(Aus einer alten Chronik)
[Erster Teil: Wie Michael Kohlhaas Unrecht getan wurde]
An den Ufern der Havel lebte um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ein Rosshändler namens Michael Kohlhaas,
Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. - Dieser
außerordentliche Mann würde bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers
haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem
er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er in der Furcht Gottes zur
Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit oder seiner
Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer
Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.
Er ritt einst mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt alle und glänzend, ins Ausland und überschlug eben,
wie er den Gewinst, den er auf den Märkten damit zu machen hoffte, anlegen wolle - teils nach Art guter Wirte auf neuen
Gewinst, teils aber auch auf den Genuss der Gegenwart -, als er an die Elbe kam und bei einer stattlichen Ritterburg auf
sächsischem Gebiete einen Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem Wege nicht gefunden hatte. Er hielt in einem Augenblick,
da eben der Regen heftig stürmte, mit den Pferden still und rief den Schlagwärter, der auch bald darauf mit einem
grämlichen Gesicht aus dem Fenster sah. Der Rosshändler sagte, dass er ihm öffnen solle. »Was gibt's
hier Neues?«, fragte er, da der Zöllner nach einer geraumen Zeit aus dem Hause trat. »Landesherrliches
Privilegium«, antwortete dieser, indem er aufschloss, »dem Junker Wenzel von Tronka verliehen.« -
»So«, sagte Kohlhaas, »Wenzel heißt der Junker«, und sah sich das Schloss an, das mit
glänzenden Zinnen über das Feld blickte. »Ist der alte Herr tot?« - »Am Schlagfluss
gestorben«, erwiderte der Zöllner, indem er den Baum in die Höhe ließ. - »Hm! Schade!«,
versetzte Kohlhaas. »Ein würdiger alter Herr, der seine Freude am Verkehr der Menschen hatte, Handel und
Wandel, wo er nur vermochte, forthalf und einen Steindamm einst bauen ließ, weil mir eine Stute draußen,
wo der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. Nun! Was bin ich schuldig?«, fragte er und holte die Groschen,
die der Zollwärter verlangte, mühselig unter dem im Winde flatternden Mantel hervor. »Ja, Alter«,
setzte er noch hinzu, da dieser: »Hurtig! Hurtig!«, murmelte und über die Witterung fluchte, »wenn
der Baum im Walde stehen geblieben wäre, wär's besser gewesen, für mich und Euch«, und damit gab er
ihm das Geld und wollte reiten.
Er war aber noch kaum unter den Schlagbaum gekommen, als eine neue Stimme schon:
»Halt dort, der Rosskamm!«, hinter ihm vom Turm erscholl und er den Burgvogt ein Fenster zuwerfen und zu
ihm herabeilen sah. »Nun, was gibt's Neues?«, fragte Kohlhaas bei sich selbst und hielt mit den Pferden an.
Der Burgvogt, indem er sich noch eine Weste über seinen weitläufigen Leib zuknüpfte, kam und fragte,
schief gegen die Witterung gestellt, nach dem Passschein. - Kohlhaas fragte: »Der Passschein?« Er sagte
ein wenig betreten, dass er, soviel er wisse, keinen habe; dass man ihm aber nur beschreiben möchte, was dies
für ein Ding des Herrn sei, so werde er vielleicht zufälligerweise damit versehen sein. Der Schlossvogt,
indem er ihn von der Seite ansah, versetzte, dass ohne einen landesherrlichen Erlaubnisschein kein Rosskamm mit Pferden
über die Grenze gelassen würde. Der Rosskamm versicherte, dass er siebzehn Mal in seinem Leben ohne einen solchen
Schein über die Grenze gezogen sei; dass er alle landesherrlichen Verfügungen, die sein Gewerbe angingen, genau
kennte; dass dies wohl nur ein Irrtum sein würde, wegen dessen er sich zu bedenken bitte, und dass man ihn, da seine
Tagereise lang sei, nicht länger unnützerweise hier aufhalten möge. Doch der Vogt erwiderte, dass er das
achtzehnte Mal nicht durchschlüpfen würde, dass die Verordnung deshalb erst neuerlich erschienen wäre und
dass er entweder den Passschein noch hier lösen oder zurückkehren müsse, wo er hergekommen sei. Der
Rosshändler, den diese ungesetzlichen Erpressungen zu erbittern anfingen, stieg, nach einer kurzen Besinnung
vom Pferde, gab es einem Knecht, und sagte, dass er den Junker von Tronka selbst darüber sprechen würde.
Er ging auch auf die Burg; der Vogt folgte ihm, indem er von filzigen Geldraffern und nützlichen Aderlässen
derselben murmelte; und beide traten, mit ihren Blicken einander messend, in den Saal.
Es traf sich, dass der Junker
eben mit einigen muntern Freunden beim Becher saß und um eines Schwanks willen ein unendliches Gelächter
unter ihnen erscholl, als Kohlhaas, um seine Beschwerde anzubringen, sich ihm näherte. Der Junker fragte, was er
wolle; die Ritter, als sie den fremden Mann erblickten, wurden still; doch kaum hatte dieser sein Gesuch, die Pferde
betreffend, angefangen, als der ganze Tross schon: »Pferde? Wo sind sie?«, ausrief und an die Fenster eilte,
um sie zu betrachten. Sie flogen, da sie die glänzende Koppel sahen, auf den Vorschlag des Junkers in den Hof hinab;
der Regen hatte aufgehört; Schlossvogt und Verwalter und Knechte versammelten sich um sie, und alle musterten die
Tiere. Der eine lobte den Schweißfuchs mit der Blesse, dem andern gefiel der Kastanienbraune, der dritte streichelte
den Schecken mit schwarzgelben Flecken; und alle meinten, dass die Pferde wie Hirsche wären, und im Lande keine
bessern gezogen würden. Kohlhaas erwiderte munter, dass die Pferde nicht besser wären als die Ritter, die sie
reiten sollten, und forderte sie auf zu kaufen. Der Junker, den der mächtige Schweißhengst sehr reizte,
befragte ihn auch um den Preis; der Verwalter lag ihm an, ein Paar Rappen zu kaufen, die er wegen Pferdemangels in
der Wirtschaft gebrauchen zu können glaubte; doch als der Rosskamm sich erklärt hatte, fanden die Ritter
ihn zu teuer, und der Junker sagte, dass er nach der Tafelrunde reiten und sich den König Arthur aufsuchen
müsse, wenn er die Pferde so anschlage. Kohlhaas, der den Schlossvogt und den Verwalter, indem sie sprechende
Blicke auf die Rappen warfen, miteinander flüstern sah, ließ es aus einer dunkeln Vorahndung an nichts
fehlen, die Pferde an sie loszuwerden. Er sagte zum Junker: »Herr, die Rappen habe ich vor sechs Monaten
für 25 Goldgülden gekauft; gebt mir 30, so sollt Ihr sie haben.« Zwei Ritter, die neben dem Junker
standen, äußerten nicht undeutlich, dass die Pferde wohl so viel wert wären; doch der Junker meinte,
dass er für den Schweißfuchs wohl, aber nicht eben für die Rappen Geld ausgeben möchte und machte
Anstalten aufzubrechen; worauf Kohlhaas sagte, er würde vielleicht das nächste Mal, wenn er wieder mit seinen
Gälen durchzöge, einen Handel mit ihm machen sich dem Junker empfahl und die Zügel seines Pferdes ergriff,
um abzureisen.
In diesem Augenblick trat der Schlossvogt aus dem Haufen vor und sagte, er höre, dass er ohne
einen Passschein nicht reisen dürfe. Kohlhaas wandte sich und fragte den Junker, ob es denn mit diesem Umstand,
der sein ganzes Gewerbe zerstöre, in der Tat seine Richtigkeit habe? Der Junker antwortete mit einem verlegnen
Gesicht, indem er abging: »Ja, Kohlhaas, den Pass musst du lösen. Sprich mit dem Schlossvogt und zieh
deiner Wege.« Kohlhaas versicherte ihn, dass es gar nicht seine Absicht sei, die Verordnungen, die wegen
Ausführung der Pferde bestehen möchten, zu umgehen, versprach bei seinem Durchzug durch Dresden den
Pass in der Geheimschreiberei zu lösen und bat, ihn nur diesmal, da er von dieser Forderung durchaus nichts
gewusst, ziehen zu lassen. »Nun!«, sprach der Junker, da eben das Wetter wieder zu stürmen anfing und seine
dürren Glieder durchsauste, »lasst den Schlucker laufen. Kommt!«, sagte er zu den Rittern,
kehrte sich um und wollte nach dem Schlosse gehen. Der Schlossvogt sagte, zum Junker gewandt, dass er wenigstens
ein Pfand zur Sicherheit, dass er den Schein lösen würde, zurücklassen müsse. Der Junker blieb
wieder unter dem Schlosstor stehen. Kohlhaas fragte, welchen Wert er denn an Geld oder an Sachen zum Pfande wegen
der Rappen zurücklassen solle? Der Verwalter meinte, in den Bart murmelnd, er könne ja die Rappen selbst
zurücklassen. »Allerdings«, sagte der Schlossvogt, »das ist das Zweckmäßigste; ist
der Pass gelöst, so kann er sie zu jeder Zeit wieder abholen.« Kohlhaas, über eine so unverschämte
Forderung betreten, sagte dem Junker, der sich die Wamsschöße frierend vor den Leib hielt, dass er die
Rappen ja verkaufen wolle; doch dieser, da in demselben Augenblick ein Windstoß eine ganze Last von Regen und
Hagel durchs Tor jagte, rief, um der Sache ein Ende zu machen: »Wenn er die Pferde nicht loslassen will, so
schmeißt ihn wieder über den Schlagbaum zurück«, und ging ab. Der Rosskamm, der wohl sah,
dass er hier der Gewalttätigkeit weichen musste, entschloss sich, die Forderung, weil doch nichts anders
übrig blieb, zu erfüllen, spannte die Rappen aus und führte sie in einen Stall, den ihm der
Schlossvogt anwies. Er ließ einen Knecht bei ihnen zurück, versah ihn mit Geld, ermahnte ihn, die
Pferde bis zu seiner Zurückkunft wohl in Acht zu nehmen, und setzte seine Reise mit dem Rest der Koppel
halb und halb ungewiss, ob nicht doch wohl wegen aufkeimender Pferdezucht ein solches Gebot im Sächsischen
erschienen sein könne, nach Leipzig, wo er auf die Messe wollte, fort.
In Dresden, wo er in einer der Vorstädte der Stadt ein
Haus mit einigen Ställen besaß, weil er von
hier aus seinen Handel auf den kleineren Märkten des Landes zu bestreiten pflegte, begab er sich gleich nach
seiner Ankunft auf die Geheimschreiberei, wo er von den Räten, deren er einige kannte, erfuhr, was ihm allerdings
sein erster Glaube schon gesagt hatte, dass die Geschichte von dem Passschein ein Märchen sei. Kohlhaas, dem die
missvergnügten Räte auf sein Ansuchen einen schriftlichen Schein über den Ungrund derselben gaben,
lächelte über den Witz des dürren Junkers, obschon er noch nicht recht einsah, was er damit bezwecken
mochte; und die Koppel der Pferde, die er bei sich führte, einige Wochen darauf zu seiner Zufriedenheit verkauft,
kehrte er, ohne irgend weiter ein bitteres Gefühl als das der allgemeinen Not der Welt, zur Tronkenburg zurück.
Der Schlossvogt, dem er den Schein zeigte, ließ sich nicht weiter darüber aus und sagte auf die Frage des
Rosskamms, ob er die Pferde jetzt wieder bekommen könne, er möchte nur hinuntergehen und sie holen.
Kohlhaas hatte aber schon, da er über den Hof ging, den unangenehmen Auftritt zu erfahren, dass sein Knecht
ungebührlichen Betragens halber, wie es hieß, wenige Tage nach dessen Zurücklassung in der Tronkenburg
zerprügelt und weggejagt worden sei. Er fragte den Jungen, der ihm diese Nachricht gab, was denn derselbe getan
und wer währenddessen die Pferde besorgt hätte, worauf dieser aber erwiderte, er wisse es nicht, und darauf
dem Rosskamm, dem das Herz schon von Ahnungen schwoll, den Stall, in welchem sie standen, öffnete. Wie groß
war aber sein Erstaunen, als er statt seiner zwei glatten und wohlgenährten Rappen ein Paar dürre,
abgehärmte Mähren erblickte, Knochen, denen man wie Riegeln hätte Sachen aufhängen können,
Mähnen und Haare ohne Wartung und Pflege zusammengeknetet: das wahre Bild des Elends im Tierreiche! Kohlhaas,
den die Pferde mit einer schwachen Bewegung anwieherten, war auf das Äußerste entrüstet und fragte,
was seinen Gäulen widerfahren wäre. Der Junge, der bei ihm stand, antwortete, dass ihnen weiter kein Unglück
zugestoßen wäre, dass sie auch das gehörige Futter bekommen hätten, dass sie aber, da gerade
Ernte gewesen sei, wegen Mangels an Zugvieh ein wenig auf den Feldern gebraucht worden wären. Kohlhaas fluchte
über diese schändliche und abgekartete Gewalttätigkeit, verbiss jedoch im Gefühl seiner Ohnmacht
seinen Ingrimm und machte schon, da doch nichts anders übrig blieb, Anstalten, das Raubnest mit den Pferden nur
wieder zu verlassen, als der Schlossvogt, von dem Wortwechsel herbeigerufen, erschien und fragte, was es hier gäbe.
»Was es gibt?«, antwortete Kohlhaas. »Wer hat dem Junker von Tronka und dessen Leuten die Erlaubnis gegeben,
sich meiner bei ihm zurückgelassenen Rappen zur Feldarbeit zu bedienen?« Er setzte hinzu, ob das wohl menschlich
wäre, versuchte die erschöpften Gäule durch einen Gertenstreich zu erregen und zeigte ihm, dass sie sich
nicht rührten. Der Schlossvogt, nachdem er ihn eine Weile trotzig angesehen hatte, versetzte: »Seht den Grobian! Ob der
Flegel nicht Gott danken sollte, dass die Mähren überhaupt noch leben?« Er fragte, wer sie, da der Knecht
weggelaufen, hätte pflegen sollen? Ob es nicht billig gewesen wäre, dass die Pferde das Futter, das man ihnen
gereicht habe, auf den Feldern abverdient hätten? Er schloss, dass er hier keine Flausen machen möchte oder
dass er die Hunde rufen und sich durch sie Ruhe im Hofe zu verschaffen wissen würde. -
Dem Rosshändler schlug
das Herz gegen den Wams. Es drängte ihn, den nichtswürdigen Dickwanst in den Kot zu werfen und den Fuß
auf sein kupfernes Antlitz zu setzen. Doch sein Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich, wankte noch; er war vor der
Schranke seiner eigenen Brust noch nicht gewiss, ob eine Schuld seinen Gegner drücke; und während er, die
Schimpfreden niederschluckend, zu den Pferden trat und ihnen in stiller Erwägung der Umstände die Mähnen
zurechtlegte, fragte er mit gesenkter Stimme, um welchen Versehens halber der Knecht denn aus der Burg entfernt worden
sei. Der Schlossvogt erwiderte: »Weil der Schlingel trotzig im Hofe gewesen ist! Weil er sich gegen einen notwendigen
Stallwechsel gesträubt und verlangt hat, dass die Pferde zweier Jungherren, die auf die Tronkenburg kamen, um seiner
Mähren willen auf der freien Straße übernachten sollten!« - Kohlhaas hätte den Wert der Pferde
darum gegeben, wenn er den Knecht zur Hand gehabt und dessen Aussage mit der Aussage dieses dickmäuligen Burgvogts
hätte vergleichen können. Er stand noch und streifte den Rappen die Zoddeln aus und sann, was in seiner Lage
zu tun sei, als sich die Szene plötzlich änderte und der Junker Wenzel von Tronka mit einem Schwarm von
Rittern, Knechten und Hunden,
von der Hasenhetze kommend, in den Schlossplatz sprengte. Der Schlossvogt, als er fragte, was vorgefallen sei, nahm
sogleich das Wort, und während die Hunde beim Anblick des Fremden von der einen Seite ein Mordgeheul gegen ihn
anstimmten und die Ritter ihnen von der andern zu schweigen geboten, zeigte er ihm unter der gehässigsten
Entstellung der Sache an, was dieser Rosskamm, weil seine Rappen ein wenig gebraucht worden wären, für
eine Rebellion verführe. Er sagte mit Hohngelächter, dass er sich weigere, die Pferde als die seinigen
anzuerkennen. Kohlhaas rief: »Das sind nicht meine Pferde, gestrenger Herr! Das sind die Pferde nicht, die
dreißig Goldgülden wert waren! Ich will meine wohlgenährten und gesunden Pferde wiederhaben!« -
Der Junker, indem ihm eine flüchtige Blässe ins Gesicht trat, stieg vom Pferde und sagte: »Wenn der
H... A... die Pferde nicht wiedernehmen will, so mag er es bleiben lassen. Komm, Günther!«, rief er -
»Hans! Kommt!«, indem er sich den Staub mit der Hand von den Beinkleidern schüttelte; und
»Schafft Wein!«, rief er noch, da er mit den Rittern unter der Tür war, und ging ins Haus.
Kohlhaas sagte, dass er eher den Abdecker rufen und die Pferde auf den Schindanger schmeißen lassen,
als sie so, wie sie wären, in seinen Stall zu Kohlhaasenbrück führen wolle. Er ließ die Gäule,
ohne sich um sie zu bekümmern, auf dem Platz stehen, schwang sich, indem er versicherte, dass er sich Recht
zu verschaffen wissen würde, auf seinen Braunen und ritt davon.
Spornstreichs auf dem Wege nach Dresden war er schon, als er bei dem
Gedanken an den Knecht und an die Klage, die man
auf der Burg gegen ihn führte, schrittweis zu reiten anfing, sein Pferd, ehe er noch tausend Schritt gemacht hatte,
wieder wandte und zur vorgängigen Vernehmung des Knechts, wie es ihm klug und gerecht schien, nach Kohlhaasenbrück
einbog. Denn ein richtiges, mit der gebrechlichen Einrichtung der Welt schon bekanntes Gefühl machte ihn trotz der
erlittenen Beleidigungen geneigt, falls nur wirklich dem Knecht, wie der Schlossvogt behauptete, eine Art von Schuld
beizumessen sei, den Verlust der Pferde als eine gerechte Folge davon zu verschmerzen. Dagegen sagte ihm ein ebenso
vortreffliches Gefühl, und dies Gefühl fasste tiefere und tiefere Wurzeln in dem Maße, als er weiterritt,
und überall, wo er einkehrte, von den Ungerechtigkeiten hörte, die täglich auf der Tronkenburg gegen die
Reisenden verübt wurden, dass wenn der ganze Vorfall, wie es allen Anschein habe, bloß abgekartet sein
sollte, er mit seinen Kräften der Welt in der Pflicht verfallen sei, sich Genugtuung für die erlittene
Kränkung und Sicherheit für zukünftige seinen Mitbürgern zu verschaffen.
Sobald er bei seiner Ankunft in Kohlhaasenbrück Lisbeth, sein
treues Weib, umarmt und seine Kinder, die um seine
Knie frohlockten, geküsst hatte, fragte er gleich nach Herse, dem Großknecht, und ob man nichts von ihm
gehört habe? Lisbeth sagte: »Ja liebster Michael, dieser Herse! Denke dir, dass dieser unselige Mensch vor
etwa vierzehn Tagen auf das Jämmerlichste zerschlagen hier eintrifft; nein, so zerschlagen, dass er auch nicht
frei atmen kann. Wir bringen ihn zu Bett, wo er heftig Blut speit, und vernehmen auf unsre wiederholten Fragen eine
Geschichte, die keiner versteht. Wie er von dir mit Pferden, denen man den Durchgang nicht verstattet, auf der
Tronkenburg zurückgelassen worden sei, wie man ihn durch die schändlichsten Misshandlungen gezwungen habe,
die Burg zu verlassen, und wie es ihm unmöglich gewesen wäre, die Pferde mitzunehmen. »So?«,
sagte Kohlhaas, indem er den Mantel ablegte. »Ist er denn schon wieder hergestellt?« - »Bis auf
das Blutspeien«, antwortete sie, »halb und halb. Ich wollte sogleich einen Knecht nach der Tronkenburg
schicken, um die Pflege der Rosse bis zu deiner Ankunft daselbst besorgen zu lassen. Denn da sich der Herse immer
wahrhaftig gezeigt hat und so getreu uns in der Tat wie kein anderer, so kam es mir nicht zu, in seine Aussage, von
so viel Merkmalen unterstützt, einen Zweifel zu setzen und etwa zu glauben, dass er der Pferde auf eine andere
Art verlustig gegangen wäre. Doch er beschwört mich, niemandem zuzumuten, sich in diesem Raubneste zu
zeigen, und die Tiere aufzugeben, wenn ich keinen Menschen dafür aufopfern wolle.« - »Liegt er denn
noch im Bette?«, fragte Kohlhaas, indem er sich von der Halsbinde befreite. - »Er geht«, erwiderte
sie, »seit einigen Tagen schon wieder im Hofe umher. Kurz, du wirst sehen«, fuhr sie fort, »dass
alles seine Richtigkeit hat und dass diese Begebenheit einer von den Freveln ist, die man sich seit Kurzem auf der
Tronkenburg gegen die Fremden erlaubt.« - »Das muss ich doch erst untersuchen«, erwiderte Kohlhaas.
»Ruf ihn mir, Lisbeth, wenn er auf ist, doch her!« Mit diesen Worten setzte er sich in den Lehnstuhl,
und die Hausfrau, die sich über seine Gelassenheit sehr freute, ging und holte den Knecht.

»
Was hast du in der Tronkenburg gemacht?«, fragte Kohlhaas,
da Lisbeth mit ihm in das Zimmer trat.
»Ich bin nicht eben wohl mit dir zufrieden.« - Der Knecht, auf dessen blassem Gesicht sich bei diesen Worten
eine Röte fleckig zeigte, schwieg eine Weile und: »Da habt Ihr recht, Herr!«, antwortete er, »denn
einen Schwefelfaden, den ich durch Gottes Fügung bei mir trug, um das Raubnest, aus dem ich verjagt worden war,
in Brand zu stecken, warf ich, als ich ein Kind darin jammern hörte, in das Elbwasser und dachte: 'Mag es
Gottes Blitz einäschern; ich will's nicht!'« - Kohlhaas sagte betroffen: »Wodurch aber hast du dir die
Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen?« Drauf Herse: »Durch einen schlechten Streich, Herr«, und
trocknete sich den Schweiß von der Stirn, »Geschehenes ist aber nicht zu ändern. Ich wollte die
Pferde nicht auf der Feldarbeit zugrunde richten lassen und sagte, dass sie noch jung wären und nicht gezogen
hätten.« - Kohlhaas erwiderte, indem er seine Verwirrung zu verbergen suchte, dass er hierin nicht ganz
die Wahrheit gesagt, indem die Pferde schon zu Anfange des verflossenen Frühjahrs ein wenig im Geschirr gewesen
wären. Du hättest dich auf der Burg«, fuhr er fort, »wo du doch eine Art von Gast warest,
schon ein oder etliche Mal, wenn gerade wegen schleunigst Einführung der Ernte Not war, gefällig zeigen
können.« - »Das habe ich auch getan, Herr«, sprach Herse. »Ich dachte, da sie mir
grämliche Gesichter machten, es wird doch die Rappen just nicht kosten. Am dritten Vormittag spannt ich sie vor,
und drei Fuhren Getreide führt ich ein.« Kohlhaas, dem das Herz emporquoll, schlug die Augen zu Boden und
versetzte: »Davon hat man mir nichts gesagt, Herse!« - Herse versicherte ihn, dass es so sei.
»Meine Ungefälligkeit«, sprach er, »bestand darin, dass ich die Pferde, als sie zu Mittag
kaum ausgefressen hatten, nicht wieder ins Joch spannen wollte und dass ich dem Schlossvogt und dem Verwalter, als
sie mir vorschlugen, frei Futter dafür anzunehmen und das Geld, das Ihr mir für Futterkosten
zurückgelassen hattet, in den Sack zu stecken, antwortete - ich würde ihnen sonst was tun, mich umkehrte
und wegging.« - »Um dieser Ungefälligkeit aber«, sagte Kohlhaas, »bist du von der Tronkenburg
nicht weggejagt worden.« - »Behüte Gott«, rief der Knecht, »um eine gottvergessene Missetat!
Denn auf den Abend wurden die Pferde zweier Ritter, welche auf die Tronkenburg kamen, in den Stall geführt und meine
an die Stalltür angebunden. Und da ich dem Schlossvogt, der sie daselbst einquartierte, die Rappen aus der Hand nahm
und fragte, wo die Tiere jetzo bleiben sollten, so zeigte er mir einen Schweinekoben an, der von Latten und Brettern an
der Schlossmauer auferbaut war.« - »Du meinst«, unterbrach ihn Kohlhaas, »es war ein so
schlechtes Behältnis für Pferde, dass es einem Schweinekoben ähnlicher war als einem Stall.« -
»Es war ein Schweinekoben, Herr«, antwortete Herse, »wirklich und wahrhaftig ein Schweinekoben, in
welchem die Schweine aus- und einliefen und ich nicht aufrecht stehen konnte.« - »Vielleicht war sonst
kein Unterkommen für die Rappen aufzufinden«, versetzte Kohlhaas, »die Pferde der Ritter gingen
auf eine gewisse Art vor.« - »Der Platz«, erwiderte der Knecht, indem er die Stimme fallen
ließ, »war eng. Es hauseten jetzt in allem sieben Ritter auf der Burg. Wenn Ihr es gewesen wäret,
Ihr hättet die Pferde ein wenig zusammenrücken lassen. Ich sagte, ich wolle mir im Dorf einen Stall
zu mieten suchen, doch der Schlossvogt versetzte, dass er die Pferde unter seinen Augen behalten müsse
und dass ich mich nicht unterstehen solle, sie vom Hofe wegzuführen.« - »Hm!«, sagte
Kohlhaas. »Was gabst du darauf an?« - »Weil der Verwalter sprach, die beiden Gäste
würden bloß übernachten und am andern Morgen weiterreiten, so führte ich die Pferde in
den Schweinekoben hinein. Aber der folgende Tag verfloss, ohne dass es geschah, und als der dritte anbrach,
hieß es, die Herren würden noch einige Wochen auf der Burg verweilen.« - »Am Ende war's
nicht so schlimm, Herse, im Schweinekoben«, sagte Kohlhaas, »als es dir, da du zuerst die Nase
hineinstecktest, vorkam.« - »'s ist wahr«, erwiderte jener. »Da ich den Ort ein bissel ausfegte,
ging's an. Ich gab der Magd einen Groschen, dass sie die Schweine woanders einstecke. Und den Tag über bewerkstelligte
ich auch, dass die Pferde aufrecht stehen konnten, indem ich die Bretter oben, wenn der Morgen dämmerte, von den Latten
abnahm und abends wieder auflegte. Sie guckten nun wie Gänse aus dem Dach vor und sahen sich nach Kohlhaasenbrück
oder sonst, wo es besser ist, um.« - »Nun denn«, fragte Kohlhaas, »warum also in aller Welt jagte
man dich fort?« - »Herr, ich sag's Euch«, versetzte der Knecht, »weil man meiner los sein wollte.
Weil sie die Pferde, solange ich dabei war, nicht zugrunde richten konnten. Überall schnitten sie mir im Hofe und
in der Gesindestube widerwärtige Gesichter, und weil ich dachte, zieht ihr die Mäuler, dass sie verrenken,
so brachen sie die Gelegenheit vom Zaune und warfen mich vom Hofe herunter.« -
»Aber die Veranlassung!«,
rief Kohlhaas. »Sie werden doch irgendeine Veranlassung gehabt haben!« - »O allerdings«, antwortete
Herse, »und die allergerechteste. Ich nahm am Abend des zweiten Tages, den ich im Schweinekoben zugebracht, die
Pferde, die sich darin doch zugesudelt hatten, und wollte sie zur Schwemme reiten. Und da ich eben unter dem Schlosstore
bin und mich wenden will, hör ich den Vogt und den Verwalter mit Knechten, Hunden und Prügeln aus der
Gesindestube hinter mir herstürzen und 'Halt den Spitzbuben!', rufen, 'halt den Galgenstrick!', als ob sie
besessen wären. Der Torwächter tritt mir in den Weg, und da ich ihn und den rasenden Haufen, der auf mich
anläuft, frage: 'Was auch gibt's?' - 'Was es gibt?', antwortete der Schlossvogt und greift meinen beiden Rappen in
den Zügel. 'Wo will Er hin mit den Pferden?', fragt er und packt mich an die Brust. Ich sage, wo ich hin will?
'Himmeldonner! Zur Schwemme will ich reiten. Denkt Er, dass ich -?' - 'Zur Schwemme?', ruft der Schlossvogt. 'Ich will
dich, Gauner, auf der Heerstraße nach Kohlhaasenbrück schwimmen lehren!', und schmeißt mich mit einem
hämischen Mordzug, er und der Verwalter, der mir das Bein gefasst hat, vom Pferd herunter, dass ich mich, lang
wie ich bin, in den Kot messe. 'Mord! Hagel!', ruf ich, 'Sielzeug und Decken liegen und ein Bündel Wäsche von
mir im Stall', doch er und die Knechte, indessen der Verwalter die Pferde wegführt, mit Füßen und
Peitschen und Prügeln über mich her, dass ich halbtot hinter dem Schlosstor niedersinke. Und da ich sage:
'Die Raubhunde! Wo führen sie mir die Pferde hin?', und mich erhebe: 'Heraus aus dem Schlosshof!', schreit der
Vogt und 'Hetz, Kaiser! Hetz, Jäger!', erschallt es und 'Hetz, Spitz!', und eine Koppel von mehr denn zwölf
Hunden fällt über mich her. Drauf brech ich, war es eine Latte, ich weiß nicht was vom Zaune, und drei
Hunde tot streck ich neben mir nieder; doch da ich, von jämmerlichen Zerfleischungen gequält, weichen muss:
'Flüt!', gellt eine Pfeife, die Hunde in den Hof, die Torflügel zusammen, der Riegel vor, und auf der Straße
ohnmächtig sink ich nieder.« -
Kohlhaas sagte, bleich im Gesicht, mit erzwungener Schelmerei: »Hast du
auch nicht entweichen wollen, Herse?« Und da dieser mit dunkler Röte vor sich niedersah: »Gesteh
mir's«, sagte er, »es gefiel dir im Schweinekoben nicht; du dachtest, im Stall zu Kohlhaasenbrück
ist's doch besser.« - »Himmelschlag!«, rief Herse, »Sielzeug und Decken ließ ich ja
und einen Bündel Wäsche im Schweinekoben zurück. Würd ich drei Reichsgülden nicht zu mir
gesteckt haben, die ich im rotseidnen Halstuch hinter der Krippe versteckt hatte? Blitz, Höll und Teufel! Wenn
Ihr so sprecht, so möcht ich nur gleich den Schwefelfaden, den ich wegwarf, wieder anzünden!«
»Nun, nun!«, sagte der Rosshändler, »es war eben nicht böse gemeint! Was du gesagt hast,
schau, Wort für Wort ich glaub es dir; und das Abendmahl, wenn es zur Sprache kommt, will ich selbst nun darauf
nehmen. Es tut mir leid, dass es dir in meinen Diensten nicht besser ergangen ist; geh, Herse, geh zu Bett, lass dir
eine Flasche Wein geben und tröste dich, dir soll Gerechtigkeit widerfahren!« Und damit stand er auf,
fertigte ein Verzeichnis der Sachen an, die der Großknecht im Schweinekoben zurückgelassen, spezifizierte
den Wert derselben, fragte ihn auch, wie hoch er die Kurkosten anschlage, und ließ ihn, nachdem er ihm noch
einmal die Hand gereicht, abtreten.
Hierauf erzählte er Lisbeth, seiner Frau, den ganzen Verlauf
und inneren Zusammenhang der Geschichte, erklärte
ihr, wie er entschlossen sei, die öffentliche Gerechtigkeit für sich aufzufordern, und hatte die Freude zu sehen,
dass sie ihn in diesem Vorsatz aus voller Seele bestärkte. Denn sie sagte, dass noch mancher andre Reisende, vielleicht
minder duldsam als er, über jene Burg ziehen würde, dass es ein Werk Gottes wäre, Unordnungen gleich diesen
Einhalt zu tun, und dass sie die Kosten, die ihm die Führung des Prozesses verursachen würde, schon beitreiben
wolle. Kohlhaas nannte sie ein wackeres Weib, erfreute sich diesen und den folgenden Tag in ihrer und seiner Kinder Mitte
und brach, sobald es seine Geschäfte irgend zuließen, nach Dresden auf, um seine Klage vor Gericht zu bringen.
[Zweiter Teil: Wie Michael Kohlhaas auf dem Rechtsweg scheiterte]
Hier verfasste er mit Hülfe eines Rechtsgelehrten, den er kannte, eine Beschwerde, in
welcher er nach einer
umständlichen Schilderung des Frevels, den der Junker Wenzel von Tronka an ihm sowohl als an seinem Knecht Herse
verübt hatte, auf gesetzmäßige Bestrafung desselben, Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand
und auf Ersatz des Schadens antrug, den er sowohl als sein Knecht dadurch erlitten hatten. Die Rechtssache war in der
Tat klar. Der Umstand, dass die Pferde gesetzwidrigerweise festgehalten worden waren, warf ein entscheidendes Licht auf
alles Übrige; und selbst wenn man hätte annehmen wollen, dass die Pferde durch einen bloßen Zufall
erkrankt wären, so würde die Forderung des Rosskamms, sie ihm gesund wieder zuzustellen, noch gerecht
gewesen sein. Es fehlte Kohlhaas auch, während er sich in der Residenz umsah, keineswegs an Freunden, die
seine Sache lebhaft zu unterstützen versprachen; der ausgebreitete Handel, den er mit Pferden trieb, hatte
ihm die Bekanntschaft und die Redlichkeit, mit welcher er dabei zu Werke ging, ihm das Wohlwollen der bedeutendsten
Männer des Landes verschafft. Er speisete bei seinem Advokaten, der selbst ein ansehnlicher Mann war, mehrere
Mal heiter zu Tisch, legte eine Summe Geldes zur Bestreitung der Prozesskosten bei ihm nieder und kehrte nach Verlauf
einiger Wochen völlig von demselben über den Ausgang seiner Rechtssache beruhigt, zu Lisbeth, seinem Weibe, nach
Kohlhaasenbrück zurück. Gleichwohl vergingen Monate, und das Jahr war daran abzuschließen, bevor er von
Sachsen aus auch nur eine Erklärung über die Klage, die er daselbst anhängig gemacht hatte, geschweige
denn die Resolution selbst erhielt. Er fragte, nachdem er mehrere Male von Neuem bei dem Tribunal eingekommen war,
seinen Rechtsgehülfen in einem vertrauten Briefe, was eine so übergroße Verzögerung verursache,
und erfuhr, dass die Klage auf eine höhere Insinuation bei dem Dresdner Gerichtshofe gänzlich niedergeschlagen
worden sei. - Auf die befremdete Rückschrift des Rosskamms, worin dies seinen Grund habe, meldete ihm jener, dass
der Junker Wenzel von Tronka mit zwei Jungherren, Hinz und Kunz von Tronka, verwandt sei, deren einer bei der Person
des Herrn Mundschenk, der andre gar Kämmerer sei. - Er riet ihm noch, er möchte ohne weitere Bemühungen
bei der Rechtsinstanz seiner auf der Tronkenburg befindlichen Pferde wieder habhaft zu werden suchen, gab ihm zu
verstehen, dass der Junker, der sich jetzt in der Hauptstadt aufhalte, seine Leute angewiesen zu haben scheine, sie
ihm auszuliefern, und schloss mit dem Gesuch, ihn wenigstens, falls er sich hiermit nicht beruhigen wolle, mit
ferneren Aufträgen in dieser Sache zu verschonen.
Kohlhaas befand sich um diese Zeit gerade in Brandenburg, wo
der Stadthauptmann Heinrich von Geusau, unter dessen
Regierungsbezirk Kohlhaasenbrück gehörte, eben beschäftigt war, aus einem beträchtlichen Fonds, der
der Stadt zugefallen war, mehrere wohltätige Anstalten für Kranke und Arme einzurichten. Besonders war er
bemüht, einen mineralischen Quell, der auf einem Dorf in der Gegend sprang und von dessen Heilkräften man
sich mehr, als die Zukunft nachher bewährte, versprach, für den Gebrauch der Bresthaften einzurichten; und
da Kohlhaas ihm wegen manchen Verkehrs, in dem er zur Zeit seines Aufenthalts am Hofe mit demselben gestanden hatte,
bekannt war, so erlaubte er Hersen, dem Großknecht, dem ein Schmerz beim Atemholen über der Brust seit
jenem schlimmen Tage auf der Tronkenburg zurückgeblieben war, die Wirkung der kleinen mit Dach und Einfassung
versehenen Heilquelle zu versuchen. Es traf sich, dass der Stadthauptmann eben am Rande des Kessels, in welchen
Kohlhaas den Herse gelegt hatte, gegenwärtig war, um einige Anordnungen zu treffen, als jener durch einen Boten,
den ihm seine Frau nachschickte, den niederschlagenden Brief seines Rechtsgehülfen aus Dresden empfing. Der
Stadthauptmann, der, während er mit dem Arzte sprach, bemerkte, dass Kohlhaas eine Träne auf den Brief,
den er bekommen und eröffnet hatte, fallen ließ, näherte sich ihm auf eine freundliche und herzliche
Weise und fragte ihn, was für ein Unfall ihn betroffen; und da der Rosshändler ihm, ohne ihm zu antworten,
den Brief überreichte, so klopfte ihm dieser würdige Mann, dem die abscheuliche Ungerechtigkeit, die man
auf der Tronkenburg an ihm verübt hatte und an deren Folgen Herse eben vielleicht auf die Lebenszeit krank
danieder lag, bekannt war, auf die Schulter und sagte ihm, er solle nicht mutlos sein, er werde ihm zu seiner
Genugtuung verhelfen.
Am Abend, da sich der Rosskamm seinem Befehl gemäß zu ihm aufs Schloss begeben
hatte, sagte er ihm, dass er nur eine Supplik mit einer kurzen Darstellung des Vorfalls an den Kurfürsten von
Brandenburg aufsetzen, den Brief des Advokaten beilegen und wegen der Gewalttätigkeit, die man sich auf
sächsischem Gebiet gegen ihn erlaubt, den landesherrlichen Schutz aufrufen möchte. Er versprach ihm, die
Bittschrift unter einem anderen Paket, das schon bereit liege, in die Hände des Kurfürsten zu bringen, der
seinethalb unfehlbar, wenn es die Verhältnisse zuließen, bei dem Kurfürsten von Sachsen einkommen würde;
und mehr als eines solchen Schrittes bedürfe es nicht, um ihm bei dem Tribunal in Dresden den Künsten des Junkers
und seines Anhanges zum Trotz Gerechtigkeit zu verschaffen. Kohlhaas, lebhaft erfreut, dankte dem Stadthauptmann für
diesen neuen Beweis seiner Gewogenheit aufs Herzlichste, sagte, es tue ihm nur leid, dass er nicht, ohne irgend Schritte
in Dresden zu tun, seine Sache gleich in Berlin anhängig gemacht habe; und nachdem er in der Schreiberei des
Stadtgerichts die Beschwerde ganz den Forderungen gemäß verfasst und dem Stadthauptmann übergeben
hatte, kehrte er beruhigter über den Ausgang seiner Geschichte als je nach Kohlhaasenbrück zurück.
Er hatte aber schon in wenig Wochen den Kummer, durch einen Gerichtsherrn, der in Geschäften des Stadthauptmanns nach Potsdam
ging, zu erfahren, dass der Kurfürst die Supplik seinem Kanzler, dem Grafen Kallheim, übergeben habe und dass
dieser nicht unmittelbar, wie es zweckmäßig schien, bei dem Hofe zu Dresden um Untersuchung und Bestrafung
der Gewalttat, sondern um vorläufige, nähere Information bei dem Junker von Tronka eingekommen sei. Der
Gerichtsherr, der, vor Kohlhaasens Wohnung im Wagen haltend, den Auftrag zu haben schien, dem Rosshändler diese
Eröffnung zu machen, konnte ihm auf die betroffene Frage, warum man also verfahren, keine befriedigende Auskunft
geben. Er fügte nur noch hinzu, der Stadthauptmann ließe ihm sagen, er möchte sich in Geduld fassen,
schien bedrängt, seine Reise fortzusetzen; und erst am Schluss der kurzen Unterredung erriet Kohlhaas aus einigen
hingeworfenen Worten, dass der Graf Kallheim mit dem Hause derer von Tronka verschwägert sei. - Kohlhaas, der
keine Freude mehr weder an seiner Pferdezucht noch an Haus und Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durchharrte in
trüber Ahndung der Zukunft den nächsten Mond. Und ganz seiner Erwartung gemäß kam nach Verlauf
dieser Zeit Herse, dem das Bad einige Linderung verschafft hatte, von Brandenburg zurück mit einem ein
größeres Reskript begleitenden Schreiben des Stadthauptmanns des Inhalts: es tue ihm leid, dass er nichts
in seiner Sache tun könne; er schicke ihm eine an ihn ergangene Resolution der Staatskanzlei und rate ihm, die
Pferde, die er in der Tronkenburg zurückgelassen, wieder abführen und die Sache übrigens ruhen zu
lassen. - Die Resolution lautete: Er sei nach dem Bericht des Tribunals in Dresden ein unnützer Querulant;
der Junker, bei dem er die Pferde zurückgelassen, halte ihm dieselben auf keine Weise zurück; er möchte
nach der Burg schicken und sie holen oder den Junker wenigstens wissen lassen, wohin er sie ihm senden solle, die
Staatskanzlei aber auf jeden Fall mit solchen Plackereien und Stänkereien verschonen. Kohlhaas, dem es
nicht um die Pferde zu tun war - er hätte gleichen Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten
hätte -, Kohlhaas schäumte vor Wut, als er diesen Brief empfing. Er sah, sooft sich ein Geräusch im Hofe
hören ließ, mit der widerwärtigsten Erwartung, die seine Brust jemals bewegt hatte, nach dem Torwege,
ob die Leute des Jungherren erscheinen und ihm vielleicht gar mit einer Entschuldigung die Pferde abgehungert und
abgehärmt wieder zustellen würden; der einzige Fall, in welchem seine von der Welt wohlerzogene Seele
auf nichts, das ihrem Gefühl völlig entsprach, gefasst war. Er hörte aber in kurzer Zeit schon
durch einen Bekannten, der die Straße gereiset war, dass die Gäle auf der Tronkenburg nach wie vor den
übrigen Pferden des Landjunkers gleich auf dem Felde gebraucht würden; und mitten durch den Schmerz,
die Welt in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zufriedenheit empor, seine eigne
Brust nunmehr in Ordnung zu sehen.
Er lud einen Amtmann, seinen Nachbar, zu sich, der längst mit dem Plan
umgegangen war, seine Besitzungen durch den Ankauf der ihre Grenze berührenden Grundstücke zu
vergrößern, und fragte ihn, nachdem sich derselbe bei ihm niedergelassen, was er für seine Besitzungen
im Brandenburgischen und im Sächsischen, Haus und Hof in Bausch und Bogen, es sei nagelfest oder nicht, geben
wolle. Lisbeth, sein Weib, erblasste bei diesen Worten. Sie wandte sich und hob ihr Jüngstes auf, das hinter
ihr auf dem Boden spielte, Blicke, in welchen sich der Tod malte, bei den roten Wangen des Knaben vorbei, der mit
ihren Halsbändern spielte, auf den Rosskamm und ein Papier werfend, das er in der Hand hielt. Der Amtmann fragte,
indem er ihn befremdet ansah, was ihn plötzlich auf so sonderbare Gedanken bringe, worauf jener mit so viel
Heiterkeit, als er erzwingen konnte, erwiderte, der Gedanke, seinen Meierhof an den Ufern der Havel zu verkaufen,
sei nicht allzu neu; sie hätten beide schon oft über diesen Gegenstand verhandelt; sein Haus in der
Vorstadt in Dresden sei in Vergleich damit ein bloßer Anhang, der nicht in Erwägung komme, und kurz,
wenn er ihm seinen Willen tun und beide Grundstücke übernehmen wolle, so sei er bereit, den Kontrakt
darüber mit ihm abzuschließen. Er setzte mit einem etwas erzwungenen Scherz hinzu, Kohlhaasenbrück sei
ja nicht die Welt; es könne Zwecke geben, in Vergleich mit welchen seinem Hauswesen als ein ordentlicher Vater
vorzustehen untergeordnet und nichtswürdig sei; und kurz, seine Seele, müsse er ihm sagen, sei auf
große Dinge gestellt, von welchen er vielleicht bald hören werde.
Der Amtmann, durch diese Worte beruhigt,
sagte auf eine lustige Art zur Frau, die das Kind einmal über das andere küsste, er werde doch nicht gleich
Bezahlung verlangen, legte Hut und Stock, die er zwischen den Knien gehalten hatte, auf den Tisch und nahm das Blatt,
das der Rosskamm in der Hand hielt, um es zu durchlesen. Kohlhaas, indem er demselben näher rückte,
erklärte ihm, dass es ein von ihm aufgesetzter eventueller, in vier Wochen verfallener Kaufkontrakt sei, zeigte ihm,
dass darin nichts fehle als die Unterschriften und die Einrückung der Summen, sowohl was den Kaufpreis selbst als
auch den Reukauf, d. h. die Leistung betreffe, zu der er sich, falls er binnen vier Wochen zurückträte,
verstehen wolle, und forderte ihn noch einmal munter auf, ein Gebot zu tun, indem er ihm versicherte, dass er billig
sein und keine großen Umstände machen würde. Die Frau ging in der Stube auf und ab; ihre Brust flog,
dass das Tuch, an welchem der Knabe gezupft hatte, ihr völlig von der Schulter herabzufallen drohte. Der Amtmann sagte,
dass er ja den Wert der Besitzung in Dresden keineswegs beurteilen könne, worauf ihm Kohlhaas Briefe, die bei
ihrem Ankauf gewechselt worden waren, hinschiebend antwortete, dass er sie zu 100 Goldgülden anschlage, obschon
daraus hervorging, dass sie ihm fast um die Hälfte mehr gekostet hatte. Der Amtmann, der den Kaufkontrakt noch
einmal überlas und darin auch von seiner Seite auf eine sonderbare Art die Freiheit stipuliert fand zurückzutreten,
sagte schon halb entschlossen, dass er ja die Gestütpferde, die in seinen Ställen wären, nicht brauchen
könne; doch da Kohlhaas erwiderte, dass er die Pferde auch gar nicht loszuschlagen willens sei und dass er auch
einige Waffen, die in der Rüstkammer hingen, für sich behalten wolle, so - zögerte jener noch und
zögerte und wiederholte endlich ein Gebot, das er ihm vor kurzem schon einmal halb im Scherz halb im Ernst,
nichtswürdig gegen den Wert der Besitzung, auf einem Spaziergange gemacht hatte. Kohlhaas schob ihm Tinte und
Feder hin, um zu schreiben; und da der Amtmann, der seinen Sinnen nicht traute, ihn noch einmal gefragt hatte, ob
es sein Ernst sei, und der Rosskamm ihm ein wenig empfindlich geantwortet hatte, ob er glaube, dass er bloß
seinen Scherz mit ihm treibe, so nahm jener zwar mit einem bedenklichen Gesicht die Feder und schrieb; dagegen
durchstrich er den Punkt, in welchem von der Leistung, falls den Verkäufer der Handel gereuen sollte, die
Rede war, verpflichtete sich zu einem Darlehn von 100 Goldgülden auf die Hypothek des Dresden'schen
Grundstücks, das er auf keine Weise käuflich an sich bringen wollte, und ließ ihm binnen zwei
Monaten völlige Freiheit, von dem Handel wieder zurückzutreten. Der Rosskamm, von diesem Verfahren
gerührt, schüttelte ihm mit vieler Herzlichkeit die Hand; und nachdem sie noch, welches eine Hauptbedingung war,
übereingekommen waren, dass des Kaufpreises vierter Teil unfehlbar gleich bar und der Rest in drei Monaten in
der Hamburger Bank gezahlt werden sollte, rief jener nach Wein, um sich eines so glücklich abgemachten
Geschäfts zu erfreuen. Er sagte einer Magd, die mit den Flaschen hereintrat, Sternbald, der Knecht, solle
ihm den Fuchs satteln; er müsse, gab er an, nach der Hauptstadt reiten, wo er Verrichtungen habe, und gab zu
verstehen, dass er in Kurzem, wenn er zurückkehre, sich offenherziger über das, was er jetzt noch für
sich behalten müsse, auslassen würde. Hierauf, indem er die Gläser einschenkte, fragte er nach den
Polen und Türken, die gerade damals miteinander im Streit lagen, verwickelte den Amtmann in mancherlei politische
Konjekturen darüber, trank ihm schließlich hierauf noch einmal das Gedeihen ihres Geschäfts zu und
entließ ihn. -
Als der Amtmann das Zimmer verlassen hatte, fiel Lisbeth auf Knien vor ihm nieder. »Wenn
du mich irgend«, rief sie, »mich und die Kinder, die ich dir geboren habe, in deinem Herzen trägst,
wenn wir nicht im Voraus schon, um welcher Ursach willen weiß ich nicht, verstoßen sind, so sage mir,
was diese entsetzlichen Anstalten zu bedeuten haben!« Kohlhaas sagte: »Liebstes Weib, nichts, das dich
noch, so wie die Sachen stehn, beunruhigen dürfte. Ich habe eine Resolution erhalten, in welcher man mir sagt,
dass meine Klage gegen den Junker Wenzel von Tronka eine nichtsnutzige Stänkerei sei. Und weil hier ein
Missverständnis obwalten muss, so habe ich mich entschlossen, meine Klage noch einmal persönlich bei
dem Landesherrn selbst einzureichen.« - »Warum willst du dein Haus verkaufen?«, rief sie, indem
sie mit einer verstörten Gebärde aufstand. Der Rosskamm, indem er sie sanft an seine Brust drückte,
erwiderte: »Weil ich in einem Lande, liebste Lisbeth, in welchem man mich in meinen Rechten nicht schützen
will, nicht bleiben mag. Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein Mensch!
Ich bin gewiss, dass meine Frau hierin so denkt als ich.« - »Woher weißt du«, fragte jene
wild, »dass man dich in deinen Rechten nicht schützen wird? Wenn du dem Herrn bescheiden, wie es dir
zukommt, mit deiner Bittschrift nahst. Woher weißt du, dass sie beiseite geworfen oder mit Verweigerung, dich
zu hören, beantwortet werden wird?« - »Wohlan«, antwortete Kohlhaas, »wenn meine Furcht
hierin ungegründet ist, so ist auch mein Haus noch nicht verkauft. Der Herr selbst, weiß ich, ist gerecht;
und wenn es mir nur gelingt durch die, die ihn umringen, bis an seine Person zu kommen, so zweifle ich nicht, ich
verschaffe mir Recht und kehre fröhlich, noch ehe die Woche verstreicht, zu dir und meinen alten Geschäften
zurück. Möcht ich alsdann noch«, setzt' er hinzu, indem er sie küsste, »bis an das Ende
meines Lebens bei dir verharren! - Doch ratsam ist es«, fuhr er fort, »dass ich mich auf jeden Fall
gefasst mache; und daher wünschte ich, dass du dich auf einige Zeit, wenn es sein kann, entferntest und mit den
Kindern zu deiner Muhme nach Schwerin gingst, die du überdies längst hast besuchen wollen.« -
»Wie?«, rief die Hausfrau. »Ich soll nach Schwerin gehen über die Grenze mit den Kindern
zu meiner Muhme nach Schwerin?« Und das Entsetzen erstickte ihr die Sprache. - »Allerdings«,
antwortete Kohlhaas, »und das, wenn es sein kann, gleich, damit ich in den Schritten, die ich für meine
Sache tun will, durch keine Rücksichten gestört werde.« - »Oh! Ich verstehe dich!«,
rief sie. »Du brauchst jetzt nichts mehr als Waffen und Pferde; alles andere kann nehmen, wer will!«
Und damit wandte sie sich, warf sich auf einen Sessel nieder und weinte. Kohlhaas sagte betroffen: »Liebste Lisbeth,
was machst du? Gott hat mich mit Weib und Kindern und Gütern gesegnet; soll ich heute zum ersten Mal wünschen,
dass es anders wäre?« - Er setzte sich zu ihr, die ihm bei diesen Worten errötend um den Hals
gefallen war, freundlich nieder. - »Sag mir an«, sprach er, indem er ihr die Locken von der Stirne
strich, »was soll ich tun? Soll ich meine Sache aufgeben? Soll ich nach der Tronkenburg gehen und den
Ritter bitten, dass er mir die Pferde wiedergebe, mich aufschwingen und sie dir herreiten?« -
Lisbeth wagte nicht, ja! ja! ja! zu sagen - sie schüttelte weinend mit dem Kopf, sie drückte ihn heftig
an sich und überdeckte mit heißen Küssen seine Brust. »Nun also!«, rief Kohlhaas.
»Wenn du fühlst, dass mir, falls ich mein Gewerbe forttreiben soll, Recht werden muss, so gönne
mir auch die Freiheit, die mir nötig ist, es mir zu verschaffen!« Und damit stand er auf und sagte
dem Knecht, der ihm meldete, dass der Fuchs gesattelt stünde, morgen müssten auch die Braunen
eingeschirrt werden, um seine Frau nach Schwerin zu führen.
Lisbeth sagte, sie habe einen Einfall!
Sie erhob sich, wischte sich die Tränen aus den Augen und fragte ihn, der sich an einem Pult niedergesetzt hatte,
ob er ihr die Bittschrift geben und sie statt seiner nach Berlin gehen lassen wolle, um sie dem Landesherrn zu
überreichen. Kohlhaas, von dieser Wendung um mehr als einer Ursach willen gerührt, zog sie auf seinen
Schoß nieder und sprach: »Liebste Frau, das ist nicht wohl möglich! Der Landesherr ist vielfach
umringt, mancherlei Verdrießlichkeiten ist der ausgesetzt, der ihm naht.« Lisbeth versetzte, dass es
in tausend Fällen einer Frau leichter sei als einem Mann, ihm zu nahen. »Gib mir die Bittschrift«,
wiederholte sie; und wenn du weiter nichts willst, als sie in seinen Händen wissen, so verbürge ich mich
dafür, er soll sie bekommen!« Kohlhaas, der von ihrem Mut sowohl als ihrer Klugheit mancherlei Proben
hatte, fragte, wie sie es denn anzustellen denke; worauf sie, indem sie verschämt vor sich niedersah,
erwiderte, dass der Kastellan des kurfürstlichen Schlosses in früheren Zeiten, da er zu Schwerin
in Diensten gestanden, um sie geworben habe, dass derselbe zwar jetzt verheiratet sei und mehrere Kinder habe,
dass sie aber immer noch nicht ganz vergessen wäre - und kurz, dass er es ihr nur überlassen möchte,
aus diesem und manchem andern Umstand, der zu beschreiben zu weitläufig wäre, Vorteil zu ziehen.
Kohlhaas küsste sie mit vieler Freude, sagte, dass er ihren Vorschlag annähme, belehrte sie, dass es
weiter nichts bedürfe als einer Wohnung bei der Frau desselben, um den Landesherrn im Schlosse selbst
anzutreten, gab ihr die Bittschrift, ließ die Braunen anspannen und schickte sie mit Sternbald, seinem
treuen Knecht, wohleingepackt ab.
Diese Reise war aber von allen erfolglosen Schritten, die er in
seiner Sache getan hatte, der allerunglücklichste.
Denn schon nach wenigen Tagen zog Sternbald in den Hof wieder ein, Schritt vor Schritt den Wagen führend, in welchem
die Frau mit einer gefährlichen Quetschung an der Brust ausgestreckt darnieder lag. Kohlhaas, der bleich an das
Fuhrwerk trat, konnte nichts Zusammenhängendes über das, was dieses Unglück verursacht hatte, erfahren.
Der Kastellan war, wie der Knecht sagte, nicht zu Hause gewesen; man war also genötigt worden, in einem Wirtshause,
das in der Nähe des Schlosses lag, abzusteigen; dies Wirtshaus hatte Lisbeth am andern Morgen verlassen und dem Knecht
befohlen, bei den Pferden zurückzubleiben; und eher nicht als am Abend sei sie in diesem Zustand zurückgekommen.
Es schien, sie hatte sich zu dreist an die Person des Landesherrn vorgedrängt und ohne Verschulden desselben, von dem
bloßen rohen Eifer einer Wache, die ihn umringte, einen Stoß mit dem Schaft einer Lanze vor die Brust erhalten.
Wenigstens berichteten die Leute so, die sie in bewusstlosem Zustand gegen Abend in den Gasthof brachten; denn sie selbst
konnte, von aus dem Mund vorquellendem Blute gehindert, wenig sprechen. Die Bittschrift war ihr nachher durch einen Ritter
abgenommen worden. Sternbald sagte, dass es sein Wille gewesen sei, sich gleich auf ein Pferd zu setzen und ihm von diesem
unglücklichen Vorfall Nachricht zu geben; doch sie habe trotz der Vorstellungen des herbeigerufenen Wundarztes darauf
bestanden, ohne alle vorgängige Benachrichtigungen zu ihrem Manne nach Kohlhaasenbrück abgeführt zu werden.
Kohlhaas brachte sie, die von der Reise völlig zugrunde gerichtet worden war, in ein Bett, wo sie unter
schmerzhaften Bemühungen, Atem zu holen, noch einige Tage lebte. Man versuchte vergebens, ihr das Bewusstsein
wiederzugeben, um über das, was vorgefallen war, einige Aufschlüsse zu erhalten; sie lag mit starrem, schon
gebrochenem Auge da und antwortete nicht. Nur kurz vor ihrem Tode kehrte ihr noch einmal die Besinnung wieder. Denn
da ein Geistlicher lutherischer Religion (zu welchem eben damals aufkeimendem Glauben sie sich nach dem Beispiel
ihres Mannes bekannt hatte) neben ihrem Bette stand und ihr mit lauter und empfindlich-feierlicher Stimme ein Kapitel
aus der Bibel vorlas, so sah sie ihn plötzlich mit einem finstern Ausdruck an, nahm ihm, als ob ihr daraus nichts
vorzulesen wäre, die Bibel aus der Hand, blätterte und blätterte und schien etwas darin zu suchen und
zeigte dem Kohlhaas, der an ihrem Bette saß, mit dem Zeigefinger den Vers: »Vergib deinen Feinden, tue wohl
auch denen, die dich hassen.« - Sie drückte ihm dabei mit einem überaus seelenvollen Blick die Hand und
starb. - Kohlhaas dachte: »So möge mir Gott nie vergeben, wie ich dem Junker vergebe!«, küsste
sie, indem ihm häufig die Tränen flossen, drückte ihr die Augen zu und verließ das Gemach.
Er nahm die hundert Goldgülden, die ihm der Amtmann schon für die Ställe in Dresden zugefertigt hatte,
und bestellte ein Leichenbegräbnis, das weniger für sie als für eine Fürstin angeordnet schien:
ein eichener Sarg stark mit Metall beschlagen, Kissen von Seide mit goldnen und silbernen Troddeln und ein Grab von
acht Ellen Tiefe, mit Feldsteinen gefüttert und Kalk. Er stand selbst, sein jüngstes auf dem Arm, bei der
Gruft und sah der Arbeit zu. Als der Begräbnistag kam, ward die Leiche, weiß wie Schnee, in einem Saal
aufgestellt, den er mit schwarzem Tuch hatte beschlagen lassen. Der Geistliche hatte eben eine rührende Rede
an ihrer Bahre vollendet, als ihm die landesherrliche Resolution auf die Bittschrift zugestellt ward, welche die
Abgeschiedene übergeben hatte, des Inhalts: er solle die Pferde von der Tronkenburg abholen und bei Strafe,
in das Gefängnis geworfen zu werden, nicht weiter in dieser Sache einkommen. Kohlhaas steckte den Brief ein
und ließ den Sarg auf den Wagen bringen. Sobald der Hügel geworfen, das Kreuz darauf gepflanzt und die
Gäste, die die Leiche bestattet hatten, entlassen waren, warf er sich noch einmal vor ihrem nun verödeten
Bette nieder und übernahm sodann das Geschäft der Rache.
Er setzte sich nieder und verfasste einen
Rechtsschluss, in welchem er den Junker Wenzel von Tronka kraft der ihm angeborenen Macht verdammte, die Rappen,
die er ihm abgenommen und auf den Feldern zugrunde gerichtet, binnen drei Tagen nach Sicht nach Kohlhaasenbrück
zu führen und in Person in seinen Ställen dick zu füttern. Diesen Schluss sandte er durch einen
reitenden Boten an ihn ab und instruierte denselben, flugs nach Übergabe des Papiers wieder bei ihm in
Kohlhaasenbrück zu sein.
Da die drei Tage ohne Überlieferung der Pferde verflossen, so rief er Hersen,
eröffnete ihm, was er dem Jungherrn, die Dickfütterung derselben anbetreffend, aufgegeben, fragte ihn
zweierlei, ob er mit ihm nach der Tronkenburg reiten und den Jungherrn holen, auch, ob er über den Hergeholten,
wenn er bei Erfüllung des Rechtsschlusses in den Ställen von Kohlhaasenbrück faul sei, die Peitsche
führen wolle? Und da Herse, so wie er ihn nur verstanden hatte: »Herr, heute noch!«, aufjauchzte
und, indem er die Mütze in die Höhe warf, versicherte, einen Riemen mit zehn Knoten, um ihm das Striegeln
zu lehren, lasse er sich flechten, so verkaufte Kohlhaas das Haus, schickte die Kinder, in einen Wagen gepackt,
über die Grenze, rief bei Anbruch der Nacht auch die übrigen Knechte zusammen, sieben an der Zahl, treu
ihm jedweder wie Gold, bewaffnete und beritt sie und brach nach der Tronkenburg auf.
[Dritter Teil: Wie Michael Kohlhaas Rache nahm]
Er fiel auch mit diesem kleinen Haufen schon beim
Einbruch der dritten Nacht, den Zollwärter und Torwächter, die im
Gespräch unter dem Tor standen, niederreitend, in die Burg, und während unter plötzlicher Aufprasselung aller
Baracken im Schlossraum, die sie mit Feuer bewarfen, Herse über die Wendeltreppe in den Turm der Vogtei eilte und den
Schlossvogt und Verwalter, die halb entkleidet beim Spiel saßen, mit Hieben und Stichen überfiel, stürzte
Kohlhaas zum Junker Wenzel ins Schloss. Der Engel des Gerichts fährt also vom Himmel herab; und der Junker, der eben
unter vielem Gelächter dem Tross junger Freunde, der bei ihm war, den Rechtsschluss, den ihm der Rosskamm übermacht
hatte, vorlas, hatte nicht sobald dessen Stimme im Schlosshof vernommen, als er den Herren schon plötzlich leichenbleich:
»Brüder, rettet euch!«, zurief und verschwand. Kohlhaas, der beim Eintritt in den Saal einen Junker Hans von
Tronka, der ihm entgegenkam, bei der Brust fasste und in den Winkel des Saals schleuderte, dass er sein Hirn an den Steinen
verspritzte, fragte, während die Knechte die anderen Ritter, die zu den Waffen gegriffen hatten, überwältigten
und zerstreuten, wo der Junker Wenzel von Tronka sei. Und da er bei der Unwissenheit der betäubten Männer die
Türen zweier Gemächer, die in die Seitenflügel des Schlosses führten, mit einem Fußtritt sprengte
und in allen Richtungen, in denen er das weitläufige Gebäude durchkreuzte, niemanden fand, so stieg er fluchend
in den Schlosshof hinab, um die Ausgänge besetzen zu lassen. Inzwischen war, vom Feuer der Baracken ergriffen, nun
schon das Schloss mit allen Seitengebäuden, starken Rauch gen Himmel qualmend, angegangen, und während Sternbald
mit drei geschäftigen Knechten alles, was nicht niet- und nagelfest war, zusammenschleppten und zwischen den Pferden
als gute Beute umstürzten, flogen unter dem Jubel Hersens aus den offenen Fenstern der Vogtei die Leichen des
Schlossvogts und Verwalters mit Weib und Kindern herab. Kohlhaas, dem sich, als er die Treppe vom Schloss niederstieg,
die alte, von der Gicht geplagte Haushälterin, die dem Junker die Wirtschaft führte, zu Füßen warf,
fragte sie, indem er auf der Stufe stehen blieb, wo der Junker Wenzel von Tronka sei. Und da sie ihm mit schwacher,
zitternder Stimme zur Antwort gab, sie glaube, er habe sich in die Kapelle geflüchtet, so rief er zwei Knechte
mit Fackeln, ließ in Ermangelung der Schlüssel den Eingang mit Brechstangen und Beilen eröffnen, kehrte
Altäre und Bänke um und fand gleichwohl zu seinem grimmigen Schmerz den Junker nicht. Es traf sich, dass ein
junger, zum Gesinde der Tronkenburg gehöriger Knecht in dem Augenblick, da Kohlhaas aus der Kapelle zurückkam,
herbeieilte, um aus einem weitläufigen, steinernen Stall, den die Flamme bedrohte, die Streithengste des Junkers
herauszuziehen. Kohlhaas, der in eben diesem Augenblick in einem kleinen mit Stroh bedeckten Schuppen seine beiden Rappen
erblickte, fragte den Knecht, warum er die Rappen nicht rette. Und da dieser, indem er den Schlüssel in die
Stalltür steckte, antwortete, der Schuppen stehe ja schon in Flammen, so warf Kohlhaas den Schlüssel, nachdem
er ihn mit Heftigkeit aus der Stalltüre gerissen, über die Mauer, trieb den Knecht mit hageldichten, flachen
Hieben der Klinge in den brennenden Schuppen hinein und zwang ihn unter entsetzlichem Gelächter der Umstehenden,
die Rappen zu retten. Gleichwohl, als der Knecht schreckenblass wenige Momente, nachdem der Schuppen hinter ihm
zusammenstürzte, mit den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohlhaas nicht mehr;
und da er sich zu den Knechten auf den Schlossplatz begab und den Rosshändler, der ihm mehrere Mal den Rücken
zukehrte, fragte, was er mit den Tieren nun anfangen solle, hob dieser plötzlich mit einer fürchterlichen
Gebärde den Fuß, dass der Tritt, wenn er ihn getan hätte, sein Tod gewesen wäre, bestieg, ohne
ihm zu antworten, seinen Braunen, setzte sich unter das Tor der Burg und erharrte, inzwischen die Knechte ihr Wesen
forttrieben, schweigend den Tag.
Als der Morgen anbrach, war das ganze Schloss bis auf die Mauern
niedergebrannt, und niemand befand sich mehr darin als
Kohlhaas und seine sieben Knechte. Er stieg vom Pferde und untersuchte noch einmal beim hellen Schein der Sonne den ganzen,
in allen seinen Winkeln jetzt von ihr erleuchteten Platz, und da er sich, so schwer es ihm auch ward, überzeugen
musste, dass die Unternehmung auf die Burg fehlgeschlagen war, so schickte er die Brust voll Schmerz und Jammer Hersen
mit einigen Knechten aus, um über die Richtung, die der Junker auf seiner Flucht genommen, Nachricht einzuziehen.
Besonders beunruhigte ihn ein reiches Fräuleinstift namens Erlabrunn, das an den Ufern der Mulde lag und dessen
Äbtissin, Antonia von Tronka, als eine fromme, wohltätige und heilige Frau in der Gegend bekannt war; denn
es schien dem unglücklichen Kohlhaas nur zu wahrscheinlich, dass der Junker sich, entblößt von aller
Notdurft, wie er war, in dieses Stift geflüchtet hatte, in dem die Äbtissin seine leibliche Tante und die
Erzieherin seiner ersten Kindheit war. Kohlhaas, nachdem er sich von diesem Umstand unterrichtet hatte, bestieg den
Turm der Vogtei, in dessen Innerem sich noch ein Zimmer, zur Bewohnung brauchbar, darbot und verfasste ein sogenanntes
'Kohlhaasisches Mandat', worin er das Land aufforderte, dem Junker Wenzel von Tronka, mit dem er in einem gerechten
Krieg liege, keinen Vorschub zu tun, vielmehr jeden Bewohner, seine Verwandten und Freunde nicht ausgenommen,
verpflichtete, denselben bei Strafe des Leibes und des Lebens und unvermeidlicher Einäscherung alles dessen,
was ein Besitztum heißen mag, an ihn auszuliefern. Diese Erklärung streute er durch Reisende und Fremde
in der Gegend aus; ja, er gab Waldmann, dem Knecht, eine Abschrift davon mit dem bestimmten Auftrage, sie in die
Hände der Dame Antonia nach Erlabrunn zu bringen. Hierauf besprach er einige Tronkenburgische Knechte, die
mit dem Junker unzufrieden waren und, von der Aussicht auf Beute gereizt, in seine Dienste zu treten wünschten,
bewaffnete sie nach Art des Fußvolks mit Armbrüsten und Dolchen und lehrte sie, hinter den berittenen
Knechten aufsitzen; und nachdem er alles, was der Tross zusammengeschleppt hatte, zu Geld gemacht und das Geld
unter denselben verteilt hatte, ruhete er einige Stunden unter dem Burgtor von seinen jämmerlichen Geschäften
aus.
Gegen Mittag kam Herse und bestätigte ihm,
was ihm sein Herz, immer auf die trübsten Ahnungen gestellt, schon
gesagt hatte, nämlich, dass der Junker in dem Stift zu Erlabrunn bei der alten Dame Antonia von Tronka, seiner Tante,
befindlich sei. Es schien, er hatte sich durch eine Tür, die an der hinteren Wand des Schlosses in die Luft hinausging,
über eine schmale, steinerne Treppe gerettet, die unter einem kleinen Dach zu einigen Kähnen in die Elbe hinablief.
Wenigstens berichtete Herse, dass er in einem Elbdorf zum Befremden der Leute, die wegen des Brandes in der Tronkenburg
versammelt gewesen, um Mitternacht in einem Nachen ohne Steuer und Ruder angekommen und mit einem Dorffuhrwerk nach
Erlabrunn weitergereiset sei. - Kohlhaas seufzte bei dieser Nachricht tief auf; er fragte, ob die Pferde gefressen
hätten, und da man ihm antwortete: »Ja«, so ließ er den Haufen aufsitzen und stand schon in drei
Stunden vor Erlabrunn. Eben, unter dem Gemurmel eines entfernten Gewitters am Horizont, mit Fackeln, die er sich vor dem
Ort angesteckt, zog er mit seiner Schar in den Klosterhof ein, und Waldmann, der Knecht, der ihm entgegentrat, meldete ihm,
dass das Mandat richtig abgegeben sei, als er die Äbtissin und den Stiftsvogt in einem verstörten Wortwechsel
unter das Portal des Klosters treten sah; und während jener, der Stiftsvogt, ein kleiner, alter, schneeweißer
Mann, grimmige Blicke auf Kohlhaas schießend, sich den Harnisch anlegen ließ und den Knechten, die ihn
umringten, mit dreister Stimme zurief, die Sturmglocke zu ziehn, trat jene, die Stiftsfrau, das silberne Bildnis des
Gekreuzigten in der Hand, bleich wie Linnenzeug von der Rampe herab und warf sich mit allen ihren Jungfrauen vor
Kohlhaasens Pferd nieder. Kohlhaas, während Herse und Sternbald den Stiftsvogt, der kein Schwert in der Hand
hatte, überwältigten und als Gefangenen zwischen die Pferde führten, fragte sie, wo der Junker Wenzel von
Tronka sei. Und da sie, einen großen Ring mit Schlüsseln von ihrem Gurt loslösend »In Wittenberg,
Kohlhaas, würdiger Mann!«, antwortete und mit bebender Stimme hinzusetzte: »Fürchte Gott und
tue kein Unrecht!«, - so wandte Kohlhaas, in die Hölle unbefriedigter Rache zurückgeschleudert, das Pferd
und war im Begriff: »Steckt an!«, zu rufen, als ein ungeheurer Wetterschlag dicht neben ihm zur Erde
niederfiel. Kohlhaas, indem er sein Pferd zu ihr zurückwandte, fragte sie, ob sie sein Mandat erhalten. Und da die
Dame mit schwacher, kaum hörbarer Stimme antwortete: »Eben jetzt!« - »Wann?« - »Zwei
Stunden, so wahr mir Gott helfe, nach des Junkers, meines Vetters, bereits vollzogener Abreise«, - und Waldmann,
der Knecht, zu dem Kohlhaas sich unter finsteren Blicken umkehrte, stotternd diesen Umstand bestätigte, indem er sagte,
dass die Gewässer der Mulde, vom Regen geschwellt, ihn verhindert hätten, früher als eben jetzt einzutreffen,
so sammelte sich Kohlhaas; ein plötzlich furchtbarer Regenguss, der die Fackeln verlöschend auf das Pflaster des
Platzes niederrauschte, löste den Schmerz in seiner unglücklichen Brust; er wandte, indem er kurz den Hut vor
der Dame rückte, sein Pferd, drückte ihm mit den Worten: »Folgt mir, meine Brüder; der Junker
ist in Wittenberg!«,die Sporen ein und verließ das Stift.
Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einem Wirtshause auf der
Landstraße ein, wo er wegen großer
Ermüdung der Pferde einen Tag ausruhen musste, und da er wohl einsah, dass er mit einem Haufen von zehn Mann
(denn so stark war er jetzt) einem Platz, wie Wittenberg war, nicht trotzen konnte, so verfasste er ein zweites Mandat,
worin er nach einer kurzen Erzählung dessen, was ihm im Lande begegnet, jeden guten Christen,
wie er sich ausdrückte, unter Angelobung eines Handgelds und anderer kriegerischen Vorteile
aufforderte, seine Sache gegen den Junker von Tronka als dem allgemeinen Feind aller Christen zu ergreifen.
In einem anderen Mandat, das bald darauf erschien, nannte er sich »einen reichs- und weltfreien, Gott allein
unterworfenen Herrn«, eine Schwärmerei krankhafter und missgeschaffener Art, die ihm gleichwohl bei dem Klang
seines Geldes und der Aussicht auf Beute unter dem Gesindel, das der Friede mit Polen außer Brot gesetzt hatte,
Zulauf in Menge verschaffte, dergestalt, dass er in der Tat dreißig und etliche Köpfe zählte, als er
sich zur Einäscherung von Wittenberg auf die rechte Seite der Elbe zurückbegab. Er lagerte sich mit
Pferden und Knechten unter dem Dache einer alten verfallenen Ziegelscheune in der Einsamkeit eines finsteren
Waldes, der damals diesen Platz umschloss, und hatte nicht sobald durch Sternbald, den er mit dem Mandat verkleidet
in die Stadt schickte, erfahren, dass das Mandat daselbst schon bekannt sei, als er auch mit seinen Haufen schon
am heiligen Abend vor Pfingsten aufbrach und den Platz, während die Bewohner im tiefsten Schlaf lagen, an
mehreren Ecken zugleich in Brand steckte. Dabei klebte er, während die Knechte in der Vorstadt plünderten,
ein Blatt an den Türpfeiler einer Kirche an des Inhalts: Er, Kohlhaas, habe die Stadt in Brand gesteckt
und werde sie, wenn man ihm den Junker nicht ausliefere, dergestalt einäschern, dass er, wie er sich
ausdrückte, hinter keiner Wand werde zu sehen brauchen, um ihn zu finden. -
Das Entsetzen der
Einwohner über diesen unerhörten Frevel war unbeschreiblich, und die Flamme, die bei einer zum Glück
ziemlich ruhigen Sommernacht zwar nicht mehr als neunzehn Häuser, worunter gleichwohl eine Kirche war, in den
Grund gelegt hatte, war nicht sobald gegen Anbruch des Tages einigermaßen gedämpft worden, als der alte
Landvogt, Otto von Gorgas, bereits ein Fähnlein von fünfzig Mann aussandte, um den entsetzlichen
Wüterich aufzuheben. Der Hauptmann aber, der es führte, namens Gerstenberg, benahm sich so schlecht dabei,
dass die ganze Expedition Kohlhaasen, statt ihn zu stürzen, vielmehr zu einem höchst gefährlichen
kriegerischen Ruhm verhalf; denn da dieser Kriegsmann sich in mehrere Abteilungen auflösete, um ihn, wie er meinte,
zu umzingeln und zu erdrücken, ward er von Kohlhaas, der seinen Haufen zusammenhielt, auf vereinzelten Punkten
angegriffen und geschlagen, dergestalt, dass schon am Abend des nächstfolgenden Tages kein Mann mehr von dem
ganzen Haufen, auf den die Hoffnung des Landes gerichtet war, gegen ihm im Felde stand. Kohlhaas, der durch diese
Gefechte einige Leute eingebüßt hatte, steckte die Stadt am Morgen des nächsten Tages von Neuem
in Brand, und seine mörderischen Anstalten waren so gut, dass wiederum eine Menge Häuser und fast alle
Scheunen der Vorstadt in die Asche gelegt wurden. Dabei plackte er das bewusste Mandat wieder, und zwar an die
Ecken des Rathauses selbst, an und fügte eine Nachricht über das Schicksal des von dem Landvogt
abgeschickten und von ihm zugrunde gerichteten Hauptmanns von Gerstenberg bei. Der Landvogt, von diesem Trotz
aufs Äußerste entrüstet, setzte sich selbst mit mehreren Rittern an die Spitze eines Haufens
von hundertundfünfzig Mann. Er gab dem Junker Wenzel von Tronka auf seine schriftliche Bitte eine Wache,
die ihn vor der Gewalttätigkeit des Volks, das ihn platterdings aus der Stadt entfernt wissen wollte,
schützte; und nachdem er auf allen Dörfern in der Gegend Wachen ausgestellt, auch die Ringmauer der
Stadt, um sie vor einem Überfall zu decken, mit Posten besetzt hatte, zog er am Tage des heiligen
Gervasius selbst aus, um den Drachen, der das Land verwüstete, zu fangen.
Diesen Haufen war der Rosskamm
klug genug zu vermeiden; und nachdem er den Landvogt durch geschickte Märsche fünf Meilen von der
Stadt hinweggelockt und vermittelst mehrerer Anstalten, die er traf, zu dem Wahn verleitet hatte, dass er sich,
von der Übermacht gedrängt, ins Brandenburgische werfen würde, wandte er sich plötzlich beim
Einbruch der dritten Nacht, kehrte in einem Gewaltritt nach Wittenberg zurück und steckte die Stadt zum
dritten Mal in Brand. Herse, der sich verkleidet in die Stadt schlich, führte dieses entsetzliche
Kunststück aus; und die Feuersbrunst war wegen eines scharf wehenden Nordwindes so verderblich und um sich
fressend, dass in weniger als drei Stunden zweiundvierzig Häuser, zwei Kirchen, mehrere Klöster und
Schulen und das Gebäude der kurfürstlichen Landvogtei selbst in Schutt und Asche lagen. Der Landvogt,
der seinen Gegner beim Anbruch des Tages im Brandenburgischen glaubte, fand, als er von dem, was vorgefallen,
benachrichtigt, in bestürzten Märschen zurückkehrte, die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk
hatte sich zu Tausenden vor dem mit Balken und Pfählen versammelten Hause des Junkers gelagert und
forderte mit rasendem Geschrei seine Abführung aus der Stadt. Zwei Bürgermeister, namens Jenkens
und Otto, die in Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magistrats gegenwärtig waren, bewiesen vergebens,
dass man platterdings die Rückkehr eines Eilboten abwarten müsse, den man wegen Erlaubnis, den Junker
nach Dresden bringen zu dürfen, wohin er selbst aus mancherlei Gründen abzugehen wünsche, an den
Präsidenten der Staatskanzlei geschickt habe; der unvernünftige, mit Spießen und Stangen
bewaffnete Haufen gab auf diese Worte nichts, und eben war man unter Misshandlung einiger zu kräftigen
Maßregeln auffordernden Räte im Begriff, das Haus, worin der Junker war, zu stürmen und der
Erde gleichzumachen, als der Landvogt, Otto von Gorgas, an der Spitze seines Reuterhaufens in der Stadt erschien.
Diesem würdigen Herrn, der schon durch seine bloße Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und Gehorsam
einzuflößen gewohnt war, war es gleichsam zum Ersatz für die fehlgeschlagene Unternehmung, von
welcher er zurückkam, gelungen, dicht vor den Toren der Stadt drei zersprengte Knechte von der Bande des
Mordbrenners aufzufangen; und da er, inzwischen die Kerle vor dem Angesicht des Volks mit Ketten belastet wurden,
den Magistrat in einer klugen Anrede versicherte, den Kohlhaas selbst denke er in Kurzem, indem er ihm auf der
Spur sei, gefesselt einzubringen, so glückte es ihm durch die Kraft aller dieser beschwichtigenden Umstände,
die Angst des versammelten Volks zu entwaffnen und über die Anwesenheit des Junkers bis zur Zurückkunft
des Eilboten aus Dresden einigermaßen zu beruhigen.
Er stieg in Begleitung einiger Ritter vom Pferde und
verfügte sich nach Wegräumung der Palisaden und Pfähle in das Haus, wo er den Junker, der aus
einer Ohnmacht in die andere fiel, unter den Händen zweier Ärzte fand, die ihn mit Essenzen und
Irritanzen wieder ins Leben zurückzubringen suchten; und da Herr Otto von Gorgas wohl fühlte,
dass dies der Augenblick nicht war, wegen der Aufführung, die er sich zuschulden kommen lasse, Worte
mit ihm zu wechseln, so sagte er ihm bloß mit einem Blick stiller Verachtung, dass er sich ankleiden
und ihm zu seiner eigenen Sicherheit in die Gemächer der Ritterhaft folgen möchte. Als man dem
Junker ein Wams angelegt und einen Helm aufgesetzt hatte und er, die Brust wegen Mangels an Luft noch halb
offen, am Arm des Landvogts und seines Schwagers, des Grafen von Gerschau, auf der Straße erschien,
stiegen gotteslästerliche und entsetzliche Verwünschungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, von
den Landsknechten nur mühsam zurückgehalten, nannte ihn einen Blutegel, einen elenden Landplager
und Menschenquäler, den Fluch der Stadt Wittenberg und das Verderben von Sachsen; und nach einem
jämmerlichen Zuge durch die in Trümmern liegende Stadt, während welchem er mehrere Mal, ohne
ihn zu vermissen, den Helm verlor, den ihm ein Ritter von hinten wieder aufsetzte, erreichte man endlich das
Gefängnis, wo er in einem Turm unter dem Schutz einer starken Wache verschwand. Mittlerweile setzte die
Rückkehr des Eilboten mit der kurfürstlichen Resolution die Stadt in neue Besorgnis. Denn die
Landesregierung, bei welcher die Bürgerschaft von Dresden in einer dringenden Supplik unmittelbar
eingekommen war, wollte vor Überwältigung des Mordbrenners von dem Aufenthalt des Junkers in der
Residenz nichts wissen; vielmehr verpflichtete sie den Landvogt, denselben da, wo er sei, weil er irgendwo
sein müsse, mit der Macht, die ihm zu Gebote stehe, zu beschirmen, wogegen sie der guten Stadt
Wittenberg zu ihrer Beruhigung meldete, dass bereits ein Heerhaufen von fünfhundert Mann unter
Anführung des Prinzen Friedrich von Meißen im Anzuge sei, um sie vor den ferneren Belästigungen
desselben zu beschützen.
Der Landvogt, der wohl einsah, dass eine Resolution dieser Art das Volk
keineswegs beruhigen konnte, denn nicht nur, dass mehrere kleine Vorteile, die der Rosshändler an
verschiedenen Punkten vor der Stadt erfochten, über die Stärke, zu der er herangewachsen,
äußerst unangenehme Gerüchte verbreiteten; der Krieg, den er in der Finsternis der Nacht
durch verkleidetes Gesindel mit Pech, Stroh und Schwefel führte, hätte, unerhört und beispiellos
wie er war, selbst einen größeren Schutz, als mit welchem der Prinz von Meißen heranrückte,
unwirksam machen können; der Landvogt, nach einer kurzen Überlegung, entschloss sich, die Resolution,
die er empfangen, ganz und gar zu unterdrücken. Er plackte bloß einen Brief, in welchem ihm der Prinz
von Meißen seine Ankunft meldete, an die Ecken der Stadt an;
ein verdeckter Wagen, der beim Anbruch des
Tages aus dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von vier schwer bewaffneten Reitern begleitet, auf die Straße
nach Leipzig hinaus, wobei die Reiter auf eine unbestimmte Art verlauten ließen, dass es nach der
Pleißenburg gehe; und da das Volk über den heillosen Junker, an dessen Dasein Feuer und Schwert gebunden,
dergestalt beschwichtigt war, brach er selbst mit einem Haufen von dreihundert Mann auf, um sich mit dem Prinzen
Friedrich von Meißen zu vereinigen.
Inzwischen war Kohlhaas in der Tat durch die sonderbare Stellung, die
er in der Welt einnahm, auf hundertundneun Köpfe herangewachsen; und da er auch in Jessen einen Vorrat an
Waffen aufgetrieben und seine Schar auf das Vollständigste damit ausgerüstet hatte, so fasste er von
dem doppelten Ungewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, den Entschluss, demselben mit der Schnelligkeit
des Sturmwinds, ehe es über ihn zusammenschlüge, zu begegnen. Demnach griff er schon Tags darauf den
Prinzen von Meißen in einem nächtlichen Überfall bei Mühlberg an, bei welchem Gefechte er
zwar zu seinem großen Leidwesen den Herse einbüßte, der gleich durch die ersten Schüsse
an seiner Seite zusammenstürzte, durch diesen Verlust erbittert aber in einem drei Stunden langen Kampfe
den Prinzen, unfähig sich in dem Flecken zu sammeln, so zurichtete, dass er beim Anbruch des Tages mehrerer
schwerer Wunden und einer gänzlichen Unordnung seines Haufens wegen genötigt war, den Rückweg nach
Dresden einzuschlagen. Durch diesen Vorteil tollkühn gemacht, wandte er sich, ehe derselbe noch davon
unterrichtet sein konnte, zu dem Landvogt zurück, fiel ihn bei dem Dorfe Damerow am hellen Mittag auf
freiem Felde an und schlug sich unter mörderischem Verlust zwar, aber mit gleichen Vorteilen bis in die
sinkende Nacht mit ihm herum. Ja, er würde den Landvogt, der sich in den Kirchhof zu Damerow geworfen hatte,
am andern Morgen unfehlbar mit dem Rest seines Haufens wieder angegriffen haben, wenn derselbe nicht durch
Kundschafter von der Niederlage, die der Prinz bei Mühlberg erlitten, benachrichtigt worden wäre
und somit für ratsamer gehalten hätte, gleichfalls bis auf einen besseren Zeitpunkt nach Wittenberg
zurückzukehren. Fünf Tage nach Zersprengung dieser beiden Haufen stand er vor Leipzig und steckte
die Stadt an drei Seiten in Brand. - Er nannte sich in dem Mandat, das er bei dieser Gelegenheit ausstreute,
einen Statthalter Michaels des Erzengels, der gekommen sei, an allen, die in dieser Streitsache des
Junkers Partei ergreifen würden, mit Feuer und Schwert die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken
sei, zu bestrafen. Dabei rief er von dem Lützner Schloss aus, das er überrumpelt und worin
er sich festgesetzt hatte, das Volk auf, sich zur Errichtung einer besseren Ordnung der Dinge an ihn
anzuschließen; und das Mandat war mit einer Art von Verrückung unterzeichnet: »Gegeben auf dem
Sitz unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse zu Lützen.«
Das Glück der Einwohner von
Leipzig wollte, dass das Feuer wegen eines anhaltenden Regens, der vom Himmel fiel, nicht um sich griff, dergestalt,
dass bei der Schnelligkeit der bestehenden Löschanstalten nur einige Kramläden, die um die
Pleißenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Bestürzung in der Stadt über
das Dasein des rasenden Mordbrenners und den Wahn, in welchem derselbe stand, dass der Junker in Leipzig sei,
unaussprechlich; und da ein Haufen von hundertundachtzig Reisigen, den man gegen ihn ausschickte, zersprengt
in die Stadt zurückkam, so blieb dem Magistrat, der den Reichtum der Stadt nicht aussetzen wollte, nichts
anderes übrig, als die Tore gänzlich zu sperren und die Bürgerschaft Tag und Nacht außerhalb
der Mauern wachen zu lassen. Vergebens ließ der Magistrat auf den Dörfern der umliegenden Gegend
Deklarationen anheften mit der bestimmten Versicherung, dass der Junker nicht in der Pleißenburg sei;
der Rosskamm in ähnlichen Blättern bestand darauf, dass er in der Pleißenburg sei und erklärte,
dass, wenn derselbe nicht darin befindlich wäre, er mindestens verfahren würde, als ob er darin wäre,
bis man ihm den Ort mit Namen genannt werde angezeigt haben, worin er befindlich sei. Der Kurfürst, durch einen
Eilboten von der Not, in welcher sich die Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, erklärte, dass er bereits einen
Heerhaufen von zweitausend Mann zusammenzöge und sich selbst an dessen Spitze setzen würde, um den Kohlhaas
zu fangen. Er erteilte dem Herrn Otto von Gorgas einen schweren Verweis wegen der zweideutigen und unüberlegten
List, die er angewendet, um des Mordbrenners aus der Gegend von Wittenberg loszuwerden; und niemand beschreibt die
Verwirrung, die ganz Sachsen und insbesondere die Residenz ergriff, als man daselbst erfuhr, dass auf den Dörfern
bei Leipzig, man wusste nicht von wem, eine Deklaration an den Kohlhaas angeschlagen worden sei des Inhalts:
Wenzel, der Junker, befinde sich bei seinen Vettern Hinz und Kunz in Dresden.
[Vierter Teil: Wie sich Doktor Luther einschaltete]
Unter diesen Umständen übernahm der Doktor Martin Luther das Geschäft, den Kohlhaas durch die Kraft
beschwichtigender Worte von dem Ansehn, das ihm seine Stellung in der Welt gab, unterstützt, in den Damm der
menschlichen Ordnung zurückzudrücken, und auf ein tüchtiges Element in der Brust des Mordbrenners
bauend, erließ er ein Plakat folgenden Inhalts an ihn, das in allen Städten und Flecken des
Kurfürstentums angeschlagen ward:
»Kohlhaas, der du dich gesandt zu sein vorgibst,
das Schwert der Gerechtigkeit zu handhaben, was unterfängst du
dich, Vermessener, im Wahnsinn stockblinder Leidenschaft, du, den Ungerechtigkeit selbst vom Wirbel bis zur Sohle erfüllt?
Weil der Landesherr dir, dem du untertan bist, dein Recht verweigert hat, dein Recht in dem Streit um ein nichtiges Gut,
erhebst du dich, Heilloser, mit Feuer und Schwert und brichst wie der Wolf der Wüste in die friedliche Gemeinheit,
die er beschirmt. Du, der die Menschen mit dieser Angabe voll Unwahrhaftigkeit und Arglist verführt, meinst du,
Sünder, vor Gott dereinst an dem Tage, der in die Falten aller Herzen scheinen wird, damit auszukommen? Wie kannst
du sagen, dass dir dein Recht verweigert worden ist, du, dessen grimmige Brust, vom Kitzel schnöder Selbstrache
gereizt, nach den ersten, leichtfertigen Versuchen, die dir gescheitert, die Bemühung gänzlich aufgegeben hat,
es dir zu verschaffen? Ist eine Bank voll Gerichtsdienern und Schergen, die einen Brief, der gebracht wird, unterschlagen
oder ein Erkenntnis, das sie abliefern sollen, zurückhalten, deine Obrigkeit? Und muss ich dir sagen,
Gottvergessener, dass deine Obrigkeit von deiner Sache nichts weiß - was sag ich, dass der Landesherr, gegen den
du dich auflehnst, auch deinen Namen nicht kennt dergestalt, dass wenn dereinst du vor Gottes Thron trittst, in der
Meinung, ihn anzuklagen, er, heiteren Antlitzes, wird sprechen können: 'Diesem Mann, Herr, tat ich kein Unrecht,
denn sein Dasein ist meiner Seele fremd?' Das Schwert, wisse, das du führst, ist das Schwert des Raubes und der
Mordlust, ein Rebell bist du und kein Krieger des gerechten Gottes, und dein Ziel auf Erden ist Rad und Galgen und
jenseits die Verdammnis, die über die Missetat und die Gottlosigkeit verhängt ist.
Wittenberg, usw.
Martin Luther.«
Kohlhaas wälzte eben auf dem Schlosse zu
Lützen einen neuen Plan, Leipzig einzuäschern, in seiner zerrissenen
Brust herum - denn auf die in den Dörfern angeschlagene Nachricht, dass der Junker Wenzel in Dresden sei, gab er nichts,
weil sie von niemand, geschweige denn vom Magistrat, wie er verlangt hatte, unterschrieben war -, als Sternbald und Waldmann das
Plakat, das zur Nachtzeit an den Torweg des Schlosses angeschlagen worden war, zu ihrer großen Bestürzung bemerkten.
Vergebens hofften sie durch mehrere Tage, dass Kohlhaas, den sie nicht gern deshalb antreten wollten, es erblicken würde;
finster und in sich gekehrt in der Abendstunde erschien er zwar, aber bloß, um seine kurzen Befehle zu geben, und sah
nichts, dergestalt, dass sie an einem Morgen, da er ein paar Knechte, die in der Gegend wider seinen Willen geplündert
hatten, aufknöpfen lassen wollte, den Entschluss fassten, ihn darauf aufmerksam zu machen. Eben kam er, während
das Volk von beiden Seiten schüchtern auswich, in dem Aufzuge, der ihm seit seinem letzten Mandat gewöhnlich war,
von dem Richtplatz zurück, ein großes Cherubsschwert auf einem rotledernen Kissen mit Quasten von Gold verziert
ward ihm vorangetragen und zwölf Knechte mit brennenden Fackeln folgten ihm, da traten die beiden Männer, ihre
Schwerter unter dem Arm so, dass es ihn befremden musste, um den Pfeiler, an welchen das Plakat angeheftet war, herum.
Kohlhaas, als er mit auf dem Rücken zusammengelegten Händen, in Gedanken vertieft, unter das Portal kam, schlug
die Augen auf und stutzte; und da die Knechte bei seinem Anblick ehrerbietig auswichen, so trat er, indem er sie zerstreut
ansah, mit einigen raschen Schritten an den Pfeiler heran. Aber wer beschreibt, was in seiner Seele vorging, als er das
Blatt, dessen Inhalt ihn der Ungerechtigkeit zieh, daran erblickte, unterzeichnet von dem teuersten und
verehrungswürdigsten Namen, den er kannte, von dem Namen Martin Luthers! Eine dunkle Röte stieg in sein
Antlitz empor; er durchlas es, indem er den Helm abnahm, zweimal von Anfang bis zu Ende, wandte sich mit ungewissen
Blicken mitten unter die Knechte zurück, als ob er etwas sagen wollte, und sagte nichts, löste das Blatt
von der Wand los, durchlas es noch einmal und rief: »Waldmann! Lass mir mein Pferd satteln!«, sodann:
»Sternbald, folge mir ins Schloss!«, und verschwand. Mehr als dieser wenigen Worte bedurfte es nicht,
um ihn in der ganzen Verderblichkeit, in der er dastand, plötzlich zu entwaffnen. Er warf sich in die
Verkleidung eines thüringischen Landpächters, sagte Sternbald, dass ein Geschäft von bedeutender
Wichtigkeit ihn nach Wittenberg zu reisen nötige, übergab ihm in Gegenwart einiger der vorzüglichsten
Knechte die Anführung des in Lützen zurückbleibenden Haufens und zog unter der Versicherung, dass er
in drei Tagen, binnen welcher Zeit kein Angriff zu fürchten sei, wieder zurück sein werde, nach Wittenberg ab.
Er kehrte unter einem fremden Namen in ein Wirtshaus ein,
wo er, sobald die Nacht angebrochen war, in seinem Mantel und
mit einem Paar Pistolen versehen, die er in der Tronkenburg erbeutet hatte, zu Luthern ins Zimmer trat. Luther, der unter
Schriften und Büchern an seinem Pulte saß und den fremden besonderen Mann die Tür öffnen und hinter
sich verriegeln sah, fragte ihn, wer er sei und was er wolle; und der Mann, der seinen Hut ehrerbietig in der Hand hielt,
hatte nicht so bald mit dem schüchternen Vorgefühl des Schreckens, den er verursachen würde, erwidert,
dass er Michael Kohlhaas, der Rosshändler sei, als Luther schon: »Weiche fern hinweg!«, ausrief und,
indem er vom Pult erstehend nach einer Klingel eilte, hinzusetzte: »Dein Odem ist Pest und deine Nähe
Verderben!« Kohlhaas, indem er, ohne sich vom Platz zu regen, sein Pistol zog, sagte: »Hochwürdiger,
dies Pistol, wenn Ihr die Klingel rührt, streckt mich leblos zu Euren Füßen nieder! Setzt Euch und
hört mich an; unter den Engeln, deren Psalmen Ihr aufschreibt, seid Ihr nicht sicherer als bei mir.« Luther,
indem er sich niedersetzte, fragte: »Was willst du?« Kohlhaas erwiderte: »Eure Meinung von mir, dass
ich ein ungerechter Mann sei, widerlegen! Ihr habt mir in Eurem Plakat gesagt, dass meine Obrigkeit von meiner Sache
nichts weiß; wohlan, verschafft mir freies Geleit, so gehe ich nach Dresden und lege sie ihr vor.« -
»Heilloser und entsetzlicher Mann!«, rief Luther, durch diese Worte verwirrt zugleich und beruhigt:
»Wer gab dir das Recht, den Junker von Tronka in Verfolg eigenmächtiger Rechtsschlüsse zu
überfallen und, da du ihn auf seiner Burg nicht fandst, mit Feuer und Schwert die ganze Gemeinschaft
heimzusuchen, die ihn beschirmt?« Kohlhaas erwiderte: »Hochwürdiger Herr, niemand fortan!
Eine Nachricht, die ich aus Dresden erhielt, hat mich getäuscht, mich verführt! Der Krieg, den ich mit
der Gemeinheit der Menschen führe, ist eine Missetat, sobald ich aus ihr nicht, wie Ihr mir die Versicherung
gegeben habt, verstoßen war!« - »Verstoßen!«, rief Luther, indem er ihn ansah.
»Welch eine Raserei der Gedanken ergriff dich? Wer hätte dich aus der Gemeinschaft des Staats, in welchem
du lebtest, verstoßen? Ja, wo ist, so lange Staaten bestehen, ein Fall, dass jemand, wer es auch sei, daraus
verstoßen worden wäre?« - »Verstoßen«, antwortete Kohlhaas, indem er die Hand
zusammendrückte, »nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist! Denn dieses Schutzes zum Gedeihen
meines friedlichen Gewerbes bedarf ich; ja, er ist es, dessenhalb ich mich mit dem Kreis dessen, was ich erworben, in
diese Gemeinschaft flüchte; und wer mir ihn versagt, der stößt mich zu den Wilden der Einöde
hinaus; er gibt mir, wie wollt Ihr das leugnen, die Keule, die mich selbst schützt, in die Hand.« -
»Wer hat dir den Schutz der Gesetze versagt?«, rief Luther. »Schrieb ich dir nicht, dass die
Klage, die du eingereicht, dem Landesherrn, dem du sie eingereicht, fremd ist? Wenn Staatsdiener hinter seinem
Rücken Prozesse unterschlagen oder sonst seines geheiligten Namens in seiner Unwissenheit spotten, wer anders
als Gott darf ihn wegen der Wahl solcher Diener zur Rechenschaft ziehen, und bist du, gottverdammter und entsetzlicher
Mensch, befugt, ihn deshalb zu richten?« - »Wohlan«, versetzte Kohlhaas, »wenn mich der
Landesherr nicht verstößt, so kehre ich auch wieder in die Gemeinschaft, die er beschirmt, zurück.
Verschafft mir, ich wiederhol es, freies Geleit nach Dresden, so lasse ich den Haufen, den ich im Schloss zu
Lützen versammelt, auseinandergehen und bringe die Klage, mit der ich abgewiesen worden bin, noch einmal bei
dem Tribunal des Landes vor.« -
Luther, mit einem verdrießlichen Gesicht, warf die Papiere, die auf seinem
Tisch lagen, übereinander und schwieg. Die trotzige Stellung, die dieser seltsame Mensch im Staat einnahm,
verdross ihn; und den Rechtsschluss, den er von Kohlhaasenbrück aus an den Junker erlassen, erwägend,
fragte er, was er denn von dem Tribunal zu Dresden verlange. Kohlhaas antwortete: »Bestrafung des Junkers,
den Gesetzen gemäß Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand und Ersatz des Schadens, den ich
sowohl als mein bei Mühlberg gefallener Knecht Herse durch die Gewalttat, die man an uns verübte,
erlitten.« - Luther rief: »Ersatz des Schadens! Summen zu Tausenden bei Juden und Christen auf
Wechseln und Pfändern hast du zur Bestreitung deiner wilden Selbstrache aufgenommen. Wirst du den Wert
auch auf der Rechnung, wenn es zur Nachfrage kommt, ansetzen?« - »Gott behüte!«, erwiderte
Kohlhaas. »Haus und Hof und den Wohlstand, den ich besessen, fordere ich nicht zurück, so wenig als die
Kosten des Begräbnisses meiner Frau! Hersens alte Mutter wird eine Berechnung der Heilkosten und eine
Spezifikation dessen, was ihr Sohn in der Tronkenburg eingebüßt, beibringen; und den Schaden, den
ich wegen Nichtverkaufs der Rappen erlitten, mag die Regierung durch einen Sachverständigen abschätzen
lassen.« - Luther sagte: »Rasender, unbegreiflicher und entsetzlicher Mensch!«, und sah ihn an.
»Nachdem dein Schwert sich an dem Junker Rache, die grimmigste, genommen, die sich erdenken lässt,
was treibt dich, auf ein Erkenntnis gegen ihn zu bestehen, dessen Schärfe, wenn es zuletzt fällt,
ihn mit einem Gewicht von so geringer Erheblichkeit nur trifft?« - Kohlhaas erwiderte, indem ihm eine
Träne über die Wangen rollte: »Hochwürdiger Herr! Es hat mich meine Frau gekostet; Kohlhaas
will der Welt zeigen, dass sie in keinem ungerechten Handel umgekommen ist. Fügt Euch in diesen Stücken
meinem Willen und lasst den Gerichtshof sprechen; in allem anderen, was sonst noch streitig sein mag, füge
ich mich Euch.« -
Luther sagte: »Schau her, was du forderst, wenn anders die Umstände so sind,
wie die öffentliche Stimme hören lässt, ist gerecht; und hättest du den Streit, bevor du
eigenmächtig zur Selbstrache geschritten, zu des Landesherrn Entscheidung zu bringen gewusst, so wäre
dir deine Forderung, zweifle ich nicht, Punkt vor Punkt bewilligt worden. Doch hättest du nicht, alles wohl
erwogen, besser getan, du hättest um deines Erlösers willen dem Junker vergeben, die Rappen, dürre
und abgehärmt, wie sie waren, bei der Hand genommen, dich aufgesetzt und zur Dickfütterung in deinen
Stall nach Kohlhaasenbrück heimgeritten?« - Kohlhaas antwortete: »Kann sein!«, indem er
ans Fenster trat, »kann sein auch nicht! Hätte ich gewusst, dass ich sie mit Blut aus dem Herzen
meiner lieben Frau würde auf die Beine bringen müssen, kann sein, ich hätte getan, wie Ihr gesagt,
hochwürdiger Herr, und einen Scheffel Hafer nicht gescheut! Doch weil sie mir einmal so teuer zu stehen
gekommen sind, so habe es denn, meine ich, seinen Lauf; lasst das Erkenntnis, wie es mir zukömmt, sprechen
und den Junker mir die Rappen auffüttern.« -
Luther sagte, indem er unter mancherlei Gedanken wieder
zu seinen Papieren griff, er wolle mit dem Kurfürsten seinethalben in Unterhandlung treten. Inzwischen
möchte er sich auf dem Schlosse zu Lützen still halten; wenn der Herr ihm freies Geleit bewillige,
so werde man es ihm auf dem Wege öffentlicher Anplackung bekannt machen. - »Zwar«, fuhr er
fort, da Kohlhaas sich herabbog, um seine Hand zu küssen, ob der Kurfürst Gnade für Recht ergehen
lassen wird, weiß ich nicht; denn einen Heerhaufen, vernehm ich, zog er zusammen und steht im Begriff, dich
im Schlosse zu Lützen aufzuheben, inzwischen, wie ich dir schon gesagt habe, an meinem Bemühen soll es
nicht liegen.« Und damit stand er auf und machte Anstalt, ihn zu entlassen. Kohlhaas meinte, dass seine
Fürsprache ihn über diesen Punkt völlig beruhige, worauf Luther ihn mit der Hand grüßte,
jener aber plötzlich ein Knie vor ihm senkte und sprach, er habe noch eine Bitte auf seinem Herzen. Zu
Pfingsten nämlich, wo er an den Tisch des Herrn zu gehen pflege, habe er die Kirche dieser seiner
kriegerischen Unternehmungen wegen versäumt, ob er die Gewogenheit haben wolle, ohne weitere Vorbereitung
seine Beichte zu empfangen und ihm zur Auswechselung dagegen die Wohltat des heiligen Sakraments zu erteilen.
Luther, nach einer kurzen Besinnung, indem er ihn scharf ansah, sagte: »Ja, Kohlhaas, das will ich tun!
Der Herr aber, dessen Leib du begehrst, vergab seinem Feind. - Willst du«, setzte er, da jener ihn betreten
ansah, hinzu, »dem Junker, der dich beleidigt hat, gleichfalls vergeben, nach der Tronkenburg gehen, dich
auf deine Rappen setzen und sie zur Dickfütterung nach Kohlhaasenbrück heimreisen?« -
»Hochwürdiger Herr«, sagte Kohlhaas errötend, indem er seine Hand ergriff, -
»Nun?« - »der Herr auch vergab allen seinen Feinden nicht. Lasst mich den Kurfürsten,
meinen beiden Herren, dem Schlossvogt und Verwalter, den Herren Hinz und Kunz, und wer mich sonst in dieser
Sache gekränkt haben mag, vergeben, den Junker aber, wenn es sein kann, nötigen, dass er mir die
Rappen wieder dick füttere.« -
Bei diesen Worten kehrte ihm Luther mit einem missvergnüglichen
Blick den Rücken zu und zog die Klingel. Kohlhaas, während, dadurch herbeigerufen, ein Famulus sich
mit Licht in dem Vorsaal meldete, stand betreten, indem er sich die Augen trocknete, vom Boden auf; und da der
Famulus vergebens, weil der Riegel vorgeschoben war, an der Türe wirkte, Luther aber sich wieder zu seinen
Papieren niedergesetzt hatte, so machte Kohlhaas dem Mann die Türe auf. Luther mit einem kurzen, auf den
fremden Mann gerichteten Seitenblick sagte dem Famulus: »Leuchte!«, worauf dieser über den
Besuch, den er erblickte, ein wenig befremdet den Hausschlüssel von der Wand nahm und sich, auf die
Entfernung desselben wartend, unter die halb offene Tür des Zimmers zurückbegab. - Kohlhaas sprach,
indem er seinen Hut bewegt zwischen beide Hände nahm: »Und so kann ich, hochwürdigster Herr,
der Wohltat, versöhnt zu werden, die ich mir von Euch erbat, nicht teilhaftig werden?« Luther
antwortete kurz: »Deinem Heiland, nein, dem Landesherrn - das bleibt einem Versuch, wie ich dir
versprach, vorbehalten!« Und damit winkte er dem Famulus, das Geschäft, das er ihm aufgetragen,
ohne weiteren Aufschub abzumachen. Kohlhaas legte mit dem Ausdruck schmerzlicher Empfindung seine beiden
Hände auf die Brust, folgte dem Mann, der ihm die Treppe hinunterleuchtete, und verschwand.
Am anderen Morgen erließ Luther ein Sendschreiben
an den Kurfürsten von Sachsen, worin er nach einem bitteren
Seitenblick auf die seine Person umgebenden Herren Hinz und Kunz, Kämmerer und Mundschenk von Tronka, welche die Klage,
wie allgemein bekannt war, untergeschlagen hatten, dem Herrn mit der Freimütigkeit, die ihm eigen war, eröffnete,
dass bei so ärgerlichen Umständen nichts anderes zu tun übrig sei, als den Vorschlag des Rosshändlers
anzunehmen und ihm des Vorgefallenen wegen zur Erneuerung seines Prozesses Amnestie zu erteilen. Die öffentliche
Meinung, bemerkte er, sei auf eine höchst gefährliche Weise auf dieses Mannes Seite, dergestalt, dass selbst
in dem dreimal von ihm eingeäscherten Wittenberg eine Stimme zu seinem Vorteil spreche; und da er sein Anerbieten,
falls er damit abgewiesen werden sollte, unfehlbar unter gehässigen Bemerkungen zur Wissenschaft des Volks bringen
würde, so könne dasselbe leicht in dem Grade verführt werden, dass mit der Staatsgewalt gar nichts mehr
gegen ihn auszurichten sei. Er schloss, dass man in diesem außerordentlichen Fall über die Bedenklichkeit mit
einem Staatsbürger, der die Waffen ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hinweggehen müsse, dass derselbe in
der Tat durch das Verfahren, das man gegen ihn beobachtet, auf gewisse Weise außer der Staatsverbindung gesetzt
worden sei und kurz, dass man ihn, um aus dem Handel zu kommen, mehr als eine fremde, in das Land gefallene Macht, wozu
er sich auch, da er ein Ausländer sei, gewissermaßen qualifiziere, als einen Rebellen, der sich gegen den
Thron auflehne, betrachten müsse. -
Der Kurfürst erhielt diesen Brief eben, als der Prinz Christiern von
Meißen, Generalissimus des Reichs, Oheim des bei Mühlberg geschlagenen und an seinen Wunden noch
daniederliegenden Prinzen Friedrich von Meißen, der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, Graf Kallheim,
Präsident der Staatskanzlei, und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka, dieser Kämmerer, jener Mundschenk,
die Jugendfreunde und Vertrauten des Herrn, in dem Schlosse gegenwärtig waren.
Der Kämmerer, Herr Kunz, der
in der Qualität eines Geheimrates des Herrn geheime Korrespondenz mit der Befugnis, sich seines Namens und
Wappens zu bedienen, besorgte, nahm zuerst das Wort, und nachdem er noch einmal weitläufig auseinandergelegt
hatte, dass er die Klage, die der Rosshändler gegen den Junker, seinen Vetter, bei dem Tribunal eingereicht,
nimmermehr durch eine eigenmächtige Verfügung niedergeschlagen haben würde, wenn er sie nicht, durch
falsche Angaben verführt, für eine völlig grundlose und nichtsnutzige Plackerei gehalten hätte,
kam er auf die gegenwärtige Lage der Dinge. Er bemerkte, dass weder nach göttlichen noch menschlichen
Gesetzen der Rosskamm um dieses Missgriffs willen befugt gewesen wäre, eine so ungeheure Selbstrache, als er
sich erlaubt, auszuüben, schilderte den Glanz, der durch eine Verhandlung mit demselben als einer rechtlichen
Kriegsgewalt auf sein gottverdammtes Haupt falle; und die Schmach, die dadurch auf die geheiligte Person des
Kurfürsten zurückspringe, schien ihm so unerträglich, dass er im Feuer der Beredsamkeit lieber
das Äußerste erleben, den Rechtsschluss des rasenden Rebellen erfüllt und den Junker, seinen
Vetter, zur Dickfütterung der Rappen nach Kohlhaasenbrück abgeführt sehen als den Vorschlag, den
der Doktor Luther gemacht, angenommen wissen wollte.
Der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, äußerte,
halb zu ihm gewandt, sein Bedauern, dass eine so zarte Sorgfalt, als er bei der Auflösung dieser allerdings
misslichen Sache für den Ruhm des Herrn zeige, ihn nicht bei der ersten Veranlassung derselben erfüllt
hätte. Er stellte dem Kurfürsten sein Bedenken vor, die Staatsgewalt zur Durchsetzung einer offenbar
unrechtlichen Maßregel in Anspruch zu nehmen, bemerkte mit einem bedeutenden Blick auf den Zulauf, den der
Rosshändler fortdauernd im Lande fand, dass der Faden der Freveltaten sich auf diese Weise ins Unendliche
fortzuspinnen drohe, und erklärte, dass nur ein schlichtes Rechttun, indem man unmittelbar und rücksichtslos
den Fehltritt, den man sich zuschulden kommen lassen, wieder gut machte, ihn abreißen und die Regierung
glücklich aus diesem hässlichen Handel herausziehen könne.
Der Prinz Christiern von Meißen,
auf die Frage des Herrn, was er davon halte, äußerte, mit Verehrung gegen den Großkanzler gewandt,
die Denkungsart, die er an den Tag lege, erfülle ihn zwar mit dem größesten Respekt, indem er aber
dem Kohlhaas zu seinem Recht verhelfen wolle, bedenke er nicht, dass er Wittenberg und Leipzig und das ganze durch
ihn misshandelte Land in seinem gerechten Anspruch auf Schadenersatz oder wenigstens Bestrafung beeinträchtige.
Die Ordnung des Staats sei in Beziehung auf diesen Mann so verrückt, dass man sie schwerlich durch einen
Grundsatz, aus der Wissenschaft des Rechts entlehnt, werde einrenken können. Daher stimme er nach der Meinung
des Kämmerers dafür, das Mittel, das für solche Fälle eingesetzt sei, ins Spiel zu ziehen,
einen Kriegshaufen von hinreichender Größe zusammenzuraffen und den Rosshändler, der in Lützen
aufgepflanzt sei, damit aufzuheben oder zu erdrücken. Der Kämmerer, indem er für ihn und den
Kurfürsten Stühle von der Wand nahm und auf eine verbindliche Weise ins Zimmer setzte, sagte, er
freue sich, dass ein Mann von seiner Rechtschaffenheit und Einsicht mit ihm in dem Mittel, diese Sache
zweideutiger Art beizulegen, übereinstimme. Der Prinz, indem er den Stuhl, ohne sich zu setzen, in der
Hand hielt und ihn ansah, versicherte ihn, dass er gar nicht Ursache hätte, sich deshalb zu freuen, indem
die damit verbundene Maßregel notwendig die wäre, einen Verhaftungsbefehl vorher gegen ihn zu erlassen
und wegen Missbrauchs des landesherrlichen Namens den Prozess zu machen. Denn wenn Notwendigkeit erfordere, den
Schleier vor dem Thron der Gerechtigkeit niederzulassen über eine Reihe von Freveltaten, die unabsehbar, wie
sie sich forterzeugt, vor den Schranken desselben zu erscheinen, nicht mehr Raum fänden, so gelte das nicht
von der ersten, die sie veranlasst, und allererst seine Anklage auf Leben und Tod könne den Staat zur
Zermalmung des Rosshändlers bevollmächtigen, dessen Sache, wie bekannt, sehr gerecht sei und dem man
das Schwert, das er führe, selbst in die Hand gegeben.
Der Kurfürst, den der Junker bei diesen Worten
betroffen ansah, wandte sich, indem er über das ganze Gesicht rot ward, und trat ans Fenster. Der Graf
Kallheim, nach einer verlegenen Pause von allen Seiten, sagte, dass man auf diese Weise aus dem Zauberkreise, in dem
man befangen, nicht herauskäme. Mit demselben Rechte könne seinem Neffen, dem Prinzen Friedrich, der
Prozess gemacht werden; denn auch er hätte auf dem Streifzug sonderbarer Art, den er gegen den Kohlhaas
unternommen, seine Instruktion auf mancherlei Weise überschritten, dergestalt, dass wenn man nach der
weitläufigen Schar derjenigen frage, die die Verlegenheit, in welcher man sich befinde, veranlasst,
er gleichfalls unter die Zahl derselben würde benannt und von dem Landesherrn wegen dessen, was bei
Mühlberg vorgefallen, zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Der Mundschenk, Herr Hinz von
Tronka, während der Kurfürst mit ungewissen Blicken an seinen Tisch trat, nahm das Wort und sagte,
er begriffe nicht, wie der Staatsbeschluss, der zu fassen sei, Männern von solcher Weisheit, als hier
versammelt wären, entgehen könne. Der Rosshändler habe seines Wissens gegen bloß freies
Geleit nach Dresden und erneuerte Untersuchung seiner Sache versprochen, den Haufen, mit dem er in das Land
gefallen, auseinandergehen zu lassen. Daraus aber folge nicht, dass man ihm wegen dieser frevelhaften
Selbstrache Amnestie erteilen müsse, zwei Rechtsbegriffe, die der Doktor Luther sowohl als auch der
Staatsrat zu verwechseln scheine. Wenn, fuhr er fort, indem er den Finger an die Nase legte, bei dem Tribunal
zu Dresden, gleichviel wie, das Erkenntnis der Rappen wegen gefallen ist, so hindert nichts, den Kohlhaas auf
den Grund seiner Mordbrennereien und Räubereien einzustecken, eine staatskluge Wendung, die die Vorteile
der Ansichten beider Staatsmänner vereinigt und des Beifalls der Welt und Nachwelt gewiss ist. -
Der Kurfürst, da der Prinz sowohl als der Großkanzler dem Mundschenk, Herrn Hinz, auf diese Rede
mit einem bloßen Blick antworteten und die Verhandlung mithin geschlossen schien, sagte, dass er die
verschiedenen Meinungen, die sie ihm vorgetragen, bis zur nächsten Sitzung des Staatsrats bei sich selbst
überlegen würde. - Es schien die Präliminar-Maßregel, deren der Prinz gedacht, hatte seinem
für Freundschaft sehr empfänglichen Herzen die Lust benommen, den Heereszug gegen den Kohlhaas, zu
welchem schon alles vorbereitet war, auszuführen. Wenigstens behielt er den Großkanzler, Grafen Wrede,
dessen Meinung ihm die zweckmäßigste schien, bei sich zurück; und da dieser ihm Briefe vorzeigte,
aus welchen hervorging, dass der Rosshändler in der Tat schon zu einer Stärke von vierhundert Mann
herangewachsen sei, ja, bei der allgemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kämmerers
im Lande herrschte, in Kurzem auf eine doppelte und dreifache Stärke rechnen könne, so entschloss
sich der Kurfürst ohne weiteren Anstand den Rat, den ihm der Doktor Luther erteilt, anzunehmen. Dem
gemäß übergab er dem Grafen Wrede die ganze Leitung der Kohlhaasischen Sache; und schon nach
wenigen Tagen erschien ein Plakat, das wir dem Hauptinhalt nach folgendermaßen mitteilen:

»
Wir etc, etc. Kurfürst von Sachsen,
erteilen in besonders gnädiger Rücksicht auf die an
Uns ergangene Fürsprache des Doktors Martin Luther dem Michael Kohlhaas, Rosshändler aus dem Brandenburgischen,
unter der Bedingung, binnen drei Tagen nach Sicht die Waffen, die er ergriffen, niederzulegen, behufs einer erneuerten
Untersuchung seiner Sache freies Geleit nach Dresden, dergestalt zwar, dass, wenn derselbe, wie nicht zu erwarten, bei
dem Tribunal zu Dresden mit seiner Klage der Rappen wegen abgewiesen werden sollte, gegen ihn seines eigenmächtigen
Unternehmens wegen, sich selbst Recht zu verschaffen, mit der ganzen Strenge des Gesetzes verfahren werden solle,
im entgegengesetzten Fall aber ihm mit seinem ganzen Haufen Gnade für Recht bewilligt und völlige
Amnestie seiner in Sachsen ausgeübten Gewalttätigkeiten wegen zugestanden sein solle.«
[Fünfter Teil: Wie Michael Kohlhaas auf das 'freie Geleit' vertraute]
Kohlhaas hatte nicht sobald durch den Doktor Luther ein Exemplar dieses in allen Plätzen des Landes angeschlagenen Plakats erhalten, als er, so
bedingungsweise auch die darin geführte Sprache war, seinen ganzen Haufen schon mit Geschenken, Danksagungen und zweckmäßigen Ermahnungen
auseinandergehen ließ. Er legte alles, was er an Geld, Waffen und Gerätschaften erbeutet haben mochte, bei den Gerichten zu Lützen als kurfürstliches
Eigentum nieder; und nachdem er den Waldmann mit Briefen wegen Wiederkaufs seiner Meierei, wenn es möglich sei, an den Amtmann nach
Kohlhaasenbrück und den Sternbald zur Abholung seiner Kinder, die er wieder bei sich zu haben wünschte, nach Schwerin geschickt hatte, verließ
er das Schloss zu Lützen und ging unerkannt mit dem Rest seines kleinen Vermögens, das er in Papieren bei sich trug, nach Dresden.
Der Tag brach eben an, und die ganze Stadt schlief noch, als er
an die Tür der kleinen, in der Pirnaischen Vorstadt gelegenen Besitzung, die ihm
durch die Rechtschaffenheit des Amtmanns übrig geblieben war, anklopfte und Thomas, dem alten die Wirtschaft führenden Hausmann, der
ihm mit Erstaunen und Bestürzung aufmachte, sagte, er möchte dem Prinzen von Meißen auf dem Gubernium melden, dass er, Kohlhaas
der Rosshändler, da wäre. Der Prinz von Meißen, der auf diese Meldung für zweckmäßig hielt, augenblicklich sich selbst
von dem Verhältnis, in welchem man mit diesem Mann stand, zu unterrichten, fand, als er mit einem Gefolge von Rittern und Trossknechten bald
darauf erschien, in den Straßen, die zu Kohlhaasens Wohnung führten, schon eine unermessliche Menschenmenge versammelt. Die Nachricht,
dass der Würgengel da sei, der die Volksbedrücker mit Feuer und Schwert verfolgte, hatte ganz Dresden, Stadt und Vorstadt, auf die Beine
gebracht; man musste die Haustür vor dem Andrang des neugierigen Haufens verriegeln, und die Jungen kletterten an den Fenstern heran, um
den Mordbrenner, der darin frühstückte, in Augenschein zu nehmen. Sobald der Prinz mit Hilfe der ihm Platz machenden Wache ins Haus
gedrungen und in Kohlhaasens Zimmer getreten war, fragte er diesen, welcher halb entkleidet an einem Tische stand, ob er Kohlhaas, der
Rosshändler, wäre, worauf Kohlhaas, indem er eine Brieftasche mit mehreren über sein Verhältnis lautenden Papieren aus seinem
Gurt nahm und ihm ehrerbietig überreichte, antwortete: »Ja!«, und hinzusetzte, er finde sich nach Auflösung seines Kriegshaufens der ihm
erteilten landesherrlichen Freiheit gemäß in Dresden ein, um seine Klage der Rappen wegen gegen den Junker Wenzel von Tronka vor
Gericht zu bringen.
Der Prinz, nach einem flüchtigen Blick, womit er ihn von Kopf zu Fuß überschaute, durchlief die in der Brieftasche
befindlichen Papiere, ließ sich von ihm erklären, was es mit einem von dem Gericht zu Lützen ausgestellten Schein, den er darin fand,
über die zugunsten des kurfürstlichen Schatzes gemachte Deposition für eine Bewandtnis habe; und nachdem er die Art des Mannes
noch durch Fragen mancherlei Gattung, nach seinen Kindern, seinem Vermögen und der Lebensart, die er künftig zu führen denke,
geprüft und überall so, dass man wohl seinetwegen ruhig sein konnte, befunden hatte, gab er ihm die Briefschaften wieder und sagte, dass
seinem Prozess nichts im Wege stünde und dass er sich nur unmittelbar, um ihn einzuleiten, an den Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede,
selbst wenden möchte. Inzwischen sagte der Prinz nach einer Pause, indem er ans Fenster trat und mit großen Augen das Volk, das vor dem
Hause versammelt war, überschaute: »Du wirst auf die ersten Tage eine Wache annehmen müssen, die dich in deinem Hause sowohl, als wenn
du ausgehst, schütze!« - Kohlhaas sah betroffen vor sich nieder und schwieg. Der Prinz sagte: »Gleichviel!«, indem er das
Fenster wieder verließ,
»was daraus entsteht, du hast es dir selbst beizumessen«, und damit wandte er sich wieder nach der Tür in der Absicht, das Haus zu verlassen.
Kohlhaas, der sich besonnen hatte, sprach: »Gnädigster Herr! Tut, was Ihr wollt! Gebt mir Euer Wort, die Wache, sobald ich es wünsche, wieder
aufzuheben, so habe ich gegen diese Maßregel nichts einzuwenden!« Der Prinz erwiderte, das bedürfe der Rede nicht, und nachdem er drei
Landsknechten, die man ihm zu diesem Zweck vorstellte, bedeutet hatte, dass der Mann, in dessen Hause sie zurückblieben, frei wäre und
dass sie ihm bloß zu seinem Schutz, wenn er ausginge, folgen sollten, grüßte er den Rosshändler mit einer herablassenden Bewegung der
Hand und entfernte sich.
Gegen Mittag begab sich Kohlhaas, von seinen drei Landsknechten begleitet,
unter dem Gefolge einer unabsehbaren Menge, die ihm aber auf
keine Weise, weil sie durch die Polizei gewarnt war, etwas zuleide tat, zu dem Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede. Der Großkanzler,
der ihn mit Milde und Freundlichkeit in seinem Vorgemach empfing, unterhielt sich während zwei ganzer Stunden mit ihm, und nachdem er sich den
ganzen Verlauf der Sache von Anfang bis zu Ende hatte erzählen lassen, wies er ihn zur unmittelbaren Abfassung und Einreichung der Klage an
einen bei dem Gericht angestellten berühmten Advokaten der Stadt. Kohlhaas, ohne weiteren Verzug, verfügte sich in dessen Wohnung;
und nachdem die Klage ganz der ersten niedergeschlagenen gemäß auf Bestrafung des Junkers nach den Gesetzen, Wiederherstellung
der Pferde in den vorigen Stand und Ersatz seines Schadens sowohl als auch dessen, den sein bei Mühlberg gefallener Knecht Herse erlitten
hatte, zugunsten der alten Mutter desselben aufgesetzt war, begab er sich wieder unter Begleitung des ihn immer noch angaffenden Volks nach
Hause zurück, wohl entschlossen, es anders nicht als nur, wenn notwendige Geschäfte ihn riefen, zu verlassen.
Inzwischen war auch der Junker seiner Haft in Wittenberg entlassen und
nach Herstellung von einer gefährlichen Rose, die seinen Fuß
entzündet hatte, von dem Landesgericht unter peremtorischen Bedingungen aufgefordert worden, sich zur Verantwortung auf die von dem
Rosshändler Kohlhaas gegen ihn eingereichte Klage wegen widerrechtlich abgenommener und zugrunde gerichteter Rappen in Dresden zu
stellen. Die Gebrüder Kämmerer und Mundschenk von Tronka, Lehnsvettern des Junkers, in deren Hause er abtrat, empfingen ihn mit
der größesten Erbitterung und Verachtung; sie nannten ihn einen Elenden und Nichtswürdigen, der Schande und Schmach über
die ganze Familie bringe, kündigten ihm an, dass er seinen Prozess nunmehr unfehlbar verlieren würde, und forderten ihn auf, nur gleich
zur Herbeischaffung der Rappen, zu deren Dickfütterung er zum Hohngelächter der Welt verdammt werden werde, Anstalt zu machen.
Der Junker sagte mit schwacher, zitternder Stimme, er sei der bejammernswürdigste Mensch von der Welt. Er verschwor sich, dass er von
dem ganzen verwünschten Handel, der ihn ins Unglück stürze, nur wenig gewusst und dass der Schlossvogt und der Verwalter an
allem schuld wären, indem sie die Pferde ohne sein entferntestes Wissen und Wollen bei der Ernte gebraucht und durch unmäßige
Anstrengungen zum Teil auf ihren eigenen Feldern zugrunde gerichtet hätten. Er setzte sich, indem er dies sagte, und bat, ihn nicht durch
Kränkungen und Beleidigungen in das Übel, von dem er nur soeben erst erstanden sei, mutwillig zurückzustürzen.
Am andern Tage schrieben die Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der eingeäscherten Tronkenburg Güter besaßen, auf Ansuchen des
Junkers, ihres Vetters, weil doch nichts anders übrig blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Pächter um Nachricht über die
an jenem unglücklichen Tage abhanden gekommenen und seitdem gänzlich verschollenen Rappen einzuziehn. Aber alles, was sie bei der
gänzlichen Verwüstung des Platzes und der Niedermetzelung fast aller Einwohner erfahren konnten, war, dass ein Knecht sie, von den
flachen Hieben des Mordbrenners getrieben, aus dem brennenden Schuppen, in welchem sie standen, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo
er sie hinführen und was er damit anfangen solle, von dem grimmigen Wüterich einen Fußtritt zur Antwort erhalten habe. Die alte,
von der Gicht geplagte Haushälterin des Junkers, die sich nach Meißen geflüchtet hatte, versicherte demselben auf eine schriftliche
Anfrage, dass der Knecht sich am Morgen jener entsetzlichen Nacht mit den Pferden nach der brandenburgischen Grenze gewandt habe; doch
alle Nachfragen, die man daselbst anstellte, waren vergeblich, und es schien dieser Nachricht ein Irrtum zum Grunde zu liegen, indem der Junker
keinen Knecht hatte, der im Brandenburgischen oder auch nur auf der Straße dorthin zu Hause war.
Männer aus Dresden, die wenige
Tage nach dem Brande der Tronkenburg in Wilsdruff gewesen waren, sagten aus, dass um die benannte Zeit ein Knecht mit zwei an der Halfter
gehenden Pferden dort angekommen und die Tiere, weil sie sehr elend gewesen wären und nicht weiter fortgekonnt hätten, im Kuhstall
eines Schäfers, der sie wieder hätte aufbringen wollen, stehen gelassen hätte. Es schien mancherlei Gründe wegen sehr
wahrscheinlich, dass dies die in Untersuchung stehenden Rappen waren; aber der Schäfer aus Wilsdruff hatte sie wie Leute, die dorther
kamen, versicherten, schon wieder, man wusste nicht an wen, verhandelt; und ein drittes Gerücht, dessen Urheber unentdeckt blieb, sagte
gar aus, dass die Pferde bereits in Gott verschieden und in der Knochengrube zu Wilsdruff begraben wären. Die Herren Hinz und Kunz,
denen diese Wendung der Dinge, wie man leicht begreift, die erwünschteste war, indem sie dadurch bei des Junkers, ihres Vetters,
Ermangelung eigener Ställe der Notwendigkeit, die Rappen in den ihrigen aufzufüttern, überhoben waren, wünschten
gleichwohl völliger Sicherheit wegen diesen Umstand zu bewahrheiten. Herr Wenzel von Tronka erließ demnach als
Erb-, Lehns- und Gerichtsherr ein Schreiben an die Gerichte zu Wilsdruff, worin er dieselben nach einer weitläufigen Beschreibung der Rappen, die, wie er
sagte, ihm anvertraut und durch einen Unfall abhanden gekommen wären, dienstfreundlichst ersuchte, den dermaligen Aufenthalt derselben
zu erforschen und den Eigner, wer er auch sei, aufzufordern und anzuhalten, sie gegen reichliche Wiedererstattung aller Kosten in den
Ställen des Kämmerers Herrn Kunz zu Dresden abzuliefern. Demgemäß erschien auch wirklich wenige Tage darauf der Mann,
an den sie der Schäfer aus Wilsdruff verhandelt hatte, und führte sie, dürr und wankend an die Runge seines Karrens gebunden,
auf den Markt der Stadt; das Unglück aber Herrn Wenzels und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas wollte, dass es der Abdecker aus
Döbeln war.
Sobald Herr Wenzel in Gegenwart des Kämmerers, seines Vetters, durch
ein unbestimmtes Gerücht vernommen hatte, dass ein Mann mit
zwei schwarzen, aus dem Brande der Tronkenburg entkommenen Pferden in der Stadt angelangt sei, begaben sich beide in Begleitung einiger aus
dem Hause zusammengerafften Knechte auf den Schlossplatz, wo er stand, um sie demselben, falls es die dem Kohlhaas zugehörigen wären,
gegen Erstattung der Kosten abzunehmen und nach Hause zu führen. Aber wie betreten waren die Ritter, als sie bereits einen von Augenblick zu
Augenblick sich vergrößernden Haufen von Menschen, den das Schauspiel herbeigezogen, um den zweirädrigen Karren, an dem die
Tiere befestigt waren, erblickten, unter unendlichem Gelächter einander zurufend, dass die Pferde schon, um derenthalben der Staat wanke, an
den Schinder gekommen wären! Der Junker, der um den Karren herumgegangen war und die jämmerlichen Tiere, die alle Augenblicke sterben
zu wollen schienen, betrachtet hatte, sagte verlegen, das wären die Pferde nicht, die er dem Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der
Kämmerer, einen Blick sprachlosen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn er von Eisen gewesen wäre, ihn zerschmettert hätte, trat,
indem er seinen Mantel, Orden und Kette entblößend zurückschlug, zu dem Abdecker heran und fragte ihn, ob das die Rappen wären,
die der Schäfer von Wilsdruff an sich gebracht und der Junker Wenzel von Tronka, dem sie gehörten, bei den Gerichten daselbst requiriert
hätte. Der Abdecker, der einen Eimer Wasser in der Hand beschäftigt war, einen dicken, wohlbeleibten Gaul, der seinen Karren zog, zu
tränken, sagte: »Die schwarzen?« - Er streifte dem Gaul, nachdem er den Eimer niedergesetzt, das Gebiss aus dem Maul und sagte, die Rappen,
die an die Runge gebunden wären, hätte ihm der Schweinehirte von Hainichen verkauft. Wo der sie her hätte und ob sie von dem
Wilsdruffer Schäfer kämen, das wisse er nicht. Ihm hätte, sprach er, während er den Eimer wieder aufnahm und zwischen
Deichsel und Knie anstemmte, ihm hätte der Gerichtsbote aus Wilsdruff gesagt, dass er sie nach Dresden in das Haus derer von Tronka bringen
solle, aber der Junker, an den er gewiesen sei, heiße Kunz. Bei diesen Worten wandte er sich mit dem Rest des Wassers, den der Gaul im Eimer
übriggelassen hatte, und schüttete ihn auf das Pflaster der Straße aus.
Der Kämmerer, der, von den Blicken der hohnlachenden
Menge umstellt, den Kerl, der mit empfindungslosem Eifer seine Geschäfte betrieb, nicht bewegen konnte, dass er ihn ansah, sagte, dass er der
Kämmerer Kunz von Tronka wäre, die Rappen aber, die er an sich bringen solle, müssten dem Junker, seinem Vetter, gehören,
von einem Knecht, der bei Gelegenheit des Brandes aus der Tronkenburg entwichen, an den Schäfer zu Wilsdruff gekommen und ursprünglich
zwei dem Rosshändler Kohlhaas zugehörige Pferde sein! Er fragte den Kerl, der mit gespreizten Beinen dastand und sich die Hosen in die
Höhe zog, ob er davon nichts wisse und ob sie der Schweinehirte von Hainichen nicht vielleicht, auf welchen Umstand alles ankomme, von dem
Wilsdruffer Schäfer oder von einem Dritten, der sie seinerseits von demselben gekauft, erstanden hätte. - Der Abdecker, der sich an den
Wagen gestellt und sein Wasser abgeschlagen hatte, sagte, er wäre mit den Rappen nach Dresden bestellt, um in dem Hause derer von Tronka
sein Geld dafür zu empfangen. Was er da vorbrächte, verstände er nicht, und ob sie vor dem Schweinehirten aus Hainichen Peter oder
Paul besessen hätte oder der Schäfer aus Wilsdruff, gelte ihm, da sie nicht gestohlen wären, gleich. Und damit ging er, die Peitsche
quer über seinen breiten Rücken, nach einer Kneipe, die auf dem Platze lag, in der Absicht, hungrig wie er war, ein Frühstück
einzunehmen.
Der Kämmerer, der auf der Welt Gottes nicht wusste, was er mit Pferden, die der Schweinehirte von Hainichen an den Schinder
in Döbeln verkauft, machen solle, falls es nicht diejenigen wären, auf welchen der Teufel durch Sachsen ritt,
forderte den Junker auf, ein Wort zu sprechen; doch da dieser mit bleichen, bebenden Lippen erwiderte, das Ratsamste wäre, dass man die Rappen kaufe, sie
möchten dem Kohlhaas gehören oder nicht, so trat der Kämmerer, Vater und Mutter, die ihn geboren, verfluchend, indem er sich
den Mantel zurückschlug, gänzlich unwissend, was er zu tun oder zu lassen habe, aus dem Haufen des Volks zurück. Er rief den
Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der über die Straße ritt, zu sich heran und trotzig, den Platz nicht zu verlassen, eben weil das
Gesindel höhnisch auf ihn einblickte und mit vor dem Mund zusammengedrückten Schnupftüchern nur auf seine Entfernung zu warten
schien, um loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Großkanzler, Grafen Wrede, abzusteigen und durch dessen Vermittelung den Kohlhaas zur
Besichtigung der Rappen herbeizuschaffen.
Es traf sich, dass Kohlhaas eben, durch einen Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des
Großkanzlers gewisser, die Deposition in Lützen betreffenden Erläuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwärtig
war, als der Freiherr in der eben erwähnten Absicht zu ihm ins Zimmer trat; und während der Großkanzler sich mit einem
verdrießlichen Gesicht vom Sessel erhob und den Rosshändler, dessen Person jenem unbekannt war, mit den Papieren, die er in der
Hand hielt, zur Seite stehen ließ, stellte der Freiherr ihm die Verlegenheit, in welcher sich die Herren von Tronka befanden, vor. Der
Abdecker von Döbeln sei auf mangelhafte Requisition der Gerichte mit Pferden erschienen, deren Zustand so heillos beschaffen wäre,
dass der Junker Wenzel anstehen müsse, sie für die dem Kohlhaas gehörigen anzuerkennen, dergestalt, dass, falls man sie
gleichwohl dem Abdecker abnehmen solle, um in den Ställen der Ritter zu ihrer Wiederherstellung einen Versuch zu machen, vorher eine
Okular-Inspektion des Kohlhaas, um den besagten Umstand außer Zweifel zu setzen, notwendig sei. »Habt demnach die Güte«,
schloss er, »den Rosshändler durch eine Wache aus seinem Hause abholen und auf den Markt, wo die Pferde stehen, hinführen zu lassen.«
Der Großkanzler, indem er sich eine Brille von der Nase nahm, sagte, dass er in einem doppelten Irrtum stünde; einmal, wenn er glaube,
dass der in Rede stehende Umstand anders nicht als durch eine Okular-Inspektion des Kohlhaas auszumitteln sei, und dann, wenn er sich einbilde,
er, der Kanzler, sei befugt, den Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, abführen zu lassen. Dabei stellte er ihm den
Rosshändler, der hinter ihm stand, vor und bat ihn, indem er sich niederließ und seine Brille wieder aufsetzte, sich in dieser Sache an ihn
selbst zu wenden. -
Kohlhaas, der mit keiner Miene, was in seiner Seele vorging, zu erkennen gab, sagte, dass er bereit wäre, ihm zur
Besichtigung der Rappen, die der Abdecker in die Stadt gebracht, auf den Markt zu folgen. Er trat, während der Freiherr sich betroffen zu
ihm umkehrte, wieder an den Tisch des Großkanzlers heran, und nachdem er demselben noch aus den Papieren seiner Brieftasche mehrere
die Deposition in Lützen betreffende Nachrichten gegeben hatte, beurlaubte er sich von ihm; der Freiherr, der über das ganze Gesicht rot
ans Fenster getreten war, empfahl sich ihm gleichfalls, und beide gingen, begleitet von den drei durch den Prinzen von Meißen eingesetzten
Landsknechten, unter dem Tross einer Menge von Menschen nach dem Schlossplatz hin. Der Kämmerer, Herr Kunz, der inzwischen den
Vorstellungen mehrerer Freunde, die sich um ihn eingefunden hatten, zum Trotz seinen Platz dem Abdecker von Döbeln gegenüber
unter dem Volke behauptet hatte, trat, sobald der Freiherr mit dem Rosshändler erschien, an den Letzteren heran und fragte ihn, indem er
sein Schwert mit Stolz und Ansehen unter dem Arm hielt, ob die Pferde, die hinter dem Wagen stünden, die seinigen wären? Der
Rosshändler, nachdem er mit einer bescheidenen Wendung gegen den die Frage an ihn richtenden Herrn, den er nicht kannte, den Hut
gerückt hatte, trat, ohne ihm zu antworten, im Gefolge sämtlicher Ritter an den Schinderkarren heran; und die Tiere, die, auf wankenden
Beinen, die Häupter zur Erde gebeugt, dastanden und von dem Heu, das ihnen der Abdecker vorgelegt hatte, nicht fraßen, flüchtig
aus einer Ferne von zwölf Schritt, in welcher er stehen blieb, betrachtet: »Gnädigster Herr!«, wandte er sich wieder zu dem Kämmerer
zurück, »der Abdecker hat ganz recht, die Pferde, die an seinen Karren gebunden sind, gehören mir!« Und damit, indem er sich in dem
ganzen Kreise der Herren umsah, rückte er den Hut noch einmal und begab sich, von seiner Wache begleitet, wieder von dem Platz hinweg.
Bei diesen Worten trat der Kämmerer mit einem raschen, seinen Helmbusch erschütternden Schritt zu dem Abdecker heran und warf ihm
einen Beutel mit Geld zu; und während dieser sich, den Beutel in der Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare über die Stirn
zurückkämmte und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, die Pferde abzulösen und nach Hause zu führen. Der Knecht,
der auf den Ruf des Herrn einen Kreis von Freunden und Verwandten, die er unter dem Volke besaß, verlassen hatte, trat auch in der Tat ein
wenig rot im Gesicht über eine große Mistpfütze, die sich zu ihren Füßen gebildet hatte, zu den Pferden heran; doch kaum
hatte er ihre Halfter erfasst, um sie loszubinden, als ihn Meister Himboldt, sein Vetter, schon beim Arm ergriff und mit den Worten: »Du rührst die
Schindmähren nicht an!«, von dem Karren hinwegschleuderte. Er setzte, indem er sich mit ungewissen Schritten über die Mistpfütze
wieder zu dem Kämmerer, der über diesen Vorfall sprachlos dastand, zurückwandte, hinzu, dass er sich einen Schinderknecht anschaffen
müsse, um ihm einen solchen Dienst zu leisten! Der Kämmerer, der, vor Wut schäumend, den Meister auf einen Augenblick betrachtet
hatte, kehrte sich um und rief über die Häupter der Ritter, die ihn umringten, hinweg nach der Wache; und sobald auf die Bestellung des
Freiherrn von Wenk ein Offizier mit einigen kurfürstlichen Trabanten aus dem Schloss erschienen war, forderte er denselben unter einer kurzen
Darstellung der schändlichen Aufhetzerei, die sich die Bürger der Stadt erlaubten, auf, den Rädelsführer, Meister Himboldt, in
Verhaft zu nehmen. Er verklagte den Meister, indem er ihn bei der Brust fasste, dass er seinen die Rappen auf seinen Befehl losbindenden Knecht
von dem Karren hinwegeschleudert und misshandelt hätte. Der Meister, indem er den Kämmerer mit einer geschickten Wendung, die ihn
befreite, zurückwies, sagte: »Gnädigster Herr, einem Burschen von zwanzig Jahren bedeuten, was er zu tun hat, heißt nicht, ihn
verhetzen! Befragt ihn, ob er sich gegen Herkommen und Schicklichkeit mit den Pferden, die an die Karre gebunden sind, befassen will; will er es,
nachdem, was ich gesagt, tun, sei's! Meinethalb mag er sie jetzt abludern und häuten!« Bei diesen Worten wandte sich der Kämmerer zu
dem Knecht herum und fragte ihn, ob er irgend Anstand nähme, seinen Befehl zu erfüllen und die Pferde, die dem Kohlhaas gehörten,
loszubinden und nach Hause zu führen. Und da dieser schüchtern, indem er sich unter die Bürger mischte, erwiderte, die Pferde
müssten erst ehrlich gemacht werden, bevor man ihm das zumute, so folgte ihm der Kämmerer von hinten, riss ihm den Hut ab, der mit
seinem Hauszeichen geschmückt war, zog, nachdem er den Hut mit Füßen getreten, vom Leder und jagte den Knecht mit wütenden
Hieben der Klinge augenblicklich vom Platz weg und aus seinen Diensten. Meister Himboldt rief: »Schmeißt den Mordwüterich doch gleich zu
Boden!«, und während die Bürger, von diesem Auftritt empört, zusammentraten und die Wache hinwegdrängten, warf er den
Kämmerer von hinten nieder, riss ihm Mantel, Kragen und Helm ab, wand ihm das Schwert aus der Hand und schleuderte es in einem grimmigen
Wurf weit über den Platz hinweg. Vergebens rief der Junker Wenzel, indem er sich aus dem Tumult rettete, den Rittern zu, seinem Vetter
beizuspringen; ehe sie noch einen Schritt dazu getan hatten, waren sie schon von dem Andrang des Volks zerstreut, dergestalt, dass der
Kämmerer, der sich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der ganzen Wut der Menge preisgegeben war. Nichts als die Erscheinung eines
Trupps berittener Landsknechte, die zufällig über den Platz zogen und die der Offizier der kurfürstlichen Trabanten zu seiner
Unterstützung herbeirief, konnte den Kämmerer retten. Der Offizier, nachdem er den Haufen verjagt, ergriff den wütenden Meister,
und während derselbe durch einige Reiter nach dem Gefängnis gebracht ward, hoben zwei Freunde den unglücklichen, mit Blut
bedeckten Kämmerer vom Boden auf und führten ihn nach Hause.
Einen so heillosen Ausgang nahm der wohlgemeinte und redliche
Versuch, dem Rosshändler wegen des Unrechts, das man ihm zugefügt, Genugtuung zu verschaffen. Der Abdecker von Döbeln,
dessen Geschäft abgemacht war und der sich nicht länger aufhalten wollte, band, da sich das Volk zu zerstreuen anfing, die Pferde an
einen Laternenpfahl, wo sie den ganzen Tag über, ohne dass sich jemand um sie bekümmerte, ein Spott der Straßenjungen und
Tagediebe, stehen blieben, dergestalt, dass in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei sich ihrer annehmen musste und gegen Einbruch
der Nacht den Abdecker von Dresden herbeirief, um sie bis auf weitere Verfügung auf der Schinderei vor der Stadt zu besorgen.
Dieser Vorfall, so wenig der Rosshändler ihn in der Tat verschuldet hatte,
erweckte gleichwohl auch bei den Gemäßigtern und
Besseren eine dem Ausgang seiner Streitsache höchst gefährliche Stimmung im Lande. Man fand das Verhältnis desselben zum
Staat ganz unerträglich, und in Privathäusern und auf öffentlichen Plätzen erhob sich die Meinung, dass es besser sei, ein
offenbares Unrecht an ihm zu verüben und die ganze Sache von Neuem niederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit, durch Gewalttaten ertrotzt,
in einer so nichtigen Sache zur bloßen Befriedigung seines rasenden Starrsinns zukommen zu lassen. Zum völligen Verderben des armen
Kohlhaas musste der Großkanzler selbst aus übergroßer Rechtlichkeit und einem davon herrührenden Hass gegen die
Familie von Tronka beitragen, diese Stimmung zu befestigen und zu verbreiten. Es war höchst unwahrscheinlich, dass die Pferde, die der
Abdecker von Dresden jetzt besorgte, jemals wieder in den Stand, wie sie aus dem Stall zu Kohlhaasenbrück gekommen waren, hergestellt
werden würden; doch gesetzt, dass es durch Kunst und anhaltende Pflege möglich gewesen wäre: die Schmach, die zufolge der
bestehenden Umstände dadurch auf die Familie des Junkers fiel, war so groß, dass bei dem staatsbürgerlichen Gewicht, den
sie als eine der ersten und edelsten im Lande hatte, nichts billiger und zweckmäßiger schien, als eine Vergütigung der Pferde in
Geld einzuleiten. Gleichwohl, auf einen Brief, in welchem der Präsident Graf Kallheim im Namen des Kämmerers, den seine Krankheit abhielt,
dem Großkanzler einige Tage darauf diesen Vorschlag machte, erließ derselbe zwar ein Schreiben an den Kohlhaas, worin er ihn ermahnte,
einen solchen Antrag, wenn er an ihn ergehen sollte, nicht von der Hand zu weisen; den Präsidenten selbst aber bat er in einer kurzen,
wenig verbindlichen Antwort, ihn mit Privataufträgen in dieser Sache zu verschonen und forderte den Kämmerer auf, sich an den
Rosshändler selbst zu wenden, den er ihm als einen sehr billigen und bescheidenen Mann schilderte. Der Rosshändler, dessen Wille
durch den Vorfall, der sich auf dem Markt zugetragen, in der Tat gebrochen war, wartete auch nur dem Rat des Großkanzlers
gemäß auf eine Eröffnung vonseiten des Junkers oder seiner Angehörigen, um ihnen mit völliger Bereitwilligkeit und
Vergebung alles Geschehenen entgegenzukommen; doch eben diese Eröffnung war den stolzen Rittern zu tun empfindlich, und schwer
erbittert über die Antwort, die sie von dem Großkanzler empfangen hatten, zeigten sie dieselbe dem Kurfürsten, der am
Morgen des nächstfolgenden Tages den Kämmerer krank, wie er an seinen Wunden daniederlag, in seinem Zimmer besucht hatte.
Der Kämmerer mit einer durch seinen Zustand schwachen und rührenden Stimme fragte ihn, ob er, nachdem er sein Leben daran
gesetzt, um diese Sache seinen Wünschen gemäß beizulegen, auch noch seine Ehre dem Tadel der Welt aussetzen und mit
einer Bitte um Vergleich und Nachgiebigkeit vor einem Manne erscheinen solle, der alle nur erdenkliche Schmach und Schande über ihn
und seine Familie gebracht habe. Der Kurfürst, nachdem er den Brief gelesen hatte, fragte den Grafen Kallheim verlegen, ob das
Tribunal nicht befugt sei, ohne weitere Rücksprache mit dem Kohlhaas auf den Umstand, dass die Pferde nicht wiederherzustellen wären,
zu fußen und demgemäß das Urteil gleich, als ob sie tot wären, auf bloße Vergütigung derselben in Geld abzufassen.
Der Graf antwortete: »Gnädigster Herr, sie
sind tot, sind in staatsrechtlicher Bedeutung
tot, weil sie keinen Wert haben, und werden es
physisch sein, bevor man sie aus der Abdeckerei in die Ställe der Ritter gebracht hat«, worauf der Kurfürst, indem er den Brief einsteckte,
sagte, dass er mit dem Großkanzler selbst darüber sprechen wolle, den Kämmerer, der sich halb aufrichtete und seine Hand
dankbar ergriff, beruhigte und, nachdem er ihm noch empfohlen hatte, für seine Gesundheit Sorge zu tragen, mit vieler Huld sich von
seinem Sessel erhob und das Zimmer verließ.
[Sechster Teil: Wie Michael Kohlhaas in Dresden scheiterte]
So standen die Sachen in Dresden, als sich über
den armen Kohlhaas noch ein anderes, bedeutenderes Gewitter von Lützen
her zusammenzog, dessen Strahl die arglistigen Ritter geschickt genug waren, auf das unglückliche Haupt desselben
herabzuleiten. Johann Nagelschmidt nämlich, einer von den durch den Rosshändler zusammengebrachten und nach
Erscheinung der kurfürstlichen Amnestie wieder abgedankten Knechten, hatte für gut befunden, wenige Wochen
nachher an der böhmischen Grenze einen Teil dieses zu allen Schandtaten aufgelegten Gesindels von Neuem
zusammenzuraffen und das Gewerbe, auf dessen Spur ihn Kohlhaas geführt hatte, auf seine eigne Hand fortzusetzen.
Dieser nichtsnutzige Kerl nannte sich, teils um den Häschern, von denen er verfolgt ward, Furcht einzuflößen, teils
um das Landvolk auf die gewohnte Weise zur Teilnahme an seinen Spitzbübereien zu verleiten, einen Statthalter des Kohlhaas,
sprengte mit einer seinem Herrn abgelernten Klugheit aus, dass die Amnestie an mehreren in ihre Heimat ruhig zurückgekehrten
Knechten nicht gehalten, ja der Kohlhaas selbst mit himmelschreiender Wortbrüchigkeit bei seiner Ankunft in Dresden eingesteckt
und einer Wache übergeben worden sei, dergestalt, dass in Plakaten, die den Kohlhaasischen ganz ähnlich waren, sein
Mordbrennerhaufen als ein zur bloßen Ehre Gottes aufgestandener Kriegshaufen erschien, bestimmt, über die Befolgung der
ihnen von dem Kurfürsten angelobten Amnestie zu wachen; alles, wie schon gesagt, keineswegs zur Ehre Gottes, noch aus
Anhänglichkeit an den Kohlhaas, dessen Schicksal ihnen völlig gleichgültig war, sondern um unter dem Schutz solcher
Vorspiegelungen desto ungestrafter und bequemer zu sengen und zu plündern.
Die Ritter, sobald die ersten Nachrichten davon
nach Dresden kamen, konnten ihre Freude über diesen, dem ganzen Handel eine andere Gestalt gebenden Vorfall nicht unterdrücken.
Sie erinnerten mit weisen und missvergnügten Seitenblicken an den Missgriff, den man begangen, indem man dem Kohlhaas ihren
dringenden und wiederholten Warnungen zum Trotz Amnestie erteilt, gleichsam als hätte man die Absicht gehabt,
Bösewichtern aller Art dadurch zur Nachfolge auf seinem Wege das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem Vorgeben des
Nagelschmidt, zur bloßen Aufrechthaltung und Sicherheit seines unterdrückten Herrn die Waffen ergriffen zu haben,
Glauben zu schenken, äußerten sie sogar die bestimmte Meinung, dass die ganze Erscheinung desselben nichts als ein
von dem Kohlhaas angezetteltes Unternehmen sei, um die Regierung in Furcht zu setzen und den Fall des Rechtsspruchs Punkt vor Punkt
seinem rasenden Eigensinn gemäß durchzusetzen und zu beschleunigen.
Ja, der Mundschenk, Herr Hinz, ging so weit,
einigen Jagdjunkern und Hofherren, die sich nach der Tafel im Vorzimmer des Kurfürsten um ihn versammelt hatten, die Auflösung
des Räuberhaufens in Lützen als eine verwünschte Spiegelfechterei darzustellen; und indem er sich über die
Gerechtigkeitsliebe des Großkanzlers sehr lustig machte, erwies er aus mehreren witzig zusammengestellten Umständen,
dass der Haufen nach wie vor noch in den Wäldern des Kurfürstentums vorhanden sei und nur auf den Wink des Rosshändlers
warte, um daraus von Neuem mit Feuer und Schwert hervorzubrechen. Der Prinz Christiern von Meißen, über diese Wendung der
Dinge, die seines Herrn Ruhm auf die empfindlichste Weise zu beflecken drohte, sehr missvergnügt, begab sich sogleich zu demselben
auf's Schloss; und das Interesse der Ritter, den Kohlhaas, wenn es möglich wäre, auf den Grund neuer Vergehungen zu
stürzen, wohl durchschauend, bat er sich von demselben die Erlaubnis aus, unverzüglich ein Verhör über den
Rosshändler anstellen zu dürfen. Der Rosshändler, nicht ohne Befremden durch einen Häscher in das Gubernium
abgeführt, erschien, den Heinrich und Leopold, seine beiden kleinen Knaben, auf dem Arm; denn Sternbald, der Knecht, war Tags
zuvor mit seinen fünf Kindern aus dem Mecklenburgischen, wo sie sich aufgehalten hatten, bei ihm angekommen, und Gedanken
mancherlei Art, die zu entwickeln zu weitläufig sind, bestimmten ihn, die Jungen, die ihn bei seiner Entfernung unter dem Erguss
kindischer Tränen darum baten, aufzuheben und in das Verhör mitzunehmen.
Der Prinz, nachdem er die Kinder, die Kohlhaas
neben sich niedergesetzt hatte, wohlgefällig betrachtet und auf eine freundliche Weise nach ihrem Alter und Namen gefragt hatte,
eröffnete ihm, was der Nagelschmidt, sein ehemaliger Knecht, sich in den Tälern des Erzgebirges für Freiheiten
herausnehme; und indem er ihm die sogenannten Mandate desselben überreichte, forderte er ihn auf, dagegen vorzubringen,
was er zu seiner Rechtfertigung vorzubringen wüsste. Der Rosshändler, so schwer er auch in der Tat über diese
schändlichen und verräterischen Papiere erschrak, hatte gleichwohl einem so rechtschaffenen Manne, als der Prinz war,
gegenüber wenig Mühe, die Grundlosigkeit der gegen ihn auf die Bahn gebrachten Beschuldigungen befriedigend
auseinanderzulegen. Nicht nur, dass zufolge seiner Bemerkung er, so wie die Sachen standen, überhaupt noch zur Entscheidung
seines im besten Fortgang begriffenen Rechtsstreits keiner Hilfe vonseiten eines Dritten bedürfte, aus einigen Briefschaften,
die er bei sich trug und die er dem Prinzen vorzeigte, ging sogar eine Unwahrscheinlichkeit ganz eigner Art hervor, dass
das Herz des Nagelschmidts gestimmt sein sollte, ihm dergleichen Hilfe zu leisten, indem er den Kerl wegen auf dem platten Lande
verübter Notzucht und anderer Schelmereien kurz vor Auflösung des Haufens in Lützen hatte hängen lassen wollen,
dergestalt, dass nur die Erscheinung der kurfürstlichen Amnestie, indem sie das ganze Verhältnis aufhob, ihn gerettet hatte
und beide Tags darauf als Todfeinde auseinandergegangen waren. Kohlhaas, auf seinen von dem Prinzen angenommenen Vorschlag,
setzte sich nieder und erließ ein Sendschreiben an den Nagelschmidt, worin er das Vorgeben desselben, zur Aufrechthaltung der
an ihm und seinen Haufen gebrochenen Amnestie aufgestanden zu sein, für eine schändliche und ruchlose Erfindung erklärte,
ihm sagte, dass er bei seiner Ankunft in Dresden weder eingesteckt noch einer Wache übergeben, auch seine Rechtssache ganz so,
wie er es wünsche, im Fortgang sei, und ihn wegen der nach Publikation der Amnestie im Erzgebirge ausgeübten Mordbrennereien
zur Warnung des um ihn versammelten Gesindels der ganzen Rache der Gesetze preisgab. Dabei wurden einige Fragmente der
Kriminalverhandlung, die der Rosshändler auf dem Schlosse zu Lützen in Bezug auf die oben erwähnten Schändlichkeiten
über ihn hatte anstellen lassen, zur Belehrung des Volks über diesen nichtsnutzigen, schon damals dem Galgen bestimmten und,
wie schon erwähnt, nur durch das Patent, das der Kurfürst erließ, geretteten Kerl angehängt. Dem gemäß
beruhigte der Prinz den Kohlhaas über den Verdacht, den man ihm durch die Umstände notgedrungen in diesem Verhör
habe äußern müssen, versicherte ihn, dass, solange er in Dresden wäre, die ihm erteilte Amnestie auf keine Weise
gebrochen werden solle, reichte den Knaben noch einmal, indem er sie mit Obst, das auf seinem Tische stand, beschenkte, die Hand,
grüßte den Kohlhaas und entließ ihn.
Der Großkanzler, der gleichwohl die Gefahr, die über dem Rosshändler schwebte, erkannte, tat sein Äußerstes,
um die Sache desselben, bevor sie durch neue Ereignisse verwickelt und verworren würde, zu Ende zu bringen; das aber wünschten
und bezweckten die staatsklugen Ritter eben, und statt wie zuvor mit stillschweigendem Eingeständnis der Schuld ihren Widerstand
auf ein bloß gemildertes Rechtserkenntnis einzuschränken, fingen sie jetzt an, in Wendungen arglistiger und rabulistischer Art
diese Schuld selbst gänzlich zu leugnen. Bald gaben sie vor, dass die Rappen des Kohlhaas in Folge eines bloß eigenmächtigen
Verfahrens des Schlossvogts und Verwalters, von welchem der Junker nichts oder nur Unvollständiges gewusst, auf der Tronkenburg
zurückgehalten worden seien; bald versicherten sie, dass die Tiere schon bei ihrer Ankunft daselbst an einem heftigen und
gefährlichen Husten krank gewesen wären
und beriefen sich deshalb auf Zeugen, die sie herbeizuschaffen sich anheischig machten; und als sie mit diesen Argumenten nach
weitläufigen Untersuchungen und Auseinandersetzungen aus dem Felde geschlagen waren, brachten sie gar ein
kurfürstliches Edikt bei, worin vor einem Zeitraum von zwölf Jahren einer Viehseuche wegen die Einführung der
Pferde aus dem Brandenburgischen ins Sächsische in der Tat verboten worden war, zum sonnenklaren Beleg nicht nur der
Befugnis, sondern sogar der Verpflichtung des Junkers, die von dem Kohlhaas über die Grenze gebrachten Pferde anzuhalten. -
Kohlhaas, der inzwischen von dem wackern Amtmann zu Kohlhaasenbrück seine Meierei gegen eine geringe Vergütigung
des dabei gehabten Schadens käuflich wiedererlangt hatte, wünschte, wie es scheint, wegen gerichtlicher Abmachung
dieses Geschäfts Dresden auf einige Tage zu verlassen und in diese seine Heimat zu reisen; ein Entschluss, an welchem
gleichwohl, wie wir nicht zweifeln, weniger das besagte Geschäft, so dringend es auch in der Tat wegen Bestellung der
Wintersaat sein mochte, als die Absicht, unter so sonderbaren und bedenklichen Umständen seine Lage zu prüfen,
Anteil hatte, zu welchem vielleicht auch noch Gründe anderer Art mitwirkten, die wir jedem, der in seiner Brust Bescheid
weiß, zu erraten überlassen wollen. Demnach verfügte er sich mit Zurücklassung der Wache, die ihm
zugeordnet war, zum Großkanzler und eröffnete ihm, die Briefe des Amtmanns in der Hand, dass er willens sei, falls man
seiner, wie es den Anschein habe, bei dem Gericht nicht notwendig bedürfe, die Stadt zu verlassen und auf einen Zeitraum
von acht oder zwölf Tagen, binnen welcher Zeit er wieder zurückzusein versprach, nach dem Brandenburgischen zu
reisen. Der Großkanzler, indem er mit einem missvergnügten und bedenklichen Gesichte zur Erde sah, versetzte, er
müsse gestehen, dass seine Anwesenheit gerade jetzt notwendiger sei als jemals, indem das Gericht wegen arglistiger und
winkelziehender Einwendungen der Gegenpart seiner Aussagen und Erörterungen in tausenderlei nicht vorherzusehenden
Fällen bedürfe; doch da Kohlhaas ihn auf seinen von dem Rechtsfall wohl unterrichteten Advokaten verwies und mit
bescheidener Zudringlichkeit, indem er sich auf acht Tage einzuschränken versprach, auf seiner Bitte beharrte, so sagte der
Großkanzler nach einer Pause kurz, indem er ihn entließ, er hoffe, dass er sich deshalb Pässe bei dem Prinzen Christiern
von Meißen ausbitten würde. -
Kohlhaas, der sich auf das Gesicht des Großkanzlers gar wohl verstand, setzte sich, in seinem Entschluss nur bestärkt, auf der
Stelle nieder und bat, ohne irgendeinen Grund anzugeben, den Prinzen von Meißen als Chef des Guberniums um Pässe
auf acht Tage nach Kohlhaasenbrück und zurück. Auf dieses Schreiben erhielt er eine von dem Schlosshauptmann,
Freiherrn Siegfried von Wenk, unterzeichnete Gubernial-Resolution des Inhalts: Sein Gesuch um Pässe nach Kohlhaasenbrück
werde des Kurfürsten Durchlaucht vorgelegt werden, auf dessen höchster Bewilligung, sobald sie eingingen, ihm die Pässe
zugeschickt werden würden. Auf die Erkundigung Kohlhaasens bei seinem Advokaten, wie es zuginge, dass die Gubernial-Resolution
von einem Freiherrn Siegfried von Wenk und nicht von dem Prinzen Christiern von Meißen, an den er sich gewendet, unterschrieben
sei, erhielt er zur Antwort, dass der Prinz vor drei Tagen auf seine Güter gereist und die Gubernialgeschäfte während
seiner Abwesenheit dem Schlosshauptmann Freiherrn Siegfried von Wenk, einem Vetter des oben erwähnten Herren gleiches
Namens, übergeben worden wären. - Kohlhaas, dem das Herz unter allen diesen Umständen unruhig zu klopfen anfing,
harrte durch mehrere Tage auf die Entscheidung seiner der Person des Landesherrn mit befremdender Weitläufigkeit vorgelegten
Bitte; doch es verging eine Woche und es verging mehr, ohne dass weder diese Entscheidung einlief, noch auch das Rechtserkenntnis,
so bestimmt man es ihm auch verkündigt hatte, bei dem Tribunal gefällt ward, dergestalt, dass er am zwölften Tage,
fest entschlossen, die Gesinnung der Regierung gegen ihn, sie möge sein, welche man wolle, zur Sprache zu bringen, sich
niedersetzte und das Gubernium von Neuem in einer dringenden Vorstellung um die erforderten Pässe bat.
Aber wie betreten war er, als er am Abend des folgenden, gleichfalls ohne die erwartete Antwort verstrichenen Tages mit einem
Schritt, den er gedankenvoll in Erwägung seiner Lage und besonders der ihm von dem Doktor Luther ausgewirkten Amnestie an das Fenster seines
Hinterstübchens tat, in dem kleinen, auf dem Hofe befindlichen Nebengebäude, das er ihr zum Aufenthalte angewiesen
hatte, die Wache nicht erblickte, die ihm bei seiner Ankunft der Prinz von Meißen eingesetzt hatte. Thomas, der alte Hausmann,
den er herbeirief und fragte, was dies zu bedeuten habe, antwortete ihm seufzend: »Herr! Es ist nicht alles, wie es sein soll;
die Landsknechte, deren heute mehr sind wie gewöhnlich, haben sich bei Einbruch der Nacht um das ganze Haus verteilt; zwei
stehen mit Schild und Spieß an der vordern Tür auf der Straße, zwei an der hintern im Garten, und noch zwei andere
liegen im Vorsaal auf einem Bund Stroh und sagen, dass sie daselbst schlafen würden.« Kohlhaas, der seine Farbe verlor,
wandte sich und versetzte, es wäre gleichviel, wenn sie nur da wären, und er möchte den Landsknechten, sobald er
auf den Flur käme, Licht hinsetzen, damit sie sehen könnten. Nachdem er noch unter dem Vorwande, ein Geschirr
auszugießen, den vordern Fensterladen eröffnet und sich von der Wahrheit des Umstands, den ihm der Alte entdeckt,
überzeugt hatte, denn eben ward sogar in geräuschloser Ablösung die Wache erneuert, an welche Maßregel bisher,
solange die Einrichtung bestand, noch niemand gedacht hatte, so legte er sich, wenig schlaflustig allerdings, zu Bette, und sein Entschluss
war für den kommenden Tag sogleich gefasst. Denn nichts missgönnte er der Regierung, mit der er zu tun hatte, mehr als den
Schein der Gerechtigkeit, während sie in der Tat die Amnestie, die sie ihm angelobt hatte, an ihm brach; und falls er wirklich ein
Gefangener sein sollte, wie es keinem Zweifel mehr unterworfen war, wollte er derselben auch die bestimmte und unumwundene
Erklärung, dass es so sei, abnötigen.
Demnach ließ er, sobald der Morgen des nächsten Tages anbrach, durch
Sternbald, seinen Knecht, den Wagen anspannen und vorführen, um, wie er vorgab, zu dem Verwalter nach Lockwitz
zu fahren, der ihn als ein alter Bekannter einige Tage zuvor in Dresden gesprochen und eingeladen hatte, ihn einmal mit seinen Kindern zu besuchen.
Die Landsknechte, welche mit zusammengesteckten Köpfen die dadurch veranlassten Bewegungen im Hause wahrnahmen, schickten
einen aus ihrer Mitte heimlich in die Stadt, worauf binnen wenigen Minuten ein Gubernial-Offiziant an der Spitze mehrerer Häscher
erschien und sich, als ob er daselbst ein Geschäft hätte, in das gegenüberliegende Haus begab. Kohlhaas der mit der
Ankleidung seiner Knaben beschäftigt, diese Bewegungen gleichfalls bemerkte und den Wagen absichtlich länger, als eben
nötig gewesen wäre, vor dem Hause halten ließ, trat, sobald er die Anstalten der Polizei vollendet sah, mit seinen
Kindern, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, vor das Haus hinaus; und während er dem Tross der Landsknechte, die unter
der Tür standen, im Vorübergehen sagte, dass sie nicht nötig hätten, ihm zu folgen, hob er die Jungen in den
Wagen und küsste und tröstete die kleinen weinenden Mädchen, die seiner Anordnung gemäß bei der
Tochter des alten Hausmanns zurückbleiben sollten. Kaum hatte er selbst den Wagen bestiegen, als der Gubernial-Offiziant mit
seinem Gefolge von Häschern aus dem gegenüberliegenden Hause zu ihm herantrat und ihn fragte, wohin er wolle.
Auf die Antwort Kohlhaasens, dass er zu seinem Freund, dem Amtmann, nach Lockwitz fahren wolle, der ihn vor
einigen Tagen mit seinen beiden Knaben zu sich aufs Land geladen, antwortete der Gubernial-Offiziant, dass er in diesem Fall einige Augenblicke warten
müsse, indem einige berittene Landsknechte, dem Befehl des Prinzen von Meißen gemäß, ihn begleiten würden.
Kohlhaas fragte lächelnd von dem Wagen herab, ob er glaube, dass seine Person in dem Hause eines Freundes, der sich erboten,
ihn auf einen Tag an seiner Tafel zu bewirten, nicht sicher sei. Der Offiziant erwiderte auf eine heitere und angenehme Art, dass die
Gefahr allerdings nicht groß sei, wobei er hinzusetzte, dass ihm die Knechte auch auf keine Weise zur Last fallen sollten. Kohlhaas
versetzte ernsthaft, dass ihm der Prinz von Meißen bei seiner Ankunft in Dresden freigestellt, ob er sich der Wache bedienen wolle
oder nicht; und da der Offiziant sich über diesen Umstand wunderte und sich mit vorsichtigen Wendungen auf den Gebrauch
während der ganzen Zeit seiner Anwesenheit berief, so erzählte der Rosshändler ihm den Vorfall, der die Einsetzung der
Wache in seinem Hause veranlasst hatte. Der Offiziant versicherte ihn, dass die Befehle des Schlosshauptmanns, Freiherrn von Wenk,
der in diesem Augenblick Chef der Polizei sei, ihm die unausgesetzte Beschützung seiner Person zur Pflicht mache, und bat ihn,
falls er sich die Begleitung nicht gefallen lassen wolle, selbst auf das Gubernium zu gehen, um den Irrtum, der dabei obwalten müsse,
zu berichtigen. Kohlhaas, mit einem sprechenden Blick, den er auf den Offizianten warf, sagte, entschlossen die Sache zu beugen oder
zu brechen, dass er dies tun wolle, stieg mit klopfendem Herzen von dem Wagen, ließ die Kinder durch den Hausmann in den Flur
tragen und verfügte sich, während der Knecht mit dem Fuhrwerk vor dem Hause halten blieb, mit dem Offizianten und seiner
Wache in das Gubernium.
Es traf sich, dass der Schlosshauptmann, Freiherr Wenk, eben mit der Besichtigung einer Bande am Abend
zuvor eingebrachter Nagelschmidt'scher Knechte, die man in der Gegend von Leipzig aufgefangen hatte, beschäftigt war und
die Kerle über manche Dinge, die man gern von ihnen gehört hätte, von den Rittern, die bei ihm waren, befragt
wurden, als der Rosshändler mit seiner Begleitung zu ihm in den Saal trat. Der Freiherr, sobald er den Rosshändler erblickte,
ging, während die Ritter plötzlich still wurden und mit dem Verhör der Knechte einhielten, auf ihn zu und fragte ihn,
was er wolle. Und da der Rosskamm ihm auf ehrerbietige Weise sein Vorhaben, bei dem Verwalter in Lockwitz zu Mittag zu speisen
und den Wunsch, die Landsknechte deren er dabei nicht bedürfe, zurücklassen zu dürfen, vorgetragen hatte,
antwortete der Freiherr, die Farbe im Gesicht wechselnd, indem er eine andere Rede zu verschlucken schien, er würde wohltun,
wenn er sich still in seinem Hause hielte und den Schmaus bei dem Lockwitzer Amtmann vor der Hand noch aussetzte. - Dabei
wandte er sich, das ganze Gespräch zerschneidend, dem Offizianten zu und sagte ihm, dass es mit dem Befehl, den er ihm in
Bezug auf den Mann gegeben, sein Bewenden hätte und dass derselbe anders nicht als in Begleitung sechs berittener Landsknechte
die Stadt verlassen dürfe. - Kohlhaas fragte, ob er ein Gefangener wäre und ob er glauben solle, dass die ihm feierlich vor den
Augen der ganzen Welt angelobte Amnestie gebrochen sei, worauf der Freiherr sich plötzlich glutrot im Gesichte zu ihm wandte und,
indem er dicht vor ihn trat und ihm in das Auge sah, antwortete: »Ja! ja! ja!«, - ihm den Rücken zukehrte, ihn stehen
ließ und wieder zu den Nagelschmidt'schen Knechten ging. Hierauf verließ Kohlhaas den Saal, und ob er schon einsah, dass er
sich das einzige Rettungsmittel, das ihm übrigblieb, die Flucht, durch die Schritte, die er getan, sehr erschwert hatte, so lobte er
sein Verfahren gleichwohl, weil er sich nunmehr auch seinerseits von der Verbindlichkeit, den Artikeln der Amnestie nachzukommen,
befreit sah. Er ließ, da er zu Hause ankam, die Pferde ausspannen und begab sich in Begleitung des Gubernial-Offizianten sehr traurig
und erschüttert in sein Zimmer; und während dieser Mann auf eine dem Rosshändler ekelerregende Weise versicherte,
dass alles nur auf einem Missverständnis beruhen müsse, das sich in Kurzem lösen würde, verriegelten die Häscher
auf seinen Wink alle Ausgänge der Wohnung, die auf den Hof führten, wobei der Offiziant ihm versicherte, dass ihm der vordere
Haupteingang nach wie vor zu seinem beliebigen Gebrauch offenstehe.
Inzwischen war der Nagelschmidt in den Wäldern des Erzgebirgs
durch Häscher und Landsknechte von allen Seiten so
gedrängt worden, dass er bei dem gänzlichen Mangel an Hilfsmitteln eine Rolle der Art, wie er sie übernommen,
durchzuführen, auf den Gedanken verfiel, den Kohlhaas in der Tat ins Interesse zu ziehen; und da er von der Lage seines
Rechtsstreits in Dresden durch einen Reisenden, der die Straße zog, mit ziemlicher Genauigkeit unterrichtet war, so
glaubte er, der offenbaren Feindschaft, die unter ihnen bestand, zum Trotz, den Rosshändler bewegen zu können,
eine neue Verbindung mit ihm einzugehen. Demnach schickte er einen Knecht mit einem in kaum leserlichem Deutsch abgefassten
Schreiben an ihn ab des Inhalts: Wenn er nach dem Altenburgischen kommen und die Anführung des Haufens, der sich
daselbst aus Resten des aufgelösten zusammengefunden, wieder übernehmen wolle, so sei er erbötig, ihm zur
Flucht aus seiner Haft in Dresden mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen, wobei er ihm versprach, künftig
gehorsamer und überhaupt ordentlicher und besser zu sein als vorher, und sich zum Beweis seiner Treue und Anhänglichkeit
anheischig machte, selbst in die Gegend von Dresden zu kommen, um seine Befreiung aus seinem Kerker zu bewirken.
Nun hatte der mit diesem Brief beauftragte Kerl das Unglück, in einem Dorf dicht vor Dresden in Krämpfen
hässlicher Art, denen er von Jugend auf unterworfen war, niederzusinken, bei welcher Gelegenheit der Brief,
den er im Brustlatz trug, von Leuten, die ihm zu Hilfe kamen, gefunden, er selbst aber, sobald er sich erholt,
arretiert und durch eine Wache unter Begleitung vielen Volks auf das Gubernium transportiert ward. Sobald der
Schlosshauptmann von Wenk diesen Brief gelesen hatte, verfügte er sich unverzüglich zum Kurfürsten
aufs Schloss, wo er die Herren Kunz und Hinz, welcher ersterer von seinen Wunden wieder hergestellt war, und den
Präsidenten der Staatskanzelei, Grafen Kallheim, gegenwärtig fand. Die Herren waren der Meinung, dass
der Kohlhaas ohne Weiteres arretiert und ihm auf den Grund geheimer Einverständnisse mit dem Nagelschmidt der
Prozess gemacht werden müsse, indem sie bewiesen, dass ein solcher Brief nicht, ohne dass frühere auch
vonseiten des Rosshändlers vorangegangen und ohne dass überhaupt eine frevelhafte und verbrecherische
Verbindung zu Schmiedung neuer Gräuel unter ihnen stattfinden sollte, geschrieben sein könne.
Der Kurfürst weigerte sich standhaft, auf den Grund bloß dieses Briefes dem Kohlhaas das freie Geleit,
das er ihm angelobt, zu brechen; er war vielmehr der Meinung, dass eine Art von Wahrscheinlichkeit aus dem Briefe
des Nagelschmidt hervorgehe, dass keine frühere Verbindung zwischen ihnen stattgefunden habe, und alles,
wozu er sich, um hierüber auf's Reine zu kommen, auf den Vorschlag des Präsidenten, obschon nach großer
Zögerung, entschloss, war, den Brief durch den von dem Nagelschmidt abgeschickten Knecht, gleichsam als ob
derselbe nach wie vor frei sei, an ihn abgeben zu lassen und zu prüfen, ob er ihn beantworten würde.
Demgemäß ward der Knecht, den man in ein Gefängnis gesteckt hatte, am andern Morgen auf das
Gubernium geführt, wo der Schlosshauptmann ihm den Brief wieder zustellte und ihn unter dem Versprechen,
dass er frei sein und die Strafe, die er verwirkt, ihm erlassen sein solle, aufforderte, das Schreiben, als sei
nichts vorgefallen, dem Rosshändler zu übergeben, zu welcher List schlechter Art sich dieser Kerl auch
ohne weiteres gebrauchen ließ und auf scheinbar geheimnisvolle Weise, unter dem Vorwand, dass er Krebse zu
verkaufen habe, womit ihn der Gubernial-Offiziant auf dem Markte versorgt hatte, zu Kohlhaas ins Zimmer trat.
Kohlhaas, der den Brief, während die Kinder mit den Krebsen spielten, las, würde den Gauner gewiss unter
andern Umständen beim Kragen genommen und den Landsknechten, die vor seiner Tür standen, überliefert
haben; doch da bei der Stimmung der Gemüter auch selbst dieser Schritt noch einer gleichgültigen Auslegung
fähig war und er sich vollkommen überzeugt hatte, dass nichts auf der Welt ihn aus dem Handel, in dem er
verwickelt war, retten konnte, so sah er dem Kerl mit einem traurigen Blick in sein ihm wohlbekanntes Gesicht,
fragte ihn, wo er wohnte, und beschied ihn in einigen Stunden wieder zu sich, wo er ihm in Bezug auf seinen Herrn
seinen Beschluss eröffnen wolle. Er hieß dem Sternbald, der zufällig in die Tür trat, dem Mann,
der im Zimmer war, etliche Krebse abkaufen; und nachdem dies Geschäft abgemacht war und beide sich, ohne einander
zu kennen, entfernt hatten, setzte er sich nieder und schrieb einen Brief folgenden Inhalts an den Nagelschmidt:
Zuvörderst, dass er seinen Vorschlag, die Oberanführung seines Haufens im Altenburgischen betreffend,
annähme; dass er demgemäß zur Befreiung aus der vorläufigen Haft, in welcher er mit seinen
fünf Kindern gehalten werde, ihm einen Wagen mit zwei Pferden nach der Neustadt bei Dresden schicken solle;
dass er auch rascheren Fortkommens wegen noch eines Gespannes von zwei Pferden auf der Straße nach Wittenberg
bedürfe, auf welchem Umweg er allein aus Gründen, die anzugeben zu weitläufig wären, zu ihm
kommen könne; dass er die Landsknechte, die ihn bewachten, zwar durch Bestechung gewinnen zu können
glaube, für den Fall aber, dass Gewalt nötig sei, ein paar beherzte, gescheite und wohlbewaffnete
Knechte in der Neustadt bei Dresden gegenwärtig wissen wolle; dass er ihm zur Bestreitung der mit allen
diesen Anstalten verbundenen Kosten eine Rolle von zwanzig Goldkronen durch den Knecht zuschicke, über
deren Verwendung er sich nach abgemachter Sache mit ihm berechnen wolle; dass er sich übrigens, weil sie
unnötig sei, seine eigne Anwesenheit bei seiner Befreiung in Dresden verbitte, ja ihm vielmehr den
bestimmten Befehl erteile, zur einstweiligen Anführung der Bande, die nicht ohne Oberhaupt sein könne,
im Altenburgischen zurückzubleiben. -
Diesen Brief, als der Knecht gegen Abend kam, überlieferte
er ihm, beschenkte ihn selbst reichlich und schärfte ihm ein, denselben wohl in Acht zu nehmen. -
Seine Absicht war, mit seinen fünf Kindern nach Hamburg zu gehen und sich von dort nach der Levante oder nach
Ostindien oder, so weit der Himmel über andere Menschen, als die er kannte, blau war, einzuschiffen, denn die
Dickfütterung der Rappen hatte seine von Gram sehr gebeugte Seele auch unabhängig von dem Widerwillen,
mit dem Nagelschmidt deshalb gemeinschaftliche Sache zu machen, aufgegeben. - Kaum hatte der Kerl diese Antwort
dem Schlosshauptmann überbracht, als der Großkanzler abgesetzt, der Präsident, Graf Kallheim,
an dessen Stelle zum Chef des Tribunals ernannt und Kohlhaas durch einen Kabinettsbefehl des Kurfürsten
arretiert und schwer mit Ketten beladen in die Stadttürme gebracht ward. Man machte ihm auf den Grund
dieses Briefes, der an alle Ecken der Stadt angeschlagen ward, den Prozess; und da er vor den Schranken des
Tribunals auf die Frage, ob er die Handschrift anerkenne, dem Rat, der sie ihm vorhielt, antwortete:
»Ja!«, zur Antwort, aber auf die Frage, ob er zu seiner Verteidigung etwas vorzubringen wisse,
indem er den Blick zur Erde schlug, erwiderte: »Nein!«, so ward er verurteilt, mit
glühenden Zangen von Schinderknechten gekniffen, gevierteilt und sein Körper zwischen Rad und
Galgen verbrannt zu werden.
[Siebenter Teil: Wie Michael Kohlhaas sich an dem sächsischen Kurfürsten rächte]
So standen die Sachen für den armen Kohlhaas in Dresden, als der Kurfürst von Brandenburg zu seiner Rettung aus den
Händen der Übermacht und Willkür auftrat und ihn in einer bei der kurfürstlichen Staatskanzlei daselbst
eingereichten Note als brandenburgischen Untertan reklamierte. Denn der wackere Stadthauptmann, Herr Heinrich von Geusau,
hatte ihn auf einem Spaziergange an den Ufern der Spree von der Geschichte dieses sonderbaren und nicht verwerflichen Mannes
unterrichtet, bei welcher Gelegenheit er von den Fragen des erstaunten Herrn gedrängt, nicht umhin konnte, der Schuld zu
erwähnen, die durch die Unziemlichkeiten seines Erzkanzlers, des Grafen Siegfried von Kallheim, seine eigene Person
drückte, worüber der Kurfürst schwer entrüstet den Erzkanzler, nachdem er ihn zur Rede gestellt und
befunden, dass die Verwandtschaft desselben mit dem Hause derer von Tronka an allem schuld sei, ohne weiteres mit mehreren
Zeichen seiner Ungnade entsetzte und den Herrn Heinrich von Geusau zum Erzkanzler ernannte.
Es traf sich aber, dass die Krone Polen grade damals, indem
sie mit dem Hause Sachsen, um welchen Gegenstandes willen wissen wir
nicht, im Streit lag, den Kurfürsten von Brandenburg in wiederholten und dringenden Vorstellungen anging, sich mit ihr in gemeinschaftlicher
Sache gegen das Haus Sachsen zu verbinden, dergestalt, dass der Erzkanzler, Herr Geusau, der in solchen Dingen nicht ungeschickt war,
wohl hoffen durfte, den Wunsch seines Herrn, dem Kohlhaas, es koste was es wolle, Gerechtigkeit zu verschaffen, zu erfüllen, ohne
die Ruhe des Ganzen auf eine misslichere Art, als die Rücksicht auf einen einzelnen erlaubt, aufs Spiel zu setzen. Demnach forderte
der Erzkanzler nicht nur wegen gänzlich willkürlichen, Gott und Menschen missgefälligen Verfahrens die unbedingte und
ungesäumte Auslieferung des Kohlhaas, um denselben, falls ihn eine Schuld drücke, nach brandenburgischen Gesetzen auf
Klageartikel, die der Dresdner Hof deshalb durch einen Anwalt in Berlin anhängig machen könne, zu richten, sondern er begehrte
sogar selbst Pässe für einen Anwalt, den der Kurfürst nach Dresden zu schicken willens sei, um dem Kohlhaas wegen der
ihm auf sächsischem Grund und Boden abgenommenen Rappen und anderer himmelschreienden Misshandlungen und Gewalttaten
halber gegen den Junker Wenzel von Tronka Recht zu verschaffen.
Der Kämmerer, Herr Kunz, der bei der Veränderung der
Staatsämter in Sachsen zum Präsidenten der Staatskanzlei ernannt worden war und der aus mancherlei Gründen den
Berliner Hof in der Bedrängnis, in der er sich befand, nicht verletzen wollte, antwortete im Namen seines über die eingegangene
Note sehr niedergeschlagenen Herrn, dass man sich über die Unfreundschaftlichkeit und Unbilligkeit wundere, mit welcher man dem Hofe zu
Dresden das Recht abspreche, den Kohlhaas wegen Verbrechen, die er im Lande begangen, den Gesetzen gemäß zu richten, da
doch weltbekannt sei, dass derselbe ein beträchtliches Grundstück in der Hauptstadt besitze und sich selbst in der Qualität
als sächsischen Bürger gar nicht verleugne. Doch da die Krone Polen bereits zur Ausfechtung ihrer Ansprüche einen Heerhaufen
von fünftausend Mann an der Grenze von Sachsen zusammenzog und der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau,
erklärte, dass
Kohlhaasenbrück, der Ort, nach welchem der Rosshändler heiße, im Brandenburgischen liege und dass man die Vollstreckung
des über ihn ausgesprochenen Todesurteils für eine Verletzung des Völkerrechts halten würde, so rief der Kurfürst
auf den Rat des Kämmerers, Herrn Kunz, selbst, der sich aus diesem Handel zurückzuziehen wünschte, den Prinzen Christiern
von Meißen von seinen Gütern herbei und entschloss sich auf wenige Worte dieses verständigen Herrn, den Kohlhaas, der
Forderung gemäß, an den Berliner Hof auszuliefern. Der Prinz, der, obschon mit den Unziemlichkeiten, die vorgefallen waren,
wenig zufrieden, die Leitung der Kohlhaasischen Sache auf den Wunsch seines bedrängten Herrn übernehmen musste, fragte ihn,
auf welchen Grund er nunmehr den Rosshändler bei dem Kammergericht zu Berlin verklagt wissen wolle; und da man sich auf den leidigen
Brief desselben an den Nagelschmidt wegen der zweideutigen und unklaren Umstände, unter welchen er geschrieben war, nicht berufen
konnte, der früheren Plünderungen und Einäscherungen aber wegen des Plakats, worin sie ihm vergeben worden waren, nicht
erwähnen durfte, so beschloss der Kurfürst, der Majestät des Kaisers zu Wien einen Bericht über den bewaffneten
Einfall des Kohlhaas in Sachsen vorzulegen, sich über den Bruch des von ihm eingesetzten öffentlichen Landfriedens zu beschweren
und sie, die allerdings durch keine Amnestie gebunden war, anzuliegen, den Kohlhaas bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durch einen
Reichsankläger zur Rechenschaft zu ziehen. Acht Tage darauf ward der Rosskamm durch den Ritter Friedrich von Malzahn, den der
Kurfürst von Brandenburg mit sechs Reitern nach Dresden geschickt hatte, geschlossen wie er war, auf einen Wagen geladen und
mit seinen fünf Kindern, die man auf seine Bitte aus Findel- und Waisenhäusern wieder zusammengesucht hatte, nach Berlin transportiert.
Es traf sich, dass der Kurfürst von Sachsen auf die Einladung des Landdrosts, Grafen Aloysius von Kallheim, der damals an der Grenze von
Sachsen beträchtliche Besitzungen hatte, in Gesellschaft des Kämmerers, Herrn Kunz, und seiner Gemahlin, der Dame Heloise, Tochter
des Landdrosts und Schwester des Präsidenten, andrer glänzenden Herren und Damen, Jagdjunker und Hofherren, die dabei waren,
nicht zu erwähnen, zu einem großen Hirschjagen, das man, um ihn zu erheitern, angestellt hatte, nach Dahme gereist war, dergestalt,
dass unter dem Dach bewimpelter Zelte, die quer über die Straße auf einem Hügel erbaut waren, die ganze Gesellschaft, vom
Staub der Jagd noch bedeckt, unter dem Schall einer heitern, vom Stamm einer Eiche herschallenden Musik, von Pagen bedient und Edelknaben,
an der Tafel saß, als der Rosshändler langsam mit seiner Reiterbedeckung die Straße von Dresden dahergezogen kam. Denn die
Erkrankung eines der kleinen, zarten Kinder des Kohlhaas hatte den Ritter von Malzahn, der ihn begleitete, genötigt, drei Tage lang in
Herzberg zurückzubleiben, von welcher Maßregel er dem Fürsten, dem er diente, deshalb allein verantwortlich, nicht nötig
befunden hatte, der Regierung zu Dresden weitere Kenntnis zu geben. Der Kurfürst, der mit halb offener Brust, den Federhut nach Art der
Jäger mit Tannenzweigen geschmückt, neben der Dame Heloise saß, die in Zeiten früherer Jugend seine erste Liebe
gewesen war, sagte, von der Anmut des Festes, das ihn umgaukelte, heiter gestimmt: »Lasset uns hingehen und dem Unglücklichen,
wer es auch sei, diesen Becher mit Wein reichen!« Die Dame Heloise, mit einem herzlichen Blick auf ihn, stand sogleich auf und füllte,
die ganze Tafel plündernd, ein silbernes Geschirr, das ihr ein Page reichte, mit Früchten, Kuchen und Brot an; und schon hatte mit
Erquickungen jeglicher Art die ganze Gesellschaft wimmelnd das Zelt verlassen, als der Landdrost ihnen mit einem verlegenen Gesicht
entgegenkam und sie bat zurückzubleiben. Auf die betretene Frage des Kurfürsten, was vorgefallen wäre, dass er so
bestürzt sei, antwortete der Landdrost stotternd gegen den Kämmerer gewandt, dass der Kohlhaas im Wagen sei, auf welche
jedermann unbegreifliche Nachricht, indem weltbekannt war, dass derselbe bereits vor sechs Tagen abgereist war, der Kämmerer,
Herr Kunz, seinen Becher mit Wein nahm und ihn mit einer Rückwendung gegen das Zelt in den Sand schüttete. Der Kurfürst
setzte, über und über rot, den seinigen auf einen Teller, den ihm ein Edelknabe auf den Wink des Kämmerers zu diesem
Zweck vorhielt; und während der Ritter Friedrich von Malzahn unter ehrfurchtsvoller Begrüßung der Gesellschaft, die er nicht
kannte, langsam durch die Zeltleinen, die über die Straße liefen, nach Dahme weiterzog, begaben sich die Herrschaften auf die
Einladung des Landdrosts, ohne weiter davon Notiz zu nehmen, ins Zelt zurück. Der Landdrost, sobald sich der Kurfürst
niedergelassen hatte, schickte unter der Hand nach Dahme, um bei dem Magistrat daselbst die unmittelbare Weiterschaffung des
Rosshändlers bewirken zu lassen; doch da der Ritter wegen bereits zu weit vorgerückter Tageszeit bestimmt in dem Ort
übernachten zu wollen erklärte, so musste man sich begnügen, ihn in einer dem Magistrat zugehörigen Meierei,
die, in Gebüschen versteckt, auf der Seite lag, geräuschlos unterzubringen.
Nun begab es sich, dass gegen Abend, da
die Herrschaften vom Wein und dem Genuss eines üppigen Nachtisches zerstreut,
den ganzen Vorfall wieder vergessen hatten, der Landdrost den Gedanken auf die Bahn brachte, sich noch einmal eines Rudels
Hirsche wegen, der sich hatte blicken lassen, auf den Anstand zu stellen, welchen Vorschlag die ganze Gesellschaft mit
Freuden ergriff und paarweise, nachdem sie sich mit Büchsen versorgt, über Gräben und Hecken in die nahe
Forst eilte, dergestalt, dass der Kurfürst und die Dame Heloise, die sich, um dem Schauspiel beizuwohnen, an seinen
Arm hing, von einem Boten, den man ihnen zugeordnet hatte, unmittelbar zu ihrem Erstaunen durch den Hof des Hauses geführt
wurden, in welchem Kohlhaas mit den brandenburgischen Reitern befindlich war. Die Dame, als sie dies hörte, sagte:
»Kommt, gnädigster Herr, kommt!«, und versteckte die Kette, die ihm vom Halse herabhing, schäkernd
in seinen seidenen Brustlatz: »Lasst uns, ehe der Tross nachkommt, in die Meierei schleichen und den wunderlichen
Mann, der darin übernachtet, betrachten!« Der Kurfürst, indem er errötend ihre Hand ergriff,
sagte: »Heloise! Was fällt Euch ein?« Doch da sie, indem sie ihn betreten ansah, versetzte, dass
ihn ja in der Jägertracht, die ihn decke, kein Mensch erkenne und ihn fortzog und in eben diesem Augenblick
ein paar Jagdjunker, die ihre Neugierde schon befriedigt hatten, aus dem Hause heraustraten, versichernd, dass in
der Tat, vermöge einer Veranstaltung, die der Landdrost getroffen, weder der Ritter noch der Rosshändler
wisse, welche Gesellschaft in der Gegend von Dahme versammelt sei, so drückte der Kurfürst sich den Hut
lächelnd in die Augen und sagte: »Torheit, du regierst die Welt und dein Sitz ist ein schöner
weiblicher Mund!« -
Es traf sich, dass Kohlhaas eben mit dem Rücken gegen die Wand auf einem Bund Stroh
saß und sein ihm in Herzberg erkranktes Kind mit Semmel und Milch fütterte, als die Herrschaften, um ihn
zu besuchen, in die Meierei traten; und da die Dame ihn, um ein Gespräch einzuleiten, fragte, wer er sei und
was dem Kinde fehle, auch was er verbrochen und wohin man ihn unter solcher Bedeckung abführe, so rückte
er seine lederne Mütze vor ihr und gab ihr auf alle diese Fragen, indem er sein Geschäft fortsetzte,
unreichliche, aber befriedigende Antwort. Der Kurfürst, der hinter den Jagdjunkern stand und eine kleine,
bleierne Kapsel, die ihm an einem seidenen Faden vom Halse herabhing, bemerkte, fragte ihn, da sich grade nichts
Besseres zur Unterhaltung darbot, was diese zu bedeuten hätte und was darin befindlich wäre. Kohlhaas
erwiderte: »Ja, gestrenger Herr, diese Kapsel!«, - und damit streifte er sie vom Nacken ab, öffnete
sie und nahm einen kleinen, mit Mundlack versiegelten Zettel heraus -, »mit dieser Kugel hat es eine wunderliche
Bewandtnis!
Sieben Monden mögen es etwa sein, genau am Tage nach dem Begräbnis
meiner Frau; und von Kohlhaasenbrück, wie Euch vielleicht bekannt sein wird, war ich aufgebrochen, um des Junkers von Tronka,
der mir viel Unrecht zugefügt, habhaft zu werden, als um einer Verhandlung willen, die mir unbekannt ist,
der Kurfürst von Sachsen und der Kurfürst von Brandenburg in Jüterbog, einem Marktflecken, durch
den der Streifzug mich führte, eine Zusammenkunft hielten; und da sie sich gegen Abend ihren Wünschen
gemäß vereinigt hatten, so gingen sie in freundschaftlichem Gespräch durch die Straßen der
Stadt, um den Jahrmarkt, der eben darin fröhlich abgehalten ward, in Augenschein zu nehmen. Da trafen sie
auf eine Zigeunerin, die, auf einem Schemel sitzend, dem Volk, das sie umringte, aus dem Kalender wahrsagte, und
fragten sie scherzhafterweise, ob sie ihnen nicht auch etwas, das ihnen lieb wäre, zu eröffnen
hätte. Ich, der mit meinem Haufen eben in einem Wirtshause abgestiegen und auf dem Platz, wo dieser Vorfall
sich zutrug, gegenwärtig war, konnte hinter allem Volk am Eingang einer Kirche, wo ich stand, nicht
vernehmen, was die wunderliche Frau den Herren sagte, dergestalt, dass, da die Leute lachend einander
zuflüsterten, sie teile nicht jedermann ihre Wissenschaft mit, und sich des Schauspiels wegen, das sich
bereitete, sehr bedrängten, ich, weniger neugierig in der Tat, als um den Neugierigen Platz zu machen, auf
eine Bank stieg, die hinter mir im Kircheneingange ausgehauen war.
Kaum hatte ich von diesem Standpunkt aus mit
völliger Freiheit der Aussicht die Herrschaften und das Weib, das auf dem Schemel vor ihnen saß und
etwas aufzukritzeln schien, erblickt, da steht sie plötzlich auf ihre Krücken gelehnt, indem sie sich
im Volk umsieht, auf, fasst mich, der nie ein Wort mit ihr wechselte, noch ihrer Wissenschaft Zeit seines Lebens
begehrte, ins Auge, drängt sich durch den ganzen dichten Auflauf der Menschen zu mir heran und spricht:
'Da! Wenn es der Herr wissen will, so mag er dich danach fragen.' Und damit, gestrenger Herr, reichte sie mir mit
ihren dürren knöchernen Händen diesen Zettel dar. Und da ich betreten, während sich alles
Volk zu mir umwendet, spreche: 'Mütterchen, was auch verehrst du mir da?', antwortete sie nach vielem
unvernehmlichen Zeug, worunter ich jedoch zu meinem großen Befremden meinen Namen höre: 'Ein Amulett,
Kohlhaas, der Rosshändler; verwahr es wohl, es wird dir dereinst das Leben retten!', und verschwindet.
Nun!«, fuhr Kohlhaas gutmütig fort, »die Wahrheit zu gestehen, hat's mir in Dresden, so scharf
es herging, das Leben nicht gekostet; und wie es mir in Berlin gehen wird und ob ich auch dort damit bestehen
werde, soll die Zukunft lehren.« -
Bei diesen Worten setzte sich der Kurfürst auf eine Bank; und
ob er schon auf die betretene Frage der Dame, was ihm fehle, antwortete: »Nichts, gar nichts!«,
so fiel er doch schon ohnmächtig auf den Boden nieder, ehe sie noch Zeit hatte, ihm beizuspringen und
in ihre Arme aufzunehmen. Der Ritter von Malzahn, der in eben diesem Augenblick eines Geschäfts halber
ins Zimmer trat, sprach: »Heiliger Gott! was fehlt dem Herrn?« Die Dame rief: »Schafft
Wasser her!« Die Jagdjunker hoben ihn auf und trugen ihn auf ein im Nebenzimmer befindliches Bett,
und die Bestürzung erreichte ihren Gipfel, als der Kämmerer, den ein Page herbeirief, nach
mehreren vergeblichen Bemühungen, ihn ins Leben zurückzubringen, erklärte, er gebe alle
Zeichen von sich, als ob ihn der Schlag gerührt! Der Landdrost, während der Mundschenk einen
reitenden Boten nach Luckau schickte, um einen Arzt herbeizuholen, ließ ihn, da er die Augen
aufschlug, in einen Wagen bringen und Schritt vor Schritt nach seinem in der Gegend befindlichen Jagdschloss
abführen; aber diese Reise zog ihm nach seiner Ankunft daselbst zwei neue Ohnmachten zu, dergestalt,
dass er sich erst spät am andern Morgen bei der Ankunft des Arztes aus Luckau unter gleichwohl entscheidenden
Symptomen eines herannahenden Nervenfiebers einigermaßen erholte.
Sobald er seiner Sinne mächtig
geworden war, richtete er sich halb im Bette auf, und seine erste Frage war gleich, wo der Kohlhaas sei.
Der Kämmerer, der seine Frage missverstand, sagte, indem er seine Hand ergriff, dass er sich dieses
entsetzlichen Menschen wegen beruhigen möchte, indem derselbe seiner Bestimmung gemäß nach
jenem sonderbaren und unbegreiflichen Vorfall in der Meierei zu Dahme unter brandenburgischer Bedeckung
zurückgeblieben wäre. Er fragte ihn unter der Versicherung seiner lebhaftesten Teilnahme und
der Beteurung, dass er seiner Frau wegen des unverantwortlichen Leichtsinns, ihn mit diesem Mann zusammenzubringen,
die bittersten Vorwürfe gemacht hätte, was ihn denn so wunderbar und ungeheuer in der Unterredung mit
demselben ergriffen hätte? Der Kurfürst sagte, er müsse ihm nur gestehen, dass der Anblick
eines nichtigen Zettels, den der Mann in einer bleiernen Kapsel mit sich führe, schuld an dem ganzen
unangenehmen Zufall sei, der ihm zugestoßen. Er setzte noch mancherlei zur Erklärung dieses Umstands,
das der Kämmerer nicht verstand, hinzu, versicherte ihn plötzlich, indem er seine Hand zwischen
die seinigen drückte, dass ihm der Besitz dieses Zettels von der äußersten Wichtigkeit
sei, und bat ihn, unverzüglich aufzusitzen, nach Dahme zu reiten und ihm den Zettel, um welchen Preis
es immer sei, von demselben zu erhandeln. Der Kämmerer, der Mühe hatte, seine Verlegenheit zu
verbergen, versicherte ihn, dass, falls dieser Zettel einigen Wert für ihn hätte, nichts auf
der Welt notwendiger wäre, als dem Kohlhaas diesen Umstand zu verschweigen, indem, sobald derselbe
durch eine unvorsichtige Äußerung Kenntnis davon nähme, alle Reichtümer, die er
besäße, nicht hinreichen würden, ihn aus den Händen dieses grimmigen, in seiner
Rachsucht unersättlichen Kerls zu erkaufen. Er fügte, um ihn zu beruhigen, hinzu, dass man
auf ein anderes Mittel denken müsse und dass es vielleicht durch List vermöge eines Dritten
ganz Unbefangenen, indem der Bösewicht wahrscheinlich an und für sich nicht sehr daran hänge,
möglich sein würde, sich den Besitz des Zettels, an dem ihm so viel gelegen sei, zu verschaffen.
Der Kurfürst, indem er sich den Schweiß abtrocknete, fragte, ob man nicht unmittelbar zu
diesem Zweck nach Dahme schicken und den weiteren Transport des Rosshändlers vorläufig,
bis man des Blattes, auf welche Weise es sei, habhaft geworden, einstellen könne. Der Kämmerer,
der seinen Sinnen nicht traute, versetzte, dass leider allen wahrscheinlichen Berechnungen zufolge der
Rosshändler Dahme bereits verlassen haben und sich jenseits der Grenze auf brandenburgischem Grund
und Boden befinden müsse, wo das Unternehmen, die Fortschaffung desselben zu hemmen oder wohl gar
rückgängig zu machen, die unangenehmsten und weitläufigsten, ja solche Schwierigkeiten,
die vielleicht gar nicht zu beseitigen wären, veranlassen würde. Er fragte ihn, da der
Kurfürst sich schweigend mit der Gebärde eines ganz Hoffnungslosen auf das Kissen zurücklegte,
was denn der Zettel enthalte und durch welchen Zufall befremdlicher und unerklärlicher Art ihm, dass der
Inhalt ihn betreffe, bekannt sei. Hierauf aber, unter zweideutigen Blicken auf den Kämmerer, dessen
Willfährigkeit er in diesem Falle misstraute, antwortete der Kurfürst nicht; starr, mit unruhig
klopfendem Herzen lag er da und sah auf die Spitze des Schnupftuches nieder, das er gedankenvoll zwischen
den Händen hielt, und bat ihn plötzlich, den Jagdjunker vom Stein, einen jungen, rüstigen
und gewandten Herrn, dessen er sich öfter schon zu geheimen Geschäften bedient hatte, unter dem
Vorwand, dass er ein anderweitiges Geschäft mit ihm abzumachen habe, ins Zimmer zu rufen.
Den Jagdjunker, nachdem er ihm die Sache auseinandergelegt und von der Wichtigkeit des Zettels, in dessen Besitz der Kohlhaas
war, unterrichtet hatte, fragte er, ob er sich ein ewiges Recht auf seine Freundschaft erwerben und ihm den
Zettel, noch ehe derselbe Berlin erreicht, verschaffen wolle. Und da der Junker, sobald er das Verhältnis
nur, sonderbar wie es war, einigermaßen überschaute, versicherte, dass er ihm mit allen seinen
Kräften zu Diensten stehe; so trug ihm der Kurfürst auf, dem Kohlhaas nachzureiten und ihm, da
demselben mit Geld wahrscheinlich nicht beizukommen sei, in einer mit Klugheit angeordneten Unterredung
Freiheit und Leben dafür anzubieten, ja ihm, wenn er darauf bestehe, unmittelbar, obschon mit Vorsicht,
zur Flucht aus den Händen der brandenburgischen Reiter, die ihn transportierten, mit Pferden, Leuten
und Geld an die Hand zu gehen.
Der Jagdjunker, nachdem er sich ein Blatt von der Hand des Kurfürsten
zur Beglaubigung ausgebeten, brach auch sogleich mit einigen Knechten auf und hatte, da er den Odem der
Pferde nicht sparte, das Glück, den Kohlhaas auf einem Grenzdorf zu treffen, wo derselbe mit dem
Ritter von Malzahn und seinen fünf Kindern ein Mittagsmahl, das im Freien vor der Tür eines
Hauses angerichtet war, zu sich nahm. Der Ritter von Malzahn, dem der Junker sich als einen Fremden,
der bei seiner Durchreise den seltsamen Mann, den er mit sich führe, in Augenschein zu nehmen
wünsche, vorstellte, nötigte ihn sogleich auf zuvorkommende Art, indem er ihn mit dem
Kohlhaas bekannt machte, an der Tafel nieder; und da der Ritter in Geschäften der Abreise ab-
und zuging, die Reiter aber an einem auf des Hauses anderer Seite befindlichen Tisch ihre Mahlzeit
hielten, so traf sich die Gelegenheit bald, wo der Junker dem Rosshändler eröffnen konnte,
wer er sei und in welchen besonderen Aufträgen er zu ihm komme. Der Rosshändler, der bereits
Rang und Namen dessen, der beim Anblick der in Rede stehenden Kapsel in der Meierei zu Dahme in Ohnmacht
gefallen war, kannte und der zur Krönung des Taumels, in welchen ihn diese Entdeckung versetzt
hatte, nichts bedurfte als Einsicht in die Geheimnisse des Zettels, den er, um mancherlei Gründe
willen entschlossen war, aus bloßer Neugierde nicht zu eröffnen, der Rosshändler sagte,
eingedenk der unedelmütigen und unfürstlichen Behandlung, die er in Dresden bei seiner
gänzlichen Bereitwilligkeit, alle nur möglichen Opfer zu bringen, hatte erfahren müssen,
dass er den Zettel behalten wolle. Auf die Frage des Jagdjunkers, was ihn zu dieser sonderbaren
Weigerung, da man ihm doch nichts Minderes als Freiheit und Leben dafür anbiete, veranlasse,
antwortete Kohlhaas: »Edler Herr! Wenn Euer Landesherr käme und spräche, ich will mich
mit dem ganzen Tross derer, die mir das Szepter führen helfen, vernichten - vernichten, versteht
Ihr, welches allerdings der größeste Wunsch ist, den meine
Seele hegt, so würde ich ihm doch den Zettel noch, der ihm mehr wert ist als das Dasein, verweigern und
sprechen: 'Du kannst mich auf das Schafott bringen, ich aber kann dir weh tun, und ich will's!'«
Und damit, im Antlitz den Tod, rief er einen Reiter herbei unter der Aufforderung, ein gutes Stück Essen,
das in der Schüssel übrig geblieben war, zu sich zu nehmen; und für den ganzen Rest der
Stunde, die er im Flecken zubrachte, für den Junker, der an der Tafel saß, wie nicht vorhanden,
wandte er sich erst wieder, als er den Wagen bestieg, mit einem Blick, der ihn abschiedlich grüßte,
zu ihm zurück. -
[Achter Teil: Wie Michael Kohlhaas in Brandenburg zu seinem Recht kam]
Der Zustand des Kurfürsten, als er diese Nachricht bekam, verschlimmerte sich in dem Grade, dass der Arzt
während drei verhängnisvoller Tage seines Lebens wegen, das zu gleicher Zeit von so vielen Seiten angegriffen
ward, in der größesten Besorgnis war. Gleichwohl stellte er sich durch die Kraft seiner natürlichen
Gesundheit nach dem Krankenlager einiger peinlich zugebrachten Wochen wieder her; dergestalt wenigstens, dass man
ihn in einen Wagen bringen und, mit Kissen und Decken wohl versehen, nach Dresden zu seinen Regierungsgeschäften
wieder zurückführen konnte. Sobald er in dieser Stadt angekommen war, ließ er den Prinzen Christiern
von Meißen rufen und fragte denselben, wie es mit der Abfertigung des Gerichtsrats Eibenmayer stünde, den
man als Anwalt in der Sache des Kohlhaas nach Wien zu schicken gesonnen gewesen wäre, um kaiserlicher Majestät
daselbst die Beschwerde wegen gebrochenen kaiserlichen Landfriedens vorzulegen? Der Prinz antwortete ihm, dass derselbe,
dem bei seiner Abreise nach Dahme hinterlassenen Befehl gemäß gleich nach Ankunft des Rechtsgelehrten
Zäuner, den der Kurfürst von Brandenburg als Anwalt nach Dresden geschickt hätte, um die Klage desselben
gegen den Junker Wenzel von Tronka der Rappen wegen vor Gericht zu bringen, nach Wien abgegangen wäre. Der
Kurfürst, indem er errötend an seinen Arbeitstisch trat, wunderte sich über diese Eilfertigkeit, indem
er seines Wissens erklärt hätte, die definitive Abreise des Eibenmayer wegen vorher notwendiger Rücksprache
mit dem Doktor Luther, der dem Kohlhaas die Amnestie ausgewirkt, einem näheren und bestimmteren Befehl vorbehalten
zu wollen. Dabei warf er einige Briefschaften und Akten, die auf dem Tisch lagen, mit dem Ausdruck zurückgehaltenen
Unwillens übereinander.
Der Prinz, nach einer Pause, in welcher er ihn mit großen Augen ansah, versetzte,
dass es ihm leid täte, wenn er seine Zufriedenheit in dieser Sache verfehlt habe; inzwischen könne er ihm den
Beschluss des Staatsrats vorzeigen, worin ihm die Abschickung des Rechtsanwalts zu dem besagten Zeitpunkt zur Pflicht
gemacht worden wäre. Er setzte hinzu, dass im Staatsrat von einer Rücksprache mit dem Doktor Luther auf keine
Weise die Rede gewesen wäre, dass es früherhin vielleicht zweckmäßig gewesen sein möchte,
diesen geistlichen Herrn wegen der Verwendung, die er dem Kohlhaas angedeihen lassen, zu berücksichtigen, nicht
aber jetzt mehr, nachdem man demselben die Amnestie vor den Augen der ganzen Welt gebrochen, ihn arretiert und zur
Verurteilung und Hinrichtung an die brandenburgischen Gerichte ausgeliefert hätte. Der Kurfürst sagte, das
Versehen, den Eibenmayer abgeschickt zu haben, wäre auch in der Tat nicht groß; inzwischen wünsche er,
dass derselbe vorläufig bis auf weiteren Befehl in seiner Eigenschaft als Ankläger zu Wien nicht aufträte,
und bat den Prinzen deshalb, das Erforderliche unverzüglich durch einen Expressen an ihn zu erlassen. Der Prinz
antwortete, dass dieser Befehl leider um einen Tag zu spät käme, indem der Eibenmayer bereits nach einem
Berichte, der eben heute eingelaufen, in seiner Qualität als Anwalt aufgetreten und mit Einreichung der Klage
bei der Wiener Staatskanzlei vorgegangen wäre. Er setzte auf die betroffene Frage des Kurfürsten, wie dies
überall in so kurzer Zeit möglich sei, hinzu, dass bereits seit der Abreise dieses Mannes drei Wochen
verstrichen wären und dass die Instruktion, die er erhalten, ihm eine ungesäumte Abmachung dieses Geschäfts
gleich nach seiner Ankunft in Wien zur Pflicht gemacht hätte. Eine Verzögerung, bemerkte der Prinz,
würde in diesem Fall um so unschicklicher gewesen sein, da der brandenburgische Anwalt Zäuner gegen den
Junker Wenzel von Tronka mit dem trotzigsten Nachdruck verfahre und bereits auf eine vorläufige Zurückziehung
der Rappen aus den Händen des Abdeckers behufs ihrer künftigen Wiederherstellung bei dem Gerichtshof
angetragen und auch, aller Einwendungen der Gegenpart ungeachtet, durchgesetzt habe. Der Kurfürst, indem er
die Klingel zog, sagte, gleichviel! Es hätte nichts zu bedeuten, und nachdem er sich mit gleichgültigen
Fragen, wie es sonst in Dresden stehe und was in seiner Abwesenheit vorgefallen sei, zu dem Prinzen zurückgewandt
hatte, grüßte er ihn, unfähig seinen innersten Zustand zu verbergen, mit der Hand und entließ ihn.
Er forderte ihm noch an demselben Tage schriftlich unter dem Vorwande, dass er die Sache ihrer politischen Wichtigkeit
wegen selbst bearbeiten wolle, die sämtlichen kohlhaasischen Akten ab; und da ihm der Gedanke, denjenigen zu
verderben, von dem er allein über die Geheimnisse des Zettels Auskunft erhalten konnte, unerträglich, so
verfasste er einen eigenhändigen Brief an den Kaiser, worin er ihn auf herzliche und dringende Weise bat,
aus wichtigen Gründen, die er ihm vielleicht in kurzer Zeit bestimmter auseinanderlegen würde, die Klage,
die der Eibenmayer gegen den Kohlhaas eingereicht, vorläufig bis auf einen weitern Beschluss zurücknehmen
zu dürfen. Der Kaiser, in einer durch die Staatskanzlei ausgefertigten Note, antwortete ihm, dass der Wechsel,
der plötzlich in seiner Brust vorgegangen zu sein scheine, ihn aufs Äußerste befremde, dass der
sächsischerseits an ihn erlassene Bericht die Sache des Kohlhaas zu einer Angelegenheit gesamten Heiligen
Römischen Reichs gemacht hätte, dass demgemäß er, der Kaiser, als Oberhaupt desselben sich
verpflichtet gesehen hätte, als Ankläger in dieser Sache bei dem Hause Brandenburg aufzutreten, dergestalt,
dass da bereits der Hof-Assessor Franz Müller in der Eigenschaft als Anwalt nach Berlin gegangen wäre,
um den Kohlhaas daselbst wegen Verletzung des öffentlichen Landfriedens zur Rechenschaft zu ziehen, die
Beschwerde nunmehr auf keine Weise zurückgenommen werden könne und die Sache den Gesetzen gemäß
ihren weiteren Fortgang nehmen müsse.
Dieser Brief schlug den Kurfürsten völlig nieder; und
da zu seiner äußersten Betrübnis in einiger Zeit Privatschreiben aus Berlin einliefen,
in welchen die Einleitung des Prozesses bei dem Kammergericht gemeldet und bemerkt ward, dass der Kohlhaas
wahrscheinlich, aller Bemühungen des ihm zugeordneten Advokaten ungeachtet, auf dem Schafott enden werde,
so beschloss dieser unglückliche Herr noch einen Versuch zu machen und bat den Kurfürsten von Brandenburg
in einer eigenhändigen Zuschrift um des Rosshändlers Leben. Er schützte vor, dass die Amnestie,
die man diesem Manne angelobt, die Vollstreckung eines Todesurteils an demselben füglicherweise nicht
zulasse, versicherte ihn, dass es trotz der scheinbaren Strenge, mit welcher man gegen ihn verfahren, nie
seine Absicht gewesen wäre, ihn sterben zu lassen, und beschrieb ihm, wie trostlos er sein würde,
wenn der Schutz, den man vorgegeben hätte, ihm von Berlin aus angedeihen lassen zu wollen, zuletzt in
einer unerwarteten Wendung zu seinem größeren Nachteile ausschlage, als wenn er in Dresden geblieben
und seine Sache nach sächsischen Gesetzen entschieden worden wäre.
Der Kurfürst von Brandenburg,
dem in dieser Angabe mancherlei zweideutig und unklar schien, antwortete ihm, dass der Nachdruck, mit welchem
der Anwalt kaiserlicher Majestät verführe, platterdings nicht erlaube, dem Wunsch, den er ihm
geäußert, gemäß, von der strengen Vorschrift der Gesetze abzuweichen. Er bemerkte, dass
die ihm vorgelegte Besorgnis in der Tat zu weit ginge, indem die Beschwerde wegen der dem Kohlhaas in der
Amnestie verziehenen Verbrechen ja nicht von ihm, der demselben die Amnestie erteilt, sondern von dem
Reichsoberhaupt, das daran auf keine Weise gebunden sei, bei dem Kammergericht zu Berlin anhängig gemacht
worden wäre. Dabei stellte er ihm vor, wie notwendig bei den fortdauernden Gewalttätigkeiten des
Nagelschmidt, die sich sogar schon mit unerhörter Dreistigkeit bis aufs brandenburgische Gebiet erstreckten,
die Statuierung eines abschreckenden Beispiels wäre, und bat ihn, falls er dies alles nicht berücksichtigen
wolle, sich an des Kaisers Majestät selbst zu wenden, indem, wenn dem Kohlhaas zugunsten ein Machtspruch
fallen sollte, dies allein auf eine Erklärung von dieser Seite her geschehen könne.
Der Kurfürst,
aus Gram und Ärger über alle diese missglückten Versuche, verfiel in eine neue Krankheit,
und da der Kämmerer ihn an einem Morgen besuchte, zeigte er ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas das
Leben zu fristen und somit wenigstens Zeit zu gewinnen, des Zettels, den er besäße, habhaft zu werden,
an den Wiener und Berliner Hof erlassen. Der Kämmerer warf sich auf Knien vor ihm nieder und bat ihn,
um alles was ihm heilig und teuer sei, ihm zu sagen, was dieser Zettel enthalte. Der Kurfürst sprach,
er möchte das Zimmer verriegeln und sich auf das Bett niedersetzen, und nachdem er seine Hand ergriffen
und mit einem Seufzer an sein Herz gedrückt hatte, begann er folgendergestalt: »Deine Frau hat dir,
wie ich höre, schon erzählt, dass der Kurfürst von Brandenburg und ich am dritten Tage der
Zusammenkunft, die wir in Jüterbog hielten, auf eine Zigeunerin trafen; und da der Kurfürst,
aufgeweckt wie er von Natur ist, beschloss, den Ruf dieser abenteuerlichen Frau, von deren Kunst eben bei der
Tafel auf ungebührliche Weise die Rede gewesen war, durch einen Scherz im Angesicht alles Volks zunichte
zu machen, so trat er mit verschränkten Armen vor ihren Tisch und forderte der Weissagung wegen, die sie
ihm machen sollte, ein Zeichen von ihr, das sich noch heute erproben ließe, vorschützend, dass er
sonst nicht, und wäre sie auch die römische Sibylle selbst, an ihre Worte glauben könne. Die
Frau, indem sie uns flüchtig von Kopf zu Fuß maß, sagte, das Zeichen würde sein, dass
uns der große, gehörnte Rehbock, den der Sohn des Gärtners im Park erzog, auf dem Markt,
worauf wir uns befanden, bevor wir ihn noch verlassen, entgegenkommen würde.
Nun musst du wissen, dass
dieser für die Dresdner Küche bestimmte Rehbock in einem mit Latten hoch verzäunten Verschlage,
den die Eichen des Parks beschatteten, hinter Schloss und Riegel aufbewahrt ward, dergestalt, dass, da
überdies anderen kleineren Wildes und Geflügels wegen der Park überhaupt und obendrein der
Garten, der zu ihm führte, in sorgfältigem Beschluss gehalten ward, schlechterdings nicht abzusehen war,
wie uns das Tier, diesem sonderbaren Vorgeben gemäß, bis auf dem Platz, wo wir standen, entgegenkommen
würde; gleichwohl schickte der Kurfürst, aus Besorgnis vor einer dahintersteckenden Schelmerei,
nach einer kurzen Abrede mit mir entschlossen, auf unabänderliche Weise alles, was sie noch vorbringen
würde, des Spaßes wegen zuschanden zu machen, ins Schloss und befahl, dass der Rehbock augenblicklich
getötet und für die Tafel an einem der nächsten Tage zubereitet werden solle. Hierauf wandte
er sich zu der Frau, vor welcher diese Sache laut verhandelt worden war, zurück und sagte: 'Nun, wohlan!
Was hast du mir für die Zukunft zu entdecken?' Die Frau, indem sie in seine Hand sah, sprach: 'Heil meinem
Kurfürsten und Herrn! Deine Gnaden wird lange regieren, das Haus, aus dem du stammst, lange bestehen und
deine Nachkommen groß und herrlich werden und zu Macht gelangen vor allen Fürsten und Herren der Welt!'
Der Kurfürst, nach einer Pause, in welcher er die Frau gedankenvoll ansah, sagte halblaut mit einem Schritte,
den er zu mir tat, dass es ihm jetzo fast leid täte, einen Boten abgeschickt zu haben, um die Weissagung
zunichte zu machen; und während das Geld aus den Händen der Ritter, die ihm folgten, der Frau haufenweise
unter vielem Jubel in den Schoß regnete, fragte er sie, indem er selbst in die Tasche griff und ein Goldstück
dazulegte, ob der Gruß, den sie mir zu eröffnen hätte, auch von so silbernem Klang wäre
als der seinige?
Die Frau, nachdem sie einen Kasten, der ihr zur Seite stand, aufgemacht und das Geld nach Sorte
und Menge weitläufig und umständlich darin geordnet und den Kasten wieder verschlossen hatte,
schützte ihre Hand vor die Sonne, gleichsam als ob sie ihr lästig wäre, und sah mich an; und da
ich die Frage an sie wiederholte und auf scherzhafte Weise, während sie meine Hand prüfte, zum
Kurfürsten sagte: 'Mir, scheint es, hat sie nichts, das eben angenehm wäre, zu verkündigen', so
ergriff sie ihre Krücken, hob sich langsam daran vom Schemel empor, und indem sie sich mit geheimnisvoll
vorgehaltenen Händen dicht zu mir herandrängte, flüsterte sie mir vernehmlich ins Ohr: 'Nein!'
'So!', sagt ich verwirrt und trat einen Schritt vor der Gestalt zurück, die sich mit einem Blick, kalt und
leblos, wie aus marmornen Augen auf den Schemel, der hinter ihr stand, zurücksetzte. 'Von welcher Seite her
droht meinem Hause Gefahr?' Die Frau, indem sie eine Kohle und ein Papier zur Hand nahm und ihre Knie kreuzte,
fragte, ob sie es mir aufschreiben solle. Und da ich, verlegen in der Tat, bloß weil mir unter den
bestehenden Umständen nichts anders übrig blieb, antwortete: 'Ja! das tu!', so versetzte sie: 'Wohlan!
Dreierlei schreib ich dir auf, den Namen des letzten Regenten deines Hauses, die Jahreszahl, da er sein Reich
verlieren und den Namen dessen, der es durch die Gewalt der Waffen an sich reißen wird.' Dies vor den Augen
allen Volks abgemacht, erhebt sie sich, verklebt den Zettel mit Lack, den sie in ihrem welken Munde befeuchtet,
und drückt einen bleiernen, an ihrem Mittelfinger befindlichen Siegelring darauf. Und da ich den Zettel,
neugierig, wie du leicht begreifst, mehr als Worte sagen können, erfassen will, spricht sie: 'Mitnichten,
Hoheit!', und wendet sich und hebt ihrer Krücken eine empor: 'Von jenem Mann dort, der mit dem Federhut
auf der Bank steht, hinter allem Volk, am Kircheneingang, lösest du, wenn es dir beliebt, den Zettel ein!'
Und damit, ehe ich noch recht begriffen, was sie sagt, auf dem Platz, vor Erstaunen sprachlos, lässt sie
mich stehen; und während sie den Kasten, der hinter ihr stand, zusammenschlug und über den Rücken
warf, mischt sie sich, ohne dass ich weiter bemerken konnte, was sie tut, unter den Haufen des uns umringenden
Volks.
Nun trat zu meinem in der Tat herzlichen Trost in eben diesem Augenblick der Ritter auf, den der
Kurfürst ins Schloss geschickt hatte, und meldete ihm mit lachendem Munde, dass der Rehbock getötet
und durch zwei Jäger vor seinen Augen in die Küche geschleppt worden sei. Der Kurfürst, indem
er seinen Arm munter in den meinigen legte in der Absicht, mich von dem Platz hinwegzuführen, sagte: 'Nun,
wohlan! So war die Prophezeiung eine alltägliche Gaunerei und Zeit und Gold, die sie uns gekostet, nicht
wert!' Aber wie groß war unser Erstaunen, da sich noch während dieser Worte ein Geschrei rings auf
dem Platze erhob und aller Augen sich einem großen, vom Schlosshof herantrabenden Schlächterhund
zuwandten, der in der Küche den Rehbock als gute Beute beim Nacken erfasst und das Tier drei Schritte von
uns, verfolgt von Knechten und Mägden, auf den Boden fallen ließ, dergestalt, dass in der Tat die
Prophezeiung des Weibes zum Unterpfand alles dessen, was sie vorgebracht, erfüllt und der Rehbock uns bis
auf den Markt, obschon allerdings tot, entgegengekommen war. Der Blitz, der an einem Wintertag vom Himmel
fällt, kann nicht vernichtender treffen als mich dieser Anblick, und meine erste Bemühung, sobald
ich der Gesellschaft, in der ich mich befand, überhoben, war gleich, den Mann mit dem Federhut, den mir
das Weib bezeichnet hatte, auszumitteln; doch keiner meiner Leute, unausgesetzt während drei Tage auf
Kundschaft geschickt, war imstande, mir auch nur auf die entfernteste Weise Nachricht davon zu geben, und jetzt,
Freund Kunz, vor wenig Wochen in der Meierei zu Dahme, habe ich den Mann mit meinen eigenen Augen gesehn.« -
Und damit ließ er die Hand des Kämmerers fahren, und während er sich den Schweiß abtrocknete,
sank er wieder auf das Lager zurück. Der Kämmerer, der es für vergebliche Mühe hielt, mit
seiner Ansicht von diesem Vorfall die Ansicht, die der Kurfürst davon hatte, zu durchkreuzen und zu berichtigen,
bat ihn, doch irgendein Mittel zu versuchen, des Zettels habhaft zu werden und den Kerl nachher seinem Schicksal
zu überlassen; doch der Kurfürst antwortete, dass er platterdings kein Mittel dazu sähe, obschon
der Gedanke, ihn entbehren zu müssen oder wohl gar die Wissenschaft davon mit diesem Menschen untergehen zu
sehen, ihn dem Jammer und der Verzweiflung nahe brächte. Auf die Frage des Freundes, ob er denn Versuche
gemacht, die Person der Zigeunerin selbst auszuforschen, erwiderte der Kurfürst, dass das Gubernium auf
einen Befehl, den er unter einem falschen Vorwand an dasselbe erlassen, diesem Weibe vergebens bis auf den
heutigen Tag in allen Plätzen des Kurfürstentums nachspüre, wobei er aus Gründen, die er
jedoch näher zu entwickeln sich weigerte, überhaupt zweifelte, dass sie in Sachsen auszumitteln sei.
Nun traf es sich, dass der Kämmerer mehrerer beträchtlichen Güter wegen, die seiner Frau aus der
Hinterlassenschaft des abgesetzten und bald darauf verstorbenen Erzkanzlers, Grafen Kallheim, in der Neumark
zugefallen waren, nach Berlin reisen wollte, dergestalt, dass, da er den Kurfürsten in der Tat liebte,
er ihn nach einer kurzen Überlegung fragte, ob er ihm in dieser Sache freie Hand lassen wolle. Und da
dieser, indem er seine Hand herzlich an seine Brust drückte, antwortete: »Denke, du seist ich
und schaff mir den Zettel!«, so beschleunigte der Kämmerer, nachdem er seine Geschäfte
abgegeben, um einige Tage seine Abreise und fuhr mit Zurücklassung seiner Frau, bloß von einigen
Bedienten begleitet, nach Berlin ab.
Kohlhaas, der inzwischen, wie schon gesagt, in Berlin
angekommen und auf einen Spezialbefehl des Kurfürsten in ein
ritterliches Gefängnis gebracht worden war, das ihn mit seinen fünf Kindern, so bequem als es sich tun ließ,
empfing, war gleich nach Erscheinung des kaiserlichen Anwalts aus Wien auf den Grund wegen Verletzung des öffentlichen
kaiserlichen Landfriedens vor den Schranken des Kammergerichts zur Rechenschaft gezogen worden; und ob er schon in seiner
Verantwortung einwandte, dass er wegen seines bewaffneten Einfalls in Sachsen und der dabei verübten
Gewalttätigkeiten kraft des mit dem Kurfürsten von Sachsen zu Lützen abgeschlossenen Vergleichs nicht
belangt werden könne, so erfuhr er doch zu seiner Belehrung, dass des Kaisers Majestät, deren Anwalt hier die
Beschwerde führe, darauf keine Rücksicht nehmen könne, ließ sich auch sehr bald, da man ihm die Sache
auseinandersetzte und erklärte, wie ihm dagegen von Dresden her in seiner Sache gegen den Junker Wenzel von Tronka
völlige Genugtuung widerfahren werde, die Sache gefallen. Demnach traf es sich, dass grade am Tage der Ankunft des
Kämmerers das Gesetz über ihn sprach und er verurteilt ward, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht zu
werden, ein Urteil, an dessen Vollstreckung gleichwohl bei der verwickelten Lage der Dinge, seiner Milde ungeachtet,
niemand glaubte, ja, dass die ganze Stadt bei dem Wohlwollen, das der Kurfürst für den Kohlhaas trug, unfehlbar
durch ein Machtwort desselben in eine bloße, vielleicht beschwerliche und langwierige Gefängnisstrafe
verwandelt zu sehen hoffte.
Der Kämmerer, der gleichwohl einsah, dass keine Zeit zu verlieren sein möchte,
falls der Auftrag, den ihm sein Herr gegeben, in Erfüllung gehen sollte, fing sein Geschäft damit an, sich dem
Kohlhaas am Morgen eines Tages, da derselbe in harmloser Betrachtung der Vorübergehenden am Fenster seines
Gefängnisses stand, in seiner gewöhnlichen Hoftracht genau und umständlich zu zeigen; und da er aus einer
plötzlichen Bewegung seines Kopfes schloss, dass der Rosshändler ihn bemerkt hatte und besonders mit
großem Vergnügen einen unwillkürlichen Griff desselben mit der Hand auf die Gegend der Brust, wo
die Kapsel lag, wahrnahm, so hielt er das, was in der Seele desselben in diesem Augenblick vorgegangen war, für
eine hinlängliche Vorbereitung, um in dem Versuch, des Zettels habhaft zu werden, einen Schritt weiter
vorzurücken. Er bestellte ein altes, auf Krücken herumwandelndes Trödelweib zu sich, das er in den
Straßen von Berlin unter einem Tross andern, mit Lumpen handelnden Gesindels bemerkt hatte und das ihm dem Alter
und der Tracht nach ziemlich mit dem, das ihm der Kurfürst beschrieben hatte, übereinzustimmen schien; und in
der Voraussetzung, der Kohlhaas werde sich die Züge derjenigen, die ihm in einer flüchtigen Erscheinung den
Zettel überreicht hatte, nicht eben tief eingeprägt haben, beschloss er, das gedachte Weib statt ihrer
unterzuschieben und bei Kohlhaas, wenn es sich tun ließe, die Rolle, als ob sie die Zigeunerin wäre, spielen
zu lassen. Demgemäß, um sie dazu instand zu setzen, unterrichtete er sie umständlich von allem, was
zwischen dem Kurfürsten und der gedachten Zigeunerin in Jüterbog vorgefallen war, wobei er, weil er nicht
wusste, wie weit das Weib in ihren Eröffnungen gegen den Kohlhaas gegangen war, nicht vergaß, ihr besonders
die drei geheimnisvollen, in dem Zettel enthaltenen Artikel einzuschärfen; und nachdem er ihr auseinandergesetzt
hatte, was sie auf abgerissene und unverständliche Weise fallen lassen müsse gewisser Anstalten wegen, die
man getroffen, sei es durch List oder durch Gewalt, des Zettels, der dem sächsischen Hofe von der äußersten
Wichtigkeit sei, habhaft zu werden, trug er ihr auf, dem Kohlhaas den Zettel unter dem Vorwand, dass derselbe bei ihm
nicht mehr sicher sei, zur Aufbewahrung während einiger verhängnisvollen Tage abzufordern. Das Trödelweib
übernahm auch sogleich gegen die Verheißung einer beträchtlichen Belohnung, wovon der Kämmerer ihr
auf ihre Forderung einen Teil im Voraus bezahlen musste, die Ausführung des besagten Geschäfts; und da die
Mutter des bei Mühlberg gefallenen Knechts Herse den Kohlhaas mit Erlaubnis der Regierung zuweilen besuchte, diese
Frau ihr aber seit einigen Monden her bekannt war, so gelang es ihr an einem der nächsten Tage vermittelst einer
kleinen Gabe an den Kerkermeister, sich bei dem Rosskamm Eingang zu verschaffen. -
Kohlhaas aber, als diese Frau zu ihm
eintrat, meinte an einem Siegelring, den sie an der Hand trug, und einer ihr vom Hals herabhängenden Korallenkette
die bekannte alte Zigeunerin selbst wiederzuerkennen, die ihm in Jüterbog den Zettel überreicht hatte; und wie
denn die Wahrscheinlichkeit nicht immer aufseiten der Wahrheit ist, so traf es sich, dass hier etwas geschehen war, das
wir zwar berichten, die Freiheit aber, daran zu zweifeln, demjenigen, dem es wohlgefällt, zugestehen müssen:
der Kämmerer hatte den ungeheuersten Missgriff begangen und in dem alten Trödelweib, das er in den Straßen
von Berlin aufgriff, um die Zigeunerin nachzuahmen, die geheimnisreiche Zigeunerin selbst getroffen, die er nachgeahmt
wissen wollte. Wenigstens berichtete das Weib, indem sie auf ihre Krücken gestützt die Wangen der Kinder
streichelte, die sich, betroffen von ihrem wunderlichen Anblick, an den Vater lehnten, dass sie schon seit geraumer
Zeit aus dem Sächsischen ins Brandenburgische zurückgekehrt sei und sich auf eine in den Straßen von
Berlin unvorsichtig gewagte Frage des Kämmerers nach der Zigeunerin, die im Frühjahr des verflossenen Jahres
in Jüterbog gewesen, sogleich an ihn gedrängt und unter einem falschen Namen zu dem Geschäfte, das er
besorgt wissen wollte, angeraten habe.
Der Rosshändler, der eine sonderbare Ähnlichkeit zwischen ihr und
seinem verstorbenen Weibe Lisbeth bemerkte, dergestalt, dass er sie hätte fragen können, ob sie ihre
Großmutter sei, denn nicht nur, dass die Züge ihres Gesichts, ihre Hände, auch in ihrem knöchernen
Bau noch schön, und besonders der Gebrauch, den sie davon im Reden machte, ihn aufs Lebhafteste an sie erinnerten,
auch ein Mal, womit seiner Frauen Hals bezeichnet war, bemerkte er an dem ihrigen - der Rosshändler nötigte
sie unter Gedanken, die sich seltsam in ihm kreuzten, auf einen Stuhl nieder und fragte, was sie in aller Welt in
Geschäften des Kämmerers zu ihm führe. Die Frau, während der alte Hund des Kohlhaas ihre Knie
umschnüffelte und, von ihrer Hand gekraut, mit dem Schwanz wedelte, antwortete, der Auftrag, den ihr der
Kämmerer gegeben, wäre, ihm zu eröffnen, auf welche drei dem sächsischen Hofe wichtigen Fragen
der Zettel geheimnisvolle Antwort enthalte; ihn vor einem Abgesandten, der sich in Berlin befinde, um seiner habhaft
zu werden, zu warnen und ihm den Zettel unter dem Vorwande, dass er an seiner Brust, wo er ihn trage, nicht mehr
sicher sei, abzufordern. Die Absicht aber, in der sie komme, sei, ihm zu sagen, dass die Drohung, ihn durch Arglist
oder Gewalttätigkeit um den Zettel zu bringen, abgeschmackt und ein leeres Trugbild sei, dass er unter dem
Schutz des Kurfürsten von Brandenburg, in dessen Verwahrsam er sich befinde, nicht das Mindeste für
denselben zu befürchten habe, ja, dass das Blatt bei ihm weit sicherer sei als bei ihr und dass er sich wohl
hüten möchte, sich durch Ablieferung desselben, an wen und unter welchem Vorwand es auch sei, darum
bringen zu lassen. - Gleichwohl schloss sie, dass sie es für klug hielte, von dem Zettel den Gebrauch zu machen,
zu welchem sie ihm denselben auf dem Jahrmarkt zu Jüterbog eingehändigt, dem Antrag, den man ihm auf der
Grenze durch den Junker vom Stein gemacht, Gehör zu geben und den Zettel, der ihm selbst weiter nichts nutzen
könne, für Freiheit und Leben an den Kurfürsten von Sachsen auszuliefern.
Kohlhaas, der über
die Macht jauchzte, die ihm gegeben war, seines Feindes Ferse in dem Augenblick, da sie ihn in den Staub trat,
tödlich zu verwunden, antwortete: »Nicht um die Welt, Mütterchen, nicht um die Welt!«, und
drückte der Alten Hand und wollte nur wissen, was für Antworten auf die ungeheuren Fragen im Zettel
enthalten wären. Die Frau, inzwischen sie das Jüngste, das sich zu ihren Füßen niedergekauert
hatte, auf den Schoß nahm, sprach: »Nicht um die Welt, Kohlhaas, der Rosshändler, aber um diesen
hübschen, kleinen, blonden Jungen!«, und damit lachte sie ihn an, herzte und küsste ihn, der sie
mit großen Augen ansah, und reichte ihm mit ihren dürren Händen einen Apfel, den sie in ihrer
Tasche trug, dar. Kohlhaas sagte verwirrt, dass die Kinder selbst, wenn sie groß wären, ihn um
seines Verfahrens loben würden und dass er für sie und ihre Enkel nichts Heilsameres tun könne,
als den Zettel behalten. Zudem fragte er, wer ihn nach der Erfahrung, die er gemacht, vor einem neuen Betrug
sicherstelle, und ob er nicht zuletzt unnützerweise den Zettel wie jüngst den Kriegshaufen, den er
in Lützen zusammengebracht, an den Kurfürsten aufopfern würde. »Wer mir sein Wort einmal
gebrochen«, sprach er, »mit dem wechsle ich keins mehr; und nur deine Forderung, bestimmt und
unzweideutig, trennt mich, gutes Mütterchen, von dem Blatt, durch welches mir für alles, was ich
erlitten, auf so wunderbare Weise Genugtuung geworden ist.« Die Frau, indem sie das Kind auf den Boden
setzte, sagte, dass er in mancherlei Hinsicht recht hätte und dass er tun und lassen könnte, was er
wollte! Und damit nahm sie ihre Krücken wieder zur Hand und wollte gehn. Kohlhaas wiederholte seine Frage,
den Inhalt des wunderbaren Zettels betreffend; er wünschte, da sie flüchtig antwortete, dass er ihn
ja eröffnen könne, obschon es eine bloße Neugierde wäre, noch über tausend andere
Dinge, bevor sie ihn verließe, Aufschluss zu erhalten: wer sie eigentlich sei, woher sie zu der Wissenschaft,
die ihr inwohne, komme, warum sie dem Kurfürsten, für den er doch geschrieben, den Zettel verweigert und
grade ihm unter so vielen tausend Menschen, der ihrer Wissenschaft nie begehrt, das Wunderblatt überreicht
habe. - Nun traf es sich, dass in eben diesem Augenblick ein Geräusch hörbar ward, das einige
Polizei-Offizianten, die die Treppe heraufstiegen, verursachten, dergestalt, dass das Weib, von plötzlicher
Besorgnis, in diesen Gemächern von ihnen betroffen zu werden, ergriffen, antwortete: »Auf Wiedersehen
Kohlhaas, auf Wiedersehn! Es soll dir, wenn wir uns wiedertreffen, an Kenntnis über dies alles nicht
fehlen!« Und damit, indem sie sich gegen die Tür wandte, rief sie: »Lebt wohl, Kinderchen,
lebt wohl!«, küsste das kleine Geschlecht nach der Reihe und ging ab.
Inzwischen hatte der Kurfürst von Sachsen,
seinen jammervollen Gedanken preisgegeben, zwei Astrologen namens
Oldenholm und Olearius, welche damals in Sachsen in großem Ansehen standen, herbeigerufen und wegen des Inhalts
des geheimnisvollen, ihm und dem ganzen Geschlecht seiner Nachkommen so wichtigen Zettels zu Rate gezogen; und da die
Männer nach einer mehrere Tage lang im Schlossturm zu Dresden fortgesetzten, tiefsinnigen Untersuchung nicht einig
werden konnten, ob die Prophezeiung sich auf späte Jahrhunderte oder aber auf die jetzige Zeit beziehe und
vielleicht die Krone Polen, mit welcher die Verhältnisse immer noch sehr kriegerisch waren, damit gemeint sei,
so wurde durch solchen gelehrten Streit, statt sie zu zerstreuen, die Unruhe, um nicht zu sagen, Verzweiflung, in
welcher sich dieser unglückliche Herr befand, nur geschärft und zuletzt bis auf einen Grad, der seiner
Seele ganz unerträglich war, vermehrt. Dazu kam, dass der Kämmerer um diese Zeit seiner Frau, die im Begriff
stand, ihm nach Berlin zu folgen, auftrug, dem Kurfürsten, bevor sie abreiste, auf eine geschickte Art
beizubringen, wie misslich es nach einem verunglückten Versuch, den er mit einem Weibe gemacht, das sich
seitdem nicht wieder habe blicken lassen, mit der Hoffnung aussehe, des Zettels, in dessen Besitz der Kohlhaas sei,
habhaft zu werden, indem das über ihn gefällte Todesurteil nunmehr nach einer umständlichen
Prüfung der Akten von dem Kurfürsten von Brandenburg unterzeichnet und der Hinrichtungstag bereits auf
den Montag nach Palmarum festgesetzt sei; auf welche Nachricht der Kurfürst sich, das Herz von Kummer und Reue
zerrissen, gleich einem ganz Verlorenen in seinem Zimmer verschloss, während zwei Tage, des Lebens satt, keine
Speise zu sich nahm und am dritten plötzlich unter der kurzen Anzeige an das Gubernium, dass er zu dem
Fürsten von Dessau auf die Jagd reise, aus Dresden verschwand.
Wohin er eigentlich ging und ob er sich
nach Dessau wandte, lassen wir dahingestellt sein, indem die Chroniken, aus deren Vergleichung wir Bericht
erstatten, an dieser Stelle auf befremdende Weise einander widersprechen und aufheben. Gewiss ist, dass der
Fürst von Dessau, unfähig zu jagen, um diese Zeit krank in Braunschweig bei seinem Oheim, dem Herzog
Heinrich, lag und dass die Dame Heloise am Abend des folgenden Tages in Gesellschaft eines Grafen von
Königstein, den sie für ihren Vetter ausgab, bei dem Kämmerer Herrn Kunz, ihrem Gemahl,
in Berlin eintraf. - Inzwischen war dem Kohlhaas auf Befehl des Kurfürsten das Todesurteil vorgelesen,
die Ketten abgenommen und die über sein Vermögen lautenden Papiere, die ihm in Dresden abgesprochen
worden waren, wieder zugestellt worden; und da die Räte, die das Gericht an ihn abgeordnet hatte, ihn fragten,
wie er es mit dem, was er besitze, nach seinem Tode gehalten wissen wolle, so verfertigte er mit Hilfe
eines Notars zu seiner Kinder Gunsten ein Testament und setzte den Amtmann zu Kohlhaasenbrück, seinen wackern
Freund, zum Vormund derselben ein. Demnach glich nichts der Ruhe und Zufriedenheit seiner letzten Tage; denn auf
eine sonderbare Spezial-Verordnung des Kurfürsten war bald darauf auch noch der Zwinger, in welchem er sich
befand, eröffnet und allen seinen Freunden, deren er sehr viele in der Stadt besaß, bei Tag und Nacht
freier Zutritt zu ihm verstattet worden. Ja, er hatte noch die Genugtuung, den Theologen Jakob Freising,
als einen Abgesandten Doktor Luthers, mit einem eigenhändigen, ohne Zweifel sehr merkwürdigen
Brief, der aber verloren gegangen ist, in sein Gefängnis treten zu sehen und von diesem geistlichen
Herrn in Gegenwart zweier brandenburgischen Dechanten, die ihm an die Hand gingen, die Wohltat der heiligen
Kommunion zu empfangen.
Hierauf erschien nun, unter einer allgemeinen Bewegung der Stadt, die sich immer noch
nicht entwöhnen konnte, auf ein Machtwort, das ihn rettete, zu hoffen, der verhängnisvolle
Montag nach Palmarum, an welchem er die Welt wegen des allzu raschen Versuchs, sich selbst in ihr Recht
verschaffen zu wollen, versöhnen sollte. Eben trat er in Begleitung einer starken Wache,
seine beiden Knaben auf dem Arm (denn diese Vergünstigung hatte er sich ausdrücklich vor den Schranken
des Gerichts ausgebeten), von dem Theologen Jakob Freising geführt aus dem Tor seines Gefängnisses,
als unter einem wehmütigen Gewimmel von Bekannten, die ihm die Hände drückten und von ihm Abschied
nahmen, der Kastellan des kurfürstlichen Schlosses, verstört im Gesicht, zu ihm herantrat und ihm ein
Blatt gab, das ihm, wie er sagte, ein altes Weib für ihn eingehändigt. Kohlhaas, während er den
Mann, der ihm nur wenig bekannt war, befremdet ansah, eröffnete das Blatt, dessen Siegelring ihn, im Mundlack
ausgedrückt, sogleich an die bekannte Zigeunerin erinnerte. Aber wer beschreibt das Erstaunen, das ihn
ergriff, als er folgende Nachricht darin fand: »Kohlhaas, der Kurfürst von Sachsen ist in Berlin;
auf den Richtplatz schon ist er vorangegangen und wird, wenn dir daran liegt, an einem Hut mit blauen und
weißen Federbüschen kenntlich sein. Die Absicht, in der er kömmt, brauche ich dir nicht zu sagen;
er will die Kapsel, sobald du verscharrt bist, ausgraben und den Zettel, der darin befindlich ist, eröffnen
lassen. - Deine Elisabeth.« - Kohlhaas, indem er sich auf das Äußerste bestürzt zu dem
Kastellan umwandte, fragte ihn, ob er das wunderbare Weib, das ihm den Zettel übergeben, kenne. Doch da der
Kastellan antwortete: »Kohlhaas, das Weib« - und in Mitten der Rede auf sonderbare Weise stockte,
so konnte er, von dem Zuge, der in diesem Augenblick wieder antrat, fortgerissen, nicht vernehmen, was der Mann,
der an allen Gliedern zu zittern schien, vorbrachte. -
Als er auf dem Richtplatz ankam, fand er den Kurfürsten
von Brandenburg mit seinem Gefolge, worunter sich auch der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau befand, unter
einer unermesslichen Menschenmenge daselbst zu Pferde halten: ihm zur Rechten der kaiserliche Anwalt Franz
Müller, eine Abschrift des Todesurteils in der Hand, ihm zur Linken, mit dem Konklusum des Dresdner
Hofgerichts, sein eigener Anwalt, der Rechtsgelehrte Anton Zäuner; ein Herold in der Mitte des halboffenen
Kreises, den das Volk schloss, mit einem Bündel Sachen und den beiden von Wohlsein glänzenden,
die Erde mit ihren Hufen stampfenden Rappen. Denn der Erzkanzler, Herr Heinrich, hatte die Klage, die er
im Namen seines Herrn in Dresden anhängig gemacht, Punkt für Punkt und ohne die mindeste
Einschränkung gegen den Junker Wenzel von Tronka durchgesetzt, dergestalt, dass die Pferde, nachdem man
sie durch Schwingung einer Fahne über ihre Häupter ehrlich gemacht und aus den Händen des Abdeckers,
der sie ernährt, zurückgezogen hatte, von den Leuten des Junkers dickgefüttert und in Gegenwart
einer eigens dazu niedergesetzten Kommission dem Anwalt auf dem Markt zu Dresden übergeben worden waren.
Demnach sprach der Kurfürst, als Kohlhaas von der Wache begleitet auf den Hügel zu ihm heranschritt:
»Nun, Kohlhaas, heut ist der Tag, an dem dir dein Recht geschieht! Schau her, hier liefere ich dir alles,
was du auf der Tronkenburg gewaltsamer Weise eingebüßt und was ich, als dein Landesherr, dir wieder
zu verschaffen schuldig war, zurück: Rappen, Halstuch, Reichsgulden, Wäsche, bis auf die Kurkosten
sogar für deinen bei Mühlberg gefallenen Knecht Herse. Bist du mit mir zufrieden?« -
Kohlhaas, während er das ihm auf den Wink des Erzkanzlers eingehändigte Konklusum mit großen, funkelnden
Augen überlas, setzte die beiden Kinder, die er auf dem Arm trug, neben sich auf den Boden nieder;
und da er auch einen Artikel darin fand, in welchem der Junker Wenzel zu zweijähriger Gefängnisstrafe
verurteilt ward, so ließ er sich aus der Ferne, ganz überwältigt von Gefühlen, mit kreuzweis
auf die Brust gelegten Händen vor dem Kurfürsten nieder. Er versicherte freudig dem Erzkanzler, indem
er aufstand und die Hand auf seinen Schoß legte, dass sein höchster Wunsch auf Erden erfüllt sei,
trat an die Pferde heran, musterte sie und klopfte ihren feisten Hals und erklärte dem Kanzler, indem er
wieder zu ihm zurückkam, heiter, dass er sie seinen beiden Söhnen Heinrich und Leopold schenke!
Der Kanzler, Herr Heinrich von Geusau, vom Pferde herab mild zu ihm gewandt, versprach ihm in des
Kurfürsten Namen, dass sein letzter Wille heilig gehalten werden solle, und forderte ihn auf, auch
über die übrigen im Bündel befindlichen Sachen nach seinem Gutdünken zu schalten.
Hierauf rief Kohlhaas die alte Mutter Hersens, die er auf dem Platz wahrgenommen hatte, aus dem Haufen des
Volks hervor, und indem er ihr die Sachen übergab, sprach er: »Da, Mütterchen, das gehört
dir!« - die Summe, die als Schadenersatz für ihn bei dem im Bündel liegenden Gelde befindlich
war, als ein Geschenk noch zur Pflege und Erquickung ihrer alten Tage hinzufügend. -
Der Kurfürst rief: »Nun, Kohlhaas, der Rosshändler, du, dem solchergestalt Genugtuung geworden,
mache dich bereit, kaiserlicher Majestät, deren Anwalt hier steht, wegen des Bruchs ihres Landfriedens deinerseits Genugtuung
zu geben!« Kohlhaas, indem er seinen Hut abnahm und auf die Erde warf, sagte, dass er bereit dazu wäre,
übergab die Kinder, nachdem er sie noch einmal vom Boden erhoben und an seine Brust gedrückt hatte,
dem Amtmann von Kohlhaasenbrück und trat, während dieser sie unter stillen Tränen vom Platz
hinwegführte, an den Block. Eben knüpfte er sich das Tuch vom Hals ab und öffnete seinen
Brustlatz, als er mit einem flüchtigen Blick auf den Kreis, den das Volk bildete, in geringer Entfernung
von sich zwischen zwei Rittern, die ihn mit ihren Leibern halb deckten, den wohlbekannten Mann mit blauen
und weißen Federbüschen wahrnahm. Kohlhaas löste sich, indem er mit einem plötzlichen,
die Wache, die ihn umringte, befremdenden Schritt, dicht vor ihn trat, die Kapsel von der Brust; er nahm den
Zettel heraus, entsiegelte ihn und überlas ihn, und das Auge unverwandt auf den Mann mit blauen und
weißen Federbüschen gerichtet, der bereits süßen Hoffnungen Raum zu geben anfing,
steckte er ihn in den Mund und verschlang ihn. Der Mann mit blauen und weißen Federbüschen sank
bei diesem Anblick ohnmächtig in Krämpfen nieder. Kohlhaas aber, während die bestürzten
Begleiter desselben sich herabbeugten und ihn vom Boden aufhoben, wandte sich zu dem Schafott, wo sein Haupt
unter dem Beil des Scharfrichters fiel. Hier endigt die Geschichte vom Kohlhaas. Man legte die Leiche unter
einer allgemeinen Klage des Volks in einen Sarg, und während die Träger sie aufhoben, um sie
anständig auf den Kirchhof der Vorstadt zu begraben, rief der Kurfürst die Söhne des Abgeschiedenen
herbei und schlug sie mit der Erklärung an den Erzkanzler, dass sie in seiner Pagenschule erzogen werden
sollten, zu Rittern. Der Kurfürst von Sachsen kam bald darauf, zerrissen an Leib und Seele, nach
Dresden zurück, wo man das Weitere in der Geschichte nachlesen muss. Vom Kohlhaas aber haben noch im
vergangenen Jahrhundert im Mecklenburgischen einige frohe und rüstige Nachkommen gelebt.