Salamander der Wahnsinn der
Verzweiflung, und er rannte, Feuer und Flammen sprühend, durch den Garten und verheerte
ihn in wilder Wut, dass die schönsten Blumen und Blüten verbrannt niedersanken und ihr
Jammer die Luft erfüllte. Der hocherzürnte Geisterfürst erfasste im Grimm den Salamander
und sprach: 'Ausgeraset hat dein Feuer - erloschen sind deine Flammen, erblindet deine
Strahlen - sinke hinab zu den Erdgeistern, die mögen dich necken und höhnen und gefangen
halten, bis der Feuerstoff sich wieder entzündet und mit dir als einem neuen Wesen
aus der Erde emporstrahlt.' Der arme Salamander sank erloschen hinab, aber da trat der
alte mürrische Erdgeist, der des Phosphorus Gärtner war, hinzu und sprach: 'Herr! wer
sollte mehr über den Salamander klagen als ich! - Habe ich nicht all die schönen Blumen,
die er verbrannt, mit meinen schönsten Metallen geputzt, habe ich nicht ihre Keime wacker
gehegt und gepflegt und an ihnen manche schöne Farbe verschwendet? - Und doch nehme
ich mich des armen Salamanders an, den nur die Liebe, von der du selbst schon oft, o Herr,
befangen, zur Verzweiflung getrieben, in der er den Garten verwüstet. - Erlasse ihm die zu
harte Strafe!' - 'Sein Feuer ist für Jetzt erloschen', sprach der Geisterfürst,
'in der unglücklichen
Zeit, wenn die Sprache der Natur dem entarteten Geschlecht der Menschen nicht mehr
verständlich sein, wenn die Elementargeister, in ihre Regionen gebannt, nur aus weiter Ferne
in dumpfen Anklängen zu dem Menschen sprechen werden, wenn dem harmonischen Kreise
entrückt, nur ein unendliches Sehnen ihm die dunkle Kunde von dem wundervollen Reiche geben
wird, das er sonst bewohnen durfte, als noch Glaube und Liebe in seinem Gemüte wohnten, -
in dieser unglücklichen Zeit entzündet sich der Feuerstoff des Salamanders aufs Neue, doch
nur zum Menschen keimt er empor und muss, ganz eingehend in das dürftige Leben, dessen
Bedrängnisse ertragen. Aber nicht allein die Erinnerung an seinen Urzustand soll ihm bleiben,
sondern er lebt auch wieder auf in der heiligen Harmonie mit der ganzen Natur, er versteht
ihre Wunder, und die Macht der verbrüderten Geister steht ihm zu Gebote. In einem
Lilienbusch findet er dann die grüne Schlange wieder, und die Frucht seiner Vermählung mit
ihr sind drei Töchter, die den Menschen in der Gestalt der Mutter erscheinen. Zur
Frühlingszeit sollen sie sich in den dunklen Holunderbusch hängen und ihre lieblichen
Kristallstimmen ertönen lassen. Findet sich dann in der dürftigen armseligen Zeit der
innern Verstocktheit ein Jüngling, der ihren Gesang vernimmt, ja, blickt ihn eine der
Schlänglein mit ihren holdseligen Augen an, entzündet der Blick in ihm die Ahnung des
fernen wundervollen Landes, zu dem er sich mutig emporschwingen kann, wenn er die
Bürde des Gemeinen abgeworfen, keimt mit der Liebe zur Schlange in ihm der Glaube
an die Wunder der Natur, ja an seine eigne Existenz in diesen Wundern glutvoll und
lebendig auf, so wird die Schlange sein. Aber nicht eher, bis drei Jünglinge dieser Art
erfunden und mit den drei Töchtern vermählt werden, darf der Salamander seine lästige
Bürde abwerfen und zu seinen Brüdern gehen.' 'Erlaube, Herr', sagte der Erdgeist, 'dass
ich diesen drei Töchtern ein Geschenk mache, das ihr Leben mit dem gefundenen Gemahl
verherrlicht. Jede erhält von mir einen Topf vom schönsten Metall, das ich besitze, den
poliere ich mit Strahlen, die ich dem Diamant entnommen; in seinem Glanze soll sich unser
wundervolles Reich, wie es jetzt im Einklang mit der ganzen Natur besteht, in blendendem
herrlichen Widerschein abspiegeln, aus seinem Innern aber in dem Augenblick der
Vermählung eine Feuerlilie entsprießen, deren ewige Blüte den bewährt befundenen
Jüngling süß duftend umfängt. Bald wird er dann ihre Sprache, die Wunder unseres Reichs
verstehen und selbst mit der Geliebten in Atlantis wohnen.' - Du weißt nun wohl, lieber
Anselmus, dass mein Vater eben der Salamander ist, von dem ich dir erzählt. Er musste,
seiner höheren Natur unerachtet, sich den kleinlichsten Bedrängnissen des gemeinen
Lebens unterwerfen, und daher kommt wohl oft die schadenfrohe Laune, mit der er manche
neckt.
Er hat mir oft gesagt, dass für die innere Geistesbeschaffenheit, wie sie der
Geisterfürst Phosphorus damals als Bedingnis der Vermählung mit mir und meinen
Schwestern aufgestellt, man jetzt einen Ausdruck habe, der aber nur zu oft
unschicklicherweise gemissbraucht werde; man nenne das nämlich ein kindliches
poetisches Gemüt. - Oft finde man dieses Gemüt bei Jünglingen, die der hohen
Einfachheit ihrer Sitten wegen und weil es ihnen ganz an der sogenannten Weltbildung
fehle, von dem Pöbel verspottet würden. Ach, lieber Anselmus! - Du verstandest ja
unter dem Holunderbusch meinen Gesang - meinen Blick - du liebst die grüne Schlange,
du glaubst an mich und willst mein sein immerdar! - Die schöne Lilie wird emporblühen
aus dem goldnen Topf, und wir werden vereint glücklich und selig in Atlantis wohnen! -
Aber nicht verhehlen kann ich dir, dass im grässlichen Kampf mit den Salamandern und
Erdgeistern sich der schwarze Drache loswand und durch die Lüfte davonbrauste.
Phosphorus hält ihn zwar wieder in Banden, aber aus den schwarzen Federn, die im
Kampfe auf die Erde stäubten, keimten feindliche Geister empor, die überall den
Salamandern und Erdgeistern widerstreben. Jenes Weib, das dir so feindlich ist,
lieber Anselmus, und die, wie mein Vater recht gut weiß, nach dem Besitz des
goldnen Topfes strebt, hat ihr Dasein der Liebe einer solchen aus dem Fittich
des Drachen herabgestäubten Feder zu einer Runkelrübe zu verdanken. Sie
erkennt ihren Ursprung und ihre Gewalt, denn in dem Stöhnen, in den Zuckungen des
gefangenen Drachen werden ihr die Geheimnisse mancher wundervollen Konstellation
offenbar, und sie bietet alle Mittel auf, von außen hinein ins Innere zu wirken, wogegen
sie mein Vater mit den Blitzen, die aus dem Innern des Salamanders hervorschießen,
bekämpft. Alle die feindlichen Prinzipe, die in schädlichen Kräutern und giftigen Tieren
wohnen, sammelt sie und erregt, sie mischend in günstiger Konstellation, manchen
bösen Spuk, der des Menschen Sinne mit Grauen und Entsetzen befängt und ihn der
Macht jener Dämonen, die der Drache im Kampfe unterliegend erzeugte, unterwirft.
Nimm dich vor der Alten in acht, lieber Anselmus, sie ist dir feind, weil dein kindlich
frommes Gemüt schon manchen ihrer bösen Zauber vernichtet. - Halte treu - treu -
an mir, bald bist du am Ziel!« - »O meine - meine Serpentina!« - rief der Student
Anselmus, »wie sollte ich denn nur von dir lassen können, wie sollte ich dich nicht
lieben ewiglich!« - Ein Kuss brannte auf seinem Munde, er erwachte wie aus einem
tiefen Traume, Serpentina war verschwunden, es schlug sechs Uhr, da fiel es ihm
schwer aufs Herz, dass er nicht das Mindeste kopiert habe; er blickte voll Besorgnis,
was der Archivarius wohl sagen werde, auf das Blatt, und o Wunder! die Kopie des
geheimnisvollen Manuskripts war glücklich beendigt, und er glaubte, schärfer die Züge
betrachtend, Serpentinas Erzählung von ihrem Vater, dem Liebling des Geisterfürsten
Phosphorus im Wunderlande Atlantis, abgeschrieben zu haben. Jetzt trat der Archivarius
Lindhorst in seinem weißgrauen Überrock, den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand,
herein; er sah in das von dem Anselmus beschriebene Pergament, nahm eine große Prise
und sagte lächelnd: »Das dacht' ich wohl! - Nun! hier ist der Speziestaler, Herr Anselmus,
jetzt wollen wir noch nach dem Linke'schen Bade gehen - nur mir nach!« - Der Archivarius
schritt rasch durch den Garten, in dem ein solcher Lärm von Singen, Pfeifen, Sprechen
durcheinander war, dass der Student Anselmus ganz betäubt wurde und dem Himmel
dankte, als er sich auf der Straße befand. Kaum waren sie einige Schritte gegangen,
als sie dem Registrator Heerbrand begegneten, der freundlich sich anschloss. Vor dem
Tore stopften sie die mitgenommenen Pfeifen; der Registrator Heerbrand beklagte,
kein Feuerzeug bei sich zu tragen, da rief der Archivarius Lindhorst ganz unwillig:
»Was Feuerzeug! - hier ist Feuer, so viel Sie wollen!«
Und damit schnappte er mit
den Fingern, aus denen große Funken strömten, die die Pfeifen schnell anzündeten.
»Sehen Sie das chemische Kunststückchen«, sagte der Registrator Heerbrand, aber
der Student Anselmus dachte nicht ohne inneres Erbeben an den Salamander. -
Im Linke'schen Bade trank der Registrator Heerbrand so viel starkes Doppelbier,
dass er, sonst ein gutmütiger stiller Mann, anfing, in einem quäkenden Tenor
Burschenlieder zu singen, jeden hitzig fragte, ob er sein Freund sei oder nicht,
und endlich von dem Studenten Anselmus zu Hause gebracht werden musste, als
der Archivarius Lindhorst schon längst auf und davon war.
Neunte Vigilie
Wie der Student Anselmus zu einiger Vernunft gelangte. - Die
Punschgesellschaft. - Wie der Student Anselmus den Konrektor Paulmann für einen Schuhu hielt und dieser sich darob
sehr erzürnte. - Der Tintenklecks und seine Folgen.

Alles das Seltsame und Wundervolle, welches dem Studenten Anselmus täglich begegnet war, hatte
ihn ganz dem gewöhnlichen Leben entrückt. Er sah keinen seiner Freunde mehr und harrte
jeden Morgen mit Ungeduld auf die zwölfte Stunde, die ihm sein Paradies aufschloss. Und doch,
indem sein ganzes Gemüt der holden Serpentina und den Wundern des Feenreichs bei dem
Archivarius Lindhorst zugewandt war, musste er zuweilen unwillkürlich an Veronika denken, ja
manchmal schien es ihm, als träte sie zu ihm hin und gestehe errötend, wie herzlich sie ihn
liebe und wie sie danach trachte, ihn den Phantomen, von denen er nur geneckt und verhöhnt
werde, zu entreißen. Zuweilen war es, als risse eine fremde, plötzlich auf ihn einbrechende
Macht ihn unwiderstehlich hin zur vergessenen Veronika, und er müsse ihr folgen, wohin sie
nur wolle, als sei er festgekettet an das Mädchen. Gerade in der Nacht darauf, als er Serpentina
zum ersten Mal in der Gestalt einer wunderbar holdseligen Jungfrau geschaut, als ihm das
wunderbare Geheimnis der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange offenbar
worden, trat ihm Veronika lebhafter vor Augen als jemals. - Ja! - erst als er erwachte,
wurde er deutlich gewahr, dass er nur geträumt habe, da er überzeugt gewesen, Veronika
sei wirklich bei ihm und klage mit dem Ausdruck eines tiefen Schmerzes, der sein Innerstes
durchdrang, dass er ihre innige Liebe den fantastischen Erscheinungen, die nur seine innere
Zerrüttung hervorrufe, aufopfern und noch darüber in Unglück und Verderben geraten werde.
Veronika war liebenswürdiger, als er sie je gesehen; er konnte sie kaum aus den Gedanken
bringen, und dieser Zustand verursachte ihm eine Qual, der er bei einem Morgenspaziergang
zu entrinnen hoffte.
Eine geheime magische Gewalt zog ihn vor das Pirnaer Tor, und eben
wollte er in eine Nebenstraße einbiegen, als der Konrektor Paulmann, hinter ihm herkommend,
laut rief: »Ei, ei! - wertester Herr Anselmus! - Amice! - Amice! Wo um des Himmels willen
stecken Sie denn, Sie lassen sich ja gar nicht mehr sehen - wissen Sie wohl, dass sich
Veronika recht sehnt, wieder einmal eins mit Ihnen zu singen? - Nun kommen Sie nur,
Sie wollten ja doch zu mir!« Der Student Anselmus ging notgedrungen mit dem Konrektor.
Als sie in das Haus traten, kam ihnen Veronika sehr sauber und sorgfältig gekleidet
entgegen, sodass der Konrektor Paulmann voll Erstaunen fragte: »Nun, warum so geputzt,
hat man denn Besuch erwartet? - Aber hier bringe ich den Herrn Anselmus!« - Als der
Student Anselmus sittig und artig der Veronika die Hand küsste, fühlte er einen leisen
Druck, der wie ein Glutstrom durch alle Fibern und Nerven zuckte. Veronika war die
Heiterkeit, die Anmut selbst, und als Paulmann nach seinem Studierzimmer gegangen,
wusste sie durch allerhand Neckerei und Schalkheit den Anselmus so hinaufzuschrauben,
dass er alle Blödigkeit vergaß und sich zuletzt mit dem ausgelassenen Mädchen im
Zimmer herumjagte. Da kam ihm aber wieder einmal der Dämon des Ungeschicks über den
Hals, er stieß an den Tisch, und Veronikas niedliches Nähkästchen fiel herab. Anselmus
hob es auf, der Deckel war aufgesprungen, und es blinkte ihm ein kleiner runder
Metallspiegel entgegen, in den er mit ganz eigner Lust hineinschaute. Veronika
schlich sich leise hinter ihn, legte die Hand auf seinen Arm und schaute, sich
fest an ihn schmiegend, ihm über die Schulter auch in den Spiegel. Da war es
dem Anselmus, als beginne ein Kampf in seinem Innern - Gedanken - Bilder -
blitzten hervor und vergingen wieder - der Archivarius Lindhorst - Serpentina -
die grüne Schlange - endlich wurde es ruhiger, und alles Verworrene fügte
und gestaltete sich zum deutlichen Bewusstsein. Ihm wurde es nun klar, dass
er nur beständig an Veronika gedacht, ja dass die Gestalt, welche ihm gestern
in dem blauen Zimmer erschienen, auch eben Veronika gewesen, und dass die
fantastische Sage von der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange
ja nur von ihm geschrieben, keinesweges ihm aber erzählt worden sei. Er wunderte
sich selbst über seine Träumereien und schrieb sie lediglich seinem durch die
Liebe zu Veronika exaltierten Seelenzustande sowie der Arbeit bei dem
Archivarius Lindhorst zu, in dessen Zimmern es noch überdem so sonderbar
betäubend dufte. Er musste herzlich über die tolle Einbildung lachen, in eine
kleine Schlange verliebt zu sein und einen wohlbestallten Geheimen Archivarius
für einen Salamander zu halten. »Ja, ja! - es ist Veronika!«, rief er laut, aber indem
er den Kopf umwandte, schaute er gerade in Veronikas blaue Augen hinein, in
denen Liebe und Sehnsucht strahlten. Ein dumpfes Ach! entfloh ihren Lippen,
die in dem Augenblick auf den seinigen brannten. »O ich Glücklicher«, seufzte
der entzückte Student, »was ich gestern nur träumte, wird mir heute wirklich
und in der Tat zuteil.« »Und willst du mich denn wirklich heiraten, wenn du
Hofrat worden?«, fragte Veronika. »Allerdings!«, antwortete der Student
Anselmus; indem knarrte die Tür, und der Konrektor Paulmann trat mit
den Worten herein: »Nun, wertester Herr Anselmus, lasse ich Sie heute
nicht fort, Sie nehmen vorlieb bei mir mit einer Suppe, und nachher bereitet
uns Veronika einen köstlichen Kaffee, den wir mit dem Registrator Heerbrand,
welcher herzukommen versprochen, genießen.« »Ach, bester Herr Konrektor«,
erwiderte der Student Anselmus, »wissen Sie denn nicht, dass ich zum
Archivarius Lindhorst muss, des Abschreibens wegen?« »Schauen
Sie, Amice!«, sagte der Konrektor Paulmann, indem er ihm die Taschenuhr hinhielt, welche
auf halb eins wies. Der Student Anselmus sah nun wohl ein, dass es viel zu spät
sei, zu dem Archivarius Lindhorst zu wandern, und fügte sich den Wünschen
des Konrektors um so lieber, als er nun die Veronika den ganzen Tag über
schauen und wohl manchen verstohlnen Blick, manchen zärtlichen Händedruck
zu erhalten, ja wohl gar einen Kuss zu erobern hoffte. So hoch verstiegen sich
jetzt die Wünsche des Studenten Anselmus, und es wurde ihm immer
behaglicher zumute, je mehr er sich überzeugte, dass er bald von all den
fantastischen Einbildungen befreit sein werde, die ihn wirklich ganz und gar
zum wahnwitzigen Narren hätten machen können. Der Registrator Heerbrand
fand sich wirklich nach Tische ein, und als der Kaffee genossen und die
Dämmerung bereits eingebrochen, gab er schmunzelnd und fröhlich die
Hände reibend zu verstehen, er trage etwas mit sich, was durch Veronikas
schöne Hände gemischt und in gehörige Form gebracht, gleichsam foliiert
und rubriziert, ihnen allen an dem kühlen Oktober-Abende erfreulich sein
werde. »So rücken Sie denn nur heraus mit dem geheimnisvollen Wesen,
das Sie bei sich tragen, geschätztester Registrator«, rief der Konrektor
Paulmann;
aber der Registrator Heerbrand griff in die tiefe Tasche
seines Matins und brachte in drei Reprisen eine Flasche Arrak, Zitronen und
Zucker zum Vorschein. Kaum war eine halbe Stunde vergangen, so dampfte
ein köstlicher Punsch auf Paulmanns Tische. Veronika kredenzte das Getränk,
und es gab allerlei gemütliche muntre Gespräche unter den Freunden. Aber
sowie dem Studenten Anselmus der Geist des Getränks zu Kopfe stieg,
kamen auch alle Bilder des Wunderbaren, Seltsamen, was er in kurzer
Zeit erlebt, wieder zurück. - Er sah den Archivarius Lindhorst in seinem
damastnen Schlafrock, der wie Phosphor erglänzte - er sah das azurblaue
Zimmer, die goldnen Palmbäume, ja, es wurde ihm wieder so zumute, als
müsse er doch an die Serpentina glauben - es brauste, es gärte in seinem
Innern. Veronika reichte ihm ein Glas Punsch, und indem er es fasste,
berührte er leise ihre Hand. - »Serpentina! Veronika!« - seufzte er in
sich hinein. Er versank in tiefe Träume, aber der Registrator Heerbrand
rief ganz laut: »Ein wunderlicher alter Mann, aus dem niemand klug wird,
bleibt er doch, der Archivarius Lindhorst. - Nun er soll leben! Stoßen
Sie an, Herr Anselmus!« - Da fuhr der Student Anselmus auf aus seinen
Träumen und sagte, indem er mit dem Registrator Heerbrand anstieß:
»Das kommt daher, verehrungswürdiger Herr Registrator, weil der Herr
Archivarius Lindhorst eigentlich ein Salamander ist, der den Garten des
Geisterfürsten Phosphorus im Zorn verwüstete, weil ihm die grüne
Schlange davongeflogen.« »Wie - was?«, fragte der Konrektor Paulmann.
»Ja«, fuhr der Student Anselmus fort, »deshalb muss er nun königlicher
Archivarius sein und hier in Dresden mit seinen drei Töchtern wirtschaften,
die aber weiter nichts sind als kleine goldgrüne Schlänglein, die sich in
Holunderbüschen sonnen, verführerisch singen und die jungen Leute
verlocken wie die Sirenen.« - »Herr Anselmus - Herr Anselmus«, rief der
Konrektor Paulmann, »rappelt's Ihnen im Kopfe - was um des Himmels willen
schwatzen Sie für ungewaschenes Zeug!« »Er hat recht«, fiel der Registrator
Heerbrand ein, »der Kerl, der Archivarius, ist ein verfluchter Salamander, der
mit den Fingern feurige Schnippchen schlägt,
die einem Löcher in
den Überrock brennen wie glühender Schwamm. - Ja, ja, du hast recht, Brüderchen Anselmus,
und wer es nicht glaubt, ist mein Feind!« Und damit schlug der Registrator Heerbrand
mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. »Registrator! - sind Sie rasend?«,
schrie der erboste Konrektor. - »Herr Studiosus - Herr Studiosus, was richten Sie
denn nun wieder an?« - »Ach!« - sagte der Student,
»Sie sind
auch weiter nichts als ein Vogel - ein Schuhu, der die Toupets frisiert, Herr Konrektor!« »Was -
ich ein Vogel - ein Schuhu - ein Friseur?« - schrie der Konrektor voller Zorn -
»Herr, Sie sind toll - toll!« - »Aber die Alte kommt ihm über den Hals«, rief der
Registrator Heerbrand. »Ja, die Alte ist mächtig«, fiel der Student Anselmus ein,
»unerachtet sie nur von niederer Herkunft, denn ihr Papa ist nichts als ein lumpichter
Flederwisch und ihre Mama eine schnöde Runkelrübe, aber ihre meiste Kraft verdankt
sie allerlei feindlichen Kreaturen - giftigen Canaillen, von denen sie umgeben.«
»Das ist eine abscheuliche Verleumdung«, rief Veronika mit zornglühenden Augen,
»die alte Liese ist eine weise Frau und der schwarze Kater keine feindliche Kreatur,
sondern
ein gebildeter junger Mann von feinen Sitten und ihr Cousin germain.«
»Kann
der Salamander
fressen, ohne sich den Bart zu versengen und elendiglich
daraufzugehen?«, sagte der Registrator Heerbrand. »Nein, nein!«, schrie der
Student Anselmus, »nun und nimmermehr wird er das können; und die grüne
Schlange liebt mich, denn ich bin ein kindliches Gemüt und habe Serpentinas
Augen geschaut.« »Die wird der Kater auskratzen«, rief Veronika. »Salamander -
Salamander bezwingt sie alle - alle«, brüllte der Konrektor Paulmann in höchster
Wut; - »aber bin ich in einem Tollhause? bin ich selbst toll? - Was schwatze ich
denn für wahnwitziges Zeug? Ja ich bin auch toll - auch toll!« - Damit sprang
der Konrektor Paulmann auf, riss sich die Perücke vom Kopfe und schleuderte
sie gegen die Stubendecke, dass die gequetschten Locken ächzten und, im
gänzlichen Verderben aufgelöst, den Puder weit umherstäubten. Da ergriffen
der Student Anselmus und der Registrator Heerbrand die Punschterrine, die
Gläser und warfen sie jubelnd und jauchzend an die Stubendecke, dass die
Scherben klirrend und klingend umhersprangen.
»Vivat Salamander - pereat -
pereat die Alte - zerbrecht den Metallspiegel, hackt dem Kater die Augen aus! -
Vöglein - Vöglein aus den Lüften - Eheu - Eheu - Evoe - Salamander!« - So
schrien und brüllten die drei wie Besessene durcheinander. Laut weinend
sprang Fränzchen davon, aber Veronika lag winselnd vor Jammer und Schmerz
auf dem Sofa.
Da ging die Tür auf, alles war plötzlich still, und es trat ein
kleiner Mann in einem grauen Mäntelchen herein. Sein Gesicht hatte etwas
seltsam Gravitätisches, und vorzüglich zeichnete sich die krummgebogene
Nase, auf der eine große Brille saß, vor allen jemals gesehenen aus. Auch
trug er solch eine besondere Perücke, dass sie eher eine Federmütze zu
sein schien. »Ei, schönen guten Abend«, schnarrte das possierliche Männlein,
»hier finde ich ja wohl den Studiosum Herrn Anselmus? Gehorsamste Empfehlung
vom Herrn Archivarius Lindhorst, und er habe heute vergebens auf den Herrn
Anselmus gewartet, aber morgen lasse er schönstens bitten, ja nicht die
gewohnte Stunde zu versäumen.« Damit schritt er wieder zur Tür hinaus,
und alle sahen nun wohl, dass das gravitätische Männlein eigentlich ein grauer
Papagei war. Der Konrektor Paulmann und der Registrator Heerbrand schlugen
eine Lache auf, die durch das Zimmer dröhnte, und dazwischen winselte und
ächzte Veronika wie von namenlosem Jammer zerrissen, aber den Studenten
Anselmus durchzuckte der Wahnsinn des innern Entsetzens, und er rannte
bewusstlos zur Tür hinaus durch die Straßen. Mechanisch fand er seine Wohnung,
sein Stübchen. Bald darauf trat Veronika friedlich und freundlich zu ihm und
fragte, warum er sie denn im Rausch so geängstigt habe, und er möge sich nur
vor neuen Einbildungen hüten, wenn er bei dem Archivarius Lindhorst arbeite.
»Gute Nacht, gute Nacht, mein lieber Freund«, lispelte leise Veronika und
hauchte einen Kuss auf seine Lippen. Er wollte sie mit seinen Armen umfangen,
aber die Traumgestalt war verschwunden, und er erwachte heiter und
gestärkt. Nun musste er selbst recht herzlich über die Wirkungen des Punsches
lachen, aber indem er an Veronika dachte, fühlte er sich recht von einem
behaglichen Gefühl durchdrungen. »Ihr allein«, sprach er zu sich selbst,
»habe ich es zu verdanken, dass ich von meinen albernen Grillen zurückgekommen
bin. - Wahrhaftig, mir ging es nicht besser als jenem, welcher glaubte, er sei
von Glas, oder dem, der die Stube nicht verließ aus Furcht, von den Hühnern
gefressen zu werden, weil er sich einbildete, ein Gerstenkorn zu sein. Aber
sowie ich Hofrat worden, heirate ich ohne Weiteres die Mademoiselle Paulmann
und bin glücklich.« - Als er nun mittags durch den Garten des Archivarius
Lindhorst ging, konnte er sich nicht genug wundern, wie ihm das alles sonst
so seltsam und wundervoll habe vorkommen können. Er sah nichts als
gewöhnliche Scherbenpflanzen, allerlei Geranien, Myrtenstöcke und dergleichen.
Statt der glänzenden bunten Vögel, die ihn sonst geneckt, flatterten nur
einige Sperlinge hin und her, die ein unverständliches unangenehmes Geschrei
erhoben, als sie den Anselmus gewahr wurden. Das blaue Zimmer kam ihm auch
ganz anders vor, und er begriff nicht, wie ihm das grelle Blau und die unnatürlichen
goldnen Stämme der Palmbäume mit den unförmlichen blinkenden Blättern nur
einen Augenblick hatten gefallen können. - Der Archivarius sah ihn mit einem
ganz eigenen ironischen Lächeln an und fragte: »Nun, wie hat Ihnen gestern
der Punsch geschmeckt, werter Anselmus?« »Ach, gewiss hat Ihnen der Papagei«,
erwiderte der Student Anselmus ganz beschämt, aber er stockte, denn er
dachte nun wieder daran, dass auch die Erscheinung des Papageis wohl nur
Blendwerk der befangenen Sinne gewesen. »Ei, ich war ja selbst in der
Gesellschaft«, fiel der Archivarius Lindhorst ein, »haben Sie mich denn nicht
gesehen? Aber bei dem tollen Unwesen, das ihr triebt, wäre ich beinahe
hart beschädigt worden; denn ich saß eben in dem Augenblick noch in der
Terrine, als der Registrator Heerbrand danach griff, um sie gegen die
Decke zu schleudern, und musste mich schnell in des Konrektors Pfeifenkopf
retirieren. Nun adieu, Herr Anselmus! - sein Sie fleißig, auch für den gestrigen
versäumten Tag zahle ich den Speziestaler, da Sie bisher so wacker
gearbeitet.« »Wie kann der Archivarius nur solch tolles Zeug faseln«, sagte
der Student Anselmus zu sich selbst und setzte sich an den Tisch, um die
Kopie des Manuskripts zu beginnen, das der Archivarius wie gewöhnlich
vor ihm ausgebreitet. Aber er sah auf der Pergamentrolle so viele sonderbare
krause Züge und Schnörkel durcheinander, die, ohne dem Auge einen einzigen
Ruhepunkt zu geben, den Blick verwirrten, dass es ihm beinahe unmöglich schien,
das alles genau nachzumalen. Ja, bei dem Überblick des Ganzen schien das
Pergament nur ein bunt geaderter Marmor oder ein mit Moosen durchsprenkelter
Stein. - Er wollte dessen unerachtet das Mögliche versuchen und tunkte getrost
die Feder ein, aber die Tinte wollte durchaus nicht fließen, er spritzte die Feder
ungeduldig aus, und - o Himmel! ein großer Klecks fiel auf das ausgebreitete
Original. Zischend und brausend fuhr ein blauer Blitz aus dem Fleck und schlängelte
sich krachend durch das Zimmer bis zur Decke hinauf. Da quoll ein dicker Dampf
aus den Wänden,
die Blätter fingen an zu rauschen, wie
vom Sturme geschüttelt, und aus ihnen schossen blinkende Basilisken im flackernden Feuer herab, den
Dampf entzündend, dass die Flammenmassen prasselnd sich um den Anselmus
wälzten. Die goldnen Stämme der Palmbäume wurden zu Riesenschlangen, die
ihre grässlichen Häupter in schneidendem Metallklange zusammenstießen und
mit den geschuppten Leibern den Anselmus umwanden. »Wahnsinniger! erleide
nun die Strafe dafür, was du im frechen Frevel tatest!« - So rief die fürchterliche
Stimme des gekrönten Salamanders, der über den Schlangen wie ein blendender
Strahl in den Flammen erschien, und nun sprühten ihre aufgesperrten Rachen
Feuer-Katarakte auf den Anselmus, und es war, als verdichteten sich die
Feuerströme um seinen Körper und würden zur festen eiskalten Masse. Aber
indem des Anselmus Glieder, enger und enger sich zusammenziehend, erstarrten,
vergingen ihm die Gedanken. Als er wieder zu sich selbst kam, konnte er sich
nicht regen und bewegen, er war wie von einem glänzenden Schein umgeben,
an dem er sich, wollte er nur die Hand erheben oder sonst sich rühren, stieß. -
Ach! er saß in einer wohlverstopften Kristallflasche auf einem
Repositorium im Bibliothekzimmer des Archivarius Lindhorst.
Zehnte Vigilie
Die Leiden des Studenten Anselmus in der gläsernen Flasche. Glückliches
Leben der Kreuzschüler und Praktikanten. - Die Schlacht im Bibliothek-Zimmer des Archivarius
Lindhorst. Sieg des Salamanders und Befreiung des Studenten Anselmus.

Mit Recht darf ich zweifeln, dass du, günstiger Leser, jemals in einer gläsernen Flasche
verschlossen gewesen sein solltest, es sei denn, dass ein lebendiger neckhafter Traum
dich einmal mit solchem feeischen Unwesen befangen hätte. War das der Fall, so wirst du
das Elend des armen Studenten Anselmus recht lebhaft fühlen; hast du aber auch dergleichen
nie geträumt, so schließt dich deine rege Fantasie mir und dem Anselmus zu Gefallen wohl
auf einige Augenblicke in das Kristall ein. - Du bist von blendendem Glanze dicht umflossen,
alle Gegenstände rings umher erscheinen dir von strahlenden Regenbogenfarben erleuchtet
und umgeben - alles zittert und wankt und dröhnt im Schimmer -
du schwimmst regungs-
und bewegungslos wie in einem festgefrorenen Äther, der dich einpresst, sodass der Geist
vergebens dem toten Körper gebietet. Immer gewichtiger und gewichtiger drückt die
zentnerschwere Last deine Brust - immer mehr und mehr zehrt jeder Atemzug die Lüftchen
weg, die im engen Raum noch auf- und niederwallten - deine Pulsadern schwellen auf, und
von grässlicher Angst durchschnitten zuckt jeder Nerv im Todeskampfe blutend. - Habe
Mitleid, günstiger Leser, mit dem Studenten Anselmus, den diese namenlose Marter in
seinem gläsernen Gefängnisse ergriff; aber er fühlte wohl, dass der Tod ihn nicht erlösen
könne, denn erwachte er nicht aus der tiefen Ohnmacht, in die er im Übermaß seiner
Qual versunken, als die Morgensonne in das Zimmer hell und freundlich hineinschien, und
fing seine Marter nicht von Neuem an? Er konnte kein Glied regen, aber seine Gedanken
schlugen an das Glas, ihn im misstönenden Klange betäubend, und er vernahm statt der
Worte, die der Geist sonst aus dem Innern gesprochen, nur das dumpfe Brausen des
Wahnsinns. - Da schrie er auf in Verzweiflung: »O Serpentina - Serpentina, rette mich
von dieser Höllenqual!« Und es war, als umwehten ihn leise Seufzer, die legten sich um
die Flasche wie grüne durchsichtige Holunderblätter, das Tönen hörte auf, der
blendende verwirrende Schein war verschwunden, und er atmete freier. »Bin ich
denn nicht an meinem Elende lediglich selbst schuld, ach! habe ich nicht gegen dich
selbst, holde, geliebte Serpentina, gefrevelt? - Habe ich nicht schnöde Zweifel gegen
dich gehegt? Habe ich nicht den Glauben verloren und mit ihm alles, alles, was mich
hoch beglücken sollte? Ach, du wirst nun wohl nimmer mein werden, für mich ist
der goldne Topf verloren, ich darf seine Wunder nimmermehr schauen. Ach, nur ein
einziges Mal möcht' ich dich sehen, deine holde süße Stimme hören, liebliche Serpentina!« -
So klagte der Student Anselmus, von tiefem schneidendem Schmerz ergriffen, da
sagte jemand dicht neben ihm: »Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, Herr Studiosus,
warum lamentieren Sie so über alle Maßen?« - Der Student Anselmus wurde gewahr,
dass neben ihm auf demselben Repositorium noch fünf Flaschen standen, in welchen
er drei Kreuzschüler und zwei Praktikanten erblickte. - »Ach, meine Herren und
Gefährten im Unglück«, rief er aus, »wie ist es Ihnen denn möglich, so gelassen, ja
so vergnügt zu sein, wie ich es an Ihren heitern Mienen bemerke - Sie sitzen ja
doch ebenso gut eingesperrt in gläsernen Flaschen als ich und können sich nicht
regen und bewegen, ja nicht einmal was Vernünftiges denken, ohne dass ein Mordlärm
entsteht mit Klingen und Schallen und ohne dass es Ihnen im Kopfe ganz schrecklich
saust und braust. Aber Sie glauben gewiss nicht an den Salamander und an die grüne
Schlange.« »Sie faseln wohl, mein Herr Studiosus«, erwiderte ein Kreuzschüler,
»nie haben wir uns besser befunden als jetzt, denn die Speziestaler, welche wir
von dem tollen Archivarius erhalten für allerlei konfuse Abschriften, tun uns wohl;
wir dürfen jetzt keine italienische Chöre mehr auswendig lernen, wir gehen jetzt
alle Tage zu Josephs oder sonst in andere Kneipen, lassen uns das Doppelbier
wohlschmecken,
sehen auch wohl einem hübschen Mädchen in die Augen, singen
wie wirkliche Studenten 'Gaudeamus igitur' und sind seelenvergnügt.« - »Die
Herren haben ganz recht«, fiel ein Praktikant ein, »auch ich bin mit Speziestalern
reichlich versehen, wie hier mein teurer Kollege nebenan, und spaziere fleißig
auf den Weinberg, statt bei der leidigen Aktenschreiberei zwischen vier Wänden
zu sitzen.« »Aber meine besten, wertesten Herren!«, sagte der Student Anselmus,
»spüren Sie es denn nicht, dass Sie alle samt und sonders in gläsernen Flaschen
sitzen und sich nicht regen und bewegen, viel weniger umherspazieren können?« -
Da schlugen die Kreuzschüler und die Praktikanten eine helle Lache auf und schrien:
»Der Studiosus ist toll, er bildet sich ein, in einer gläsernen Flasche zu sitzen, und
steht auf der Elbbrücke und sieht gerade hinein ins Wasser. Gehen wir nur weiter!«
»Ach«, seufzte der Student, »die schauten niemals die holde Serpentina, sie wissen
nicht, was Freiheit und Leben in Glauben und Liebe ist, deshalb spüren sie nicht den
Druck des Gefängnisses, in das sie der Salamander bannte ihrer Torheit, ihres
gemeinen Sinnes wegen, aber ich Unglücklicher werde vergehen in Schmach und
Elend, wenn sie, die ich so unaussprechlich liebe, mich nicht rettet.« - Da wehte
und säuselte Serpentinas Stimme durch das Zimmer: »Anselmus! - glaube, liebe,
hoffe!« - Und jeder Laut strahlte in das Gefängnis des Anselmus hinein, und das
Kristall musste seiner Gewalt weichen und sich ausdehnen, dass die Brust des
Gefangenen sich regen und erheben konnte! - Immer mehr verringerte sich die
Qual seines Zustandes, und er merkte wohl, dass ihn Serpentina noch liebe, und
dass nur
sie es sei,
die ihm den Aufenthalt in dem Kristall erträglich mache. Er
bekümmerte sich nicht mehr um seine leichtsinnigen Unglücksgefährten, sondern
richtete Sinn und Gedanken nur auf die holde Serpentina. - Aber plötzlich entstand
von der andern Seite her ein dumpfes widriges Gemurmel. Er konnte bald deutlich
bemerken, dass dies Gemurmel von einer alten Kaffeekanne mit halbzerbrochenem
Deckel herrührte, die ihm gegenüber auf einem kleinen Schrank hingestellt war.
Sowie er schärfer hinschaute, entwickelten sich immer mehr die garstigen Züge
eines alten verschrumpften Weibergesichts, und bald stand das Äpfelweib vom
Schwarzen Tor vor dem Repositorium. Die grinsete und lachte ihn an und rief mit
gellender Stimme: »Ei, ei, Kindchen! - musst du nun ausharren? - Ins Kristall nun
dein Fall! - Hab' ich dir's nicht längst vorausgesagt?« »Höhne und spotte nur,
du verdammtes Hexenweib«, sagte der Student Anselmus, »du bist schuld an
allem, aber der Salamander wird dich treffen, du schnöde Runkelrübe!« -
»Ho, ho!«, erwiderte die Alte, »nur nicht so stolz! Du hast meinen Söhnlein
ins Gesicht getreten, du hast mir die Nase verbrannt, aber doch bin ich dir
gut, du Schelm, weil du sonst ein artiger Mensch warst, und mein Töchterchen
ist dir auch gut. Aus dem Kristall kommst du aber nun einmal nicht, wenn ich
dir nicht helfe; hinauflangen zu dir kann ich nicht, aber meine Frau Gevatterin,
die Ratte, welche gleich über dir auf dem Boden wohnt, die soll das Brett
entzweinagen, auf dem du stehst, dann purzelst du hinunter, und ich fange
dich auf in der Schürze, damit du dir die Nase nicht zerschlägst, sondern
fein dein glattes Gesichtlein erhältst, und ich trage dich flugs zur Mamsell
Veronika, die musst du heiraten, wenn du Hofrat worden.« »Lass ab von mir,
Satans-Geburt«, schrie der Student Anselmus voller Grimm, »nur deine höllischen
Künste haben mich zu dem Frevel gereizt, den ich nun abbüßen muss. - Aber
geduldig ertrage ich alles, denn nur hier kann ich sein, wo die holde Serpentina
mich mit Liebe und Trost umfängt! - Hör' es, Alte, und verzweifle! Trotz biete
ich deiner Macht, ich liebe ewiglich nur Serpentina - ich will nie Hofrat werden -
nie die Veronika schauen, die mich durch dich zum Bösen verlockt! - Kann
die grüne Schlange nicht mein werden, so will ich untergehen in Sehnsucht
und Schmerz! -
Hebe dich weg - hebe dich weg - du schnöder Wechselbalg!« -
Da lachte die Alte auf, dass es im Zimmer gellte, und rief: »So sitze denn und
verderbe, aber nun ist's Zeit, ans Werk zu gehen, denn mein Geschäft hier ist
noch von anderer Art.« - Sie warf den schwarzen Mantel ab und stand da in
ekelhafter Nacktheit, dann fuhr sie in Kreisen umher,
und große Folianten
stürzten herab, aus denen riss sie Pergamentblätter, und diese im künstlichen
Gefüge schnell zusammenheftend und auf den Leib ziehend, war sie bald wie
in einen seltsamen bunten Schuppenharnisch gekleidet. Feuersprühend sprang
der schwarze Kater aus dem Tintenfasse, das auf dem Schreibtische stand,
und heulte der Alten entgegen, die laut aufjubelte und mit ihm durch die Tür
verschwand. Anselmus merkte, dass sie nach dem blauen Zimmer gegangen,
und bald hörte er es in der Ferne zischen und brausen, die Vögel im Garten
schrien, der Papagei schnarrte: »Rette - rette - Raub - Raub!« - In dem
Augenblick kam die Alte ins Zimmer zurückgesprungen, den goldnen Topf
auf dem Arm tragend und mit grässlicher Gebärde wild durch die Lüfte
schreiend: »Glück auf! - Glück auf! - Söhnlein - töte die grüne Schlange!
auf, Söhnlein, auf!« - Es war dem Anselmus, als höre er ein tiefes Stöhnen,
als höre er Serpentinas Stimme. Da ergriff ihn Entsetzen und Verzweiflung. -
Er raffte alle seine Kraft zusammen, er stieß mit Gewalt, als sollten Nerven
und Adern zerspringen, gegen das Kristall - ein schneidender Klang fuhr
durch das Zimmer, und der Archivarius stand in der Tür in seinem glänzenden
damastnen Schlafrock: »Hei, hei! Gesindel, toller Spuk - Hexenwerk - hieher -
heisa!« So schrie er. Da richteten sich die schwarzen Haare der Alten wie
Borsten empor, ihre glutroten Augen erglänzten von höllischem Feuer, und
die spitzigen Zähne des weiten Rachens zusammenbeißend, zischte sie:
»Frisch - frisch 'raus - zisch' aus, zisch' aus«, und lachte und meckerte
höhnend und spottend und drückte den goldnen Topf fest an sich und
warf daraus Fäuste voll glänzender Erde auf den Archivarius, aber sowie
die Erde den Schlafrock berührte, wurden Blumen daraus, die herabfielen.
Da flackerten und flammten die Lilien des Schlafrocks empor, und der
Archivarius schleuderte die in knisterndem Feuer brennenden Lilien auf
die Hexe, die vor Schmerz heulte; aber indem sie in die Höhe sprang
und den pergamentnen Harnisch schüttelte, verlöschten die Lilien und
zerfielen in Asche. »Frisch darauf, mein Junge!«, kreischte die Alte, da
fuhr der Kater auf in die Luft und brauste fort nach der Tür über den
Archivarius, aber der graue Papagei flatterte ihm entgegen und fasste
ihn mit dem krummen Schnabel im Genick, dass rotes feuriges Blut ihm
aus dem Halse stürzte, und Serpentinas Stimme rief: »Gerettet! -
gerettet!« - Die Alte sprang voller Wut und Verzweiflung auf den
Archivarius los, sie warf den Topf hinter sich und wollte, die langen
Finger der dürren Fäuste emporspreizend, den Archivarius umkrallen,
aber dieser riss schnell den Schlafrock herunter und schleuderte ihn
der Alten entgegen. Da zischten und sprühten und brausten blaue
knisternde Flammen aus den Pergamentblättern, und die Alte wälzte
sich im heulenden Jammer und trachtete immer mehr Erde aus dem
Topfe zu greifen, immer mehr Pergamentblätter aus den Büchern
zu erhaschen, um die lodernden Flammen zu ersticken, und wenn ihr
es gelang, Erde oder Pergamentblätter auf sich zu stürzen, verlöschte
das Feuer.
Aber nun fuhren wie aus dem Innern des Archivarius flackernde
zischende Strahlen auf die Alte. »Hei, hei! drauf und dran - Sieg dem
Salamander!«, dröhnte die Stimme des Archivarius durch das Zimmer,
und hundert Blitze schlängelten sich in feurigen Kreisen um die
kreischende Alte. Sausend und brausend fuhren in wütendem Kampfe
Kater und Papagei umher, aber endlich schlug der Papagei mit den
starken Fittichen den Kater zu Boden, und mit den Krallen ihn durchspießend
und festhaltend, dass er in der Todesnot grässlich heulte und ächzte, hackte
er ihm mit dem scharfen Schnabel die glühenden Augen aus, dass der brennende
Gischt herausspritzte. - Dicker Qualm strömte da empor, wo die Alte, zur Erde
niedergestürzt, unter dem Schlafrock gelegen, ihr Geheul, ihr entsetzliches
schneidendes Jammergeschrei verhallte in weiter Ferne. Der Rauch, der
sich mit durchdringendem Gestank verbreitet, verdampfte, der Archivarius
hob den Schlafrock auf, und unter demselben lag eine garstige Runkelrübe.
»Verehrter Herr Archivarius, hier bringe ich den überwundenen Feind«,
sprach der Papagei, indem er dem Archivarius Lindhorst ein schwarzes
Haar im Schnabel darreichte. »Sehr gut, mein Lieber«, antwortete der
Archivarius, »hier liegt auch meine überwundene Feindin, besorgen Sie
gütigst nunmehr das Übrige;
noch heute erhalten Sie als ein kleines
Douceur sechs Kokusnüsse und eine neue Brille, da, wie ich sehe, der
Kater Ihnen die Gläser schändlich zerbrochen.« »Lebenslang der Ihrige,
verehrungswürdiger Freund und Gönner!«, versetzte der Papagei sehr
vergnügt, nahm die Runkelrübe in den Schnabel und flatterte damit zum
Fenster hinaus, das ihm der Archivarius Lindhorst geöffnet. Dieser
ergriff den goldnen Topf und rief stark: »Serpentina, Serpentina!« - Aber
wie nun der Student Anselmus, hocherfreut über den Untergang des
schnöden Weibes, das ihn ins Verderben gestürzt, den Archivarius
anblickte, da war es wieder die hohe majestätische Gestalt des
Geisterfürsten, die mit unbeschreiblicher Anmut und Würde zu ihm
hinaufschaute. - »Anselmus«, sprach der Geisterfürst, »nicht du, sondern
nur ein feindliches Prinzip, das zerstörend in dein Inneres zu dringen und
dich mit dir selbst zu entzweien trachtete, war schuld an deinem Unglauben. -
Du hast deine Treue bewährt, sei frei und glücklich.« Ein Blitz zuckte durch
das Innere des Anselmus, der herrliche Dreiklang der Kristallglocken
ertönte stärker und mächtiger, als er ihn je vernommen - seine Fibern
und Nerven erbebten - aber immer mehr anschwellend dröhnte der
Akkord durch das Zimmer, das Glas, welches den Anselmus umschlossen,
zersprang, und er stürzte in die Arme der holden, lieblichen Serpentina.
Eilfte Vigilie
Des Konrektors Paulmann Unwille über die in seiner Familie ausgebrochene Tollheit. -
Wie der Registrator Heerbrand Hofrat worden und im stärksten Froste in Schuhen
und seidenen Strümpfen einherging. - Veronikas Geständnisse. - Verlobung bei der
dampfenden Suppenschüssel.

Aber sagen Sie mir nur, wertester Registrator, wie uns gestern der vermaledeite Punsch
so in den Kopf steigen und zu allerlei Allotriis treiben konnte?« - Dies sprach der Konrektor
Paulmann, indem er am andern Morgen in das Zimmer trat, das noch voll zerbrochener
Scherben lag, und in dessen Mitte die unglückliche Perücke, in ihre ursprüngliche Bestandteile
aufgelöset, im Punsche umherschwamm. Als der Student Anselmus zur Tür hinausgerannt war,
kreuzten und wackelten der Konrektor Paulmann und der Registrator Heerbrand durch das
Zimmer, schreiend wie Besessene und mit den Köpfen aneinander rennend, bis Fränzchen
den schwindlichten Papa mit vieler Mühe ins Bett brachte und der Registrator in höchster
Ermattung aufs Sofa sank, welches Veronika, ins Schlafzimmer flüchtend, verlassen. Der
Registrator Heerbrand hatte sein blaues Schnupftuch um den Kopf gewickelt, sah ganz
blass und melancholisch aus und stöhnte: »Ach, werter Konrektor, nicht der Punsch, den
Mamsell Veronika köstlich bereitet, nein! - sondern lediglich der verdammte Student ist
an all dem Unwesen schuld. Merken Sie denn nicht,
dass er schon längst mente captus
ist? Aber wissen Sie denn nicht auch, dass der Wahnsinn ansteckt? - Ein Narr macht viele;
verzeihen Sie, das ist ein altes Sprichwort; vorzüglich, wenn man ein Gläschen getrunken,
da gerät man leicht in die Tollheit und manövriert unwillkürlich nach und bricht aus in die
Exerzitia, die der verrückte Flügelmann vormacht. Glauben Sie denn, Konrektor, dass mir
noch ganz schwindlig ist, wenn ich an den grauen Papagei denke?« - »Ach was«, fiel der
Konrektor ein, »Possen! -
es war ja der alte kleine Famulus des Archivarii, der einen
grauen Mantel umgenommen und den Studenten Anselmus suchte.« »Es kann sein«,
versetzte der Registrator Heerbrand, »aber ich muss gestehen, dass mir ganz miserabel
zumute ist; die ganze Nacht über hat es so wunderlich georgelt und gepfiffen.« - »Das
war ich«, erwiderte der Konrektor; »denn ich schnarche stark.« - »Nun, mag das sein«,
fuhr der Registrator fort - »aber Konrektor, Konrektor! - nicht ohne Ursache hatte ich
gestern dafür gesorgt, uns einige Fröhlichkeit zu bereiten - aber der Anselmus hat
mir alles verdorben. - Sie wissen nicht - o Konrektor, Konrektor!« - Der Registrator
Heerbrand sprang auf, riss das Tuch vom Kopfe, umarmte den Konrektor, drückte
ihm feurig die Hand, rief noch einmal ganz herzbrechend »O Konrektor, Konrektor!«
und rannte, Hut und Stock ergreifend, schnell von dannen. »Der Anselmus soll mir
nicht mehr über die Schwelle«, sprach der Konrektor Paulmann zu sich selbst, »denn
ich sehe nun wohl, dass er mit seinem versteckten innern Wahnsinn die besten Leute
um ihr bisschen Vernunft bringt; der Registrator ist nun auch geliefert - ich habe mich
bisher noch gehalten, aber der Teufel, der gestern im Rausch stark anklopfte, könnte
doch wohl am Ende einbrechen und sein Spiel treiben. -
Also apage Satanas! - fort
mit dem Anselmus!« - Veronika war ganz tiefsinnig geworden, sie sprach kein Wort,
lächelte nur zuweilen ganz seltsam und war am liebsten allein. »Die hat der Anselmus
auch auf der Seele«, sagte der Konrektor voller Bosheit, »aber es ist gut, dass er
sich gar nicht sehen lässt, ich weiß, dass er sich vor mir fürchtet - der Anselmus,
deshalb kommt er gar nicht her.« Das letzte sprach der Konrektor Paulmann ganz
laut, da stürzten der Veronika, die eben gegenwärtig, die Tränen aus den Augen,
und sie seufzte: »Ach, kann denn der Anselmus herkommen - der ist ja schon
längst in die gläserne Flasche eingesperrt.« - »Wie - Was?« - rief der Konrektor
Paulmann. »Ach Gott - ach Gott, auch sie faselt schon wie der Registrator, es wird
bald zum Ausbruch kommen. - Ach du verdammter, abscheulicher Anselmus!« - Er
rannte gleich fort zum Doktor Eckstein, der lächelte und sagte wieder: »Ei, ei!« -
Er verschrieb aber nichts, sondern setzte dem Wenigen, was er geäußert, noch
weggehend hinzu: »Nervenzufälle! - wird sich geben von selbst - in die Luft führen -
spazieren fahren - sich zerstreuen -
Theater - 'Sonntagskind' - 'Schwestern von Prag' -
wird sich geben!« - »So beredt war der Doktor selten«, dachte der Konrektor
Paulmann, »ordentlich geschwätzig.« - Mehrere Tage und Wochen und Monate
waren vergangen, der Anselmus war verschwunden, aber auch der Registrator
Heerbrand ließ sich nicht sehen, bis am vierten Februar, da trat er in einem
neuen modernen Kleide vom besten Tuch, in Schuhen und seidenen Strümpfen,
des starken Frostes unerachtet, einen großen Strauss lebendiger Blumen in der
Hand, mittags Punkt zwölf Uhr in das Zimmer des Konrektors Paulmann, der
nicht wenig über seinen geputzten Freund erstaunte. Feierlich schritt der
Registrator Heerbrand auf den Konrektor Paulmann los, umarmte ihn mit feinem
Anstande und sprach dann:
»Heute an dem Namenstage Ihrer lieben verehrten
Mamsell Tochter Veronika will ich denn nun alles gerade heraussagen, was mir
längst auf dem Herzen gelegen! Damals, an dem unglücklichen Abend, als ich die
Ingredienzen zu dem verderblichen Punsch in der Tasche meines
Matins herbeitrug,
hatte ich es im Sinn, eine freudige Nachricht Ihnen mitzuteilen und den glückseligen
Tag in Fröhlichkeit zu feiern, schon damals hatte ich es erfahren, dass ich Hofrat
worden, über welche Standeserhöhung ich jetzt das
Patent cum nomine et sigillo
principis erhalten und in der Tasche trage.« - »Ach, ach! Herr Registr - Herr Hofrat
Heerbrand, wollte ich sagen«, stammelte der Konrektor. - »Aber Sie, verehrter
Konrektor«, fuhr der nunmehrige Hofrat Heerbrand fort, »Sie können erst mein
Glück vollenden. Schon längst habe ich die Mamsell Veronika im Stillen geliebt
und kann mich manches freundlichen Blickes rühmen, den sie mir zugeworfen
und der mir deutlich gezeigt, dass sie mir wohl nicht abhold sein dürfte. Kurz,
verehrter Konrektor! - ich, der Hofrat Heerbrand, bitte um die Hand Ihrer
liebenswürdigen Demoiselle Tochter Veronika, die ich, haben Sie nichts
dagegen, in kurzer Zeit heimzuführen gedenke.« - Der Konrektor Paulmann
schlug voller Verwunderung die Hände zusammen und rief: »Ei - Ei - Ei - Herr
Registr - Herr Hofrat, wollte ich sagen, wer hätte das gedacht! - Nun, wenn
Veronika Sie in der Tat liebt, ich meinesteils habe nichts dagegen; vielleicht
ist auch ihre jetzige Schwermut nur eine versteckte Verliebtheit in Sie,
verehrter Hofrat! Man kennt ja die Possen.« - In dem Augenblick trat Veronika
herein, blass und verstört, wie sie jetzt gewöhnlich war.
Da schritt der Hofrat
Heerbrand auf sie zu, erwähnte in wohlgesetzter Rede ihres Namenstages
und überreichte ihr den duftenden Blumenstrauss nebst einem kleinen Päckchen,
aus dem ihr, als sie es öffnete, ein Paar glänzende Ohrgehänge entgegenstrahlten.
Eine schnelle fliegende Röte färbte ihre Wangen, die Augen blitzten lebhafter,
und sie rief: »Ei, mein Gott! das sind ja dieselben Ohrgehänge, die ich schon vor
mehreren Wochen trug und mich daran ergötzte!« - »Wie ist denn das möglich«,
fiel der Hofrat Heerbrand etwas bestürzt und empfindlich ein, »da ich dieses
Geschmeide erst seit einer Stunde in der Schlossgasse für schmähliches Geld
erkauft?« -
Aber die Veronika hörte nicht darauf, sondern stand schon vor
dem Spiegel, um die Wirkung des Geschmeides, das sie bereits in die kleinen
Öhrchen gehängt, zu erforschen. Der Konrektor Paulmann eröffnete ihr mit
gravitätischer Miene und mit ernstem Ton die Standeserhöhung Freund Heerbrands
und seinen Antrag. Veronika schaute den Hofrat mit durchdringendem Blick an
und sprach:
»Das wusste ich längst, dass Sie mich heiraten wollen. - Nun es sei! -
ich verspreche Ihnen Herz und Hand, aber ich muss Ihnen nur gleich - Ihnen
beiden nämlich, dem Vater und dem Bräutigam, manches entdecken, was mir
recht schwer in Sinn und Gedanken liegt - jetzt gleich, und sollte darüber die
Suppe kalt werden, die, wie ich sehe, Fränzchen soeben auf den Tisch setzt.«
Ohne des Konrektors und des Hofrats Antwort abzuwarten, unerachtet ihnen sichtlich
die Worte auf den Lippen schwebten, fuhr Veronika fort: »Sie können es mir glauben,
bester Vater, dass ich den Anselmus recht von Herzen liebte, und als der Registrator
Heerbrand, der nunmehr selbst Hofrat worden, versicherte, der Anselmus könne es
wohl zu so etwas bringen, beschloss ich,
er
und kein anderer solle mein Mann werden.
Da schien es aber, als wenn fremde feindliche Wesen ihn mir entreißen wollten, und
ich nahm meine Zuflucht zu der alten Liese, die ehemals meine Wärterin war und
jetzt eine weise Frau, eine große Zauberin ist.
Die versprach
mir zu helfen und
den Anselmus mir ganz in die Hände zu liefern. Wir gingen mitternachts in der
Tag- und Nachtgleiche auf den Kreuzweg, sie beschwor die höllischen Geister,
und mit Hülfe des schwarzen Katers brachten wir einen kleinen Metallspiegel
zustande, in den ich, meine Gedanken auf den Anselmus richtend, nur blicken
durfte, um ihn ganz in Sinn und Gedanken zu beherrschen. - Aber ich bereue
jetzt herzlich, das alles getan zu haben, ich schwöre allen Satanskünsten ab.
Der Salamander hat über die Alte gesiegt, ich hörte ihr Jammergeschrei, aber
es war keine Hülfe möglich; sowie sie als Runkelrübe vom Papagei verzehrt
worden, zerbrach mit schneidendem Klange mein Metallspiegel.« Veronika
holte die beiden Stücke des zerbrochenen Spiegels und eine Locke aus
dem Nähkästchen, und beides dem Hofrat Heerbrand hinreichend, fuhr sie
fort: »Hier nehmen Sie, geliebter Hofrat, die Stücke des Spiegels,
werfen
Sie sie heute Nacht um zwölf Uhr von der Elbbrücke, und zwar von da, wo
das Kreuz steht, hinab in den Strom, der dort nicht zugefroren, die Locke
aber bewahren Sie auf treuer Brust. Ich schwöre nochmals allen Satanskünsten
ab und gönne dem Anselmus herzlich sein Glück, da er nunmehr mit der grünen
Schlange verbunden, die viel schöner und reicher ist als ich. Ich will Sie, geliebter
Hofrat, als eine rechtschaffene Frau lieben und verehren!« - »Ach Gott! - ach Gott«,
rief der Konrektor Paulmann voller Schmerz, »sie ist wahnsinnig, sie ist wahnsinnig -
sie kann nimmermehr Frau Hofrätin werden - sie ist wahnsinnig!« - »Mitnichten«,
fiel der Hofrat Heerbrand ein, »ich weiß wohl, dass Mamsell Veronika einige Neigung
für den vertrackten Anselmus gehegt, und es mag sein, dass sie vielleicht in einer
gewissen Überspannung sich an die weise Frau gewendet, die, wie ich merke,
wohl niemand anders sein kann als die Kartenlegerin und Kaffeegießerin vor dem
Seetor, - kurz, die alte Rauerin. Nun ist auch nicht zu leugnen, dass es wirklich wohl
geheime Künste gibt, die auf den Menschen nur gar zu sehr ihren feindlichen
Einfluss äußern, man lieset schon davon in den Alten, was aber Mamsell Veronika
von dem Sieg des Salamanders und von der Verbindung des Anselmus mit der
grünen Schlange gesprochen, ist wohl nur eine poetische Allegorie - gleichsam
ein Gedicht, worin sie den gänzlichen Abschied von dem Studenten besungen.«
»Halten Sie das, wofür Sie wollen, bester Hofrat!«, fiel Veronika ein, »vielleicht
für einen recht albernen Traum.« - »Keinesweges tue ich das«, versetzte der
Hofrat Heerbrand, »denn ich weiß ja wohl, dass der Anselmus auch von geheimen
Mächten befangen, die ihn zu allen möglichen tollen Streichen necken und
treiben.« Länger konnte der Konrektor Paulmann nicht an sich halten, er
brach los: »Halt, um Gottes willen, halt! haben wir uns denn etwa wieder
übernommen am verdammten Punsch, oder wirkt des Anselmi Wahnsinn auf
uns - Herr Hofrat, was sprechen Sie denn auch wieder für Zeug? - Ich will
indessen glauben, dass es die Liebe ist, die Euch in dem Gehirn spukt, das
gibt sich aber bald in der Ehe, sonst wäre mir bange, dass auch
Sie in einigen
Wahnsinn verfallen, verehrungswürdiger Hofrat,
und würde dann Sorge tragen
wegen der Deszendenz, die das Malum der Eltern vererben könnte. - Nun, ich
gebe meinen väterlichen Segen zu der fröhlichen Verbindung und erlaube,
dass ihr euch als Braut und Bräutigam küsset.« Dies geschah sofort, und es
war, noch ehe die aufgetragene Suppe kalt worden, die förmliche Verlobung
geschlossen. Wenige Wochen nachher saß die Frau Hofrätin Heerbrand wirklich,
wie sie sich schon früher im Geiste erblickt, in dem Erker eines schönen Hauses
auf dem Neumarkt und schaute lächelnd
auf die Elegants hinab, die vorübergehend
und hinauflorgnettierend sprachen: »Es ist doch eine göttliche Frau, die Hofrätin
Heerbrand!« -
Zwölfte Vigilie
Nachricht von dem Rittergut, das der Anselmus als des Archivarius Lindhorst
Schwiegersohn bezogen, und wie er dort mit der Serpentina lebt. - Beschluss.

Wie fühlte ich recht in der Tiefe des Gemüts die hohe Seligkeit des Studenten Anselmus,
der, mit der holden Serpentina innigst verbunden, nun nach dem geheimnisvollen wunderbaren
Reiche gezogen war, das er für die Heimat erkannte, nach der sich seine von seltsamen Ahnungen
erfüllte Brust schon so lange gesehnt. Aber vergebens blieb alles Streben, dir, günstiger Leser,
all die Herrlichkeiten, von denen der Anselmus umgeben, auch nur einigermaßen in Worten anzudeuten.
Mit Widerwillen gewahrte ich die Mattigkeit jedes Ausdrucks. Ich fühlte mich befangen in den
Armseligkeiten des kleinlichen Alltagslebens, ich erkrankte in quälendem Missbehagen, ich schlich
umher wie ein Träumender, kurz, ich geriet in jenen Zustand des Studenten Anselmus, den ich dir,
günstiger Leser, in der vierten Vigilie beschrieben. Ich härmte mich recht ab, wenn ich die eilf
Vigilien, die ich glücklich zustande gebracht, durchlief und nun dachte, dass es mir wohl niemals
vergönnt sein werde, die zwölfte als Schlussstein hinzuzufügen, denn so oft ich mich zur Nachtzeit
hinsetzte, um das Werk zu vollenden, war es, als hielten mir recht tückische Geister (es mochten
wohl Verwandte - vielleicht Cousins germains der getöteten Hexe sein) ein glänzend poliertes
Metall vor, in dem ich mein Ich erblickte, blass, übernächtig und melancholisch wie der Registrator
Heerbrand nach dem Punsch-Rausch. - Da warf ich denn die Feder hin und eilte ins Bett, um
wenigstens von dem glücklichen Anselmus und der holden Serpentina zu träumen. So hatte
das schon mehrere Tage und Nächte gedauert, als ich endlich ganz unerwartet von dem
Archivarius Lindhorst ein Billett erhielt, worin er mir Folgendes schrieb:
Ew. Wohlgeboren haben, wie mir bekannt worden, die seltsamen Schicksale meines guten
Schwiegersohnes, des vormaligen Studenten, jetzigen Dichters Anselmus, in eilf Vigilien beschrieben
und quälen sich jetzt sehr ab, in der zwölften und letzten Vigilie einiges von seinem glücklichen
Leben in Atlantis zu sagen, wohin er mit meiner Tochter auf das hübsche Rittergut, welches
ich dort besitze, gezogen. Unerachtet ich nun nicht eben gern sehe, dass Sie mein eigentliches
Wesen der Lesewelt kundgetan, da es mich vielleicht in meinem Dienst als Geh. Archivarius
tausend Unannehmlichkeiten aussetzen,
ja wohl gar im Kollegio die zu ventilierende Frage
veranlassen wird, inwiefern wohl ein Salamander sich rechtlich und mit verbindenden Folgen
als Staatsdiener eidlich verpflichten könne und inwiefern ihm überhaupt solide Geschäfte
anzuvertrauen,
da nach Gabalis und Swedenborg den Elementargeistern durchaus nicht
zu trauen - unerachtet nun meine besten Freunde meine Umarmung scheuen werden, aus
Furcht, ich könnte in plötzlichem Übermut was Weniges blitzen und ihnen Frisur und
Sonntagsfrack verderben - unerachtet alles dessen, sage ich, will ich Ew. Wohlgeboren
doch in der Vollendung des Werks behilflich sein, da darin viel Gutes von mir und von
meiner lieben verheirateten Tochter (ich wollte, ich wäre die beiden übrigen auch
schon los) enthalten. Wollen Sie daher die zwölfte Vigilie schreiben, so steigen Sie Ihre
verdammten fünf Treppen hinunter, verlassen Sie Ihr Stübchen und kommen Sie zu mir.
Im blauen Palmbaumzimmer, das Ihnen schon bekannt, finden Sie die gehörigen Schreibmaterialien,
und Sie können dann mit wenigen Worten den Lesern kundtun, was Sie geschaut, das
wird Ihnen besser sein, als eine weitläufige Beschreibung eines Lebens, das Sie ja doch
nur von Hörensagen kennen. Mit Achtung
Ew. Wohlgeboren ergebenster der Salamander Lindhorst
p. t. Königl. Geh. Archivarius.

Dies freilich etwas raue, aber doch freundschaftliche Billett des Archivarius Lindhorst war mir
höchst angenehm. Zwar schien es gewiss, dass der wunderliche Alte von der seltsamen Art, wie
mir die Schicksale seines Schwiegersohns bekannt worden, die ich, zum Geheimnis verpflichtet,
dir selbst, günstiger Leser, verschweigen musste, wohl unterrichtet sei, aber er hatte das nicht
so übel vermerkt, als ich wohl befürchten konnte. Er bot ja selbst hülfreiche Hand, mein Werk
zu vollenden, und daraus konnte ich mit Recht schließen, wie er im Grunde genommen damit
einverstanden sei, dass seine wunderliche Existenz in der Geisterwelt durch den Druck bekannt
werde. »Es kann sein«, dachte ich, »dass er selbst die Hoffnung daraus schöpft, desto eher
seine beiden noch übrigen Töchter an den Mann zu bringen, denn vielleicht fällt doch ein
Funke in dieses oder jenes Jünglings Brust, der die Sehnsucht nach der grünen Schlange
entzündet, welche er dann in dem Holunderbusch am Himmelfahrtstage sucht und findet.
Aus dem Unglück, das den Anselmus betroffen, als er in die gläserne Flasche gebannt
wurde, wird er die Warnung entnehmen, sich vor jedem Zweifel, vor jedem Unglauben
recht ernstlich zu hüten.« Punkt eilf Uhr löschte ich meine Studierlampe aus und schlich
zum Archivarius Lindhorst, der mich schon auf dem Flur erwartete. »Sind Sie da - Hochverehrter! -
nun das ist mir lieb, dass Sie meine guten Absichten nicht verkennen - kommen Sie nur!« -
Und damit führte er mich durch den von blendendem Glanze erfüllten Garten in das
azurblaue Zimmer, in welchem ich den violetten Schreibtisch erblickte, an welchem
der Anselmus gearbeitet. - Der Archivarius Lindhorst verschwand, erschien aber gleich
wieder mit einem schönen goldnen Pokal in der Hand, aus dem eine blaue Flamme hoch
emporknisterte. »Hier«, sprach er, »bringe ich Ihnen das Lieblingsgetränk
Ihres Freundes, des Kapellmeisters Johannes Kreisler. - Es ist angezündeter Arrak, in den ich einigen
Zucker geworfen. Nippen Sie was Weniges davon, ich will gleich meinen Schlafrock
abwerfen und zu meiner Lust und um, während Sie sitzen und schauen und schreiben,
Ihrer werten Gesellschaft zu genießen, in dem Pokale auf- und niedersteigen.« -
»Wie es Ihnen gefällig ist, verehrter Herr Archivarius«, versetzte ich, »aber wenn ich
nun von dem Getränk genießen will, werden Sie nicht?« »Tragen Sie keine Sorge, mein
Bester«, rief der Archivarius, warf den Schlafrock schnell ab, stieg zu meinem nicht
geringen Erstaunen in den Pokal und verschwand in den Flammen. - Ohne Scheu
kostete ich, die Flamme leise weghauchend, von dem Getränk, es war köstlich!

Rühren sich nicht in sanftem Säuseln und Rauschen die smaragdenen Blätter der Palmbäume,
wie vom Hauch des Morgenwindes geliebkost? - Erwacht aus dem Schlafe, heben und regen
sie sich und flüstern geheimnisvoll von den Wundern, die wie aus weiter Ferne holdselige
Harfentöne verkünden! - Das Azur löst sich von den Wänden und wallt wie duftiger Nebel
auf und nieder, aber blendende Strahlen schießen durch den Duft, der sich wie in jauchzender
kindischer Lust wirbelt und dreht und aufsteigt bis zur unermesslichen Höhe, die sich über
den Palmbäumen wölbt. - Aber immer blendender häuft sich Strahl auf Strahl, bis in hellem
Sonnenglanze sich der unabsehbare Hain aufschließt, in dem ich den Anselmus erblicke. -
Glühende Hyazinthen und Tulipanen und Rosen erheben ihre schönen Häupter, und ihre
Düfte rufen in gar lieblichen Lauten dem Glücklichen zu: »Wandle, wandle unter uns,
Geliebter, der du uns verstehst - unser Duft ist die Sehnsucht der Liebe - wir lieben
dich und sind dein immerdar! - Die goldnen Strahlen brennen in glühenden Tönen: wir
sind Feuer, von der Liebe entzündet. - Der Duft ist die Sehnsucht, aber Feuer das
Verlangen, und wohnen wir nicht in deiner Brust? Wir sind ja dein eigen!« Es rischeln und
rauschen die dunklen Büsche - die hohen Bäume: »Komme zu uns! - Glücklicher - Geliebter! -
Feuer ist das Verlangen, aber Hoffnung unser kühler Schatten! Wir umsäuseln liebend dein
Haupt, denn du verstehst uns, weil die Liebe in deiner Brust wohnet«. Die Quellen und
Bäche plätschern und sprudeln: »Geliebter, wandle nicht so schnell vorüber, schaue in
unser Kristall - dein Bild wohnt in uns, das wir liebend bewahren, denn du hast uns
verstanden!« - Im Jubelchor zwitschern und singen bunte Vögelein: »Höre uns, höre uns, wir
sind die Freude, die Wonne, das Entzücken der Liebe!« -
Aber sehnsuchtsvoll schaut
Anselmus nach dem herrlichen Tempel, der sich in weiter Ferne erhebt. Die künstlichen
Säulen scheinen Bäume und die Kapitäler und Gesimse Akanthusblätter, die in wundervollen
Gewinden und Figuren herrliche Verzierungen bilden. Anselmus schreitet dem Tempel zu,
er betrachtet mit innerer Wonne den bunten Marmor, die wunderbar bemoosten Stufen.
»Ach nein«, ruft er wie im Übermaß des Entzückens, »sie ist
nicht mehr fern!« Da tritt in
hoher Schönheit und Anmut Serpentina aus dem Innern des Tempels, sie trägt den goldnen
Topf, aus dem eine herrliche Lilie entsprossen. Die namenlose Wonne der unendlichen
Sehnsucht glüht in den holdseligen Augen, so blickt sie den Anselmus an, sprechend:
»Ach, Geliebter! die Lilie hat ihren Kelch erschlossen - das Höchste ist erfüllt, gibt es
denn eine Seligkeit, die der unsrigen gleicht?«
Anselmus umschlingt sie mit der Inbrunst
des glühendsten Verlangens - die Lilie brennt in flammenden Strahlen über seinem Haupte.
Und lauter regen sich die Bäume und die Büsche, und heller und freudiger jauchzen die
Quellen - die Vögel - allerlei bunte Insekten tanzen in den Luftwirbeln - ein frohes, freudiges,
jubelndes Getümmel in der Luft - in den Wässern - auf der Erde feiert das Fest der Liebe! -
Da zucken Blitze überall leuchtend durch die Büsche - Diamanten blicken wie funkelnde
Augen aus der Erde! - Hohe Springbäche strahlen aus den Quellen - seltsame Düfte
wehen mit rauschendem Flügelschlag daher - es sind die Elementargeister, die der Lilie
huldigen und des Anselmus Glück verkünden. - Da erhebt Anselmus das Haupt wie vom
Strahlenglanz der Verklärung umflossen. - Sind es Blicke? - sind es Worte? - ist es Gesang?
Vernehmlich klingt es: »Serpentina! - der Glaube an dich, die Liebe hat mir das Innerste der
Natur erschlossen! - Du brachtest mir die Lilie, die aus dem Golde, aus der Urkraft der Erde,
noch ehe Phosphorus den Gedanken entzündete, entspross - sie ist die Erkenntnis des
heiligen Einklangs aller Wesen, und in dieser Erkenntnis lebe ich in höchster Seligkeit immerdar. -
Ja, ich Hochbeglückter habe das Höchste erkannt - ich muss dich lieben ewiglich, o Serpentina! -
Nimmer verbleichen die goldnen Strahlen der Lilie, denn wie Glaube und Liebe ist ewig die Erkenntnis.«

Die Vision, in der ich nun den Anselmus leibhaftig auf seinem Rittergute in Atlantis gesehen,
verdankte ich wohl den Künsten des Salamanders, und herrlich war es, dass ich sie, als alles wie
im Nebel verloschen, auf dem Papier, das auf dem violetten Tische lag, recht sauber und
augenscheinlich von mir selbst aufgeschrieben fand. - Aber nun fühlte ich mich von jähem
Schmerz durchbohrt und zerrissen. »Ach, glücklicher Anselmus, der du die Bürde des
alltäglichen Lebens abgeworfen, der du in der Liebe zu der holden Serpentina die
Schwingen rüstig rührtest und nun lebst in Wonne und Freude auf deinem Rittergut in
Atlantis! - Aber ich Armer! - bald - ja in wenigen Minuten bin ich selbst aus diesem schönen
Saal, der noch lange kein Rittergut in Atlantis ist, versetzt in mein Dachstübchen, und die
Armseligkeiten des bedürftigen Lebens befangen meinen Sinn, und mein Blick ist von tausend
Unheil wie von dickem Nebel umhüllt, dass ich wohl niemals die Lilie schauen werde.« - Da
klopfte mir der Archivarius Lindhorst leise auf die Achsel und sprach: »Still, still, Verehrter!
klagen Sie nicht so! - Waren Sie nicht soeben selbst in Atlantis,
und haben Sie
denn nicht auch dort wenigstens einen artigen Meierhof als poetisches Besitztum Ihres innern Sinns? -
Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie, der
sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbaret?«
Ende des Märchens