Das Haus Innstettens liegt an eben der Stelle, wo zu Fontanes Jugendzeit das Haus des Landrats
von Flemming lag. Im 6. Kapitel von "Meine Kinderjahre" nennt Fontane diesen Landrat vollkommen
anspruchslos, eine tief bescheidene Natur, und so war auch sein Haus nur ein einfaches Fachwerkhaus,
das der Crampas'schen Kennzeichnung als 'Kate' (Kapitel 18) durchaus entsprach. Mehr als das
Haus hat Innstetten mit diesem Landrat deshalb auch nicht gemein. Auch stand das Landratsamt
nicht wie in "Effi Briest" jenem Haus gegenüber, sondern am Bolllwerk.
Eine halbe Stunde später hielt der Wagen an der ganz am entgegengesetzten Ende der Stadt gelegenen landrätlichen Wohnung, einem einfachen, etwas altmodischen Fachwerkhaus, das mit seiner Front auf die nach den Seebädern hinausführende Hauptstraße, mit seinem Giebel aber auf ein zwischen der Stadt und den Dünen liegendes Wäldchen, das die "Plantage" hieß, herniederblickte. Dies altmodische Fachwerkhaus war übrigens nur Innstettens Privatwohnung, nicht das eigentliche Landratsamt, welches letztere, schräg gegenüber, an der anderen Seite der Straße lag. (Kapitel 6, Absatz 47) Eine 'Reeperbahn', also einen Platz, wo die Schiffstaue geflochten wurden, gab es in Swinemünde tatsächlich, nur weiter westlich, außerhalb des Kartenausschnitts. - Dass die Längs- und Eingangsseite des Hauses auf die zum Strand führende Straße zeigt und der Giebel mit der Veranda auf die Plantage, geht noch aus zwei weiteren Textstellen hervor: ... ich hoffe, die Veranda nach der Plantage hinaus ist noch in gutem Stande ... (Kapitel 16, Absatz 20) |
Markt oder Marktplatz, so selbstverständlich sie zu jeder Stadt gehören, entsprechen der Lagebestimmung nach auch wiederum den Gegebenheiten von Swinemünde. Der Markt (in Swinemünde findet man nebeneinander den 'Großen' und den 'Kleinen' Markt) liegt vom Innstetten'schen Haus aus in Richtung Stadtmitte und nicht weit vom Bollwerk entfernt. "... Laß uns die Wohnung wechseln. Es giebt so hübsche Häuser am Bollwerk, eins zwischen Konsul Martens und Konsul Grützmacher und eins am Markt, gerade gegenüber von Gieshübler; warum können wir da nicht wohnen?" (Kapitel 10, Absatz 28) ![]() Der Marktplatz von Swinemünde um 1930 |
Für die Apotheke am Markt, die 'Mohrenapotheke', hat Fontane vermutlich die Apotheke seines Vaters vor Augen, der Kirche gegenüber (Große Kirchenstraße Ecke Kleine Kirchenstraße) und so zwar nicht direkt am Markt, aber doch in seiner Nachbarschaft. Das Haus war, schon als Fontane es 1863 wiedersah, sehr heruntergekommen, es hat sich offenbar nur ein einziges altes Foto davon erhalten. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde es bald danach von der polnischen Stadtverwaltung abgerissen. ![]() "... Es giebt so hübsche Häuser ... eins am Markt, gerade gegenüber von Gieshübler; warum können wir da nicht wohnen?" (Kapitel 10, Absatz 28)Der Lage am Markt und damit logischerweise im Zentrum widerspricht allerdings die Angabe im zwölften Kapitel, dass es von der Apotheke bis zu Innstettens Haus einen weiteren Weg gibt: Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur landrätlichen Wohnung war ziemlich weit; er kürzte sich aber dadurch, daß Pastor Lindequist bat, Innstetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein Spaziergang unterm Sternenhimmel sei das beste, um über Gieshüblers Rheinwein hinwegzukommen. (Kapitel 12, Absatz 3)Wahrscheinlich dient die Annahme eines weiteren Weges hier aber nur der Mitteilung einer Lebenserfahrung, denn auch in Fontanes Kinder- oder Jugendperspektive kann sich der Weg von der Apotheke seines Vaters bis zur Plantage (etwa 600 Meter) kaum als 'weit' dargestellt haben. |
Die evangelische Kirche, in Swinemünde direkt gegenüber der Apotheke, wird nur ein einziges Mal mit ihrem vom Fluss aus sichtbaren Turm erwähnt: So fuhren sie den Fluß hinab, und bald nachdem sie die prächtige Wasserfläche des Breitling passiert, kam der Kessiner Kirchturm in Sicht und gleich danach auch das Bollwerk ... (Kapitel 28, Absatz 1) ![]() Sonst heißt es nur. dass der erste Weihnachtsfeiertag "Kirchtag" war (Kapitel 12, Absatz 16) oder dass der Taufakt von Effis Tochter "natürlich in der Kirche" stattfand. (Kapitel 14, Absatz 13) - Ihren Turm erhielt die Chistus-Kirche von Swinemünde übrigens erst 1881, Fontane kannte aus seiner Jugendzeit nur einen 'scheunenartigen Bau' ohne Turm. |
Ja, Kessin nimmt sich auf. Es hat jetzt auch eine katholische Kirche. (Kapitel 6, Absatz 46)Swinemünde mit seiner zu 95% evangelischen Bevölkerung erhielt eine katholische Kirche erst 1896, zuvor gab es an der bezeichenten Stelle lediglich eine Kapelle. Die Formulierung, Kessin habe 'jetzt' auch eine katholische Kirche, lässt aber vermuten, dass Fontane von dem bevorstehenden Bau gewusst und ihn gleich Innstetten als ein Zeichen des Aufstiegs wahrgenommen hat. |
Die Mühle am Kirchhof hat es in Swinemünde tatsächlich gegeben und auch einen Müller Jakob Utpatel. Die Mühle Utpatels stand allerdings weiter westlich in der auf dem Plan nicht mehr verzeichneten Kindstraße, während die Mühle am Kirchhof ihm nicht gehört hat. Ich denke, wir fahren hier an der Plantage entlang und dann links auf den Kroschentiner Kirchturm zu. ... Auch Utpatels Mühle drehte sich nur langsam, und im Fluge fuhren sie daran vorüber, dicht am Kirchhofe hin ... (Kapitel 10, Absatz 59) |
So wie die ganze Chinesen-Geschichte Fontanes Erfindung ist, ist es natürlich auch diese Grabstelle. Sie ist aber ihrer Lage nach genau bestimmt, und so zeigt sich, dass Effi weit öfter daran vorbeikommt, als in der Handlung ausgeführt. ... jetzt ist er tot und auf einem kleinen eingegitterten Stück Erde begraben, dicht neben dem Kirchhof. Wenn Du nicht furchtsam bist, will ich Dir bei Gelegenheit mal sein Grab zeigen; es liegt zwischen den Dünen, bloß Strandhafer drumrum und dann und wann ein paar Immortellen, und immer hört man das Meer. Es ist sehr schön und sehr schauerlich. (Kapitel 6, Absatz 19) |
Der Ort, an dem sich Effi mit Crampas trifft, wird nur aus Andeutungen erschließbar. Es ist das Haus der 'alten Adermann', ein Haus zwischen Kirchhof und Waldecke, also nicht weit vom Grab des Chinesen entfernt. Die erste Lagebestimmung ergibt sich über den Brief, den Effi, bevor sie aus Kessin abreist, für Crampas dort abgibt: Und nun schob sie die Zeilen in ein Kuvert und ging auf ein Haus zu, zwischen dem Kirchhof und der Waldecke. Ein dünner Rauch stieg aus dem halb eingefallenen Schornstein. Da gab sie die Zeilen ab. (Kapitel 22, Absatz 60)Dieser Hinweis wird dann durch einen der Briefe aus dem Nähkasten, auf die Innstetten stößt, vervollständigt: "Sei heute nachmittag wieder in den Dünen, hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können wir uns ruhig sprechen, das Haus ist abgelegen genug ..." (Kapitel 27, Absatz 15)Daraus ergibt sich, dass Effi sich von ihrem Mann praktisch mit der Kutsche zu ihren Rendevous fahren lässt - eine Kaltblütigkeit, die man der Behandlung ihres Verhaltens in dem Roman unmittelbar nicht entnimmt: ... gab ihrem Manne das Geleit bis an die Waldecke. "Hier laß halten, Geert. Du fährst nun links weiter, ich gehe rechts bis an den Strand und durch die Plantage zurück. Es ist etwas weit, aber doch nicht zu weit ..." (Kapitel 20, Absatz 69)Später wird diese Stelle ebenfalls noch einmal berührt, nämlich als Crampas das Duell zunächst hier stattfinden lassen will, dann aber aus Aberglauben oder Schuldbewusstsein den Platz in den Dünen vorzieht: "Crampas schlug erst ein Waldeck vor, gleich hinter dem Kirchhof. Aber dann unterbach er sich und sagte: 'Nein, da nicht.' Und dann haben wir uns über eine Stelle zwischen den Dünen geeinigt. ..." |
Aus der Kennzeichnung des Strandbereiches von Kessin kann man den Eindruck gewinnen, dass es außer dem Strandhotel und dem Herren- und dem Damenbad keine Bebauung gibt. Der Handlung nach ist dies jedoch unwahrscheinlich. Wenn in den Sommermonaten Hunderte von Gästen in Richtung Strand an Effis Haus vorbeifahren, dort auch Karussels, Schießstände und andere Vergnügungsstätten öffnen, so muss es auch Wohnmöglichkeiten in dieser Gegend geben. In Swinemünde, das 1825 den Badebetrieb aufnahm, entstand innerhalb weniger Jahrzehnte in Strandnähe ein ganzer Stadtteil, Swinemünde Bad genannt, und so ist etwas in der Art auch für Kessin anzusetzen. ... so kam sie, wenn auch erhitzt und müde, doch in guter Laune bei dem Strandhotel an. Drinnen im Saal wurde schon gegessen, aber hier draußen um sie her war alles still und leer, was ihr in diesem Augenblick denn auch das liebste war. (Kapitel 13, Absatz 15) ![]() (Von Uvagla kommend, fährt man) auf den Strandweg zu, der, eine Meile lang, in beinahe gerader Linie bis an das Kessiner Strandhotel und von dort aus, rechts einbiegend, durch die Plantage hin in die Stadt führte. (Kapitel 19, Absatz 20) |
Der Platz des Duells ist zwar seiner Lage nach eindeutig bezeichnet, stimmt mit den anderen topographischen Angaben aber nicht ganz zusammen. Klar ist, dass es sich um eine Stelle in den Dünen dicht vor dem Strand handelt: Und dann haben wir uns über eine Stelle zwischen den Dünen geeinigt. Hart am Strand; die vorderste Düne hat einen Einschnitt, und man sieht aufs Meer." (Kapitel 28, Absatz 5)Am Bollwerk wird dem Kutscher der Befehl gegeben, 'nach der Mole' zu fahren, und zwar auf der Chaussee, die auch die Badegäste immer benutzen: Die Mole lag nach der entgegengesetzten Strandseite, rechts statt links, und die falsche Weisung wurde nur gegeben, um etwaigen Zwischenfällen, die doch immerhin möglich waren, vorzubeugen. Im übrigen, ob man sich nun weiter draußen nach rechts oder links zu halten vorhatte, durch die Plantage mußte man jedenfalls, und so führte denn der Weg unvermeidlich an Innstettens alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch stiller da als früher; ziemlich vernachlässigt sah's in den Parterreräumen aus ... (Kapitel 28, Absatz 20)In Strandnähe biegt man dann nach links statt nach rechts ab, müsste dabei nun allerdings das Strandhotel und die Gästehäuser passieren, doch wird hier nur eine 'breite Fahrstraße' erreicht, die auf ein Waldstück zuläuft: Bald danach hatte man die Plantage passiert, und der Kutscher wollte jetzt rechts einbiegen auf die Mole zu. "Fahren Sie lieber links. Das mit der Mole kann nachher kommen." ... Und der Kutscher bog links in eine breite Fahrstraße ein, die hinter dem Herrenbade grade auf den Wald zulief. Als sie bis auf dreihundert Schritt an diesen heran waren, ließ Wüllersdorf den Wagen halten, und beide gingen nun, immer durch mahlenden Sand hin, eine ziemlich breite Fahrstraße hinunter, die die hier dreifache Dünenreihe senkrecht durchschnitt. (Kapitel 28, Absatz 29)Damit läge der Duell-Platz im Bereich der Strandbäder, was nicht eben wahrscheinlich ist. Viel passender ist der Raum zwischen Strandhotel und Mole, zumal hier auch in der Realität die breite Fahrstraße, die mehrfach gestaffelten Dünenreihen und landeinwärts der Wald der Plantage zu finden ist. Noch heute bietet dieser Teil des Strandbereiches von Swinemünde genau das Bild, das Fontane für den Duell-Platz entwirft. So liegt hier vielleicht nur ein Richtungsirrtum vor (ausgelöst durch die Idee der falschen Zielnennung), und dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass schon zuvor Ausritte zur Mole an diese Stelle führen: Als man das jetzt öde Strandhotel passiert und bald danach, sich rechts haltend, auf dem von einer mäßigen Brandung überschäumten Strandwege den diesseitigen Molendamm erreicht hatte, verspürte man Lust, abzusteigen und einen Spaziergang bis an den Kopf der Mole zu machen. (Kapitel 16, Absatz 3)Ebenso führt dann der erste Ausritt, den Effi mit Crampas allein unternimmt (weil Innstetten verhindert ist), an dieses Strandstück: Es sollte zunächst wieder bis an die Mole gehen; da wollte man dann absteigen, ein wenig am Strand promenieren und schließlich im Schutz der Dünen, wo's windstill war, ein Frühstück nehmen. (Kapitel 17, Absatz 4) |