Noch an demselben Tage hatte sich Baron Innstetten mit Effi Briest
verlobt. Der joviale Brautvater, der sich nicht leicht in seiner
Feierlichkeitsrolle zurechtfand, hatte bei dem Verlobungsmahl,
das folgte, das junge Paar leben lassen, was auf Frau von Briest,
die dabei der nun um kaum achtzehn Jahre zurückliegenden
Zeit gedenken mochte, nicht ohne herzbeweglichen Eindruck geblieben
war. Aber nicht auf lange; sie hatte es nicht sein können,
nun war es statt ihrer die Tochter - alles in allem ebenso gut
oder vielleicht noch besser. Denn mit Briest ließ sich leben,
trotzdem er ein wenig prosaisch war und dann und wann einen kleinen
frivolen Zug hatte. Gegen Ende der Tafel, das Eis wurde schon
herumgereicht, nahm der alte Ritterschaftsrat noch einmal das
Wort, um in einer zweiten Ansprache das allgemeine Familien-Du
zu proponieren. Er umarmte dabei Innstetten und gab ihm einen
Kuß auf die linke Backe. Hiermit war aber die Sache für
ihn noch nicht abgeschlossen, vielmehr fuhr er fort, außer
dem »Du« zugleich intimere Namen und Titel für
den Hausverkehr zu empfehlen, eine Art Gemütlichkeitsrangliste
aufzustellen, natürlich unter Wahrung berechtigter, weil
wohlerworbener Eigentümlichkeiten. Für seine Frau, so
hieß es, würde der Fortbestand von »Mama«
(denn es gäbe auch junge Mamas) wohl das Beste sein, während
er für seine Person, unter Verzicht auf den Ehrentitel »Papa«,
das einfache Briest entschieden bevorzugen müsse, schon weil
es so hübsch kurz sei. Und was nun die Kinder angehe - bei
welchem Wort er sich, Aug' in Auge mit dem nur etwa um ein Dutzend
Jahre jüngeren Innstetten, einen Ruck geben mußte -
nun, so sei Effi eben Effi und Geert Geert. Geert, wenn er nicht
irre, habe die Bedeutung von einem schlank aufgeschossenen Stamm,
und Effi sei dann also der Epheu, der sich darum zu ranken habe.
Das Brautpaar sah sich bei diesen Worten etwas verlegen an, Effi
zugleich mit einem Ausdruck kindlicher Heiterkeit, Frau von Briest
aber sagte: »Briest, sprich was Du willst und formuliere
Deine Toaste nach Gefallen, nur poetische Bilder, wenn ich Dich bitten
darf, laß bei Seite, das liegt jenseits Deiner Sphäre.«
Zurechtweisende Worte, die bei Briest mehr Zustimmung als Ablehnung
gefunden hatten. »Es ist möglich, daß Du recht
hast, Luise.«
Gleich nach Aufhebung der Tafel beurlaubte sich Effi, um einen
Besuch drüben bei Pastors zu machen. Unterwegs sagte sie
sich: »Ich glaube, Hulda wird sich ärgern. Nun bin ich
ihr doch zuvorgekommen - sie war immer zu eitel und eingebildet.«
Aber Effi traf es mit ihrer Erwartung nicht ganz; Hulda, durchaus
Haltung bewahrend, benahm sich sehr gut und überließ
die Bezeugung von Unmut und Ärger ihrer Mutter, der Frau
Pastorin, die denn auch sehr sonderbare Bemerkungen machte. »Ja,
ja, so geht es. Natürlich. Wenn's die Mutter nicht sein konnte,
muß es die Tochter sein. Das kennt man. Alte Familien halten
immer zusammen, und wo 'was is, kommt 'was dazu.«
Der alte Niemeyer kam in arge Verlegenheit über diese fortgesetzten
spitzen Redensarten ohne Bildung und Anstand und beklagte 'mal
wieder, eine Wirtschafterin geheiratet zu haben.
Von Pastors ging Effi natürlich auch zu Kantor Jahnkes; die
Zwillinge hatten schon nach ihr ausgeschaut und empfingen sie
im Vorgarten.
»Nun, Effi,« sagte Hertha, während alle drei zwischen
den rechts und links blühenden Studentenblumen auf und ab
schritten, »nun, Effi, wie ist Dir eigentlich?«
»Wie mir ist? O, ganz gut. Wir nennen uns auch schon Du
und bei Vornamen. Er heißt nämlich Geert, was ich Euch,
wie mir einfällt, auch schon gesagt habe.«
»Ja, das hast Du. Mir ist aber doch so bange dabei. Ist es
denn auch der Richtige?«
»Gewiß ist es der Richtige. Das verstehst Du nicht,
Hertha. Jeder ist der Richtige. Natürlich muß er von
Adel sein und eine Stellung haben und gut aussehen.«
»Gott, Effi, wie Du nur sprichst. Sonst sprachst Du doch
ganz anders.«
»Ja, sonst.«
»Und bist auch schon ganz glücklich?«
»Wenn man zwei Stunden verlobt ist, ist man immer ganz glücklich.
Wenigstens denk' ich es mir so.«
»Und ist es Dir denn gar nicht, ja, wie sag' ich nur, ein
bißchen genant?«
»Ja, ein bißchen genant ist es mir, aber doch nicht
sehr. Und ich denke, ich werde darüber weg kommen.«
Nach diesem, im Pfarr- und Kantorhause gemachten Besuche, der keine
halbe Stunde gedauert hatte, war Effi wieder nach drüben
zurückgekehrt, wo man auf der Gartenveranda eben den Kaffee
nehmen wollte. Schwiegervater und Schwiegersohn gingen auf dem
Kieswege zwischen den zwei Platanen auf und ab. Briest sprach
von dem Schwierigen einer landrätlichen Stellung; sie sei
ihm verschiedentlich angetragen worden, aber er habe jedesmal
gedankt. »So nach meinem eigenen Willen schalten und walten
zu können, ist mir immer das Liebste gewesen, jedenfalls lieber
- Pardon, Innstetten - als so die Blicke beständig
nach oben richten zu müssen. Man hat dann bloß immer
Sinn und Merk für hohe und höchste Vorgesetzte. Das
ist nichts für mich. Hier leb' ich so frei weg und freue mich
über jedes grüne Blatt und über den wilden Wein,
der da drüben in die Fenster wächst.«
Er sprach noch mehr dergleichen, allerhand Antibeamtliches, und
entschuldigte sich von Zeit zu Zeit mit einem kurzen, verschiedentlich
wiederkehrenden »Pardon, Innstetten.« Dieser nickte
mechanisch zustimmend, war aber eigentlich wenig bei der Sache,
sah vielmehr, wie gebannt, immer aufs neue nach dem drüben
am Fenster rankenden wilden Wein hinüber, von dem Briest
eben gesprochen, und während er dem nachhing, war es ihm,
als säh' er wieder die rotblonden Mädchenköpfe
zwischen den Weinranken und höre dabei den übermütigen
Zuruf: »Effi, komm'.«
Er glaubte nicht an Zeichen und Ähnliches, im Gegenteil,
wies alles Abergläubische weit zurück. Aber er konnte
trotzdem von den zwei Worten nicht los, und während Briest
immer weiterperorierte, war es ihm beständig, als wäre
der kleine Hergang doch mehr als ein bloßer Zufall gewesen.
Innstetten, der nur einen kurzen Urlaub genommen, war schon am
folgenden Tage wieder abgereist, nachdem er versprochen hatte, jeden
Tag schreiben zu wollen. »Ja, das mußt Du,« hatte
Effi gesagt, ein Wort, das ihr von Herzen kam, da sie seit Jahren
nichts Schöneres kannte, als beispielsweise den Empfang vieler
Geburtstagsbriefe. Jeder mußte ihr zu diesem Tage schreiben.
In den Brief eingestreute Wendungen, etwa wie »Gertrud und
Klara senden Dir mit mir ihre herzlichsten Glückwünsche«,
waren verpönt; Gertrud und Klara, wenn sie Freundinnen sein
wollten, hatten dafür zu sorgen, daß ein Brief mit
selbständiger Marke daläge, womöglich - denn ihr
Geburtstag fiel noch in die Reisezeit - mit einer fremden, aus der
Schweiz oder Karlsbad.
Innstetten, wie versprochen, schrieb wirklich jeden Tag; was aber
den Empfang seiner Briefe ganz besonders angenehm machte, war
der Umstand, daß er allwöchentlich nur einmal einen
ganz kleinen Antwortbrief erwartete. Den erhielt er denn auch,
voll reizend nichtigen und ihn jedesmal entzückenden Inhalts.
Was es von ernsteren Dingen zu besprechen gab, das verhandelte
Frau von Briest mit ihrem Schwiegersohne: Festsetzungen wegen der
Hochzeit, Ausstattungs- und Wirtschafts-Einrichtungsfragen. Innstetten,
schon an die drei Jahre im Amt, war in seinem Kessiner Hause nicht
glänzend, aber doch sehr standesgemäß eingerichtet,
und es empfahl sich, in der Korrespondenz mit ihm, ein Bild von
allem, was da war, zu gewinnen, um nichts Unnützes anzuschaffen.
Schließlich, als Frau von Briest über all diese Dinge
genugsam unterrichtet war, wurde seitens Mutter und Tochter eine
Reise nach Berlin beschlossen, um, wie Briest sich ausdrückte,
den »trousseau« für Prinzessin Effi zusammenzukaufen.
Effi freute sich sehr auf den Aufenthalt in Berlin, um so mehr,
als der Vater darein gewilligt hatte, im Hotel du Nord Wohnung
zu nehmen. »Was es koste, könne ja von der Ausstattung abgezogen
werden; Innstetten habe ohnehin alles.« Effi - ganz im Gegensatze
zu der solche »Mesquinerien« ein für allemal sich
verbittenden Mama - hatte dem Vater, ohne jede Sorge darum, ob
er's scherz- oder ernsthaft gemeint hatte, freudig zugestimmt
und beschäftigte sich in ihren Gedanken viel, viel mehr mit
dem Eindruck, den sie beide, Mutter und Tochter, bei ihrem Erscheinen
an der Table d'hôte machen würden, als mit Spinn und
Mencke, Goschenhofer und ähnlichen Firmen, die vorläufig
notiert worden waren. Und diesen ihren heiteren Phantasien entsprach
denn auch ihre Haltung, als die große Berliner Woche nun
wirklich da war. Vetter Briest vom Alexander-Regiment, ein ungemein
ausgelassener junger Leutnant, der die »Fliegenden Blätter«
hielt und über die besten Witze Buch führte, stellte
sich den Damen für jede dienstfreie Stunde zur Verfügung,
und so saßen sie denn mit ihm bei Kranzler am Eckfenster
oder zu statthafter Zeit auch wohl im Café
Bauer und fuhren nachmittags in den Zoologischen Garten, um da
die Giraffen zu sehen, von denen Vetter Briest, der übrigens
Dagobert hieß, mit Vorliebe behauptete: »sie sähen aus
wie adlige alte Jungfern.« Jeder Tag verlief programmäßig,
und am dritten oder vierten Tag gingen sie, wie vorgeschrieben,
in die Nationalgalerie, weil Vetter Dagobert seiner Kousine die
»Insel der Seligen« zeigen wollte. »Fräulein Kousine
stehe zwar auf dem Punkte, sich zu verheiraten, es sei aber doch
vielleicht gut, die 'Insel der Seligen' schon vorher
kennen gelernt zu haben.« Die Tante gab ihm einen Schlag mit dem
Fächer, begleitete diesen Schlag aber mit einem so gnädigen
Blick, daß er keine Veranlassung hatte, den Ton zu ändern.
Es waren himmlische Tage für alle drei, nicht zum wenigsten
für den Vetter, der so wundervoll zu chaperonnieren und kleine
Differenzen immer rasch auszugleichen verstand. An solchen Meinungsverschiedenheiten
zwischen Mutter und Tochter war nun, wie das so geht, all die
Zeit über kein Mangel, aber sie traten glücklicherweise
nie bei den zu machenden Einkäufen hervor. Ob man von einer
Sache sechs oder drei Dutzend erstand, Effi war mit allem gleichmäßig
einverstanden, und wenn dann auf dem Heimwege von dem Preise der
eben eingekauften Gegenstände gesprochen wurde, so verwechselte
sie regelmäßig die Zahlen. Frau von Briest, sonst so
kritisch, auch ihrem eigenen geliebten Kinde gegenüber, nahm
dies anscheinend mangelnde Interesse nicht nur von der leichten
Seite, sondern erkannte sogar einen Vorzug darin. »Alle diese Dinge,«
so sagte sie sich, »bedeuten Effi nicht viel. Effi ist anspruchslos;
sie lebt in ihren Vorstellungen und Träumen, und wenn die
Prinzessin Friedrich Karl vorüberfährt und sie von ihrem
Wagen aus freundlich grüßt, so gilt ihr das mehr als
eine ganze Truhe voll Weißzeug.«
Das alles war auch richtig, aber doch nur halb. An dem Besitze
mehr oder weniger alltäglicher Dinge lag Effi nicht viel,
aber wenn sie mit der Mama die Linden hinauf- und hinunterging
und nach Musterung der schönsten Schaufenster in den Demuth'schen
Laden eintrat, um für die gleich nach der Hochzeit geplante
italienische Reise allerlei Einkäufe zu machen, so zeigte
sich ihr wahrer Charakter. Nur das Eleganteste gefiel ihr, und
wenn sie das Beste nicht haben konnte, so verzichtete sie auf
das Zweitbeste, weil ihr dies Zweite nun nichts mehr bedeutete.
Ja, sie konnte verzichten, darin hatte die Mama recht, und in
diesem Verzichtenkönnen lag etwas von Anspruchslosigkeit;
wenn es aber ausnahmsweise 'mal wirklich etwas zu besitzen galt,
so mußte dies immer 'was ganz Apartes sein. Und darin
war sie anspruchsvoll.
