Marga Berck: Sommer in Lesmona. Mädchenbriefe.

Im Herbst 1951 erschien in Hamburg ein Buch, dessen Inhalt in mehrerer Hinsicht überraschend war. "Sommer in Lesmona" hieß es, Untertitel "Mädchenbriefe", doch Briefe aus einem italienischen Badeort waren es nicht. Die Briefe stammten aus Bremen und aus der Zeit schon vor der Jahrhundertwende - 'Lesmona' war eine Villa bei Vegesack.

Noch überraschender allerdings: die Verfasserin wollte unerkannt bleiben, ihr Name Marga Berck war ein Pseudonym. Im Alter noch selbst auf die Briefe gestoßen - sie hatte sie als 18- bis 20jährige an eine Freundin geschrieben -, war sie mit ihrer Veröffentlichung nur einverstanden gewesen, wenn alle darin vorkommenden Namen geändert würden - und eben so lagen sie jetzt vor.

Üblich für eine Briefsammlung war das zweifellos nicht, und man hätte auch an eine Erfindung denken können. Doch da als Herausgeber Hans Harder Biermann-Ratjen zeichnete, in Hamburg Notar, Vorsitzender des Kunstvereins und Mitglied der Bürgerschaft, schien dies auch wiederum nicht angebracht und seiner Versicherung, die Briefe seien echt, wohl zu trauen. Im übrigen ging es in diesen - rund einhundert Briefe des Mädchens, ein halbes Dutzend der Freundin - wirklich nur um Familienangelegenheiten, so daß an eine Namensänderung aus Diskretionsgründen schon zu glauben war.
Um so weniger zu erwarten - das Buch machte Karriere:
1951 Erstausgabe bei Christian Wegner, Hamburg
          etliche Auflagen
1952 Fortsetzungs-Abdruck in mehreren Tageszeitungen
          (Hamburger Abendblatt, Westfälische Rundschau...)
1954 Sonderausgabe der Deutschen Buchgemeinschaft
1964 Taschenbuch des Rowohlt-Verlages
          1985 bis 145. Tsd.
1977 Ausgabe der Nymphenburger Verlagshandlung
1987 Verfilmung durch Radio Bremen
          Taschenbuch des Rowohlt-Verlages
           1987 bis 152. Tsd.
           1990 bis 183. Tsd.
           1993 bis 200. Tsd.
           1996 bis 210. Tsd.
           2001 bis 219. Tsd.
           Mai 2005: 36. Auflage
           September 2009: 38. Auflage

1994 Großdruck-Taschenbuch des Rowohlt-Verlages
         Un été à Lesmona im Verlag Phebus, Paris
1998 Neuausgabe im Verlag Langen-Müller
          L'amore di un estate im Verlag Archinto, Milano
          Großdruck-Ausgabe 9.-10. Tsd.
2000 Verão em Lesmona im Verlag Difusão Editorial S.A., São Paulo
2001 Einmalige Sonderausgabe des Rowohlt-Verlages
2003 Un verano en Lesmona im Verlag Acantilado, Barcelona
2008 Sommer in Lesmona, gelesen von Katja Riemann
          im Verlag Hörbuch Hamburg (3 CDs, gekürzt)

Woher dieser Erfolg? Anders als Briefsammlungen sonst erzählen die Lesmona-Briefe eine komplette Geschichte und erzählen sie so vollständig wie ein Roman. Es ist die Heiratsgeschichte der Briefschreiberin, einer Tochter wohlhabender Kaufleute, die mit ihren 18 Jahren keine andere als diese Heiratsaufgabe hat. Mehrere Bewerber weist sie zunächst, wie die Briefe einsetzen, ab. Sie liebt sie nicht und kann sich auch sonst für sie nicht erwärmen. Da lernt sie bei einem Aufenthalt auf dem Landsitz ihres Onkels, der Villa Lesmona, ihren Halbvetter Percy aus London kennen und erfährt endlich, was Liebe ist. Charmant und selbstbewußt, wie er ist, scheint er genau der Richtige zu sein. Doch er ist nur zwei Jahre älter als sie, fünf Jahre würde es dauern, bis er sie zu sich holen könnte.

Kann sie, darf sie so lange warten? Hals über Kopf verlobt sie sich mit Dr. Retberg, einem zehn Jahre älteren Kunsthistoriker, der sich schon länger um sie bemüht. Ihre Eltern sind entsetzt: der Verlobte verdient kaum etwas und hat obendrein vier Jahre in Lungenheilanstalten hinter sich. Doch solcher Widerstand macht sie nur entschlossener - sie will sich in ihre Wahl nicht hineinreden lassen. Doch auch Percy taucht wieder auf, ja schlimmer, sie wird zu Besuch zu ihren Verwandten nach London geschickt, wo sie ihm über Wochen hin immer wieder begegnen muß. Noch einmal wird sie sich ihrer ganzen Liebe zu ihm bewußt, doch auch jetzt wagt sie nicht, sich zu ihm zu bekennen und umzukehren. Der Verlobte hingegen läßt sie mehr und mehr fühlen, daß er sie nur aus Geldgründen an sich gezogen und sonst wenig für sie übrig hat.

Während sie nach außen hin die glückliche Braut spielen muß, sieht sie voraus, daß ihre Ehe eine einzige Katastrophe werden wird, und mit dieser Aussicht auch enden die Briefe und endet das Buch. Denn die Vertraute und Empfängerin ihrer Bekenntnisse, ihre Freundin Bertha, stirbt wenige Tage vor ihrer Hochzeit im Kindbett.

©Bernd W. Seiler, Januar 2015