Mitte August war Effi abgereist, Ende September war sie wieder
in Kessin. Manchmal in den zwischenliegenden sechs Wochen hatte
sie's zurückverlangt; als sie aber wieder da war und in den
dunklen Flur eintrat, auf den nur von der Treppenstiege her ein
etwas fahles Licht fiel, wurde ihr mit einemmal wieder bang, und
sie sagte leise: »Solch fahles, gelbes Licht giebt es in Hohen-Cremmen
gar nicht.«
Ja, ein paarmal, während ihrer Hohen-Cremmer Tage, hatte sie
Sehnsucht nach dem »verwunschenen Hause« gehabt, alles
in allem aber war ihr doch das Leben daheim voller Glück
und Zufriedenheit gewesen. Mit Hulda freilich, die's nicht verwinden
konnte, noch immer auf Mann oder Bräutigam warten zu müssen,
hatte sie sich nicht recht stellen können, desto besser dagegen
mit den Zwillingen, und mehr als einmal, wenn sie mit ihnen Ball
oder Krocket gespielt hatte, war ihr's ganz aus dem Sinn gekommen,
überhaupt verheiratet zu sein. Das waren dann glückliche
Viertelstunden gewesen. Am liebsten aber hatte sie wie früher
auf dem durch die Luft fliegenden Schaukelbrett gestanden, und
in dem Gefühle: 'jetzt stürz' ich', etwas eigentümlich
prickelndes, einen Schauer süßer Gefahr empfunden.
Sprang sie dann schließlich von der Schaukel ab, so begleitete
sie die beiden Mädchen bis an die Bank vor dem Schulhause
und erzählte, wenn sie da saßen, dem alsbald hinzukommenden
Jahnke von ihrem Leben in Kessin, das halb hanseatisch und halb
skandinavisch und jedenfalls sehr anders als in Schwantikow und
Hohen-Cremmen sei.
Das waren so die täglichen kleinen Zerstreuungen, an die
sich gelegentlich auch Fahrten in das sommerliche Luch schlossen,
meist im Jagdwagen; allem voran aber standen für Effi doch
die Plaudereien, die sie beinahe jeden Morgen mit der Mama hatte.
Sie saßen dann oben in der luftigen, großen Stube,
Roswitha wiegte das Kind und sang in einem thüringischen
Platt allerlei Wiegenlieder, die niemand recht verstand, vielleicht
sie selber nicht; Effi und Frau von Briest aber rückten ans
offene Fenster und sahen, während sie sprachen, auf den Park
hinunter, auf die Sonnenuhr oder auf die Libellen, die beinahe
regungslos über dem Teich standen, oder auch auf den Fliesengang,
wo Herr von Briest neben dem Treppenvorbau saß und die Zeitungen
las. Immer wenn er umschlug, nahm er zuvor den Kneifer ab und
grüßte zu Frau und Tochter hinauf. Kam dann das letzte
Blatt an die Reihe, das in der Regel der »Anzeiger für's
Havelland« war, so ging Effi hinunter, um sich entweder zu
ihm zu setzen oder um mit ihm durch Garten und Park zu schlendern.
Einmal, bei solcher Gelegenheit, traten sie, von dem Kieswege her,
an ein kleines, zur Seite stehendes Denkmal heran, das schon Briest's
Großvater zur Erinnerung an die Schlacht von Waterloo hatte
aufrichten lassen, eine verrostete Pyramide mit einem gegossenen
Blücher in Front und einem dito Wellington auf der Rückseite.
»Hast Du nun solche Spaziergänge auch in Kessin«,
sagte Briest, »und begleitet Dich Innstetten auch und erzählt
Dir allerlei ?«
»Nein, Papa, solche Spaziergänge habe ich nicht. Das
ist ausgeschlossen, denn wir haben bloß einen kleinen Garten
hinter dem Haus, der eigentlich kaum ein Garten ist, bloß
ein paar Buchsbaumrabatten und Gemüsebeete mit drei, vier
Obstbäumen drin. Innstetten hat keinen Sinn dafür und
denkt wohl auch nicht sehr lange mehr in Kessin zu bleiben.«
»Aber Kind, Du mußt doch Bewegung haben und frische
Luft, daran bist Du doch gewöhnt.«
»Hab' ich auch. Unser Haus liegt an einem Wäldchen, das
sie die Plantage nennen. Und da geh' ich denn viel spazieren und
Rollo mit mir.«
»Immer Rollo,« lachte Briest. »Wenn man's nicht
anders wüßte, so sollte man beinah' glauben, Rollo sei
Dir mehr ans Herz gewachsen als Mann und Kind.«
»Ach, Papa, das wäre ja schrecklich, wenn's auch freilich
- so viel muß ich zugeben - eine Zeit gegeben hat, wo's ohne
Rollo gar nicht gegangen wäre. Das war damals ... nun, Du
weißt schon ... Da hat er mich so gut wie gerettet oder
ich habe mir's wenigstens eingebildet, und seitdem ist er mein
guter Freund und mein ganz besonderer Verlaß. Aber er ist
doch bloß ein Hund. Und erst kommen doch natürlich
die Menschen.«
»Ja, das sagt man immer, aber ich habe da doch so meine Zweifel.
Das mit der Kreatur, damit hat's doch seine eigene Bewandtnis,
und was da das Richtige ist, darüber sind die Akten noch
nicht geschlossen. Glaube mir, Effi, das ist auch ein weites Feld.
Wenn ich mir so denke, da verunglückt einer auf dem Wasser
oder gar auf dem schülbrigen Eis, und solch ein Hund, sagen
wir so einer wie Dein Rollo, ist dabei, ja, der ruht nicht eher,
als bis er den Verunglückten wieder an Land hat. Und wenn
der Verunglückte schon tot ist, dann legt er sich neben den
Toten hin und blafft und winselt so lange, bis wer kommt, und
wenn keiner kommt, dann bleibt er bei dem Toten liegen bis er
selber tot ist. Und das thut solch' Tier immer. Und nun nimm dagegen
die Menschheit! Gott, vergieb mir die Sünde, aber mitunter
ist mir's doch, als ob die Kreatur besser wäre als der Mensch.«
»Aber, Papa, wenn ich das Innstetten wiedererzählte
...«
»Nein, das thu' lieber nicht, Effi ...«
»Rollo würde mich ja natürlich retten, aber Innstetten
würde mich auch retten. Er ist ja ein Mann von Ehre.«
»Das ist er.«
»Und liebt mich.«
»Versteht sich, versteht sich. Und wo Liebe ist, da ist auch
Gegenliebe. Das ist nun 'mal so. Mich wundert nur, daß er
nicht 'mal Urlaub genommen hat und 'rübergeflitzt ist. Wenn
man eine so junge Frau hat ...«
Effi errötete, weil sie gerade so dachte. Sie mochte es aber
nicht einräumen. »Innstetten ist so gewissenhaft und
will, glaub' ich, gut angeschrieben sein und hat so seine Pläne
für die Zukunft; Kessin ist doch bloß eine Station.
Und dann am Ende, ich lauf' ihm ja nicht fort. Er hat mich ja.
Wenn man zu zärtlich ist ... und dazu der Unterschied der
Jahre ... da lächeln die Leute bloß.«
»Ja, das thun sie, Effi. Aber darauf muß man's ankommen
lassen. Übrigens sage nichts darüber, auch nicht zu
Mama. Es ist so schwer, was man thun und lassen soll. Das ist auch
ein weites Feld.«
Gespräche, wie diese, waren während Effi's Besuch im elterlichen
Hause mehr als einmal geführt worden, hatten aber glücklicherweise
nicht lange nachgewirkt, und ebenso war auch der etwas melancholische
Eindruck rasch verflogen, den das erste Wiederbetreten ihres Kessiner
Hauses auf Effi gemacht hatte. Innstetten zeigte sich voll kleiner
Aufmerksamkeiten, und als der Thee genommen und alle Stadt- und
Liebesgeschichten in heiterster Stimmung durchgesprochen waren,
hing sich Effi zärtlich an seinen Arm, um drüben
ihre Plaudereien mit ihm fortzusetzen und noch einige Anekdoten
von der Trippelli zu hören, die neuerdings wieder mit Gieshübler
in einer lebhaften Korrespondenz gestanden hatte, was immer gleichbedeutend
mit einer neuen Belastung ihres nie ausgeglichenen Kontos war.
Effi war bei diesem Gespräch sehr ausgelassen, fühlte
sich ganz als junge Frau und war froh, die nach der Gesindestube
hin ausquartierte Roswitha auf unbestimmte Zeit los zu sein.
Am anderen Morgen sagte sie: »Das Wetter ist schön und
mild, und ich hoffe, die Veranda nach der Plantage hinaus ist
noch in gutem Stande, und wir können uns ins Freie setzen
und da das Frühstück nehmen. In unsere Zimmer kommen
wir ohnehin noch früh genug, und der Kessiner Winter ist
wirklich um vier Wochen zu lang.«
Innstetten war sehr einverstanden. Die Veranda, von der Effi gesprochen,
und die vielleicht richtiger ein Zelt genannt worden wäre,
war schon im Sommer hergerichtet worden, drei, vier Wochen vor
Effi's Abreise nach Hohen-Cremmen, und bestand aus einem großen
gedielten Podium, vorn offen, mit einer mächtigen Marquise
zu Häupten, während links und rechts breite Leinwandvorhänge
waren, die sich mit Hülfe von Ringen an einer Eisenstange hin
und her schieben ließen. Es war ein reizender Platz, den
ganzen Sommer über von allen Badegästen, die hier vorüber
mußten, bewundert.
Effi hatte sich in einen Schaukelstuhl gelehnt und sagte, während
sie das Kaffeebrett von der Seite her ihrem Manne zuschob: »Geert,
Du könntest heute den liebenswürdigen Wirt machen; ich
für mein Teil find es so schön in diesem Schaukelstuhl,
daß ich nicht aufstehen mag. Also strenge Dich an, und wenn
Du Dich recht freust, mich wieder hier zu haben, so werd' ich mich
auch zu revanchieren wissen.« Und dabei zupfte sie die weiße
Damastdecke zurecht und legte ihre Hand darauf, die Innstetten
nahm und küßte.
»Wie bist Du nur eigentlich ohne mich fertig geworden?«
»Schlecht genug, Effi.«
»Das sagst Du so hin und machst ein betrübtes Gesicht,
und ist doch eigentlich alles nicht wahr.«
»Aber Effi ...«
»Was ich Dir beweisen will. Denn wenn Du ein bißchen
Sehnsucht nach deinem Kinde gehabt hättest - von mir selber
will ich nicht sprechen, was ist man am Ende solchem hohen Herrn,
der so lange Jahre Junggeselle war und es nicht eilig hatte ...
«
»Nun?«
»Ja, Geert, wenn Du nur ein bißchen Sehnsucht gehabt
hättest, so hättest Du mich nicht sechs Wochen mutterwindallein
in Hohen-Cremmen sitzen lassen wie eine Witwe, und nichts da als
Niemeyer und Jahnke und 'mal die Schwantikower. Und von den Rathenowern
ist niemand gekommen, als ob sie sich vor mir gefürchtet
hätten oder als ob ich zu alt geworden sei.«
»Ach, Effi, wie Du nur sprichst. Weißt Du, daß
Du eine kleine Kokette bist?«
»Gott sei Dank, daß Du das sagst. Das ist für
Euch das beste, was man sein kann. Und Du bist nichts anderes
als die anderen, wenn Du auch so feierlich und ehrsam thust. Ich
weiß es recht gut, Geert ... Eigentlich bist Du ...«
»Nun, was?«
»Nun, ich will es lieber nicht sagen. Aber ich kenne Dich
recht gut; Du bist eigentlich, wie der Schwantikower Onkel 'mal
sagte, ein Zärtlichkeitsmensch und unterm Liebesstern geboren,
und Onkel Belling hatte ganz recht, als er das sagte. Du willst
es bloß nicht zeigen und denkst, es schickt sich nicht und
verdirbt einem die Karriere. Hab' ich's getroffen?«
Innstetten lachte. »Ein bißchen getroffen hast Du's.
Weißt Du was, Effi, Du kommst mir ganz anders vor. Bis Anniechen
da war, warst Du ein Kind. Aber mit einemmal ...«
»Nun?«
»Mit einemmal bist Du wie vertauscht. Aber es steht Dir,
Du gefällst mir sehr, Effi. Weißt Du was?«
»Nun?«
»Du hast 'was Verführerisches.«
»Ach, mein einziger Geert, das ist ja herrlich, was Du da
sagst; nun wird mir erst recht wohl ums Herz ... Gieb mir noch
eine halbe Tasse ... Weißt Du denn, daß ich mir das
immer gewünscht habe? Wir müssen verführerisch
sein, sonst sind wir gar nichts ...«
»Hast Du das aus Dir?«
»Ich könnt' es wohl auch aus mir haben. Aber ich hab'
es von Niemeyer ...«
»Von Niemeyer! O Du himmlischer Vater, ist das ein
Pastor. Nein, solche giebt es hier nicht. Aber wie kam denn der
dazu? Das ist ja, als ob es irgendein Don Juan oder Herzensbrecher
gesprochen hätte.«
»Ja, wer weiß,« lachte Effi ... »Aber kommt
da nicht Crampas? Und vom Strand her. Er wird doch nicht gebadet
haben? Am 27. September ...«
»Er macht öfter solche Sachen. Reine Renommisterei.«
Derweilen war Crampas bis in nächste Nähe gekommen und
grüßte.
»Guten Morgen,« rief Innstetten ihm zu. »Nur näher,
nur näher.«
Crampas trat heran. Er war in Zivil und küßte der in
ihrem Schaukelstuhl sich weiter wiegenden Effi die Hand. »Entschuldigen
Sie mich, Major, daß ich so schlecht die Honneurs des Hauses
mache; aber die Veranda ist kein Haus und zehn Uhr früh
ist eigentlich gar keine Zeit. Da wird man formlos, oder wenn
Sie wollen, intim. Und nun setzen Sie sich und geben Sie Rechenschaft
von Ihrem Thun. Denn an Ihrem Haar, ich wünschte Ihnen, daß
es mehr wäre, sieht man deutlich, daß Sie gebadet haben.«
Er nickte.
»Unverantwortlich,« sagte Innstetten, halb ernst-, halb
scherzhaft. »Da haben Sie nun selber vor vier Wochen die
Geschichte mit dem Bankier Heinersdorf erlebt, der auch dachte,
das Meer und der grandiose Wellenschlag würden ihn um seiner
Million willen respektieren. Aber die Götter sind eifersüchtig
untereinander, und Neptun stellte sich ohne weiteres gegen Pluto
oder doch wenigstens gegen Heinersdorf.«
Crampas lachte. »Ja, eine Million Mark! Lieber Innstetten, wenn ich die
hätte, da hätt ich es am Ende nicht gewagt; denn
so schön das Wetter ist, das Wasser hatte nur neun Grad.
Aber unsereins mit seiner Million Unterbilanz, gestatten Sie mir
diese kleine Renommage, unsereins kann sich so 'was ohne Furcht
vor der Götter Eifersucht erlauben. Und dann muß einen
das Sprichwort trösten: 'Wer für den Strick geboren
ist, kann im Wasser nicht umkommen.'«
»Aber, Major, Sie werden sich doch nicht etwas so Urprosaisches,
ich möchte beinah' sagen, an den Hals reden wollen. Allerdings
glauben manche, daß ... ich meine das, wovon Sie
eben gesprochen haben ... daß ihn jeder mehr oder weniger
verdiene. Trotzdem, Major ... für einen Major ...«
»... Ist es keine herkömmliche Todesart. Zugegeben, meine
Gnädigste. Nicht herkömmlich und in meinem Fall auch
nicht einmal sehr wahrscheinlich - also alles bloß Citat
oder noch richtiger façon de parler. Und doch steckt etwas
Aufrichtiggemeintes dahinter, wenn ich da eben sagte, die See
werde mir nichts anhaben. Es steht mir nämlich fest, daß
ich einen richtigen und hoffentlich ehrlichen Soldatentod sterben
werde. Zunächst bloß Zigeunerprophezeiung, aber mit
Resonanz im eigenen Gewissen.«
Innstetten lachte. »Das wird seine Schwierigkeiten haben,
Crampas, wenn Sie nicht vorhaben, beim Großtürken oder
unterm chinesischen Drachen Dienst zu nehmen. Da schlägt
man sich jetzt herum. Hier ist die Geschichte, glauben Sie mir,
auf dreißig Jahre vorbei, und wer seinen Soldatentod sterben
will ...«
»... Der muß sich erst bei Bismarck einen Krieg bestellen.
Weiß ich alles, Innstetten. Aber das ist doch für Sie
eine Kleinigkeit. Jetzt haben wir Ende September; in zehn Wochen
spätestens ist der Fürst wieder in Varzin, und da er
ein liking für Sie hat - mit der volkstümlicheren Wendung
will ich zurückhalten, um nicht direkt vor Ihren Pistolenlauf
zu kommen - so werden Sie einem alten Kameraden von Vionville
her doch wohl ein bißchen Krieg besorgen können. Der
Fürst ist auch nur ein Mensch, und Zureden hilft.«
Effi hatte während dieses Gesprächs einige Brotkügelchen
gedreht, würfelte damit und legte sie zu Figuren zusammen,
um so anzuzeigen, daß ihr ein Wechsel des Themas wünschenswert
wäre. Trotzdem schien Innstetten auf Crampas scherzhafte
Bemerkungen antworten zu wollen, was denn Effi bestimmte, lieber
direkt einzugreifen. »Ich sehe nicht ein, Major, warum wir
uns mit Ihrer Todesart beschäftigen sollen; das Leben ist
uns näher und zunächst auch eine viel ernstere Sache.«
Crampas nickte.
»Das ist recht, daß Sie mir recht geben. Wie soll man
hier leben? Das ist vorläufig die Frage, d a s ist
wichtiger als alles andere. Gieshübler hat mir darüber
geschrieben, und wenn es nicht indiskret und eitel wäre,
denn es steht noch allerlei nebenher darin, so zeigte ich Ihnen
den Brief ... Innstetten braucht ihn nicht zu lesen, der hat keinen
Sinn für dergleichen ... beiläufig eine Handschrift
wie gestochen und Ausdrucksformen, als wäre unser Freund
statt am Kessiner Alten Markt an einem altfranzösischen Hofe
erzogen worden. Und daß er verwachsen ist und weiße
Jabots trägt wie kein anderer Mensch mehr - ich weiß
nur nicht, wo er die Plätterin hernimmt -, das paßt
alles so vorzüglich. Nun, also Gieshübler hat mir von
Plänen für die Ressourcenabende geschrieben und von
einem Entrepreneur, Namens Crampas. Sehen Sie, Major, das gefällt
mir besser als der Soldatentod oder gar der andere.«
»Mir persönlich nicht minder. Und es muß ein Prachtwinter
werden, wenn wir uns der Unterstützung der gnädigen
Frau versichert halten dürften. Die Trippelli kommt ...«
»Die Trippelli? Dann bin ich überflüssig.«
»Mit nichten, gnädigste Frau. Die Trippelli kann nicht
von Sonntag bis wieder Sonntag singen, es wäre zu viel für
sie und für uns; Abwechslung ist des Lebens Reiz, eine Wahrheit,
die freilich jede glückliche Ehe zu widerlegen scheint.«
»Wenn es glückliche Ehen giebt, die meinige ausgenommen
...« und sie reichte Innstetten die Hand.
»Abwechslung also,« fuhr Crampas fort. »Und diese
für uns und unsere Ressource zu gewinnen, deren Vizevorstand
zu sein ich zur Zeit die Ehre habe, dazu braucht es aller bewährten
Kräfte. Wenn wir uns zusammenthun, so müssen wir das
ganze Nest auf den Kopf stellen. Die Theaterstücke sind schon
ausgesucht: Krieg im Frieden, Monsieur Herkules, Jugendliebe
von Wildbrandt, vielleicht auch Euphrosine von Gensichen. Sie
die Euphrosine, ich der alte Goethe. Sie sollen staunen, wie gut
ich den Dichterfürsten tragiere ... wenn 'tragieren' das
richtige Wort ist.«
»Kein Zweifel. Hab' ich doch inzwischen aus dem Briefe meines
alchymistischen Geheimkorrespondenten erfahren, daß Sie,
neben vielem anderen, gelegentlich auch Dichter sind. Anfangs habe
ich mich gewundert ...«
»Denn Sie haben es mir nicht angesehen.«
»Nein. Aber seit ich weiß, daß Sie bei neun Grad
baden, bin ich anderen Sinnes geworden ... neun Grad Ostsee, das
geht über den kastalischen Quell ...«
»Dessen Temperatur unbekannt ist.«
»Nicht für mich; wenigstens wird mich niemand widerlegen.
Aber nun muß ich aufstehen. Da kommt ja Roswitha mit Lütt-Annie.«
Und sie erhob sich rasch und ging auf Roswitha zu, nahm ihr das
Kind aus dem Arm und hielt es stolz und glücklich in die
Höhe.
