
Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor, und geradezu in
einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes hässliches Weib feilbot, sodass alles, was der Quetschung
glücklich entgangen,
hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.
Auf das
Zetergeschrei, das die Alte erhob, verließen die Gevatterinnen ihre Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen Menschen
und schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein, sodass er, vor Ärger und Scham verstummend, nur seinen kleinen, nicht
eben besonders gefüllten Geldbeutel hinhielt, den die Alte begierig ergriff und schnell einsteckte. Nun öffnete sich der
fest geschlossene Kreis, aber indem der junge Mensch hinausschoss, rief ihm die Alte nach: »Ja renne - renne nur zu,
Satanskind - ins Kristall bald dein Fall - ins Kristall!« - Die gellende, krächzende Stimme des Weibes hatte etwas
Entsetzliches,
sodass die Spaziergänger verwundert stillstanden und das Lachen, das sich erst verbreitet, mit einem Mal verstummte. -
Der Student Anselmus (niemand anders war der junge Mensch) fühlte sich, unerachtet er des Weibes sonderbare Worte
durchaus nicht verstand, von einem unwillkürlichen Grausen ergriffen, und er beflügelte noch mehr seine Schritte, um sich
den auf ihn gerichteten Blicken der neugierigen Menge zu entziehen. Wie er sich nun durch das Gewühl geputzter Menschen
durcharbeitete, hörte er überall murmeln: »Der arme junge Mann - Ei! - über das verdammte Weib!« -
Auf ganz sonderbare
Weise hatten die geheimnisvollen Worte der Alten dem lächerlichen Abenteuer eine gewisse tragische Wendung gegeben,
sodass man dem vorhin ganz Unbemerkten jetzt teilnehmend nachsah. Die Frauenzimmer verziehen dem wohlgebildeten
Gesichte, dessen Ausdruck die Glut des innern Grimms noch erhöhte, sowie dem kräftigen Wuchse des Jünglings alles
Ungeschick sowie den ganz aus dem Gebiete aller Mode liegenden Anzug.
Sein hechtgrauer Frack war nämlich
so zugeschnitten,
als habe der Schneider, der ihn gearbeitet, die moderne Form nur von Hörensagen gekannt, und das schwarzatlasne,
wohl geschonte Unterkleid gab dem Ganzen einen gewissen magistermäßigen Stil, dem sich nun wieder Gang und Stellung
durchaus
nicht fügen wollten. - Als der Student schon beinahe das Ende der Allee erreicht, die nach dem Linke'schen Bade führt,
wollte
ihm beinahe der Atem ausgehen. Er war genötigt, langsamer zu wandeln; aber kaum wagte er den Blick in die Höhe zu richten,
denn noch immer sah er die Äpfel und Kuchen um sich tanzen, und jeder freundliche Blick dieses oder jenes Mädchens war ihm
nur der Reflex des schadenfrohen Gelächters am Schwarzen Tor.
So war er bis an den Eingang des
Linke'schen Bades gekommen;
eine Reihe festlich gekleideter Menschen nach der andern zog herein. Musik von Blasinstrumenten ertönte von innen, und immer
lauter und lauter wurde das Gewühl der lustigen Gäste. Die Tränen wären dem armen Studenten Anselmus
beinahe in die Augen
getreten, denn auch er hatte, da der Himmelfahrtstag immer ein besonderes Familienfest für ihn gewesen, an
der Glückseligkeit
des Linke'schen Paradieses teilnehmen,
ja er hatte es bis zu einer halben Portion Kaffee mit Rum und
einer Bouteille Doppelbier
treiben wollen und, um so recht schlampampen zu können, mehr Geld eingesteckt, als eigentlich erlaubt und tunlich war.
Und
nun hatte ihn der fatale Tritt in den Äpfelkorb um alles gebracht, was er bei sich getragen.
An Kaffee, an Doppelbier, an Musik,
an den Anblick der geputzten Mädchen - kurz, an alle geträumten Genüsse war nicht zu denken; er schlich langsam vorbei
und schlug endlich den Weg an der Elbe ein, der gerade ganz einsam war. Unter einem Holunderbaume, der aus der Mauer
hervorgesprossen, fand er ein freundliches Rasenplätzchen;
da setzte er sich hin und stopfte eine
Pfeife von dem Sanitätsknaster,
den ihm sein Freund, der Konrektor Paulmann, geschenkt. - Dicht vor ihm plätscherten und rauschten die goldgelben Wellen des
schönen Elbstroms, hinter demselben streckte das herrliche Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den
duftigen Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch grünenden Wälder, und aus tiefer
Dämmerung gaben die zackichten Gebirge Kunde vom fernen Böhmerlande. Aber finster vor sich hinblickend, blies
der Student Anselmus die Dampfwolken in die Luft, und sein Unmut wurde endlich laut, indem er sprach: »Wahr
ist es doch, ich bin zu allem möglichen Kreuz und Elend geboren! -
Dass ich niemals Bohnenkönig
geworden, dass
ich im Paar oder Unpaar immer falsch geraten, dass mein Butterbrot immer auf die fette Seite gefallen, von allem
diesen Jammer will ich gar nicht reden; aber ist es nicht ein schreckliches Verhängnis, dass ich, als ich denn
doch nun dem Satan zum Trotz Student geworden war, ein Kümmeltürke sein und bleiben musste? - Ziehe
ich wohl je einen neuen Rock an, ohne gleich das erste Mal einen Talgfleck hineinzubringen oder mir an einem
übel eingeschlagenen Nagel ein verwünschtes Loch hineinzureißen? Grüße ich wohl je einen
Herrn Hofrat oder
eine Dame, ohne den Hut weit von mir zu schleudern oder gar auf dem glatten Boden auszugleiten und
schändlich umzustülpen? Hatte ich nicht schon in Halle jeden Markttag eine bestimmte Ausgabe
von drei
bis vier Groschen für zertretene Töpfe, weil mir der Teufel in den Kopf setzt, meinen Gang geradeaus zu
nehmen wie die Laminge? Bin ich denn ein einziges Mal ins Kollegium oder wo man mich sonst hinbeschieden zu
rechter Zeit gekommen? Was half es, dass ich eine halbe Stunde vorher ausging und mich vor die Tür hinstellte,
den Drücker in der Hand, denn sowie ich mit dem Glockenschlage aufdrücken wollte, goss mir der Satan ein
Waschbecken über den Kopf oder ließ mich mit einem Heraustretenden zusammenrennen, dass ich in tausend
Händel verwickelt wurde und darüber alles versäumte. - Ach! ach! wo seid ihr hin, ihr seligen Träume
künftigen
Glücks, wie ich stolz wähnte, ich könne es wohl hier noch bis zum Geheimen Sekretär bringen! Aber hat mir mein
Unstern nicht die besten Gönner verfeindet? Ich weiß, dass der Geheime Rat, an den ich empfohlen bin, verschnittenes
Haar nicht leiden mag; mit Mühe befestigt der Friseur einen kleinen Zopf an meinem Hinterhaupt, aber bei der ersten
Verbeugung springt die unglückselige Schnur, und ein munterer Mops, der mich umschnüffelt, apportiert im Jubel
das Zöpfchen dem Geheimen Rate. Ich springe erschrocken nach und stürze über den Tisch, an dem er
frühstückend gearbeitet hat, sodass Tassen, Teller, Tintenfass - Sandbüchse klirrend herabstürzen und
der Strom von Schokolade und Tinte sich über die eben geschriebene Relation ergießt. 'Herr, sind Sie
des Teufels!', brüllt der erzürnte Geheime Rat und schiebt mich zur Tür hinaus. - Was hilft es, dass mir der
Konrektor Paulmann Hoffnung zu einem Schreiberdienste gemacht hat, wird es denn mein Unstern zulassen,
der mich überall verfolgt! - Nur noch heute! - Ich wollte den lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit
feiern, ich wollte ordentlich was daraufgehen lassen. Ich hätte ebensogut wie jeder andere Gast in Linkes
Bade stolz rufen können:
'Markör - eine Flasche Doppelbier - aber vom besten bitte ich!' -
Ich hätte bis
spät abends sitzen können und noch dazu ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich geputzter
schöner Mädchen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen, ich wäre ein ganz anderer Mensch
geworden; ja, ich hätte es so weit gebracht, dass wenn diese oder jene gefragt: 'Wie spät mag es wohl
jetzt sein' oder: 'Was ist denn das, was sie spielen', da wäre ich mit leichtem Anstande aufgesprungen,
ohne mein Glas umzuwerfen oder über die Bank zu stolpern; mich in gebeugter Stellung anderthalb Schritte
vorwärtsbewegend, hätte ich gesagt:
'Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen zu dienen, es ist die
Ouvertüre aus
dem Donauweibchen', oder: 'Es wird gleich sechs Uhr schlagen.' - Hätte mir das ein Mensch in der Welt übel
deuten können? - Nein! sage ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft lächelnd angesehen, wie es wohl
zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige zu zeigen, dass ich mich auch wohl auf den leichten Weltton
verstehe und mit Damen umzugehen weiß. Aber da führt mich der Satan in den verwünschten Äpfelkorb,
und nun muss ich in der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster -« Hier wurde der Student Anselmus in seinem
Selbstgespräche durch ein sonderbares Rieseln und Rascheln unterbrochen, das sich dicht neben ihm
im Grase erhob, bald aber in die Zweige und Blätter des Holunderbaums hinaufglitt, der sich über
seinem Haupte wölbte. Bald war es, als schüttle der Abendwind die Blätter, bald, als kos'ten
Vögelein in den Zweigen, die kleinen Fittiche im mutwilligen Hin- und Herflattern rührend. - Da fing
es an zu flüstern und zu lispeln, und es war, als ertönten die Blüten wie aufgehangene
Kristallglöckchen. Anselmus horchte und horchte. Da wurde, er wusste selbst nicht wie, das
Gelispel und Geflüster und Geklingel zu leisen, halb verwehten Worten: