
Der Student Anselmus hatte nun schon mehrere Tage bei dem Archivarius Lindhorst gearbeitet;
diese Arbeitsstunden waren für ihn die glücklichsten seines Lebens, denn immer von lieblichen
Klängen, von Serpentinas tröstenden Worten umflossen, ja oft von einem vorübergleitenden
Hauche leise berührt, durchströmte ihn eine nie gefühlte Behaglichkeit, die oft bis zur höchsten
Wonne stieg. Jede Not, jede kleinliche Sorge seiner dürftigen Existenz war ihm aus Sinn und
Gedanken entschwunden, und in dem neuen Leben, das ihm wie im hellen Sonnenglanze aufgegangen,
begriff er alle Wunder einer höheren Welt, die ihn sonst mit Staunen, ja mit Grausen erfüllt hatten.
Mit dem Abschreiben ging es sehr schnell, indem es ihn immer mehr dünkte, er schreibe nur längst
gekannte Züge auf das Pergament hin und dürfe kaum nach dem Original sehen, um alles mit der größten
Genauigkeit nachzumalen. - Außer der Tischzeit ließ sich der Archivarius Lindhorst nur dann und wann
sehen, aber jedesmal erschien er genau in dem Augenblick, wenn Anselmus eben die letzten Zeichen
einer Handschrift vollendet hatte, und gab ihm dann eine andere, verließ ihn aber gleich wieder
schweigend, nachdem er nur mit einem schwarzen Stäbchen die Tinte umgerührt und die gebrauchten
Federn mit neuen, schärfer gespitzten vertauscht hatte. Eines Tages, als Anselmus mit dem
Glockenschlag Zwölf bereits die Treppe hinaufgestiegen, fand er die Tür, durch die er gewöhnlich
hineingegangen, verschlossen, und der Archivarius Lindhorst erschien in seinem wunderlichen, wie
mit glänzenden Blumen bestreuten Schlafrock von der andern Seite. Er rief laut: »Heute kommen Sie
nur hier herein, werter Anselmus, denn wir müssen in das Zimmer, wo
Bhogovotgitas Meister unsrer
warten.« Er schritt durch den Korridor und führte Anselmus durch dieselben Gemächer und Säle wie
das erste Mal. - Der Student Anselmus erstaunte aufs Neue über die wunderbare Herrlichkeit des
Gartens, aber er sah nun deutlich, dass manche seltsame Blüten, die an den dunkeln Büschen hingen,
eigentlich in glänzenden Farben prunkende Insekten waren, die mit den Flüglein auf- und niederschlugen
und, durcheinander tanzend und wirbelnd, sich mit ihren Saugrüsseln zu liebkosen
schienen. Dagegen waren wieder die rosenfarbnen und himmelblauen Vögel duftende Blumen, und
der Geruch, den sie verbreiteten, stieg aus ihren Kelchen empor in leisen lieblichen Tönen, die sich
mit dem Geplätscher der fernen Brunnen, mit dem Säuseln der hohen Stauden und Bäume zu
geheimnisvollen Akkorden einer tiefklagenden Sehnsucht vermischten. Die Spottvögel, die ihn
das erste Mal so geneckt und gehöhnt, flatterten ihm wieder um den Kopf und schrien mit ihren
feinen Stimmchen unaufhörlich: »Herr Studiosus, Herr Studiosus, eilen Sie nicht so - kucken Sie
nicht so in die Wolken - Sie könnten auf die Nase fallen. - He, he! Herr Studiosus - nehmen Sie
den Pudermantel um - Gevatter Schuhu soll Ihnen den Toupet frisieren.« - So ging es fort in allerlei
dummem Geschwätz, bis Anselmus den Garten verlassen. Der Archivarius Lindhorst trat endlich
in das azurblaue Zimmer; der Porphyr mit dem goldnen Topf war verschwunden, statt dessen
stand ein mit violettem Samt behangener Tisch, auf dem die dem Anselmus bekannten
Schreibmaterialien befindlich, in der Mitte des Zimmers, und ein ebenso beschlagener Lehnstuhl
stand vor demselben. »Lieber Herr Anselmus«, sagte der Archivarius Lindhorst, »Sie haben nun
schon manches Manuskript schnell und richtig zu meiner großen Zufriedenheit kopiert; Sie haben
sich mein Zutrauen erworben; das Wichtigste bleibt aber noch zu tun übrig, und das ist das
Abschreiben oder vielmehr Nachmalen gewisser in besonderen Zeichen geschriebener Werke,
die ich hier in diesem Zimmer aufbewahre und die nur an Ort und Stelle kopiert werden können. -
Sie werden daher künftig hier arbeiten, aber ich muss Ihnen die grösste Vorsicht und Aufmerksamkeit
empfehlen; ein falscher Strich oder, was der Himmel verhüten möge, ein Tintenfleck auf das Original
gespritzt, stürzt Sie ins Unglück.« - Anselmus bemerkte, dass aus den goldnen Stämmen der
Palmbäume kleine smaragdgrüne Blätter herausragten; eins dieser Blätter erfasste der Archivarius,
und Anselmus wurde gewahr, dass das Blatt eigentlich in einer Pergamentrolle bestand, die der
Archivarius aufwickelte und vor ihm auf den Tisch breitete. Anselmus wunderte sich nicht wenig
über die seltsam verschlungenen Zeichen, und bei dem Anblick der vielen Pünktchen, Striche und
Züge und Schnörkel, die bald Pflanzen, bald Moose, bald Tiergestalten darzustellen schienen,
wollte ihm beinahe der Mut sinken, alles so genau nachmalen zu können. Er geriet darüber in tiefe
Gedanken. »Mut gefasst, junger Mensch!«, rief der Archivarius, »hast du bewährten Glauben und wahre
Liebe, so hilft dir Serpentina!« Seine Stimme tönte wie klingendes Metall, und als Anselmus in jähem
Schreck aufblickte, stand der Archivarius Lindhorst in der königlichen Gestalt vor ihm, wie er ihm
bei dem ersten Besuch im Bibliothekzimmer erschienen. Es war dem Anselmus, als müsse er von
Ehrfurcht durchdrungen auf die Knie sinken, aber da stieg der Archivarius Lindhorst an dem
Stamm eines Palmbaums in die Höhe und verschwand in den smaragdenen Blättern. - Der Student
Anselmus begriff, dass der Geisterfürst mit ihm gesprochen und nun in sein Studierzimmer
hinaufgestiegen, um vielleicht mit den Strahlen, die einige Planeten als Gesandte zu ihm geschickt,
Rücksprache zu halten, was nun mit ihm und der holden Serpentina geschehen solle. - »Auch kann
es sein«, dachte er ferner, »dass ihn Neues von den Quellen des Nils erwartet oder dass ein Magus
aus Lappland ihn besucht - mir geziemt es nun, emsig an die Arbeit zu gehen.« - Und damit fing er
an die fremden Zeichen der Pergamentrolle zu studieren. - Die wunderbare Musik des Gartens
tönte zu ihm herüber und umgab ihn mit süßen lieblichen Düften, auch hörte er wohl die Spottvögel
kickern, doch verstand er ihre Worte nicht, was ihm auch recht lieb war. Zuweilen war es auch,
als rauschten die smaragdenen Blätter der Palmbäume und als strahlten dann die holden Kristallklänge,
welche Anselmus an jenem verhängnisvollen Himmelfahrtstage unter dem Holunderbusch hörte,
durch das Zimmer. Der Student Anselmus, wunderbar gestärkt durch dies Tönen und Leuchten,
richtete immer fester und fester Sinn und Gedanken auf die Überschrift der Pergamentrolle, und
bald fühlte er wie aus dem Innersten heraus, dass die Zeichen nichts anders bedeuten könnten
als die Worte: Von der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange. - Da ertönte ein
starker Dreiklang heller Kristallglocken. - »Anselmus, lieber Anselmus«, wehte es ihm zu aus den
Blättern, und o Wunder! an dem Stamm des Palmbaums schlängelte sich die grüne Schlange
herab. -
»Serpentina! holde Serpentina!«, rief Anselmus wie im Wahnsinn
des höchsten Entzückens, denn sowie er schärfer hinblickte, da war es ja ein liebliches herrliches
Mädchen, die mit den dunkelblauen Augen, wie sie in seinem Innern lebten, voll unaussprechlicher Sehnsucht ihn
anschauend, ihm entgegenschwebte. Die Blätter schienen sich herabzulassen und auszudehnen,
überall sprossten Stacheln aus den Stämmen, aber Serpentina wand und schlängelte sich
geschickt durch, indem sie ihr flatterndes, wie in schillernden Farben glänzendes Gewand
nach sich zog, sodass es, sich dem schlanken Körper anschmiegend, nirgends hängen blieb
an den hervorragenden Spitzen und Stacheln der Palmbäume.
Sie setzte sich neben dem
Anselmus auf denselben Stuhl, ihn mit dem Arm umschlingend und an sich drückend, sodass er den Hauch,
der von ihren Lippen strömte, die elektrische Wärme ihres Körpers fühlte.
»Lieber Anselmus«, fing Serpentina an, »nun bist du bald ganz mein, durch deinen Glauben,
durch deine Liebe erringst du mich, und ich bringe dir den goldnen Topf, der uns beide
beglückt immerdar.« - »O du holde, liebe Serpentina«, sagte Anselmus, »wenn ich nur dich
habe, was kümmert mich sonst alles Übrige; wenn du nur mein bist, so will ich gern untergehen
in all dem Wunderbaren und Seltsamen, was mich befängt seit dem Augenblick, als ich dich sah.«
»Ich weiß wohl«, fuhr Serpentina fort, »dass das Unbekannte und Wunderbare, womit mein Vater
oft nur zum Spiel seiner Laune dich umfangen, Grausen und Entsetzen in dir erregt hat, aber
jetzt soll es, wie ich hoffe, nicht wieder geschehen, denn ich bin in diesem Augenblick nur da,
um dir, mein lieber Anselmus, alles und jedes aus tiefem Gemüte, aus tiefer Seele haarklein zu
erzählen, was dir zu wissen nötig, um meinen Vater ganz zu kennen und überhaupt recht
deutlich einzusehen, was es mit ihm und mit mir für eine Bewandtnis hat.« - Dem Anselmus war
es, als sei er von der holden, lieblichen Gestalt so ganz und gar umschlungen und umwunden,
dass er sich nur mit ihr regen und bewegen könne, und als sei es nur der Schlag ihres Pulses,
der durch seine Fibern und Nerven zittere; er horchte auf jedes ihrer Worte, das bis in sein
Innerstes hinein erklang und wie ein leuchtender Strahl die Wonne des Himmels in ihm entzündete.
Er hatte den Arm um ihren schlanker als schlanken Leib gelegt, aber der schillernde, glänzende
Stoff ihres Gewandes war so glatt, so schlüpfrig, dass es ihm schien, als könne sie, sich ihm
schnell entwindend, unaufhaltsam entschlüpfen, und er erbebte bei dem Gedanken. »Ach,
verlass mich nicht, holde Serpentina«, rief er unwillkürlich aus, »nur du bist mein Leben!« -
»Nicht eher heute«, sagte Serpentina, »als bis ich alles erzählt habe, was du in deiner Liebe
zu mir begreifen kannst. - Wisse also, Geliebter, dass mein Vater aus dem wunderbaren
Geschlecht der Salamander abstammt, und dass ich mein Dasein seiner Liebe zur grünen
Schlange verdanke.
In uralter Zeit herrschte in dem Wunderlande Atlantis der mächtige
Geisterfürst Phosphorus, dem die Elementargeister dienten. Einst ging der Salamander, den
er vor allen liebte (es war mein Vater), in dem prächtigen Garten, den des Phosphorus
Mutter mit ihren schönsten Gaben auf das Herrlichste geschmückt hatte, umher und hörte,
wie eine hohe Lilie in leisen Tönen sang: 'Drücke fest die Äuglein zu, bis mein Geliebter,
der Morgenwind, dich weckt.' Er trat hinzu; von seinem glühenden Hauch berührt, erschloss
die Lilie ihre Blätter, und er erblickte der Lilie Tochter, die grüne Schlange, welche in dem
Kelch schlummerte. Da wurde der Salamander von heißer Liebe zu der schönen Schlange
ergriffen, und er raubte sie der Lilie, deren Düfte in namenloser Klage vergebens im
ganzen Garten nach der geliebten Tochter riefen. Denn der Salamander hatte sie in das
Schloss des Phosphorus getragen und bat ihn: 'Vermähle mich mit der Geliebten, denn
sie soll mein eigen sein immerdar.' 'Törichter, was verlangst du!', sprach der Geisterfürst,
'wisse, dass einst die Lilie meine Geliebte war und mit mir herrschte, aber der Funke,
den ich in sie warf, drohte sie zu vernichten, und nur der Sieg über den schwarzen
Drachen, den jetzt die Erdgeister in Ketten gebunden halten, erhielt die Lilie, dass ihre
Blätter stark genug blieben, den Funken in sich zu schließen und zu bewahren. Aber
wenn du die grüne Schlange umarmst, wird deine Glut den Körper verzehren
und ein
neues Wesen, schnell emporkeimend, sich dir entschwingen.' Der Salamander achtete
der Warnung des Geisterfürsten nicht; voll glühenden Verlangens schloss er die grüne
Schlange in seine Arme, sie zerfiel in Asche, und ein geflügeltes Wesen, aus der Asche
geboren, rauschte fort durch die Lüfte. Da ergriff den Salamander der Wahnsinn der
Verzweiflung, und er rannte, Feuer und Flammen sprühend, durch den Garten und verheerte
ihn in wilder Wut, dass die schönsten Blumen und Blüten verbrannt niedersanken und ihr
Jammer die Luft erfüllte. Der hocherzürnte Geisterfürst erfasste im Grimm den Salamander
und sprach: 'Ausgeraset hat dein Feuer - erloschen sind deine Flammen, erblindet deine
Strahlen - sinke hinab zu den Erdgeistern, die mögen dich necken und höhnen und gefangen
halten, bis der Feuerstoff sich wieder entzündet und mit dir als einem neuen Wesen
aus der Erde emporstrahlt.' Der arme Salamander sank erloschen hinab, aber da trat der
alte mürrische Erdgeist, der des Phosphorus Gärtner war, hinzu und sprach: 'Herr! wer
sollte mehr über den Salamander klagen als ich! - Habe ich nicht all die schönen Blumen,
die er verbrannt, mit meinen schönsten Metallen geputzt, habe ich nicht ihre Keime wacker
gehegt und gepflegt und an ihnen manche schöne Farbe verschwendet? - Und doch nehme
ich mich des armen Salamanders an, den nur die Liebe, von der du selbst schon oft, o Herr,
befangen, zur Verzweiflung getrieben, in der er den Garten verwüstet. - Erlasse ihm die zu
harte Strafe!' - 'Sein Feuer ist für Jetzt erloschen', sprach der Geisterfürst,
'in der unglücklichen
Zeit, wenn die Sprache der Natur dem entarteten Geschlecht der Menschen nicht mehr
verständlich sein, wenn die Elementargeister, in ihre Regionen gebannt, nur aus weiter Ferne
in dumpfen Anklängen zu dem Menschen sprechen werden, wenn dem harmonischen Kreise
entrückt, nur ein unendliches Sehnen ihm die dunkle Kunde von dem wundervollen Reiche geben
wird, das er sonst bewohnen durfte, als noch Glaube und Liebe in seinem Gemüte wohnten, -
in dieser unglücklichen Zeit entzündet sich der Feuerstoff des Salamanders aufs Neue, doch
nur zum Menschen keimt er empor und muss, ganz eingehend in das dürftige Leben, dessen
Bedrängnisse ertragen. Aber nicht allein die Erinnerung an seinen Urzustand soll ihm bleiben,
sondern er lebt auch wieder auf in der heiligen Harmonie mit der ganzen Natur, er versteht
ihre Wunder, und die Macht der verbrüderten Geister steht ihm zu Gebote. In einem
Lilienbusch findet er dann die grüne Schlange wieder, und die Frucht seiner Vermählung mit
ihr sind drei Töchter, die den Menschen in der Gestalt der Mutter erscheinen. Zur
Frühlingszeit sollen sie sich in den dunklen Holunderbusch hängen und ihre lieblichen
Kristallstimmen ertönen lassen. Findet sich dann in der dürftigen armseligen Zeit der
innern Verstocktheit ein Jüngling, der ihren Gesang vernimmt, ja, blickt ihn eine der
Schlänglein mit ihren holdseligen Augen an, entzündet der Blick in ihm die Ahnung des
fernen wundervollen Landes, zu dem er sich mutig emporschwingen kann, wenn er die
Bürde des Gemeinen abgeworfen, keimt mit der Liebe zur Schlange in ihm der Glaube
an die Wunder der Natur, ja an seine eigne Existenz in diesen Wundern glutvoll und
lebendig auf, so wird die Schlange sein. Aber nicht eher, bis drei Jünglinge dieser Art
erfunden und mit den drei Töchtern vermählt werden, darf der Salamander seine lästige
Bürde abwerfen und zu seinen Brüdern gehen.' 'Erlaube, Herr', sagte der Erdgeist, 'dass
ich diesen drei Töchtern ein Geschenk mache, das ihr Leben mit dem gefundenen Gemahl
verherrlicht. Jede erhält von mir einen Topf vom schönsten Metall, das ich besitze, den
poliere ich mit Strahlen, die ich dem Diamant entnommen; in seinem Glanze soll sich unser
wundervolles Reich, wie es jetzt im Einklang mit der ganzen Natur besteht, in blendendem
herrlichen Widerschein abspiegeln, aus seinem Innern aber in dem Augenblick der
Vermählung eine Feuerlilie entsprießen, deren ewige Blüte den bewährt befundenen
Jüngling süß duftend umfängt. Bald wird er dann ihre Sprache, die Wunder unseres Reichs
verstehen und selbst mit der Geliebten in Atlantis wohnen.' - Du weißt nun wohl, lieber
Anselmus, dass mein Vater eben der Salamander ist, von dem ich dir erzählt. Er musste,
seiner höheren Natur unerachtet, sich den kleinlichsten Bedrängnissen des gemeinen
Lebens unterwerfen, und daher kommt wohl oft die schadenfrohe Laune, mit der er manche
neckt.
Er hat mir oft gesagt, dass für die innere Geistesbeschaffenheit, wie sie der
Geisterfürst Phosphorus damals als Bedingnis der Vermählung mit mir und meinen
Schwestern aufgestellt, man jetzt einen Ausdruck habe, der aber nur zu oft
unschicklicherweise gemissbraucht werde; man nenne das nämlich ein kindliches
poetisches Gemüt. - Oft finde man dieses Gemüt bei Jünglingen, die der hohen
Einfachheit ihrer Sitten wegen und weil es ihnen ganz an der sogenannten Weltbildung
fehle, von dem Pöbel verspottet würden. Ach, lieber Anselmus! - Du verstandest ja
unter dem Holunderbusch meinen Gesang - meinen Blick - du liebst die grüne Schlange,
du glaubst an mich und willst mein sein immerdar! - Die schöne Lilie wird emporblühen
aus dem goldnen Topf, und wir werden vereint glücklich und selig in Atlantis wohnen! -
Aber nicht verhehlen kann ich dir, dass im grässlichen Kampf mit den Salamandern und
Erdgeistern sich der schwarze Drache loswand und durch die Lüfte davonbrauste.
Phosphorus hält ihn zwar wieder in Banden, aber aus den schwarzen Federn, die im
Kampfe auf die Erde stäubten, keimten feindliche Geister empor, die überall den
Salamandern und Erdgeistern widerstreben. Jenes Weib, das dir so feindlich ist,
lieber Anselmus, und die, wie mein Vater recht gut weiß, nach dem Besitz des
goldnen Topfes strebt, hat ihr Dasein der Liebe einer solchen aus dem Fittich
des Drachen herabgestäubten Feder zu einer Runkelrübe zu verdanken. Sie
erkennt ihren Ursprung und ihre Gewalt, denn in dem Stöhnen, in den Zuckungen des
gefangenen Drachen werden ihr die Geheimnisse mancher wundervollen Konstellation
offenbar, und sie bietet alle Mittel auf, von außen hinein ins Innere zu wirken, wogegen
sie mein Vater mit den Blitzen, die aus dem Innern des Salamanders hervorschießen,
bekämpft. Alle die feindlichen Prinzipe, die in schädlichen Kräutern und giftigen Tieren
wohnen, sammelt sie und erregt, sie mischend in günstiger Konstellation, manchen
bösen Spuk, der des Menschen Sinne mit Grauen und Entsetzen befängt und ihn der
Macht jener Dämonen, die der Drache im Kampfe unterliegend erzeugte, unterwirft.
Nimm dich vor der Alten in acht, lieber Anselmus, sie ist dir feind, weil dein kindlich
frommes Gemüt schon manchen ihrer bösen Zauber vernichtet. - Halte treu - treu -
an mir, bald bist du am Ziel!« - »O meine - meine Serpentina!« - rief der Student
Anselmus, »wie sollte ich denn nur von dir lassen können, wie sollte ich dich nicht
lieben ewiglich!« - Ein Kuss brannte auf seinem Munde, er erwachte wie aus einem
tiefen Traume, Serpentina war verschwunden, es schlug sechs Uhr, da fiel es ihm
schwer aufs Herz, dass er nicht das Mindeste kopiert habe; er blickte voll Besorgnis,
was der Archivarius wohl sagen werde, auf das Blatt, und o Wunder! die Kopie des
geheimnisvollen Manuskripts war glücklich beendigt, und er glaubte, schärfer die Züge
betrachtend, Serpentinas Erzählung von ihrem Vater, dem Liebling des Geisterfürsten
Phosphorus im Wunderlande Atlantis, abgeschrieben zu haben. Jetzt trat der Archivarius
Lindhorst in seinem weißgrauen Überrock, den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand,
herein; er sah in das von dem Anselmus beschriebene Pergament, nahm eine große Prise
und sagte lächelnd: »Das dacht' ich wohl! - Nun! hier ist der Speziestaler, Herr Anselmus,
jetzt wollen wir noch nach dem Linke'schen Bade gehen - nur mir nach!« - Der Archivarius
schritt rasch durch den Garten, in dem ein solcher Lärm von Singen, Pfeifen, Sprechen
durcheinander war, dass der Student Anselmus ganz betäubt wurde und dem Himmel
dankte, als er sich auf der Straße befand. Kaum waren sie einige Schritte gegangen,
als sie dem Registrator Heerbrand begegneten, der freundlich sich anschloss. Vor dem
Tore stopften sie die mitgenommenen Pfeifen; der Registrator Heerbrand beklagte,
kein Feuerzeug bei sich zu tragen, da rief der Archivarius Lindhorst ganz unwillig:
»Was Feuerzeug! - hier ist Feuer, so viel Sie wollen!«
Und damit schnappte er mit
den Fingern, aus denen große Funken strömten, die die Pfeifen schnell anzündeten.
»Sehen Sie das chemische Kunststückchen«, sagte der Registrator Heerbrand, aber
der Student Anselmus dachte nicht ohne inneres Erbeben an den Salamander. -
Im Linke'schen Bade trank der Registrator Heerbrand so viel starkes Doppelbier,
dass er, sonst ein gutmütiger stiller Mann, anfing, in einem quäkenden Tenor
Burschenlieder zu singen, jeden hitzig fragte, ob er sein Freund sei oder nicht,
und endlich von dem Studenten Anselmus zu Hause gebracht werden musste, als
der Archivarius Lindhorst schon längst auf und davon war.