[Achter Teil: Wie Michael Kohlhaas in Brandenburg zu seinem Recht kam]
Der Zustand des Kurfürsten, als er diese Nachricht bekam, verschlimmerte sich in dem Grade, dass der Arzt
während drei verhängnisvoller Tage seines Lebens wegen, das zu gleicher Zeit von so vielen Seiten angegriffen
ward, in der größesten Besorgnis war. Gleichwohl stellte er sich durch die Kraft seiner natürlichen
Gesundheit nach dem Krankenlager einiger peinlich zugebrachten Wochen wieder her; dergestalt wenigstens, dass man
ihn in einen Wagen bringen und, mit Kissen und Decken wohl versehen, nach Dresden zu seinen Regierungsgeschäften
wieder zurückführen konnte. Sobald er in dieser Stadt angekommen war, ließ er den Prinzen Christiern
von Meißen rufen und fragte denselben, wie es mit der Abfertigung des Gerichtsrats Eibenmayer stünde, den
man als Anwalt in der Sache des Kohlhaas nach Wien zu schicken gesonnen gewesen wäre, um kaiserlicher Majestät
daselbst die Beschwerde wegen gebrochenen kaiserlichen Landfriedens vorzulegen? Der Prinz antwortete ihm, dass derselbe,
dem bei seiner Abreise nach Dahme hinterlassenen Befehl gemäß gleich nach Ankunft des Rechtsgelehrten
Zäuner, den der Kurfürst von Brandenburg als Anwalt nach Dresden geschickt hätte, um die Klage desselben
gegen den Junker Wenzel von Tronka der Rappen wegen vor Gericht zu bringen, nach Wien abgegangen wäre. Der
Kurfürst, indem er errötend an seinen Arbeitstisch trat, wunderte sich über diese Eilfertigkeit, indem
er seines Wissens erklärt hätte, die definitive Abreise des Eibenmayer wegen vorher notwendiger Rücksprache
mit dem Doktor Luther, der dem Kohlhaas die Amnestie ausgewirkt, einem näheren und bestimmteren Befehl vorbehalten
zu wollen. Dabei warf er einige Briefschaften und Akten, die auf dem Tisch lagen, mit dem Ausdruck zurückgehaltenen
Unwillens übereinander.
Der Prinz, nach einer Pause, in welcher er ihn mit großen Augen ansah, versetzte,
dass es ihm leid täte, wenn er seine Zufriedenheit in dieser Sache verfehlt habe; inzwischen könne er ihm den
Beschluss des Staatsrats vorzeigen, worin ihm die Abschickung des Rechtsanwalts zu dem besagten Zeitpunkt zur Pflicht
gemacht worden wäre. Er setzte hinzu, dass im Staatsrat von einer Rücksprache mit dem Doktor Luther auf keine
Weise die Rede gewesen wäre, dass es früherhin vielleicht zweckmäßig gewesen sein möchte,
diesen geistlichen Herrn wegen der Verwendung, die er dem Kohlhaas angedeihen lassen, zu berücksichtigen, nicht
aber jetzt mehr, nachdem man demselben die Amnestie vor den Augen der ganzen Welt gebrochen, ihn arretiert und zur
Verurteilung und Hinrichtung an die brandenburgischen Gerichte ausgeliefert hätte. Der Kurfürst sagte, das
Versehen, den Eibenmayer abgeschickt zu haben, wäre auch in der Tat nicht groß; inzwischen wünsche er,
dass derselbe vorläufig bis auf weiteren Befehl in seiner Eigenschaft als Ankläger zu Wien nicht aufträte,
und bat den Prinzen deshalb, das Erforderliche unverzüglich durch einen Expressen an ihn zu erlassen. Der Prinz
antwortete, dass dieser Befehl leider um einen Tag zu spät käme, indem der Eibenmayer bereits nach einem
Berichte, der eben heute eingelaufen, in seiner Qualität als Anwalt aufgetreten und mit Einreichung der Klage
bei der Wiener Staatskanzlei vorgegangen wäre. Er setzte auf die betroffene Frage des Kurfürsten, wie dies
überall in so kurzer Zeit möglich sei, hinzu, dass bereits seit der Abreise dieses Mannes drei Wochen
verstrichen wären und dass die Instruktion, die er erhalten, ihm eine ungesäumte Abmachung dieses Geschäfts
gleich nach seiner Ankunft in Wien zur Pflicht gemacht hätte. Eine Verzögerung, bemerkte der Prinz,
würde in diesem Fall um so unschicklicher gewesen sein, da der brandenburgische Anwalt Zäuner gegen den
Junker Wenzel von Tronka mit dem trotzigsten Nachdruck verfahre und bereits auf eine vorläufige Zurückziehung
der Rappen aus den Händen des Abdeckers behufs ihrer künftigen Wiederherstellung bei dem Gerichtshof
angetragen und auch, aller Einwendungen der Gegenpart ungeachtet, durchgesetzt habe. Der Kurfürst, indem er
die Klingel zog, sagte, gleichviel! Es hätte nichts zu bedeuten, und nachdem er sich mit gleichgültigen
Fragen, wie es sonst in Dresden stehe und was in seiner Abwesenheit vorgefallen sei, zu dem Prinzen zurückgewandt
hatte, grüßte er ihn, unfähig seinen innersten Zustand zu verbergen, mit der Hand und entließ ihn.
Er forderte ihm noch an demselben Tage schriftlich unter dem Vorwande, dass er die Sache ihrer politischen Wichtigkeit
wegen selbst bearbeiten wolle, die sämtlichen kohlhaasischen Akten ab; und da ihm der Gedanke, denjenigen zu
verderben, von dem er allein über die Geheimnisse des Zettels Auskunft erhalten konnte, unerträglich, so
verfasste er einen eigenhändigen Brief an den Kaiser, worin er ihn auf herzliche und dringende Weise bat,
aus wichtigen Gründen, die er ihm vielleicht in kurzer Zeit bestimmter auseinanderlegen würde, die Klage,
die der Eibenmayer gegen den Kohlhaas eingereicht, vorläufig bis auf einen weitern Beschluss zurücknehmen
zu dürfen. Der Kaiser, in einer durch die Staatskanzlei ausgefertigten Note, antwortete ihm, dass der Wechsel,
der plötzlich in seiner Brust vorgegangen zu sein scheine, ihn aufs Äußerste befremde, dass der
sächsischerseits an ihn erlassene Bericht die Sache des Kohlhaas zu einer Angelegenheit gesamten Heiligen
Römischen Reichs gemacht hätte, dass demgemäß er, der Kaiser, als Oberhaupt desselben sich
verpflichtet gesehen hätte, als Ankläger in dieser Sache bei dem Hause Brandenburg aufzutreten, dergestalt,
dass da bereits der Hof-Assessor Franz Müller in der Eigenschaft als Anwalt nach Berlin gegangen wäre,
um den Kohlhaas daselbst wegen Verletzung des öffentlichen Landfriedens zur Rechenschaft zu ziehen, die
Beschwerde nunmehr auf keine Weise zurückgenommen werden könne und die Sache den Gesetzen gemäß
ihren weiteren Fortgang nehmen müsse.
Dieser Brief schlug den Kurfürsten völlig nieder; und
da zu seiner äußersten Betrübnis in einiger Zeit Privatschreiben aus Berlin einliefen,
in welchen die Einleitung des Prozesses bei dem Kammergericht gemeldet und bemerkt ward, dass der Kohlhaas
wahrscheinlich, aller Bemühungen des ihm zugeordneten Advokaten ungeachtet, auf dem Schafott enden werde,
so beschloss dieser unglückliche Herr noch einen Versuch zu machen und bat den Kurfürsten von Brandenburg
in einer eigenhändigen Zuschrift um des Rosshändlers Leben. Er schützte vor, dass die Amnestie,
die man diesem Manne angelobt, die Vollstreckung eines Todesurteils an demselben füglicherweise nicht
zulasse, versicherte ihn, dass es trotz der scheinbaren Strenge, mit welcher man gegen ihn verfahren, nie
seine Absicht gewesen wäre, ihn sterben zu lassen, und beschrieb ihm, wie trostlos er sein würde,
wenn der Schutz, den man vorgegeben hätte, ihm von Berlin aus angedeihen lassen zu wollen, zuletzt in
einer unerwarteten Wendung zu seinem größeren Nachteile ausschlage, als wenn er in Dresden geblieben
und seine Sache nach sächsischen Gesetzen entschieden worden wäre.
Der Kurfürst von Brandenburg,
dem in dieser Angabe mancherlei zweideutig und unklar schien, antwortete ihm, dass der Nachdruck, mit welchem
der Anwalt kaiserlicher Majestät verführe, platterdings nicht erlaube, dem Wunsch, den er ihm
geäußert, gemäß, von der strengen Vorschrift der Gesetze abzuweichen. Er bemerkte, dass
die ihm vorgelegte Besorgnis in der Tat zu weit ginge, indem die Beschwerde wegen der dem Kohlhaas in der
Amnestie verziehenen Verbrechen ja nicht von ihm, der demselben die Amnestie erteilt, sondern von dem
Reichsoberhaupt, das daran auf keine Weise gebunden sei, bei dem Kammergericht zu Berlin anhängig gemacht
worden wäre. Dabei stellte er ihm vor, wie notwendig bei den fortdauernden Gewalttätigkeiten des
Nagelschmidt, die sich sogar schon mit unerhörter Dreistigkeit bis aufs brandenburgische Gebiet erstreckten,
die Statuierung eines abschreckenden Beispiels wäre, und bat ihn, falls er dies alles nicht berücksichtigen
wolle, sich an des Kaisers Majestät selbst zu wenden, indem, wenn dem Kohlhaas zugunsten ein Machtspruch
fallen sollte, dies allein auf eine Erklärung von dieser Seite her geschehen könne.
Der Kurfürst, aus Gram und Ärger über alle diese missglückten Versuche, verfiel in eine neue Krankheit,
und da der Kämmerer ihn an einem Morgen besuchte, zeigte er ihm die Briefe, die er, um dem Kohlhaas das
Leben zu fristen und somit wenigstens Zeit zu gewinnen, des Zettels, den er besäße, habhaft zu werden,
an den Wiener und Berliner Hof erlassen. Der Kämmerer warf sich auf Knien vor ihm nieder und bat ihn,
um alles was ihm heilig und teuer sei, ihm zu sagen, was dieser Zettel enthalte. Der Kurfürst sprach,
er möchte das Zimmer verriegeln und sich auf das Bett niedersetzen, und nachdem er seine Hand ergriffen
und mit einem Seufzer an sein Herz gedrückt hatte, begann er folgendergestalt: »Deine Frau hat dir,
wie ich höre, schon erzählt, dass der Kurfürst von Brandenburg und ich am dritten Tage der
Zusammenkunft, die wir in Jüterbog hielten, auf eine Zigeunerin trafen; und da der Kurfürst,
aufgeweckt wie er von Natur ist, beschloss, den Ruf dieser abenteuerlichen Frau, von deren Kunst eben bei der
Tafel auf ungebührliche Weise die Rede gewesen war, durch einen Scherz im Angesicht alles Volks zunichte
zu machen, so trat er mit verschränkten Armen vor ihren Tisch und forderte der Weissagung wegen, die sie
ihm machen sollte, ein Zeichen von ihr, das sich noch heute erproben ließe, vorschützend, dass er
sonst nicht, und wäre sie auch die römische Sibylle selbst, an ihre Worte glauben könne. Die
Frau, indem sie uns flüchtig von Kopf zu Fuß maß, sagte, das Zeichen würde sein, dass
uns der große, gehörnte Rehbock, den der Sohn des Gärtners im Park erzog, auf dem Markt,
worauf wir uns befanden, bevor wir ihn noch verlassen, entgegenkommen würde.
Nun musst du wissen, dass dieser für die Dresdner Küche bestimmte Rehbock in einem mit Latten hoch verzäunten Verschlage,
den die Eichen des Parks beschatteten, hinter Schloss und Riegel aufbewahrt ward, dergestalt, dass, da
überdies anderen kleineren Wildes und Geflügels wegen der Park überhaupt und obendrein der
Garten, der zu ihm führte, in sorgfältigem Beschluss gehalten ward, schlechterdings nicht abzusehen war,
wie uns das Tier, diesem sonderbaren Vorgeben gemäß, bis auf dem Platz, wo wir standen, entgegenkommen
würde; gleichwohl schickte der Kurfürst, aus Besorgnis vor einer dahintersteckenden Schelmerei,
nach einer kurzen Abrede mit mir entschlossen, auf unabänderliche Weise alles, was sie noch vorbringen
würde, des Spaßes wegen zuschanden zu machen, ins Schloss und befahl, dass der Rehbock augenblicklich
getötet und für die Tafel an einem der nächsten Tage zubereitet werden solle. Hierauf wandte
er sich zu der Frau, vor welcher diese Sache laut verhandelt worden war, zurück und sagte: 'Nun, wohlan!
Was hast du mir für die Zukunft zu entdecken?' Die Frau, indem sie in seine Hand sah, sprach: 'Heil meinem
Kurfürsten und Herrn! Deine Gnaden wird lange regieren, das Haus, aus dem du stammst, lange bestehen und
deine Nachkommen groß und herrlich werden und zu Macht gelangen vor allen Fürsten und Herren der Welt!'
Der Kurfürst, nach einer Pause, in welcher er die Frau gedankenvoll ansah, sagte halblaut mit einem Schritte,
den er zu mir tat, dass es ihm jetzo fast leid täte, einen Boten abgeschickt zu haben, um die Weissagung
zunichte zu machen; und während das Geld aus den Händen der Ritter, die ihm folgten, der Frau haufenweise
unter vielem Jubel in den Schoß regnete, fragte er sie, indem er selbst in die Tasche griff und ein Goldstück
dazulegte, ob der Gruß, den sie mir zu eröffnen hätte, auch von so silbernem Klang wäre
als der seinige?
Die Frau, nachdem sie einen Kasten, der ihr zur Seite stand, aufgemacht und das Geld nach Sorte
und Menge weitläufig und umständlich darin geordnet und den Kasten wieder verschlossen hatte,
schützte ihre Hand vor die Sonne, gleichsam als ob sie ihr lästig wäre, und sah mich an; und da
ich die Frage an sie wiederholte und auf scherzhafte Weise, während sie meine Hand prüfte, zum
Kurfürsten sagte: 'Mir, scheint es, hat sie nichts, das eben angenehm wäre, zu verkündigen', so
ergriff sie ihre Krücken, hob sich langsam daran vom Schemel empor, und indem sie sich mit geheimnisvoll
vorgehaltenen Händen dicht zu mir herandrängte, flüsterte sie mir vernehmlich ins Ohr: 'Nein!'
'So!', sagt ich verwirrt und trat einen Schritt vor der Gestalt zurück, die sich mit einem Blick, kalt und
leblos, wie aus marmornen Augen auf den Schemel, der hinter ihr stand, zurücksetzte. 'Von welcher Seite her
droht meinem Hause Gefahr?' Die Frau, indem sie eine Kohle und ein Papier zur Hand nahm und ihre Knie kreuzte,
fragte, ob sie es mir aufschreiben solle. Und da ich, verlegen in der Tat, bloß weil mir unter den
bestehenden Umständen nichts anders übrig blieb, antwortete: 'Ja! das tu!', so versetzte sie: 'Wohlan!
Dreierlei schreib ich dir auf, den Namen des letzten Regenten deines Hauses, die Jahreszahl, da er sein Reich
verlieren und den Namen dessen, der es durch die Gewalt der Waffen an sich reißen wird.' Dies vor den Augen
allen Volks abgemacht, erhebt sie sich, verklebt den Zettel mit Lack, den sie in ihrem welken Munde befeuchtet,
und drückt einen bleiernen, an ihrem Mittelfinger befindlichen Siegelring darauf. Und da ich den Zettel,
neugierig, wie du leicht begreifst, mehr als Worte sagen können, erfassen will, spricht sie: 'Mitnichten,
Hoheit!', und wendet sich und hebt ihrer Krücken eine empor: 'Von jenem Mann dort, der mit dem Federhut
auf der Bank steht, hinter allem Volk, am Kircheneingang, lösest du, wenn es dir beliebt, den Zettel ein!'
Und damit, ehe ich noch recht begriffen, was sie sagt, auf dem Platz, vor Erstaunen sprachlos, lässt sie
mich stehen; und während sie den Kasten, der hinter ihr stand, zusammenschlug und über den Rücken
warf, mischt sie sich, ohne dass ich weiter bemerken konnte, was sie tut, unter den Haufen des uns umringenden
Volks.
Nun trat zu meinem in der Tat herzlichen Trost in eben diesem Augenblick der Ritter auf, den der
Kurfürst ins Schloss geschickt hatte, und meldete ihm mit lachendem Munde, dass der Rehbock getötet
und durch zwei Jäger vor seinen Augen in die Küche geschleppt worden sei. Der Kurfürst, indem
er seinen Arm munter in den meinigen legte in der Absicht, mich von dem Platz hinwegzuführen, sagte: 'Nun,
wohlan! So war die Prophezeiung eine alltägliche Gaunerei und Zeit und Gold, die sie uns gekostet, nicht
wert!' Aber wie groß war unser Erstaunen, da sich noch während dieser Worte ein Geschrei rings auf
dem Platze erhob und aller Augen sich einem großen, vom Schlosshof herantrabenden Schlächterhund
zuwandten, der in der Küche den Rehbock als gute Beute beim Nacken erfasst und das Tier drei Schritte von
uns, verfolgt von Knechten und Mägden, auf den Boden fallen ließ, dergestalt, dass in der Tat die
Prophezeiung des Weibes zum Unterpfand alles dessen, was sie vorgebracht, erfüllt und der Rehbock uns bis
auf den Markt, obschon allerdings tot, entgegengekommen war. Der Blitz, der an einem Wintertag vom Himmel
fällt, kann nicht vernichtender treffen als mich dieser Anblick, und meine erste Bemühung, sobald
ich der Gesellschaft, in der ich mich befand, überhoben, war gleich, den Mann mit dem Federhut, den mir
das Weib bezeichnet hatte, auszumitteln; doch keiner meiner Leute, unausgesetzt während drei Tage auf
Kundschaft geschickt, war imstande, mir auch nur auf die entfernteste Weise Nachricht davon zu geben, und jetzt,
Freund Kunz, vor wenig Wochen in der Meierei zu Dahme, habe ich den Mann mit meinen eigenen Augen gesehn.« -
Und damit ließ er die Hand des Kämmerers fahren, und während er sich den Schweiß abtrocknete,
sank er wieder auf das Lager zurück. Der Kämmerer, der es für vergebliche Mühe hielt, mit
seiner Ansicht von diesem Vorfall die Ansicht, die der Kurfürst davon hatte, zu durchkreuzen und zu berichtigen,
bat ihn, doch irgendein Mittel zu versuchen, des Zettels habhaft zu werden und den Kerl nachher seinem Schicksal
zu überlassen; doch der Kurfürst antwortete, dass er platterdings kein Mittel dazu sähe, obschon
der Gedanke, ihn entbehren zu müssen oder wohl gar die Wissenschaft davon mit diesem Menschen untergehen zu
sehen, ihn dem Jammer und der Verzweiflung nahe brächte. Auf die Frage des Freundes, ob er denn Versuche
gemacht, die Person der Zigeunerin selbst auszuforschen, erwiderte der Kurfürst, dass das Gubernium auf
einen Befehl, den er unter einem falschen Vorwand an dasselbe erlassen, diesem Weibe vergebens bis auf den
heutigen Tag in allen Plätzen des Kurfürstentums nachspüre, wobei er aus Gründen, die er
jedoch näher zu entwickeln sich weigerte, überhaupt zweifelte, dass sie in Sachsen auszumitteln sei.
Nun traf es sich, dass der Kämmerer mehrerer beträchtlichen Güter wegen, die seiner Frau aus der
Hinterlassenschaft des abgesetzten und bald darauf verstorbenen Erzkanzlers, Grafen Kallheim, in der Neumark
zugefallen waren, nach Berlin reisen wollte, dergestalt, dass, da er den Kurfürsten in der Tat liebte,
er ihn nach einer kurzen Überlegung fragte, ob er ihm in dieser Sache freie Hand lassen wolle. Und da
dieser, indem er seine Hand herzlich an seine Brust drückte, antwortete: »Denke, du seist ich
und schaff mir den Zettel!«, so beschleunigte der Kämmerer, nachdem er seine Geschäfte
abgegeben, um einige Tage seine Abreise und fuhr mit Zurücklassung seiner Frau, bloß von einigen
Bedienten begleitet, nach Berlin ab.
Kohlhaas, der inzwischen, wie schon gesagt, in Berlin
angekommen und auf einen Spezialbefehl des Kurfürsten in ein
ritterliches Gefängnis gebracht worden war, das ihn mit seinen fünf Kindern, so bequem als es sich tun ließ,
empfing, war gleich nach Erscheinung des kaiserlichen Anwalts aus Wien auf den Grund wegen Verletzung des öffentlichen
kaiserlichen Landfriedens vor den Schranken des Kammergerichts zur Rechenschaft gezogen worden; und ob er schon in seiner
Verantwortung einwandte, dass er wegen seines bewaffneten Einfalls in Sachsen und der dabei verübten
Gewalttätigkeiten kraft des mit dem Kurfürsten von Sachsen zu Lützen abgeschlossenen Vergleichs nicht
belangt werden könne, so erfuhr er doch zu seiner Belehrung, dass des Kaisers Majestät, deren Anwalt hier die
Beschwerde führe, darauf keine Rücksicht nehmen könne, ließ sich auch sehr bald, da man ihm die Sache
auseinandersetzte und erklärte, wie ihm dagegen von Dresden her in seiner Sache gegen den Junker Wenzel von Tronka
völlige Genugtuung widerfahren werde, die Sache gefallen. Demnach traf es sich, dass grade am Tage der Ankunft des
Kämmerers das Gesetz über ihn sprach und er verurteilt ward, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht zu
werden, ein Urteil, an dessen Vollstreckung gleichwohl bei der verwickelten Lage der Dinge, seiner Milde ungeachtet,
niemand glaubte, ja, dass die ganze Stadt bei dem Wohlwollen, das der Kurfürst für den Kohlhaas trug, unfehlbar
durch ein Machtwort desselben in eine bloße, vielleicht beschwerliche und langwierige Gefängnisstrafe
verwandelt zu sehen hoffte.
Der Kämmerer, der gleichwohl einsah, dass keine Zeit zu verlieren sein möchte,
falls der Auftrag, den ihm sein Herr gegeben, in Erfüllung gehen sollte, fing sein Geschäft damit an, sich dem
Kohlhaas am Morgen eines Tages, da derselbe in harmloser Betrachtung der Vorübergehenden am Fenster seines
Gefängnisses stand, in seiner gewöhnlichen Hoftracht genau und umständlich zu zeigen; und da er aus einer
plötzlichen Bewegung seines Kopfes schloss, dass der Rosshändler ihn bemerkt hatte und besonders mit
großem Vergnügen einen unwillkürlichen Griff desselben mit der Hand auf die Gegend der Brust, wo
die Kapsel lag, wahrnahm, so hielt er das, was in der Seele desselben in diesem Augenblick vorgegangen war, für
eine hinlängliche Vorbereitung, um in dem Versuch, des Zettels habhaft zu werden, einen Schritt weiter
vorzurücken. Er bestellte ein altes, auf Krücken herumwandelndes Trödelweib zu sich, das er in den
Straßen von Berlin unter einem Tross andern, mit Lumpen handelnden Gesindels bemerkt hatte und das ihm dem Alter
und der Tracht nach ziemlich mit dem, das ihm der Kurfürst beschrieben hatte, übereinzustimmen schien; und in
der Voraussetzung, der Kohlhaas werde sich die Züge derjenigen, die ihm in einer flüchtigen Erscheinung den
Zettel überreicht hatte, nicht eben tief eingeprägt haben, beschloss er, das gedachte Weib statt ihrer
unterzuschieben und bei Kohlhaas, wenn es sich tun ließe, die Rolle, als ob sie die Zigeunerin wäre, spielen
zu lassen. Demgemäß, um sie dazu instand zu setzen, unterrichtete er sie umständlich von allem, was
zwischen dem Kurfürsten und der gedachten Zigeunerin in Jüterbog vorgefallen war, wobei er, weil er nicht
wusste, wie weit das Weib in ihren Eröffnungen gegen den Kohlhaas gegangen war, nicht vergaß, ihr besonders
die drei geheimnisvollen, in dem Zettel enthaltenen Artikel einzuschärfen; und nachdem er ihr auseinandergesetzt
hatte, was sie auf abgerissene und unverständliche Weise fallen lassen müsse gewisser Anstalten wegen, die
man getroffen, sei es durch List oder durch Gewalt, des Zettels, der dem sächsischen Hofe von der äußersten
Wichtigkeit sei, habhaft zu werden, trug er ihr auf, dem Kohlhaas den Zettel unter dem Vorwand, dass derselbe bei ihm
nicht mehr sicher sei, zur Aufbewahrung während einiger verhängnisvollen Tage abzufordern. Das Trödelweib
übernahm auch sogleich gegen die Verheißung einer beträchtlichen Belohnung, wovon der Kämmerer ihr
auf ihre Forderung einen Teil im Voraus bezahlen musste, die Ausführung des besagten Geschäfts; und da die
Mutter des bei Mühlberg gefallenen Knechts Herse den Kohlhaas mit Erlaubnis der Regierung zuweilen besuchte, diese
Frau ihr aber seit einigen Monden her bekannt war, so gelang es ihr an einem der nächsten Tage vermittelst einer
kleinen Gabe an den Kerkermeister, sich bei dem Rosskamm Eingang zu verschaffen. -
Kohlhaas aber, als diese Frau zu ihm eintrat, meinte an einem Siegelring, den sie an der Hand trug, und einer ihr vom Hals herabhängenden Korallenkette
die bekannte alte Zigeunerin selbst wiederzuerkennen, die ihm in Jüterbog den Zettel überreicht hatte; und wie
denn die Wahrscheinlichkeit nicht immer aufseiten der Wahrheit ist, so traf es sich, dass hier etwas geschehen war, das
wir zwar berichten, die Freiheit aber, daran zu zweifeln, demjenigen, dem es wohlgefällt, zugestehen müssen:
der Kämmerer hatte den ungeheuersten Missgriff begangen und in dem alten Trödelweib, das er in den Straßen
von Berlin aufgriff, um die Zigeunerin nachzuahmen, die geheimnisreiche Zigeunerin selbst getroffen, die er nachgeahmt
wissen wollte. Wenigstens berichtete das Weib, indem sie auf ihre Krücken gestützt die Wangen der Kinder
streichelte, die sich, betroffen von ihrem wunderlichen Anblick, an den Vater lehnten, dass sie schon seit geraumer
Zeit aus dem Sächsischen ins Brandenburgische zurückgekehrt sei und sich auf eine in den Straßen von
Berlin unvorsichtig gewagte Frage des Kämmerers nach der Zigeunerin, die im Frühjahr des verflossenen Jahres
in Jüterbog gewesen, sogleich an ihn gedrängt und unter einem falschen Namen zu dem Geschäfte, das er
besorgt wissen wollte, angeraten habe.
Der Rosshändler, der eine sonderbare Ähnlichkeit zwischen ihr und
seinem verstorbenen Weibe Lisbeth bemerkte, dergestalt, dass er sie hätte fragen können, ob sie ihre
Großmutter sei, denn nicht nur, dass die Züge ihres Gesichts, ihre Hände, auch in ihrem knöchernen
Bau noch schön, und besonders der Gebrauch, den sie davon im Reden machte, ihn aufs Lebhafteste an sie erinnerten,
auch ein Mal, womit seiner Frauen Hals bezeichnet war, bemerkte er an dem ihrigen - der Rosshändler nötigte
sie unter Gedanken, die sich seltsam in ihm kreuzten, auf einen Stuhl nieder und fragte, was sie in aller Welt in
Geschäften des Kämmerers zu ihm führe. Die Frau, während der alte Hund des Kohlhaas ihre Knie
umschnüffelte und, von ihrer Hand gekraut, mit dem Schwanz wedelte, antwortete, der Auftrag, den ihr der
Kämmerer gegeben, wäre, ihm zu eröffnen, auf welche drei dem sächsischen Hofe wichtigen Fragen
der Zettel geheimnisvolle Antwort enthalte; ihn vor einem Abgesandten, der sich in Berlin befinde, um seiner habhaft
zu werden, zu warnen und ihm den Zettel unter dem Vorwande, dass er an seiner Brust, wo er ihn trage, nicht mehr
sicher sei, abzufordern. Die Absicht aber, in der sie komme, sei, ihm zu sagen, dass die Drohung, ihn durch Arglist
oder Gewalttätigkeit um den Zettel zu bringen, abgeschmackt und ein leeres Trugbild sei, dass er unter dem
Schutz des Kurfürsten von Brandenburg, in dessen Verwahrsam er sich befinde, nicht das Mindeste für
denselben zu befürchten habe, ja, dass das Blatt bei ihm weit sicherer sei als bei ihr und dass er sich wohl
hüten möchte, sich durch Ablieferung desselben, an wen und unter welchem Vorwand es auch sei, darum
bringen zu lassen. - Gleichwohl schloss sie, dass sie es für klug hielte, von dem Zettel den Gebrauch zu machen,
zu welchem sie ihm denselben auf dem Jahrmarkt zu Jüterbog eingehändigt, dem Antrag, den man ihm auf der
Grenze durch den Junker vom Stein gemacht, Gehör zu geben und den Zettel, der ihm selbst weiter nichts nutzen
könne, für Freiheit und Leben an den Kurfürsten von Sachsen auszuliefern.
Kohlhaas, der über die Macht jauchzte, die ihm gegeben war, seines Feindes Ferse in dem Augenblick, da sie ihn in den Staub trat,
tödlich zu verwunden, antwortete: »Nicht um die Welt, Mütterchen, nicht um die Welt!«, und
drückte der Alten Hand und wollte nur wissen, was für Antworten auf die ungeheuren Fragen im Zettel
enthalten wären. Die Frau, inzwischen sie das Jüngste, das sich zu ihren Füßen niedergekauert
hatte, auf den Schoß nahm, sprach: »Nicht um die Welt, Kohlhaas, der Rosshändler, aber um diesen
hübschen, kleinen, blonden Jungen!«, und damit lachte sie ihn an, herzte und küsste ihn, der sie
mit großen Augen ansah, und reichte ihm mit ihren dürren Händen einen Apfel, den sie in ihrer
Tasche trug, dar. Kohlhaas sagte verwirrt, dass die Kinder selbst, wenn sie groß wären, ihn um
seines Verfahrens loben würden und dass er für sie und ihre Enkel nichts Heilsameres tun könne,
als den Zettel behalten. Zudem fragte er, wer ihn nach der Erfahrung, die er gemacht, vor einem neuen Betrug
sicherstelle, und ob er nicht zuletzt unnützerweise den Zettel wie jüngst den Kriegshaufen, den er
in Lützen zusammengebracht, an den Kurfürsten aufopfern würde. »Wer mir sein Wort einmal
gebrochen«, sprach er, »mit dem wechsle ich keins mehr; und nur deine Forderung, bestimmt und
unzweideutig, trennt mich, gutes Mütterchen, von dem Blatt, durch welches mir für alles, was ich
erlitten, auf so wunderbare Weise Genugtuung geworden ist.« Die Frau, indem sie das Kind auf den Boden
setzte, sagte, dass er in mancherlei Hinsicht recht hätte und dass er tun und lassen könnte, was er
wollte! Und damit nahm sie ihre Krücken wieder zur Hand und wollte gehn. Kohlhaas wiederholte seine Frage,
den Inhalt des wunderbaren Zettels betreffend; er wünschte, da sie flüchtig antwortete, dass er ihn
ja eröffnen könne, obschon es eine bloße Neugierde wäre, noch über tausend andere
Dinge, bevor sie ihn verließe, Aufschluss zu erhalten: wer sie eigentlich sei, woher sie zu der Wissenschaft,
die ihr inwohne, komme, warum sie dem Kurfürsten, für den er doch geschrieben, den Zettel verweigert und
grade ihm unter so vielen tausend Menschen, der ihrer Wissenschaft nie begehrt, das Wunderblatt überreicht
habe. - Nun traf es sich, dass in eben diesem Augenblick ein Geräusch hörbar ward, das einige
Polizei-Offizianten, die die Treppe heraufstiegen, verursachten, dergestalt, dass das Weib, von plötzlicher
Besorgnis, in diesen Gemächern von ihnen betroffen zu werden, ergriffen, antwortete: »Auf Wiedersehen
Kohlhaas, auf Wiedersehn! Es soll dir, wenn wir uns wiedertreffen, an Kenntnis über dies alles nicht
fehlen!« Und damit, indem sie sich gegen die Tür wandte, rief sie: »Lebt wohl, Kinderchen,
lebt wohl!«, küsste das kleine Geschlecht nach der Reihe und ging ab.
Inzwischen hatte der Kurfürst von Sachsen,
seinen jammervollen Gedanken preisgegeben, zwei Astrologen namens
Oldenholm und Olearius, welche damals in Sachsen in großem Ansehen standen, herbeigerufen und wegen des Inhalts
des geheimnisvollen, ihm und dem ganzen Geschlecht seiner Nachkommen so wichtigen Zettels zu Rate gezogen; und da die
Männer nach einer mehrere Tage lang im Schlossturm zu Dresden fortgesetzten, tiefsinnigen Untersuchung nicht einig
werden konnten, ob die Prophezeiung sich auf späte Jahrhunderte oder aber auf die jetzige Zeit beziehe und
vielleicht die Krone Polen, mit welcher die Verhältnisse immer noch sehr kriegerisch waren, damit gemeint sei,
so wurde durch solchen gelehrten Streit, statt sie zu zerstreuen, die Unruhe, um nicht zu sagen, Verzweiflung, in
welcher sich dieser unglückliche Herr befand, nur geschärft und zuletzt bis auf einen Grad, der seiner
Seele ganz unerträglich war, vermehrt. Dazu kam, dass der Kämmerer um diese Zeit seiner Frau, die im Begriff
stand, ihm nach Berlin zu folgen, auftrug, dem Kurfürsten, bevor sie abreiste, auf eine geschickte Art
beizubringen, wie misslich es nach einem verunglückten Versuch, den er mit einem Weibe gemacht, das sich
seitdem nicht wieder habe blicken lassen, mit der Hoffnung aussehe, des Zettels, in dessen Besitz der Kohlhaas sei,
habhaft zu werden, indem das über ihn gefällte Todesurteil nunmehr nach einer umständlichen
Prüfung der Akten von dem Kurfürsten von Brandenburg unterzeichnet und der Hinrichtungstag bereits auf
den Montag nach Palmarum festgesetzt sei; auf welche Nachricht der Kurfürst sich, das Herz von Kummer und Reue
zerrissen, gleich einem ganz Verlorenen in seinem Zimmer verschloss, während zwei Tage, des Lebens satt, keine
Speise zu sich nahm und am dritten plötzlich unter der kurzen Anzeige an das Gubernium, dass er zu dem
Fürsten von Dessau auf die Jagd reise, aus Dresden verschwand.
Wohin er eigentlich ging und ob er sich
nach Dessau wandte, lassen wir dahingestellt sein, indem die Chroniken, aus deren Vergleichung wir Bericht
erstatten, an dieser Stelle auf befremdende Weise einander widersprechen und aufheben. Gewiss ist, dass der
Fürst von Dessau, unfähig zu jagen, um diese Zeit krank in Braunschweig bei seinem Oheim, dem Herzog
Heinrich, lag und dass die Dame Heloise am Abend des folgenden Tages in Gesellschaft eines Grafen von
Königstein, den sie für ihren Vetter ausgab, bei dem Kämmerer Herrn Kunz, ihrem Gemahl,
in Berlin eintraf. - Inzwischen war dem Kohlhaas auf Befehl des Kurfürsten das Todesurteil vorgelesen,
die Ketten abgenommen und die über sein Vermögen lautenden Papiere, die ihm in Dresden abgesprochen
worden waren, wieder zugestellt worden; und da die Räte, die das Gericht an ihn abgeordnet hatte, ihn fragten,
wie er es mit dem, was er besitze, nach seinem Tode gehalten wissen wolle, so verfertigte er mit Hilfe
eines Notars zu seiner Kinder Gunsten ein Testament und setzte den Amtmann zu Kohlhaasenbrück, seinen wackern
Freund, zum Vormund derselben ein. Demnach glich nichts der Ruhe und Zufriedenheit seiner letzten Tage; denn auf
eine sonderbare Spezial-Verordnung des Kurfürsten war bald darauf auch noch der Zwinger, in welchem er sich
befand, eröffnet und allen seinen Freunden, deren er sehr viele in der Stadt besaß, bei Tag und Nacht
freier Zutritt zu ihm verstattet worden. Ja, er hatte noch die Genugtuung, den Theologen Jakob Freising,
als einen Abgesandten Doktor Luthers, mit einem eigenhändigen, ohne Zweifel sehr merkwürdigen
Brief, der aber verloren gegangen ist, in sein Gefängnis treten zu sehen und von diesem geistlichen
Herrn in Gegenwart zweier brandenburgischen Dechanten, die ihm an die Hand gingen, die Wohltat der heiligen
Kommunion zu empfangen.
Hierauf erschien nun, unter einer allgemeinen Bewegung der Stadt, die sich immer noch
nicht entwöhnen konnte, auf ein Machtwort, das ihn rettete, zu hoffen, der verhängnisvolle
Montag nach Palmarum, an welchem er die Welt wegen des allzu raschen Versuchs, sich selbst in ihr Recht
verschaffen zu wollen, versöhnen sollte. Eben trat er in Begleitung einer starken Wache,
seine beiden Knaben auf dem Arm (denn diese Vergünstigung hatte er sich ausdrücklich vor den Schranken
des Gerichts ausgebeten), von dem Theologen Jakob Freising geführt aus dem Tor seines Gefängnisses,
als unter einem wehmütigen Gewimmel von Bekannten, die ihm die Hände drückten und von ihm Abschied
nahmen, der Kastellan des kurfürstlichen Schlosses, verstört im Gesicht, zu ihm herantrat und ihm ein
Blatt gab, das ihm, wie er sagte, ein altes Weib für ihn eingehändigt. Kohlhaas, während er den
Mann, der ihm nur wenig bekannt war, befremdet ansah, eröffnete das Blatt, dessen Siegelring ihn, im Mundlack
ausgedrückt, sogleich an die bekannte Zigeunerin erinnerte. Aber wer beschreibt das Erstaunen, das ihn
ergriff, als er folgende Nachricht darin fand: »Kohlhaas, der Kurfürst von Sachsen ist in Berlin;
auf den Richtplatz schon ist er vorangegangen und wird, wenn dir daran liegt, an einem Hut mit blauen und
weißen Federbüschen kenntlich sein. Die Absicht, in der er kömmt, brauche ich dir nicht zu sagen;
er will die Kapsel, sobald du verscharrt bist, ausgraben und den Zettel, der darin befindlich ist, eröffnen
lassen. - Deine Elisabeth.« - Kohlhaas, indem er sich auf das Äußerste bestürzt zu dem
Kastellan umwandte, fragte ihn, ob er das wunderbare Weib, das ihm den Zettel übergeben, kenne. Doch da der
Kastellan antwortete: »Kohlhaas, das Weib« - und in Mitten der Rede auf sonderbare Weise stockte,
so konnte er, von dem Zuge, der in diesem Augenblick wieder antrat, fortgerissen, nicht vernehmen, was der Mann,
der an allen Gliedern zu zittern schien, vorbrachte. -
Als er auf dem Richtplatz ankam, fand er den Kurfürsten
von Brandenburg mit seinem Gefolge, worunter sich auch der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau befand, unter
einer unermesslichen Menschenmenge daselbst zu Pferde halten: ihm zur Rechten der kaiserliche Anwalt Franz
Müller, eine Abschrift des Todesurteils in der Hand, ihm zur Linken, mit dem Konklusum des Dresdner
Hofgerichts, sein eigener Anwalt, der Rechtsgelehrte Anton Zäuner; ein Herold in der Mitte des halboffenen
Kreises, den das Volk schloss, mit einem Bündel Sachen und den beiden von Wohlsein glänzenden,
die Erde mit ihren Hufen stampfenden Rappen. Denn der Erzkanzler, Herr Heinrich, hatte die Klage, die er
im Namen seines Herrn in Dresden anhängig gemacht, Punkt für Punkt und ohne die mindeste
Einschränkung gegen den Junker Wenzel von Tronka durchgesetzt, dergestalt, dass die Pferde, nachdem man
sie durch Schwingung einer Fahne über ihre Häupter ehrlich gemacht und aus den Händen des Abdeckers,
der sie ernährt, zurückgezogen hatte, von den Leuten des Junkers dickgefüttert und in Gegenwart
einer eigens dazu niedergesetzten Kommission dem Anwalt auf dem Markt zu Dresden übergeben worden waren.
Demnach sprach der Kurfürst, als Kohlhaas von der Wache begleitet auf den Hügel zu ihm heranschritt:
»Nun, Kohlhaas, heut ist der Tag, an dem dir dein Recht geschieht! Schau her, hier liefere ich dir alles,
was du auf der Tronkenburg gewaltsamer Weise eingebüßt und was ich, als dein Landesherr, dir wieder
zu verschaffen schuldig war, zurück: Rappen, Halstuch, Reichsgulden, Wäsche, bis auf die Kurkosten
sogar für deinen bei Mühlberg gefallenen Knecht Herse. Bist du mit mir zufrieden?« -
Kohlhaas, während er das ihm auf den Wink des Erzkanzlers eingehändigte Konklusum mit großen, funkelnden
Augen überlas, setzte die beiden Kinder, die er auf dem Arm trug, neben sich auf den Boden nieder;
und da er auch einen Artikel darin fand, in welchem der Junker Wenzel zu zweijähriger Gefängnisstrafe
verurteilt ward, so ließ er sich aus der Ferne, ganz überwältigt von Gefühlen, mit kreuzweis
auf die Brust gelegten Händen vor dem Kurfürsten nieder. Er versicherte freudig dem Erzkanzler, indem
er aufstand und die Hand auf seinen Schoß legte, dass sein höchster Wunsch auf Erden erfüllt sei,
trat an die Pferde heran, musterte sie und klopfte ihren feisten Hals und erklärte dem Kanzler, indem er
wieder zu ihm zurückkam, heiter, dass er sie seinen beiden Söhnen Heinrich und Leopold schenke!
Der Kanzler, Herr Heinrich von Geusau, vom Pferde herab mild zu ihm gewandt, versprach ihm in des
Kurfürsten Namen, dass sein letzter Wille heilig gehalten werden solle, und forderte ihn auf, auch
über die übrigen im Bündel befindlichen Sachen nach seinem Gutdünken zu schalten.
Hierauf rief Kohlhaas die alte Mutter Hersens, die er auf dem Platz wahrgenommen hatte, aus dem Haufen des
Volks hervor, und indem er ihr die Sachen übergab, sprach er: »Da, Mütterchen, das gehört
dir!« - die Summe, die als Schadenersatz für ihn bei dem im Bündel liegenden Gelde befindlich
war, als ein Geschenk noch zur Pflege und Erquickung ihrer alten Tage hinzufügend. -
Der Kurfürst rief: »Nun, Kohlhaas, der Rosshändler, du, dem solchergestalt Genugtuung geworden,
mache dich bereit, kaiserlicher Majestät, deren Anwalt hier steht, wegen des Bruchs ihres Landfriedens deinerseits Genugtuung
zu geben!« Kohlhaas, indem er seinen Hut abnahm und auf die Erde warf, sagte, dass er bereit dazu wäre,
übergab die Kinder, nachdem er sie noch einmal vom Boden erhoben und an seine Brust gedrückt hatte,
dem Amtmann von Kohlhaasenbrück und trat, während dieser sie unter stillen Tränen vom Platz
hinwegführte, an den Block. Eben knüpfte er sich das Tuch vom Hals ab und öffnete seinen
Brustlatz, als er mit einem flüchtigen Blick auf den Kreis, den das Volk bildete, in geringer Entfernung
von sich zwischen zwei Rittern, die ihn mit ihren Leibern halb deckten, den wohlbekannten Mann mit blauen
und weißen Federbüschen wahrnahm. Kohlhaas löste sich, indem er mit einem plötzlichen,
die Wache, die ihn umringte, befremdenden Schritt, dicht vor ihn trat, die Kapsel von der Brust; er nahm den
Zettel heraus, entsiegelte ihn und überlas ihn, und das Auge unverwandt auf den Mann mit blauen und
weißen Federbüschen gerichtet, der bereits süßen Hoffnungen Raum zu geben anfing,
steckte er ihn in den Mund und verschlang ihn. Der Mann mit blauen und weißen Federbüschen sank
bei diesem Anblick ohnmächtig in Krämpfen nieder. Kohlhaas aber, während die bestürzten
Begleiter desselben sich herabbeugten und ihn vom Boden aufhoben, wandte sich zu dem Schafott, wo sein Haupt
unter dem Beil des Scharfrichters fiel. Hier endigt die Geschichte vom Kohlhaas. Man legte die Leiche unter
einer allgemeinen Klage des Volks in einen Sarg, und während die Träger sie aufhoben, um sie
anständig auf den Kirchhof der Vorstadt zu begraben, rief der Kurfürst die Söhne des Abgeschiedenen
herbei und schlug sie mit der Erklärung an den Erzkanzler, dass sie in seiner Pagenschule erzogen werden
sollten, zu Rittern. Der Kurfürst von Sachsen kam bald darauf, zerrissen an Leib und Seele, nach
Dresden zurück, wo man das Weitere in der Geschichte nachlesen muss. Vom Kohlhaas aber haben noch im
vergangenen Jahrhundert im Mecklenburgischen einige frohe und rüstige Nachkommen gelebt.