
Mit dem Anselmus ist nun einmal in der Welt nichts anzufangen«, sagte der Konrektor Paulmann;
»alle meine guten Lehren, alle meine Ermahnungen sind fruchtlos, er will sich ja zu gar nichts
applizieren, unerachtet er die besten Schulstudia besitzt, die denn doch die Grundlage von
allem sind.« Aber der Registrator Heerbrand erwiderte, schlau und geheimnisvoll lächelnd:
»Lassen Sie dem Anselmus doch nur Raum und Zeit, wertester Konrektor! Das ist ein kurioses
Subjekt, aber es steckt viel in ihm, und wenn ich sage: viel, so heißt das: ein Geheimer
Sekretär oder wohl gar ein Hofrat.« - »Hof - «, fing der Konrektor im größten Erstaunen an,
das Wort blieb ihm stecken. - »Still, still«, fuhr der Registrator Heerbrand fort, »ich weiß,
was ich weiß! - Schon seit zwei Tagen sitzt er bei dem Archivarius Lindhorst und kopiert,
und der Archivarius sagte gestern Abend auf dem Kaffeehause zu mir: 'Sie haben mir einen
wackern Mann empfohlen, Verehrter! - aus dem wird was',
und nun bedenken Sie des Archivarii
Konnexionen - still - still - sprechen wir uns übers Jahr!« - Mit diesen Worten ging der Registrator
im fortwährenden schlauen Lächeln zur Tür hinaus und ließ den vor Erstaunen und Neugierde
verstummten Konrektor im Stuhle festgebannt sitzen. Aber auf Veronika hatte das Gespräch
einen ganz eignen Eindruck gemacht. »Habe ich's denn nicht schon immer gewusst«, dachte
sie, »dass der Herr Anselmus ein recht gescheiter, liebenswürdiger junger Mann ist, aus dem
noch was Großes wird - Wenn ich nur wüsste, ob er mir wirklich gut ist - Aber hat er mir nicht
jenen Abend, als wir über die Elbe fuhren, zweimal die Hand gedrückt - hat er mich nicht im
Duett angesehen mit solchen ganz sonderbaren Blicken, die bis ins Herz drangen - Ja, ja! er
ist mir wirklich gut - und ich« - Veronika überließ sich ganz, wie junge Mädchen wohl pflegen,
den süßen Träumen von einer heitern Zukunft. Sie war Frau Hofrätin, bewohnte ein schönes
Logis in der
Schlossgasse oder auf dem Neumarkt oder auf der Moritzstraße - der moderne
Hut, der neue türkische Shawl stand ihr vortrefflich - sie frühstückte im eleganten Negligé
im Erker, der Köchin die nötigen Befehle für den Tag erteilend. »Aber dass Sie mir die
Schüssel nicht verdirbt, es ist des Herrn Hofrats Leibessen!« - Vorübergehende Elegants
schielen herauf, sie hört deutlich: »Es ist doch eine göttliche Frau, die Hofrätin, wie ihr das
Spitzenhäubchen so allerliebst steht!« - Die geheime Rätin Ypsilon schickt den Bedienten
und lässt fragen, ob es der Frau Hofrätin gefällig wäre, heute ins Linke'sche Bad zu fahren -
»Viel Empfehlungen, es täte mir unendlich leid, ich sei schon engagiert zum Tee bei der
Präsidentin Tz.« - Da kommt der Hofrat Anselmus, der schon früh in Geschäften ausgegangen,
zurück; er ist nach der letzten Mode gekleidet; »wahrhaftig schon zehn«, ruft er,
indem er die goldene Uhr repetieren lässt und der jungen Frau einen Kuss gibt. »Wie geht's, liebes
Weibchen, weißt du auch, was ich für dich habe?«, fährt er schäkernd fort und zieht ein
Paar herrliche, nach der neuesten Art gefasste Ohrringe aus der Westentasche, die er
ihr statt der sonst getragenen gewöhnlichen einhängt. »Ach, die schönen, niedlichen
Ohrringe«, ruft Veronika ganz laut und springt, die Arbeit wegwerfend, vom Stuhl auf, um
in dem Spiegel die Ohrringe wirklich zu beschauen. »Nun, was soll denn das sein«, sagte
der Konrektor Paulmann, der,
eben in Cicero de Officiis vertieft, beinahe das Buch fallen
lassen, »man hat ja Anfälle wie der Anselmus.« Aber da trat der Student Anselmus, der wider
seine Gewohnheit sich mehrere Tage nicht sehen lassen, ins Zimmer, zu Veronikas Schreck
und Erstaunen, denn in der Tat war er in seinem ganzen Wesen verändert. Mit einer gewissen
Bestimmtheit, die ihm sonst gar nicht eigen, sprach er von ganz andern Tendenzen seines
Lebens, die ihm klar worden, von den herrlichen Aussichten, die sich ihm geöffnet, die mancher
aber gar nicht zu schauen vermochte. Der Konrektor Paulmann wurde, der geheimnisvollen
Rede des Registrators Heerbrand gedenkend, noch mehr betroffen und konnte kaum eine
Silbe hervorbringen, als der Student Anselmus,
nachdem er einige Worte von dringender
Arbeit bei dem Archivarius Lindhorst fallen lassen und der Veronika mit eleganter Gewandtheit
die Hand geküsst, schon die Treppe hinunter, auf und von dannen war. »Das war ja schon
der Hofrat«, murmelte Veronika in sich hinein, »und er hat mir die Hand geküsst, ohne dabei
auszugleiten oder mir auf den Fuss zu treten, wie sonst! - er hat mir einen recht zärtlichen
Blick zugeworfen - er ist mir wohl in der Tat gut.« - Veronika überließ sich aufs Neue jener
Träumerei, indessen war es, als träte immer eine feindselige Gestalt unter die lieblichen
Erscheinungen, wie sie aus dem künftigen häuslichen Leben als Frau Hofrätin hervorgingen,
und die Gestalt lachte recht höhnisch und sprach: »Das ist ja alles recht dummes, ordinäres
Zeug und noch dazu erlogen, denn der Anselmus wird nimmermehr Hofrat und dein Mann;
er liebt dich ja nicht, unerachtet du blaue Augen hast und einen schlanken Wuchs und
eine feine Hand.« - Da goss sich ein Eisstrom durch Veronikas Innres, und ein tiefes Entsetzen
vernichtete die Behaglichkeit, mit der sie sich nur noch erst im Spitzenhäubchen und den
eleganten Ohrringen gesehen. - Die Tränen wären ihr beinahe aus den Augen gestürzt,
und sie sprach laut: »Ach, es ist ja wahr, er liebt mich nicht, und ich werde nimmer mehr
Frau Hofrätin!« »Romanenstreiche, Romanenstreiche«, schrie der Konrektor Paulmann, nahm
Hut und Stock und eilte zornig von dannen! - »Das fehlte noch«, seufzte Veronika und
ärgerte sich recht über
die zwölfjährige Schwester, welche,
teilnehmungslos an ihrem Rahmen sitzend, fortgestickt hatte. Unterdessen war es beinahe drei Uhr geworden
und nun gerade Zeit, das Zimmer aufzuräumen und den Kaffeetisch zu ordnen; denn die
Mademoiselles Osters hatten sich bei der Freundin ansagen lassen. Aber hinter jedem
Schränkchen, das Veronika wegrückte, hinter den Notenbüchern, die sie vom Klavier,
hinter jeder Tasse, hinter der Kaffeekanne, die sie aus dem Schrank nahm, sprang
jene Gestalt
wie ein Alräunchen hervor und lachte höhnisch und schlug mit den kleinen
Spinnenfingern Schnippchen und schrie: »Er wird doch nicht dein Mann, er wird doch
nicht dein Mann!« Und dann, wenn sie alles stehn und liegen ließ und in die Mitte des
Zimmers flüchtete, sah es mit langer Nase riesengroß hinter dem Ofen hervor und
knurrte und schnurrte: »Er wird doch nicht dein Mann!« »Hörst du denn nichts, siehst
du denn nichts, Schwester?«, rief Veronika, die vor Furcht und Zittern gar nichts mehr
anrühren mochte. Fränzchen stand ganz ernsthaft und ruhig von ihrem Stickrahmen
auf und sagte: »Was ist dir denn heute, Schwester? Du wirfst ja alles durcheinander,
dass es klippert und klappert, ich muss dir nur helfen.« Aber da traten schon die
muntern Mädchen in vollem Lachen herein, und in dem Augenblick wurde nun auch
Veronika gewahr, dass sie den Ofenaufsatz für eine Gestalt und das Knarren der
übel verschlossenen Ofentür für die feindseligen Worte gehalten hatte. Von einem
innern Entsetzen gewaltsam ergriffen, konnte sie sich aber nicht so schnell erholen,
dass die Freundinnen nicht ihre ungewöhnliche Spannung, die selbst ihre Blässe, ihr
verstörtes Gesicht verriet, hätten bemerken sollen. Als sie, schnell abbrechend
von all dem Lustigen, das sie eben erzählen wollten, in die Freundin drangen, was
ihr denn um des Himmels willen widerfahren, musste Veronika eingestehen, wie sie
sich ganz besondern Gedanken hingegeben und plötzlich am hellen Tage von einer
sonderbaren Gespensterfurcht, die ihr sonst gar nicht eigen, übermannt worden.
Nun erzählte sie so lebhaft, wie aus allen Winkeln des Zimmers ein kleines graues
Männchen sie geneckt und gehöhnt habe, dass die Mademoisells Osters sich schüchtern
nach allen Seiten umsahen und ihnen bald gar unheimlich und grausig zumute wurde.
Da trat Fränzchen mit dem dampfenden Kaffee herein, und alle drei, sich schnell
besinnend, lachten über ihre eigne Albernheit. Angelika, so hieß die älteste Oster,
war mit einem Offizier versprochen,
der bei der Armee stand und von dem die
Nachrichten so lange ausgeblieben, dass man an seinem Tode oder wenigstens an
seiner schweren Verwundung kaum zweifeln konnte. Dies hatte Angelika in die
tiefste Betrübnis gestürzt, aber heute war sie fröhlich bis zur Ausgelassenheit,
worüber Veronika sich nicht wenig wunderte und es ihr unverhohlen äußerte.
»Liebes Mädchen«, sagte Angelika, »glaubst du denn nicht, dass ich meinen Viktor
immerdar im Herzen, in Sinn und Gedanken trage - aber eben deshalb bin ich so
heiter! - ach Gott - so glücklich, so selig in meinem ganzen Gemüte! Denn mein
Viktor ist wohl, und ich sehe ihn in weniger Zeit als Rittmeister, geschmückt mit
den Ehrenzeichen, die ihm seine unbegrenzte Tapferkeit erwarben, wieder. Eine
starke, aber durchaus nicht gefährliche Verwundung des rechten Arms, und zwar
durch den Säbelhieb eines feindlichen Husaren, verhindert ihn zu schreiben, und der
schnelle Wechsel seines Aufenthalts, da er durchaus sein Regiment nicht verlassen will,
macht es auch noch immer unmöglich, mir Nachricht zu geben, aber heute Abend erhält
er die bestimmte Weisung, sich erst ganz heilen zu lassen. Er reiset morgen ab, um
herzukommen, und indem er in den Wagen steigen will, erfährt er seine Ernennung zum
Rittmeister.« - »Aber, liebe Angelika«, fiel Veronika ein, »das
weißt du jetzt schon alles?« -
»Lache mich nicht aus, liebe Freundin«, fuhr Angelika fort, »aber du wirst es nicht, denn
könnte nicht dir zur Strafe gleich das kleine graue Männchen dort hinter dem Spiegel
hervorgucken? - Genug, ich kann mich von dem Glauben an gewisse geheimnisvolle
Dinge nicht losmachen, weil sie oft genug ganz sichtbarlich und handgreiflich, möcht' ich
sagen, in mein Leben getreten. Vorzüglich kommt es mir denn nun gar nicht einmal so
wunderbar und unglaublich vor als manchen andern, dass es Leute geben kann, denen
eine gewisse Sehergabe eigen, die sie durch ihnen bekannte untrügliche Mittel in Bewegung
zu setzen wissen. Es ist hier am Orte eine alte Frau, die diese Gabe ganz besonders besitzt.
Nicht so wie andere ihres Gelichters prophezeit sie aus Karten, gegossenem Blei oder aus
dem Kaffeesatze, sondern nach gewissen Vorbereitungen, an denen die fragende Person
teilnimmt, erscheint in einem hellpolierten Metallspiegel ein wunderliches Gemisch von allerlei
Figuren und Gestalten, welche die Alte deutet und aus ihnen die Antwort auf die Frage schöpft.
Ich war gestern abend bei ihr und erhielt jene Nachrichten von meinem Viktor, an deren Wahrheit
ich nicht einen Augenblick zweifle.« - Angelikas Erzählung warf einen Funken in Veronikas Gemüt,
der schnell den Gedanken entzündete, die Alte über den Anselmus und über ihre Hoffnungen
zu befragen. Sie erfuhr, dass die Alte Frau Rauerin hieße, in einer entlegenen Straße vor
dem Seetor wohne, durchaus nur dienstags, mittwochs und freitags von sieben Uhr
abends, dann aber die ganze Nacht hindurch bis zum Sonnenaufgang zu treffen sei
und es gern sähe, wenn man allein komme. - Es war eben Mittwoch, und Veronika
beschloss, unter dem Vorwande, die Osters nach Hause zu begleiten, die Alte
aufzusuchen, welches sie denn auch in der Tat ausführte. Kaum hatte sie nämlich
von den Freundinnen, die in der Neustadt wohnten,
vor der Elbbrücke Abschied
genommen, als sie geflügelten Schrittes vor das Seetor eilte und sich bald in der
beschriebenen abgelegenen engen Straße befand, an deren Ende sie das kleine
rote Häuschen erblickte, in welchem die Frau Rauerin wohnen sollte. Sie konnte sich
eines gewissen unheimlichen Gefühls, ja eines innern Erbebens nicht erwehren, als sie vor
der Haustür stand. Endlich raffte sie sich, des innern Widerstrebens unerachtet, zusammen
und zog an der Klingel, worauf sich die Tür öffnete und sie durch den finstern Gang nach
der Treppe tappte, die zum obern Stock führte, wie es Angelika beschrieben. »Wohnt hier
nicht die Frau Rauerin?«, rief sie in den öden Hausflur hinein, als sich niemand zeigte; da
erscholl statt der Antwort ein langes klares Miau, und ein großer schwarzer Kater schritt
mit hochgekrümmtem Rücken, den Schweif in Wellenringeln hin und her drehend, gravitätisch
vor ihr her bis an die Stubentür, die auf ein zweites Miau geöffnet wurde. »Ach, sieh da,
Töchterchen, bist schon hier? Komm herein - herein!« So rief die heraustretende Gestalt,
deren Anblick Veronika an den Boden festbannte. Ein langes, hagres, in schwarze Lumpen
gehülltes Weib! - indem sie sprach, wackelte das hervorragende spitze Kinn, verzog sich
das zahnlose Maul, von der knöchernen Habichtsnase beschattet, zum grinsenden Lächeln,
und leuchtende Katzenaugen flackerten Funken werfend durch die große Brille. Aus dem bunten,
um den Kopf gewickelten Tuche starrten schwarze borstige Haare hervor, aber zum Grässlichen
erhoben das ekle Antlitz zwei große Brandflecke, die sich von der linken Backe über die Nase
wegzogen. - Veronikas Atem stockte, und der Schrei, der der gepressten Brust Luft machen
sollte, wurde zum tiefen Seufzer, als der Hexe Knochenhand sie ergriff und in das Zimmer
hineinzog. Drinnen regte und bewegte sich alles, es war ein Sinne verwirrendes Quieken und
Miauen und Gekrächze und Gepiepe durcheinander. Die Alte schlug mit der Faust auf den
Tisch und schrie: »Still da, ihr Gesindel!« Und
die Meerkatzen
kletterten winselnd auf das hohe Himmelbett, und die Meerschweinchen liefen unter den Ofen, und der Rabe flatterte
auf den runden Spiegel; nur der schwarze Kater, als gingen ihn die Scheltworte nichts an,
blieb ruhig auf dem großen Polsterstuhle sitzen, auf den er gleich nach dem Eintritt gesprungen. -
Sowie es still wurde, ermutigte sich Veronika; es war ihr nicht so unheimlich als draußen auf
dem Flur, ja selbst das Weib schien ihr nicht mehr so scheußlich. Jetzt erst blickte sie im
Zimmer umher! - Allerhand hässliche ausgestopfte Tiere hingen von der Decke herab,
unbekanntes seltsames Geräte lag durcheinander auf dem Boden, und in dem Kamin
brannte ein blaues sparsames Feuer, das nur dann und wann in gelben Funken emporknisterte;
aber dann rauschte es von oben herab, und ekelhafte Fledermäuse wie mit verzerrten
lachenden Menschengesichtern schwangen sich hin und her, und zuweilen leckte die Flamme
herauf an der rußigen Mauer, und dann erklangen schneidende, heulende Jammertöne,
dass Veronika von Angst und Grausen ergriffen wurde. »Mit Verlaub, Mamsellchen«, sagte
die Alte schmunzelnd, erfasste einen großen Wedel und besprengte, nachdem sie ihn in
einen kupfernen Kessel getaucht, den Kamin. Da erlosch das Feuer, und wie von dickem
Rauch erfüllt, wurde es stockfinster in der Stube; aber bald trat die Alte, die in ein
Kämmerchen gegangen, mit einem angezündeten Lichte wieder herein, und Veronika
erblickte nichts mehr von den Tieren, von den Gerätschaften, es war eine gewöhnliche,
ärmlich ausstaffierte Stube. Die Alte trat ihr näher und sagte mit schnarrender Stimme:
»Ich weiß wohl, was du bei mir willst, mein Töchterchen; was gilt es, du möchtest erfahren,
ob du den Anselmus heiraten wirst, wenn er Hofrat worden.« - Veronika erstarrte vor
Staunen und Schreck, aber die Alte fuhr fort: »Du hast mir ja schon alles gesagt zu
Hause beim Papa, als die Kaffeekanne vor dir stand, ich war ja die Kaffeekanne, hast
du mich denn nicht gekannt? Töchterchen, höre! Lass ab, lass ab von dem Anselmus,
das ist ein garstiger Mensch, der hat meinen Söhnlein ins Gesicht getreten, meinen
lieben Söhnlein, den Äpfelchen mit den roten Backen, die, wenn sie die Leute gekauft
haben, ihnen wieder aus den Taschen in meinen Korb zurückrollen. Er hält's mit dem
Alten,
er hat mir vorgestern den verdammten Auripigment ins Gesicht gegossen, dass
ich beinahe darüber erblindet, du kannst noch die Brandflecken sehen, Töchterchen!
Lass ab von ihm, lass ab! - Er liebt dich nicht, denn er liebt die goldgrüne Schlange, er
wird niemals Hofrat werden, weil er sich bei den Salamandern anstellen lassen, und er
will die grüne Schlange heiraten, lass ab von ihm, lass ab!« - Veronika, die eigentlich ein
festes, standhaftes Gemüt hatte und mädchenhaften Schreck bald zu überwinden wusste,
trat einen Schritt zurück und sprach mit ernsthaftem gefasstem Ton: »Alte! ich habe von
eurer Gabe, in die Zukunft zu blicken, gehört und wollte darum, vielleicht zu neugierig
und voreilig, von Euch wissen, ob wohl Anselmus, den ich liebe und hochschätze, jemals
mein werden würde. Wollt Ihr mich daher, statt meinen Wunsch zu erfüllen, mit Eurem
tollen, unsinnigen Geschwätze necken, so tut Ihr Unrecht, denn ich habe nur gewollt,
was Ihr andern, wie ich weiß, gewährtet. Da Ihr, wie es scheint, meine innigsten Gedanken
wisset, so wäre es Euch vielleicht ein Leichtes gewesen, mir manches zu enthüllen, was
mich jetzt quält und ängstigt, aber nach Euern albernen Verleumdungen des guten
Anselmus mag ich von Euch weiter nichts erfahren. Gute Nacht!« -
Veronika wollte
davoneilen, da fiel die Alte weinend und jammernd auf die Knie nieder und rief, das
Mädchen am Kleide festhaltend: »Veronikchen, kennst du denn die alte Liese nicht
mehr, die dich so oft auf den Armen getragen und gepflegt und gehätschelt?« Veronika
traute kaum ihren Augen; denn sie erkannte ihre, freilich nur durch hohes Alter und
vorzüglich durch die Brandflecke entstellte ehemalige Wärterin, die vor mehreren Jahren
aus des Konrektor Paulmanns Hause verschwand. Die Alte sah auch nun ganz anders
aus, sie hatte statt des hässlichen buntgefleckten Tuchs eine ehrbare Haube und statt
der schwarzen Lumpen eine großblumichte Jacke an, wie sie sonst wohl gekleidet
gegangen. Sie stand vom Boden auf und fuhr, Veronika in ihre Arme nehmend, fort:
»Es mag dir alles, was ich dir gesagt, wohl recht toll vorkommen, aber es ist leider
dem so. Der Anselmus hat mir viel zu leide getan, doch wider seinen Willen; er ist dem
Archivarius Lindhorst in die Hände gefallen, und der will ihn mit seiner Tochter verheiraten.
Der Archivarius ist mein größter Feind, und ich könnte dir allerlei Dinge von ihm sagen,
die würdest du aber nicht verstehen oder dich doch sehr entsetzen. Er ist der weise
Mann, aber ich bin die weise Frau - es mag darum sein! - Ich merke nun wohl, dass du den
Anselmus recht lieb hast, und ich will dir mit allen Kräften beistehen, dass du recht
glücklich werden und fein ins Ehebette kommen sollst, wie du es wünschest.« »Aber
sage Sie mir um des Himmels willen, Liese!« - fiel Veronika ein - »Still, Kind - still!«,
unterbrach sie die Alte, »ich weiß, was du sagen willst, ich bin das worden, was ich
bin, weil ich es werden musste, ich konnte nicht anders. Nun also! - ich kenne das
Mittel, das den Anselmus von der törichten Liebe zur grünen Schlange heilt und ihn
als den liebenswürdigsten Hofrat in deine Arme führt; aber du musst helfen.« - »Sage
es nur gerade heraus, Liese! ich will ja alles tun, denn ich liebe den Anselmus sehr!«,
lispelte Veronika kaum hörbar. - »Ich kenne dich«, fuhr die Alte fort, »als ein beherztes
Kind, vergebens habe ich dich mit dem Wauwau zum Schlaf treiben wollen, denn gerade
alsdann öffnetest du die Augen, um den Wauwau zu sehen; du gingst ohne Licht in die
hinterste Stube
und erschrecktest oft in des Vaters Pudermantel des Nachbars Kinder.
Nun also! - ist's dir Ernst, durch meine Kunst den Archivarius Lindhorst und die grüne
Schlange zu überwinden, ist's dir Ernst, den Anselmus als Hofrat deinen Mann zu nennen,
so schleiche dich in der künftigen Tag- und Nachtgleiche nachts um eilf Uhr aus des
Vaters Hause und komme zu mir; ich werde dann mit dir auf den Kreuzweg gehen, der
unfern das Feld durchschneidet, wir bereiten das Nötige, und alles Wunderliche, was
du vielleicht erblicken wirst, soll dich nicht anfechten. Und nun Töchterchen, gute Nacht,
der Papa wartet schon mit der Suppe.« - Veronika eilte von dannen, fest stand bei ihr
der Entschluss,
die Nacht des Äquinoktiums nicht zu versäumen,
»denn«, dachte sie, »die Liese hat recht, der Anselmus ist verstrickt in wunderliche
Bande, aber ich erlöse ihn daraus und nenne ihn mein immerdar und ewiglich, mein ist und bleibt
er, der Hofrat Anselmus.«