Heinrich von Kleist: "Michael Kohlhaas" (1810) Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
[Sechster Teil: Wie Michael Kohlhaas in Dresden scheiterte]
So standen die Sachen in Dresden, als sich über den armen Kohlhaas noch ein anderes, bedeutenderes Gewitter von Lützen her zusammenzog, dessen Strahl die arglistigen Ritter geschickt genug waren, auf das unglückliche Haupt desselben herabzuleiten. Johann Nagelschmidt nämlich, einer von den durch den Rosshändler zusammengebrachten und nach Erscheinung der kurfürstlichen Amnestie wieder abgedankten Knechten, hatte für gut befunden, wenige Wochen nachher an der böhmischen Grenze einen Teil dieses zu allen Schandtaten aufgelegten Gesindels von Neuem zusammenzuraffen und das Gewerbe, auf dessen Spur ihn Kohlhaas geführt hatte, auf seine eigne Hand fortzusetzen. Dieser nichtsnutzige Kerl nannte sich, teils um den Häschern, von denen er verfolgt ward, Furcht einzuflößen, teils um das Landvolk auf die gewohnte Weise zur Teilnahme an seinen Spitzbübereien zu verleiten, einen Statthalter des Kohlhaas, sprengte mit einer seinem Herrn abgelernten Klugheit aus, dass die Amnestie an mehreren in ihre Heimat ruhig zurückgekehrten Knechten nicht gehalten, ja der Kohlhaas selbst mit himmelschreiender Wortbrüchigkeit bei seiner Ankunft in Dresden eingesteckt und einer Wache übergeben worden sei, dergestalt, dass in Plakaten, die den Kohlhaasischen ganz ähnlich waren, sein Mordbrennerhaufen als ein zur bloßen Ehre Gottes aufgestandener Kriegshaufen erschien, bestimmt, über die Befolgung der ihnen von dem Kurfürsten angelobten Amnestie zu wachen; alles, wie schon gesagt, keineswegs zur Ehre Gottes, noch aus Anhänglichkeit an den Kohlhaas, dessen Schicksal ihnen völlig gleichgültig war, sondern um unter dem Schutz solcher Vorspiegelungen desto ungestrafter und bequemer zu sengen und zu plündern.
Die Ritter, sobald die ersten Nachrichten davon nach Dresden kamen, konnten ihre Freude über diesen, dem ganzen Handel eine andere Gestalt gebenden Vorfall nicht unterdrücken. Sie erinnerten mit weisen und missvergnügten Seitenblicken an den Missgriff, den man begangen, indem man dem Kohlhaas ihren dringenden und wiederholten Warnungen zum Trotz Amnestie erteilt, gleichsam als hätte man die Absicht gehabt, Bösewichtern aller Art dadurch zur Nachfolge auf seinem Wege das Signal zu geben; und nicht zufrieden, dem Vorgeben des Nagelschmidt, zur bloßen Aufrechthaltung und Sicherheit seines unterdrückten Herrn die Waffen ergriffen zu haben, Glauben zu schenken, äußerten sie sogar die bestimmte Meinung, dass die ganze Erscheinung desselben nichts als ein von dem Kohlhaas angezetteltes Unternehmen sei, um die Regierung in Furcht zu setzen und den Fall des Rechtsspruchs Punkt vor Punkt seinem rasenden Eigensinn gemäß durchzusetzen und zu beschleunigen. Ja, der Mundschenk, Herr Hinz, ging so weit, einigen Jagdjunkern und Hofherren, die sich nach der Tafel im Vorzimmer des Kurfürsten um ihn versammelt hatten, die Auflösung des Räuberhaufens in Lützen als eine verwünschte Spiegelfechterei darzustellen; und indem er sich über die Gerechtigkeitsliebe des Großkanzlers sehr lustig machte, erwies er aus mehreren witzig zusammengestellten Umständen, dass der Haufen nach wie vor noch in den Wäldern des Kurfürstentums vorhanden sei und nur auf den Wink des Rosshändlers warte, um daraus von Neuem mit Feuer und Schwert hervorzubrechen. Der Prinz Christiern von Meißen, über diese Wendung der Dinge, die seines Herrn Ruhm auf die empfindlichste Weise zu beflecken drohte, sehr missvergnügt, begab sich sogleich zu demselben auf's Schloss; und das Interesse der Ritter, den Kohlhaas, wenn es möglich wäre, auf den Grund neuer Vergehungen zu stürzen, wohl durchschauend, bat er sich von demselben die Erlaubnis aus, unverzüglich ein Verhör über den Rosshändler anstellen zu dürfen. Der Rosshändler, nicht ohne Befremden durch einen Häscher in das Gubernium abgeführt, erschien, den Heinrich und Leopold, seine beiden kleinen Knaben, auf dem Arm; denn Sternbald, der Knecht, war Tags zuvor mit seinen fünf Kindern aus dem Mecklenburgischen, wo sie sich aufgehalten hatten, bei ihm angekommen, und Gedanken mancherlei Art, die zu entwickeln zu weitläufig sind, bestimmten ihn, die Jungen, die ihn bei seiner Entfernung unter dem Erguss kindischer Tränen darum baten, aufzuheben und in das Verhör mitzunehmen.
Der Prinz, nachdem er die Kinder, die Kohlhaas neben sich niedergesetzt hatte, wohlgefällig betrachtet und auf eine freundliche Weise nach ihrem Alter und Namen gefragt hatte, eröffnete ihm, was der Nagelschmidt, sein ehemaliger Knecht, sich in den Tälern des Erzgebirges für Freiheiten herausnehme; und indem er ihm die sogenannten Mandate desselben überreichte, forderte er ihn auf, dagegen vorzubringen, was er zu seiner Rechtfertigung vorzubringen wüsste. Der Rosshändler, so schwer er auch in der Tat über diese schändlichen und verräterischen Papiere erschrak, hatte gleichwohl einem so rechtschaffenen Manne, als der Prinz war, gegenüber wenig Mühe, die Grundlosigkeit der gegen ihn auf die Bahn gebrachten Beschuldigungen befriedigend auseinanderzulegen. Nicht nur, dass zufolge seiner Bemerkung er, so wie die Sachen standen, überhaupt noch zur Entscheidung seines im besten Fortgang begriffenen Rechtsstreits keiner Hilfe vonseiten eines Dritten bedürfte, aus einigen Briefschaften, die er bei sich trug und die er dem Prinzen vorzeigte, ging sogar eine Unwahrscheinlichkeit ganz eigner Art hervor, dass das Herz des Nagelschmidts gestimmt sein sollte, ihm dergleichen Hilfe zu leisten, indem er den Kerl wegen auf dem platten Lande verübter Notzucht und anderer Schelmereien kurz vor Auflösung des Haufens in Lützen hatte hängen lassen wollen, dergestalt, dass nur die Erscheinung der kurfürstlichen Amnestie, indem sie das ganze Verhältnis aufhob, ihn gerettet hatte und beide Tags darauf als Todfeinde auseinandergegangen waren. Kohlhaas, auf seinen von dem Prinzen angenommenen Vorschlag, setzte sich nieder und erließ ein Sendschreiben an den Nagelschmidt, worin er das Vorgeben desselben, zur Aufrechthaltung der an ihm und seinen Haufen gebrochenen Amnestie aufgestanden zu sein, für eine schändliche und ruchlose Erfindung erklärte, ihm sagte, dass er bei seiner Ankunft in Dresden weder eingesteckt noch einer Wache übergeben, auch seine Rechtssache ganz so, wie er es wünsche, im Fortgang sei, und ihn wegen der nach Publikation der Amnestie im Erzgebirge ausgeübten Mordbrennereien zur Warnung des um ihn versammelten Gesindels der ganzen Rache der Gesetze preisgab. Dabei wurden einige Fragmente der Kriminalverhandlung, die der Rosshändler auf dem Schlosse zu Lützen in Bezug auf die oben erwähnten Schändlichkeiten über ihn hatte anstellen lassen, zur Belehrung des Volks über diesen nichtsnutzigen, schon damals dem Galgen bestimmten und, wie schon erwähnt, nur durch das Patent, das der Kurfürst erließ, geretteten Kerl angehängt. Dem gemäß beruhigte der Prinz den Kohlhaas über den Verdacht, den man ihm durch die Umstände notgedrungen in diesem Verhör habe äußern müssen, versicherte ihn, dass, solange er in Dresden wäre, die ihm erteilte Amnestie auf keine Weise gebrochen werden solle, reichte den Knaben noch einmal, indem er sie mit Obst, das auf seinem Tische stand, beschenkte, die Hand, grüßte den Kohlhaas und entließ ihn.
Der Großkanzler, der gleichwohl die Gefahr, die über dem Rosshändler schwebte, erkannte, tat sein Äußerstes, um die Sache desselben, bevor sie durch neue Ereignisse verwickelt und verworren würde, zu Ende zu bringen; das aber wünschten und bezweckten die staatsklugen Ritter eben, und statt wie zuvor mit stillschweigendem Eingeständnis der Schuld ihren Widerstand auf ein bloß gemildertes Rechtserkenntnis einzuschränken, fingen sie jetzt an, in Wendungen arglistiger und rabulistischer Art diese Schuld selbst gänzlich zu leugnen. Bald gaben sie vor, dass die Rappen des Kohlhaas in Folge eines bloß eigenmächtigen Verfahrens des Schlossvogts und Verwalters, von welchem der Junker nichts oder nur Unvollständiges gewusst, auf der Tronkenburg zurückgehalten worden seien; bald versicherten sie, dass die Tiere schon bei ihrer Ankunft daselbst an einem heftigen und gefährlichen Husten krank gewesen wären und beriefen sich deshalb auf Zeugen, die sie herbeizuschaffen sich anheischig machten; und als sie mit diesen Argumenten nach weitläufigen Untersuchungen und Auseinandersetzungen aus dem Felde geschlagen waren, brachten sie gar ein kurfürstliches Edikt bei, worin vor einem Zeitraum von zwölf Jahren einer Viehseuche wegen die Einführung der Pferde aus dem Brandenburgischen ins Sächsische in der Tat verboten worden war, zum sonnenklaren Beleg nicht nur der Befugnis, sondern sogar der Verpflichtung des Junkers, die von dem Kohlhaas über die Grenze gebrachten Pferde anzuhalten. -
Kohlhaas, der inzwischen von dem wackern Amtmann zu Kohlhaasenbrück seine Meierei gegen eine geringe Vergütigung des dabei gehabten Schadens käuflich wiedererlangt hatte, wünschte, wie es scheint, wegen gerichtlicher Abmachung dieses Geschäfts Dresden auf einige Tage zu verlassen und in diese seine Heimat zu reisen; ein Entschluss, an welchem gleichwohl, wie wir nicht zweifeln, weniger das besagte Geschäft, so dringend es auch in der Tat wegen Bestellung der Wintersaat sein mochte, als die Absicht, unter so sonderbaren und bedenklichen Umständen seine Lage zu prüfen, Anteil hatte, zu welchem vielleicht auch noch Gründe anderer Art mitwirkten, die wir jedem, der in seiner Brust Bescheid weiß, zu erraten überlassen wollen. Demnach verfügte er sich mit Zurücklassung der Wache, die ihm zugeordnet war, zum Großkanzler und eröffnete ihm, die Briefe des Amtmanns in der Hand, dass er willens sei, falls man seiner, wie es den Anschein habe, bei dem Gericht nicht notwendig bedürfe, die Stadt zu verlassen und auf einen Zeitraum von acht oder zwölf Tagen, binnen welcher Zeit er wieder zurückzusein versprach, nach dem Brandenburgischen zu reisen. Der Großkanzler, indem er mit einem missvergnügten und bedenklichen Gesichte zur Erde sah, versetzte, er müsse gestehen, dass seine Anwesenheit gerade jetzt notwendiger sei als jemals, indem das Gericht wegen arglistiger und winkelziehender Einwendungen der Gegenpart seiner Aussagen und Erörterungen in tausenderlei nicht vorherzusehenden Fällen bedürfe; doch da Kohlhaas ihn auf seinen von dem Rechtsfall wohl unterrichteten Advokaten verwies und mit bescheidener Zudringlichkeit, indem er sich auf acht Tage einzuschränken versprach, auf seiner Bitte beharrte, so sagte der Großkanzler nach einer Pause kurz, indem er ihn entließ, er hoffe, dass er sich deshalb Pässe bei dem Prinzen Christiern von Meißen ausbitten würde. -
Kohlhaas, der sich auf das Gesicht des Großkanzlers gar wohl verstand, setzte sich, in seinem Entschluss nur bestärkt, auf der Stelle nieder und bat, ohne irgendeinen Grund anzugeben, den Prinzen von Meißen als Chef des Guberniums um Pässe auf acht Tage nach Kohlhaasenbrück und zurück. Auf dieses Schreiben erhielt er eine von dem Schlosshauptmann, Freiherrn Siegfried von Wenk, unterzeichnete Gubernial-Resolution des Inhalts: Sein Gesuch um Pässe nach Kohlhaasenbrück werde des Kurfürsten Durchlaucht vorgelegt werden, auf dessen höchster Bewilligung, sobald sie eingingen, ihm die Pässe zugeschickt werden würden. Auf die Erkundigung Kohlhaasens bei seinem Advokaten, wie es zuginge, dass die Gubernial-Resolution von einem Freiherrn Siegfried von Wenk und nicht von dem Prinzen Christiern von Meißen, an den er sich gewendet, unterschrieben sei, erhielt er zur Antwort, dass der Prinz vor drei Tagen auf seine Güter gereist und die Gubernialgeschäfte während seiner Abwesenheit dem Schlosshauptmann Freiherrn Siegfried von Wenk, einem Vetter des oben erwähnten Herren gleiches Namens, übergeben worden wären. - Kohlhaas, dem das Herz unter allen diesen Umständen unruhig zu klopfen anfing, harrte durch mehrere Tage auf die Entscheidung seiner der Person des Landesherrn mit befremdender Weitläufigkeit vorgelegten Bitte; doch es verging eine Woche und es verging mehr, ohne dass weder diese Entscheidung einlief, noch auch das Rechtserkenntnis, so bestimmt man es ihm auch verkündigt hatte, bei dem Tribunal gefällt ward, dergestalt, dass er am zwölften Tage, fest entschlossen, die Gesinnung der Regierung gegen ihn, sie möge sein, welche man wolle, zur Sprache zu bringen, sich niedersetzte und das Gubernium von Neuem in einer dringenden Vorstellung um die erforderten Pässe bat.
Aber wie betreten war er, als er am Abend des folgenden, gleichfalls ohne die erwartete Antwort verstrichenen Tages mit einem Schritt, den er gedankenvoll in Erwägung seiner Lage und besonders der ihm von dem Doktor Luther ausgewirkten Amnestie an das Fenster seines Hinterstübchens tat, in dem kleinen, auf dem Hofe befindlichen Nebengebäude, das er ihr zum Aufenthalte angewiesen hatte, die Wache nicht erblickte, die ihm bei seiner Ankunft der Prinz von Meißen eingesetzt hatte. Thomas, der alte Hausmann, den er herbeirief und fragte, was dies zu bedeuten habe, antwortete ihm seufzend: »Herr! Es ist nicht alles, wie es sein soll; die Landsknechte, deren heute mehr sind wie gewöhnlich, haben sich bei Einbruch der Nacht um das ganze Haus verteilt; zwei stehen mit Schild und Spieß an der vordern Tür auf der Straße, zwei an der hintern im Garten, und noch zwei andere liegen im Vorsaal auf einem Bund Stroh und sagen, dass sie daselbst schlafen würden.« Kohlhaas, der seine Farbe verlor, wandte sich und versetzte, es wäre gleichviel, wenn sie nur da wären, und er möchte den Landsknechten, sobald er auf den Flur käme, Licht hinsetzen, damit sie sehen könnten. Nachdem er noch unter dem Vorwande, ein Geschirr auszugießen, den vordern Fensterladen eröffnet und sich von der Wahrheit des Umstands, den ihm der Alte entdeckt, überzeugt hatte, denn eben ward sogar in geräuschloser Ablösung die Wache erneuert, an welche Maßregel bisher, solange die Einrichtung bestand, noch niemand gedacht hatte, so legte er sich, wenig schlaflustig allerdings, zu Bette, und sein Entschluss war für den kommenden Tag sogleich gefasst. Denn nichts missgönnte er der Regierung, mit der er zu tun hatte, mehr als den Schein der Gerechtigkeit, während sie in der Tat die Amnestie, die sie ihm angelobt hatte, an ihm brach; und falls er wirklich ein Gefangener sein sollte, wie es keinem Zweifel mehr unterworfen war, wollte er derselben auch die bestimmte und unumwundene Erklärung, dass es so sei, abnötigen.
Demnach ließ er, sobald der Morgen des nächsten Tages anbrach, durch Sternbald, seinen Knecht, den Wagen anspannen und vorführen, um, wie er vorgab, zu dem Verwalter nach Lockwitz zu fahren, der ihn als ein alter Bekannter einige Tage zuvor in Dresden gesprochen und eingeladen hatte, ihn einmal mit seinen Kindern zu besuchen. Die Landsknechte, welche mit zusammengesteckten Köpfen die dadurch veranlassten Bewegungen im Hause wahrnahmen, schickten einen aus ihrer Mitte heimlich in die Stadt, worauf binnen wenigen Minuten ein Gubernial-Offiziant an der Spitze mehrerer Häscher erschien und sich, als ob er daselbst ein Geschäft hätte, in das gegenüberliegende Haus begab. Kohlhaas der mit der Ankleidung seiner Knaben beschäftigt, diese Bewegungen gleichfalls bemerkte und den Wagen absichtlich länger, als eben nötig gewesen wäre, vor dem Hause halten ließ, trat, sobald er die Anstalten der Polizei vollendet sah, mit seinen Kindern, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, vor das Haus hinaus; und während er dem Tross der Landsknechte, die unter der Tür standen, im Vorübergehen sagte, dass sie nicht nötig hätten, ihm zu folgen, hob er die Jungen in den Wagen und küsste und tröstete die kleinen weinenden Mädchen, die seiner Anordnung gemäß bei der Tochter des alten Hausmanns zurückbleiben sollten. Kaum hatte er selbst den Wagen bestiegen, als der Gubernial-Offiziant mit seinem Gefolge von Häschern aus dem gegenüberliegenden Hause zu ihm herantrat und ihn fragte, wohin er wolle. Auf die Antwort Kohlhaasens, dass er zu seinem Freund, dem Amtmann, nach Lockwitz fahren wolle, der ihn vor einigen Tagen mit seinen beiden Knaben zu sich aufs Land geladen, antwortete der Gubernial-Offiziant, dass er in diesem Fall einige Augenblicke warten müsse, indem einige berittene Landsknechte, dem Befehl des Prinzen von Meißen gemäß, ihn begleiten würden. Kohlhaas fragte lächelnd von dem Wagen herab, ob er glaube, dass seine Person in dem Hause eines Freundes, der sich erboten, ihn auf einen Tag an seiner Tafel zu bewirten, nicht sicher sei. Der Offiziant erwiderte auf eine heitere und angenehme Art, dass die Gefahr allerdings nicht groß sei, wobei er hinzusetzte, dass ihm die Knechte auch auf keine Weise zur Last fallen sollten. Kohlhaas versetzte ernsthaft, dass ihm der Prinz von Meißen bei seiner Ankunft in Dresden freigestellt, ob er sich der Wache bedienen wolle oder nicht; und da der Offiziant sich über diesen Umstand wunderte und sich mit vorsichtigen Wendungen auf den Gebrauch während der ganzen Zeit seiner Anwesenheit berief, so erzählte der Rosshändler ihm den Vorfall, der die Einsetzung der Wache in seinem Hause veranlasst hatte. Der Offiziant versicherte ihn, dass die Befehle des Schlosshauptmanns, Freiherrn von Wenk, der in diesem Augenblick Chef der Polizei sei, ihm die unausgesetzte Beschützung seiner Person zur Pflicht mache, und bat ihn, falls er sich die Begleitung nicht gefallen lassen wolle, selbst auf das Gubernium zu gehen, um den Irrtum, der dabei obwalten müsse, zu berichtigen. Kohlhaas, mit einem sprechenden Blick, den er auf den Offizianten warf, sagte, entschlossen die Sache zu beugen oder zu brechen, dass er dies tun wolle, stieg mit klopfendem Herzen von dem Wagen, ließ die Kinder durch den Hausmann in den Flur tragen und verfügte sich, während der Knecht mit dem Fuhrwerk vor dem Hause halten blieb, mit dem Offizianten und seiner Wache in das Gubernium.
Es traf sich, dass der Schlosshauptmann, Freiherr Wenk, eben mit der Besichtigung einer Bande am Abend zuvor eingebrachter Nagelschmidt'scher Knechte, die man in der Gegend von Leipzig aufgefangen hatte, beschäftigt war und die Kerle über manche Dinge, die man gern von ihnen gehört hätte, von den Rittern, die bei ihm waren, befragt wurden, als der Rosshändler mit seiner Begleitung zu ihm in den Saal trat. Der Freiherr, sobald er den Rosshändler erblickte, ging, während die Ritter plötzlich still wurden und mit dem Verhör der Knechte einhielten, auf ihn zu und fragte ihn, was er wolle. Und da der Rosskamm ihm auf ehrerbietige Weise sein Vorhaben, bei dem Verwalter in Lockwitz zu Mittag zu speisen und den Wunsch, die Landsknechte deren er dabei nicht bedürfe, zurücklassen zu dürfen, vorgetragen hatte, antwortete der Freiherr, die Farbe im Gesicht wechselnd, indem er eine andere Rede zu verschlucken schien, er würde wohltun, wenn er sich still in seinem Hause hielte und den Schmaus bei dem Lockwitzer Amtmann vor der Hand noch aussetzte. - Dabei wandte er sich, das ganze Gespräch zerschneidend, dem Offizianten zu und sagte ihm, dass es mit dem Befehl, den er ihm in Bezug auf den Mann gegeben, sein Bewenden hätte und dass derselbe anders nicht als in Begleitung sechs berittener Landsknechte die Stadt verlassen dürfe. - Kohlhaas fragte, ob er ein Gefangener wäre und ob er glauben solle, dass die ihm feierlich vor den Augen der ganzen Welt angelobte Amnestie gebrochen sei, worauf der Freiherr sich plötzlich glutrot im Gesichte zu ihm wandte und, indem er dicht vor ihn trat und ihm in das Auge sah, antwortete: »Ja! ja! ja!«, - ihm den Rücken zukehrte, ihn stehen ließ und wieder zu den Nagelschmidt'schen Knechten ging. Hierauf verließ Kohlhaas den Saal, und ob er schon einsah, dass er sich das einzige Rettungsmittel, das ihm übrigblieb, die Flucht, durch die Schritte, die er getan, sehr erschwert hatte, so lobte er sein Verfahren gleichwohl, weil er sich nunmehr auch seinerseits von der Verbindlichkeit, den Artikeln der Amnestie nachzukommen, befreit sah. Er ließ, da er zu Hause ankam, die Pferde ausspannen und begab sich in Begleitung des Gubernial-Offizianten sehr traurig und erschüttert in sein Zimmer; und während dieser Mann auf eine dem Rosshändler ekelerregende Weise versicherte, dass alles nur auf einem Missverständnis beruhen müsse, das sich in Kurzem lösen würde, verriegelten die Häscher auf seinen Wink alle Ausgänge der Wohnung, die auf den Hof führten, wobei der Offiziant ihm versicherte, dass ihm der vordere Haupteingang nach wie vor zu seinem beliebigen Gebrauch offenstehe.
Inzwischen war der Nagelschmidt in den Wäldern des Erzgebirgs durch Häscher und Landsknechte von allen Seiten so gedrängt worden, dass er bei dem gänzlichen Mangel an Hilfsmitteln eine Rolle der Art, wie er sie übernommen, durchzuführen, auf den Gedanken verfiel, den Kohlhaas in der Tat ins Interesse zu ziehen; und da er von der Lage seines Rechtsstreits in Dresden durch einen Reisenden, der die Straße zog, mit ziemlicher Genauigkeit unterrichtet war, so glaubte er, der offenbaren Feindschaft, die unter ihnen bestand, zum Trotz, den Rosshändler bewegen zu können, eine neue Verbindung mit ihm einzugehen. Demnach schickte er einen Knecht mit einem in kaum leserlichem Deutsch abgefassten Schreiben an ihn ab des Inhalts: Wenn er nach dem Altenburgischen kommen und die Anführung des Haufens, der sich daselbst aus Resten des aufgelösten zusammengefunden, wieder übernehmen wolle, so sei er erbötig, ihm zur Flucht aus seiner Haft in Dresden mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen, wobei er ihm versprach, künftig gehorsamer und überhaupt ordentlicher und besser zu sein als vorher, und sich zum Beweis seiner Treue und Anhänglichkeit anheischig machte, selbst in die Gegend von Dresden zu kommen, um seine Befreiung aus seinem Kerker zu bewirken.
Nun hatte der mit diesem Brief beauftragte Kerl das Unglück, in einem Dorf dicht vor Dresden in Krämpfen hässlicher Art, denen er von Jugend auf unterworfen war, niederzusinken, bei welcher Gelegenheit der Brief, den er im Brustlatz trug, von Leuten, die ihm zu Hilfe kamen, gefunden, er selbst aber, sobald er sich erholt, arretiert und durch eine Wache unter Begleitung vielen Volks auf das Gubernium transportiert ward. Sobald der Schlosshauptmann von Wenk diesen Brief gelesen hatte, verfügte er sich unverzüglich zum Kurfürsten aufs Schloss, wo er die Herren Kunz und Hinz, welcher ersterer von seinen Wunden wieder hergestellt war, und den Präsidenten der Staatskanzelei, Grafen Kallheim, gegenwärtig fand. Die Herren waren der Meinung, dass der Kohlhaas ohne Weiteres arretiert und ihm auf den Grund geheimer Einverständnisse mit dem Nagelschmidt der Prozess gemacht werden müsse, indem sie bewiesen, dass ein solcher Brief nicht, ohne dass frühere auch vonseiten des Rosshändlers vorangegangen und ohne dass überhaupt eine frevelhafte und verbrecherische Verbindung zu Schmiedung neuer Gräuel unter ihnen stattfinden sollte, geschrieben sein könne. Der Kurfürst weigerte sich standhaft, auf den Grund bloß dieses Briefes dem Kohlhaas das freie Geleit, das er ihm angelobt, zu brechen; er war vielmehr der Meinung, dass eine Art von Wahrscheinlichkeit aus dem Briefe des Nagelschmidt hervorgehe, dass keine frühere Verbindung zwischen ihnen stattgefunden habe, und alles, wozu er sich, um hierüber auf's Reine zu kommen, auf den Vorschlag des Präsidenten, obschon nach großer Zögerung, entschloss, war, den Brief durch den von dem Nagelschmidt abgeschickten Knecht, gleichsam als ob derselbe nach wie vor frei sei, an ihn abgeben zu lassen und zu prüfen, ob er ihn beantworten würde.
Demgemäß ward der Knecht, den man in ein Gefängnis gesteckt hatte, am andern Morgen auf das Gubernium geführt, wo der Schlosshauptmann ihm den Brief wieder zustellte und ihn unter dem Versprechen, dass er frei sein und die Strafe, die er verwirkt, ihm erlassen sein solle, aufforderte, das Schreiben, als sei nichts vorgefallen, dem Rosshändler zu übergeben, zu welcher List schlechter Art sich dieser Kerl auch ohne weiteres gebrauchen ließ und auf scheinbar geheimnisvolle Weise, unter dem Vorwand, dass er Krebse zu verkaufen habe, womit ihn der Gubernial-Offiziant auf dem Markte versorgt hatte, zu Kohlhaas ins Zimmer trat. Kohlhaas, der den Brief, während die Kinder mit den Krebsen spielten, las, würde den Gauner gewiss unter andern Umständen beim Kragen genommen und den Landsknechten, die vor seiner Tür standen, überliefert haben; doch da bei der Stimmung der Gemüter auch selbst dieser Schritt noch einer gleichgültigen Auslegung fähig war und er sich vollkommen überzeugt hatte, dass nichts auf der Welt ihn aus dem Handel, in dem er verwickelt war, retten konnte, so sah er dem Kerl mit einem traurigen Blick in sein ihm wohlbekanntes Gesicht, fragte ihn, wo er wohnte, und beschied ihn in einigen Stunden wieder zu sich, wo er ihm in Bezug auf seinen Herrn seinen Beschluss eröffnen wolle. Er hieß dem Sternbald, der zufällig in die Tür trat, dem Mann, der im Zimmer war, etliche Krebse abkaufen; und nachdem dies Geschäft abgemacht war und beide sich, ohne einander zu kennen, entfernt hatten, setzte er sich nieder und schrieb einen Brief folgenden Inhalts an den Nagelschmidt: Zuvörderst, dass er seinen Vorschlag, die Oberanführung seines Haufens im Altenburgischen betreffend, annähme; dass er demgemäß zur Befreiung aus der vorläufigen Haft, in welcher er mit seinen fünf Kindern gehalten werde, ihm einen Wagen mit zwei Pferden nach der Neustadt bei Dresden schicken solle; dass er auch rascheren Fortkommens wegen noch eines Gespannes von zwei Pferden auf der Straße nach Wittenberg bedürfe, auf welchem Umweg er allein aus Gründen, die anzugeben zu weitläufig wären, zu ihm kommen könne; dass er die Landsknechte, die ihn bewachten, zwar durch Bestechung gewinnen zu können glaube, für den Fall aber, dass Gewalt nötig sei, ein paar beherzte, gescheite und wohlbewaffnete Knechte in der Neustadt bei Dresden gegenwärtig wissen wolle; dass er ihm zur Bestreitung der mit allen diesen Anstalten verbundenen Kosten eine Rolle von zwanzig Goldkronen durch den Knecht zuschicke, über deren Verwendung er sich nach abgemachter Sache mit ihm berechnen wolle; dass er sich übrigens, weil sie unnötig sei, seine eigne Anwesenheit bei seiner Befreiung in Dresden verbitte, ja ihm vielmehr den bestimmten Befehl erteile, zur einstweiligen Anführung der Bande, die nicht ohne Oberhaupt sein könne, im Altenburgischen zurückzubleiben. -
Diesen Brief, als der Knecht gegen Abend kam, überlieferte er ihm, beschenkte ihn selbst reichlich und schärfte ihm ein, denselben wohl in Acht zu nehmen. - Seine Absicht war, mit seinen fünf Kindern nach Hamburg zu gehen und sich von dort nach der Levante oder nach Ostindien oder, so weit der Himmel über andere Menschen, als die er kannte, blau war, einzuschiffen, denn die Dickfütterung der Rappen hatte seine von Gram sehr gebeugte Seele auch unabhängig von dem Widerwillen, mit dem Nagelschmidt deshalb gemeinschaftliche Sache zu machen, aufgegeben. - Kaum hatte der Kerl diese Antwort dem Schlosshauptmann überbracht, als der Großkanzler abgesetzt, der Präsident, Graf Kallheim, an dessen Stelle zum Chef des Tribunals ernannt und Kohlhaas durch einen Kabinettsbefehl des Kurfürsten arretiert und schwer mit Ketten beladen in die Stadttürme gebracht ward. Man machte ihm auf den Grund dieses Briefes, der an alle Ecken der Stadt angeschlagen ward, den Prozess; und da er vor den Schranken des Tribunals auf die Frage, ob er die Handschrift anerkenne, dem Rat, der sie ihm vorhielt, antwortete: »Ja!«, zur Antwort, aber auf die Frage, ob er zu seiner Verteidigung etwas vorzubringen wisse, indem er den Blick zur Erde schlug, erwiderte: »Nein!«, so ward er verurteilt, mit glühenden Zangen von Schinderknechten gekniffen, gevierteilt und sein Körper zwischen Rad und Galgen verbrannt zu werden.