
In dieser Vigilie gibt es eine Reihe von Beispielen für das, was
man 'romantische Ironie' nennt. Gemeint sind damit Formen und Wendungen, mit denen das Erzählen selbst
demonstriert, d.h. gleichsam in seiner Handwerklichkeit vorgeführt wird. Das geschieht so, dass die erzählerischen Mitteln
übertrieben deutlich oder auch unrichtig verwendet werden oder dass der Erzähler überhaupt aus der Rolle fällt.
Wie ... der Student Anselmus niemandem begegnete.
Dies ist die unwichtigste Information, die zu diesem Kapitel vorab gegeben werden kann, d.h. sie karikiert die Ankündigungsform selbst.
Wohl darf ich geradezu dich selbst, günstiger Leser, fragen, ob du in deinem Leben nicht Stunden, ja Tage und Wochen
hattest ...
Die Leser-Anrede, die in nahezu allen Hoffmann'schen Erzählungen vorkommt, gehört eigentlich der Romantradition
des 18. Jahrhunderts an. Sie dient dort in der Regel dazu, die erzählte Geschichte glaubhafter zu machen. Bei außergewöhnlichen
Vorkommnissen gibt sich auch der Erzähler über das Verhalten seines 'Helden' überrascht, erstaunt, bewundernd
und stellt sich damit dem 'lieben Leser' an die Seite, der wahrscheinlich genauso empfindet. Hoffmann übertreibt mit dem
'günstigen' Leser schon die Anredeform (anderswo gebraucht er auch 'geneigter', 'gütiger', 'geehrter' oder 'vielgeliebter' Leser),
nimmt aber auch den Zweck einer solchen Verständigung nicht ernst. Dass auch der Leser mit seinem Leben schon
einmal nicht zufrieden war, bedarf einer solchen Rückversicherung natürlich nicht, es ist die reine Selbstverständlichkeit.
... dass mir bange ist, du werdest am Ende weder an den Studenten Anselmus, noch an den Archivarius Lindhorst glauben,
ja wohl gar einige ungerechte Zweifel gegen den Konrektor Paulmann und den Registrator Heerbrand hegen, unerachtet wenigstens
die letztgenannten achtbaren Männer noch jetzt in Dresden umherwandeln.
Mit dieser halb eingeräumten, halb aber auch wieder bestrittenen Möglichkeit, dass die ganze Geschichte erfunden sein
könnte, imitiert und ironisiert Hoffmann die Wahrheitsbeteuerungen der Erzählliteratur des 18. Jahrhunderts, denn natürlich
hat niemand je angenommen, dass es sich hier um wahre Begebenheiten handeln könnte.