Onkel Herbert


 
  Lesmona, Juli 1894

Liebe liebste Bertha!

... Nach dem Frühstück sagte Onkel H.: "Marga, bitte komm in mein Arbeitszimmer", und er rollte die Schiebetür hinter mir zu. Er war aufgeregt und fing an: "Ich habe dir heute morgen einen Brief von Percy gegeben, und wahrscheinlich war es nicht der erste. Ich habe erst in den letzten Tagen gemerkt, daß der arme Junge eine ganz große, ernsthafte Liebe für dich hat, und wahrscheinlich bist du auch nicht unbeteiligt?" Ich: "Wie kann ich denn unbeteiligt sein, wenn ich hier lange Wochen mit einem so bezaubernden Jungen zusammen bin, der in mich verliebt ist." Onkel H.: "Also es ist erstens ganz ausgeschlossen, daß diese Sache weitergeht, weil er ja viel zu jung ist und weil dein Vater es nie erlauben würde, und zweitens versprichst du mir jetzt, daß diese Schreiberei aufhört. Hier geht es nicht, und bei deinen Eltern geht es noch weniger. Versprich, daß du es heute noch an Percy schreibst, und sage mir heute abend, ob du es getan hast. Wenn du es nämlich nicht tust, schreibe oder sage ich alles deinem Vater." Ich sagte sehr aufgeregt: "Da ist gar nichts zu sagen, denn es ist nichts geschehen, als daß zwei junge Menschen sich gern haben. Im übrigen bin ich mir schon selbst darüber klar geworden, daß das mit dem Schreiben nicht geht." Onkel Herbert küßte mich und sagte: "Gut, sage mir heute abend Bescheid, ob du ihm geschrieben hast."


 

Onkel Herbert hieß in Wirklichkeit ...



©Bernd W. Seiler, Januar 2015